VwGH 95/01/0034

VwGH95/01/003415.3.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde 1. der A und 2. der mj. E, diese vertreten durch die Mutter und gesetzliche Vertreterin A (die Erstbeschwerdeführerin), beide in L, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in E, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. Februar 1995, Zl. 4.343.827/10-III/13/94, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist in einer Asylangelegenheit,

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

I. den Beschluß gefaßt:

Die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin wird zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Nach dem Inhalt der der Beschwerde beigelegten Kopie des angefochtenen Bescheides, dem die Beschwerdeführerinnen im Sachverhaltsbereich nicht entgegengetreten sind, sind die Beschwerdeführerinnen, Mutter und Tochter, bosnische Staatsangehörige. Die Zweitbeschwerdeführerin hatte am 24. Jänner 1994 durch ihren gesetzlichen Vertreter den Antrag auf Asylgewährung gestellt, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. April 1994 abgewiesen worden war. Die dagegen erst am 9. Mai 1994 erhobene Berufung wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 24. Mai 1994 als verspätet zurückgewiesen. Daraufhin stellte die Zweitbeschwerdeführerin am 30. Mai 1994 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 24. November 1994 abgewiesen worden war. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 3. Februar 1995 wies die belangte Behörde die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 24. November 1994 erhobene Berufung der Zweitbeschwerdeführerin ab.

I. Zur Zurückweisung:

Der der Beschwerde beigefügten Kopie des angefochtenen Bescheides ist zu entnehmen, daß lediglich die Zweitbeschwerdeführerin Bescheidadressatin ist. Eine Beschwerde ist aber bereits nach § 34 Abs. 1 VwGG dann wegen Mangels der Beschwerdeberechtigung zurückzuweisen, wenn der Verwaltungsgerichtshof zur Erkenntnis gelangt, daß der Beschwerdeführer (die Beschwerdeführerin) durch den angefochtenen Bescheid unabhängig von der Frage seiner Gesetzmäßigkeit in einem Recht nicht verletzt sein kann (vgl. den Beschluß eines verstärkten Senates vom 13. Juli 1956, Slg. Nr. 4127/A, und den hg. Beschluß vom 27. Juni 1980, Slg. Nr. 10179/A). Eine Möglichkeit der Rechtsverletzung besteht aber dann nicht, wenn der angefochtene Bescheid weder an den Beschwerdeführer gerichtet worden ist, noch auch diesem gegenüber auf Grund von Rechtsvorschriften wirkt. Der Verwaltungsgerichtshof hat nur zu prüfen, ob der Beschwerdeführer (die Beschwerdeführerin), nicht aber ob eine dritte Person durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten verletzt ist (vgl. auch den hg. Beschluß eines verstärkten Senates vom 2. Juli 1981, Slg. Nr. 10511/A). Insoweit daher die Erstbeschwerdeführerin den nicht an sie adressierten Bescheid bekämpft, fehlt es ihr an der Beschwerdelegitimation, weshalb ihre Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen war. II. Zur Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

In der Begründung ihres abweislichen Bescheides führte die belangte Behörde - in diesem Punkte unbestritten - aus, die Zweitbeschwerdeführerin habe vorgebracht, ihre gegen die Abweisung ihres Asylantrages durch das Bundesasylamt gerichtete Berufung sei bereits am 5. Mai 1994 von ihrem Rechtsvertreter "verfaßt, gespeichert und ausgedruckt" gewesen und sei lediglich durch ein Versehen eines sonst verläßlichen Kanzleiangestellten des Vertreters erst am 9. Mai 1994 (und damit außerhalb der Berufungsfrist) zur Post gebracht worden, weil der Angestellte die Berufungsschrift irrtümlich zu jenen Poststücken gelegt habe, die erst am 9. Mai 1994 aufgegeben hätten werden sollen. Ein derartiges Versehen sei dem Kanzleiangestellten bisher noch nie unterlaufen, weshalb auch für den Rechtsvertreter der Zweitbeschwerdeführerin kein Anlaß bestanden habe, bereitgelegte Poststücke dahin zu untersuchen, ob nicht etwa durch Irrtum eines Angestellten ein Poststück, das früher aufzugeben gewesen wäre, zu anderen Poststücken gelangt sei. Sie wendet sich gegen das von der belangten Behörde zum Vorwurf gemachte Organisationsverschulden ihres Rechtsvertreters im wesentlichen mit der Behauptung, die Organisation eines Kanzleibetriebes eines Rechtsanwaltes könne nicht darin bestehen, daß der Rechtsanwalt eine Kanzleikraft, die mehrere Jahre ohne Beanstandung die Poststücke abfertige, auch nur stichprobenweise kontrolliere. Eine derartige Kontrolle könne nur dann verlangt werden, wenn einer verläßlichen Kanzleikraft einmal ein Fehler unterlaufen sein sollte. Dies sei jedoch hier nicht der Fall gewesen. Im übrigen sei selbst bei Vornahme von Stichproben nicht auszuschließen, daß derartige Fehlleistungen von Kanzleiangestellten dennoch aufträten. Tatsächlich sei der Termin eingehalten worden, da die Berufung bereits vor Ablauf der Berufungsfrist geschrieben worden sei. Im übrigen fehle für die Behauptung der belangten Behörde, es seien schon mehrfach Fristversäumnisse innerhalb des letzten Jahres durch den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin vorgekommen, jegliche konkrete Begründung. Die Beschwerdeführerin beantragte daher, "ihrer Berufung Folge zu geben und den angefochtenen Bescheid dahin abzuändern, daß der Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Berufungsfrist gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. April 1994 bewilligt wird".

Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG in der Fassung der Wiederverlautbarung BGBl. Nr. 51/1991 ist auf Antrag einer Partei, die durch die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, auf S. 656 zitierte hg. Judikatur). Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem als Verschulden anzurechnen, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Nach ständiger hg. Judikatur vermag ein Versehen im Kanzleibetrieb für den Rechtsanwalt und damit für die von ihm vertretene Partei nur dann einen Wiedereinsetzungsgrund darzustellen, wenn der Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichtet, daß die fristgerechte Einbringung von Rechtsmitteln oder Beschwerden an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts gesichert erscheint. Der bevollmächtigte Anwalt muß den Aufgaben, die ihm aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Es ist dem Beschwerdeführervertreter zu widersprechen, wenn er meint, die Organisation des Kanzleibetriebes könne nicht darin bestehen, daß der Rechtanwalt eine Kanzleikraft, die mehrere Jahre ohne Beanstandung Poststücke abgefertigt habe, auch nur stichprobenweise kontrolliere, ganz abgesehen davon, daß allein aus der Tatsache der fristgerechten Verfassung, Speicherung und des Ausdruckes der Berufung nichts zu gewinnen wäre, wenn nicht auch die Unterfertigung fristgerecht erfolgt wäre. Ein Rechtsanwalt verstößt aber dann gegen seine anwaltliche Sorgfaltspflicht, wenn er weder im allgemeinen noch im besonderen wirksame Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Falle des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind. Ein Verschulden trifft ihn in einem solchen Fall nur dann nicht, wenn entweder ein ausgesprochen weisungswidriges Verhalten des entsprechenden Kanzleiangestellten vorliegt oder der Fehler erst nach Unterfertigung des Schriftsatzes und Kontrolle der Vollständigkeit durch den Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung oder Postaufgabe durch einen verläßlichen Angestellten unterlaufen wäre (vgl. auch hg. Beschluß vom 21. April 1993, Zlen. 93/02/0232 und 0233 und die dort angegebene Judikatur). Nach dem im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Sachverhalt überließ aber der Rechtsvertreter der Zweitbeschwerdeführerin dem Kanzleiangestellten nicht etwa die bloß im unmittelbaren Anschluß an die Unterfertigung und Kontrolle des Schriftstückes durchzuführende Abfertigung, sondern ohne jegliche Kontrolle die Fristwahrung selbst. Von einem als "minderen Grad des Versehens" zu wertenden Verschulden des Rechtsanwaltes kann daher im Beschwerdefall nicht die Rede sein.

Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, daß die von der Zweitbeschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war deren Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Damit erübrigte sich auch eine Entscheidung über den mit der Beschwerde verbundenen Aufschiebungsantrag.

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