Normen
BauO Wr §107 Abs1 idF 1976/018;
BauO Wr §107 Abs2 idF 1976/018;
BauO Wr §128 Abs4 idF 1976/018;
BauRallg;
B-VG Art18 Abs2;
NormenG 1971 §6 Abs1 litb;
ÖNORM B 5371;
VwRallg;
BauO Wr §107 Abs1 idF 1976/018;
BauO Wr §107 Abs2 idF 1976/018;
BauO Wr §128 Abs4 idF 1976/018;
BauRallg;
B-VG Art18 Abs2;
NormenG 1971 §6 Abs1 litb;
ÖNORM B 5371;
VwRallg;
Spruch:
Gemäß § 67 VwGG wird festgestellt, daß der Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 20. Jänner 1987, Zl. MA 37/23-Maurer Lange Gasse 111/17/86, hinsichtlich des Reihenhauses 3 rechtswidrig war.
Begründung
Beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien ist zur Zl. 33 Cg 17/93z ein Rechtsstreit zwischen der mj. KK als Klägerin und der Stadt Wien als Beklagte anhängig, in welchem die Klägerin einerseits die Feststellung, daß die beklagte Partei für alle Ansprüche der Klägerin aus dem Unfall vom 18. April 1990 zu haften habe, andererseits die Zahlung eines Schmerzengeldes letztlich von S 75.000,-- begehrte.
Das antragstellende Gericht begründete den verfahrensgegenständlichen Antrag wie folgt:
Mit Bescheid vom 14. Mai 1980 wurde vom Magistrat der Stadt Wien die Baubewilligung zur Errichtung einer Wohnhausanlage, bestehend aus einem Wohnhaus mit 11 Kleinwohnungen und vier Reihenhäusern, auf der Liegenschaft M-Gasse 111, Grundstücke Nr. n und n/1 in EZ nn, KG M, erteilt. Im Punkt 13. dieses Bescheides wurde gemäß § 107 Bauordnung für Wien (im Bescheid irrtümlich § 127 leg. cit. angeführt) vorgeschrieben, daß die Geländer an der niedersten (ungünstigsten) Stelle mindestens 1 m, bei Dachterrassen mindestens 1,10 m hoch sein müssen. Die Abstände der Geländerelemente dürften "eine lichte Weite von 14 cm" nicht überschreiten. Mit Bescheid vom 20. Jänner 1987 erteilte der Magistrat der Stadt Wien die Benützungsbewilligung auch für das nunmehr von der Klägerin und ihrer Familie benützte Reihenhaus Nr. 3 mit der Begründung, daß nach dem Ergebnis des Augenscheines vom 10. Dezember 1986 die Bauführung den gesetzlichen Bestimmungen entspreche. Das Haus Nr. 3 bestehe aus Erdgeschoß, 1. Stock und 2. Stock. Die Geschoße seien durch ein Stiegenhaus verbunden, das durch eine zweiläufige Treppe gebildet werde, die im Bereich des Podestes als Wendeltreppe ausgebildet sei. Die Tragkonstruktion der Treppe bestehe aus einer Stahlformrohrkonstruktion, auf der freie Trittplatten aus Holz aufgelegt seien. Am 18. April 1990 sei die Treppe wie folgt durch ein Geländer geschützt gewesen:
An der Freiseite der Treppe habe sich ein 1 m hohes Geländer befunden. Die Geländerkonstruktion habe aus Formrohrstehern bestanden, die in Abständen von ca. 1 m an der Tragkonstruktion der Stufenplatten befestigt gewesen seien. Die Oberseite des Handlaufes habe ein Flacheisen gebildet, wobei an der Unterseite ein Unterzug bestanden habe, der aus zwei Flacheisen gebildet worden sei und senkrechte Stäbe in Abständen von ca. 10 cm aufgewiesen habe. Im Unfallbereich hätten die über den Stufenplatten und dem Unterzug freibleibenden Räume die Form eines Trapezes aufgewiesen, das im Bereich der ersten Unfallstufe folgende Maße gehabt habe:
Breite der Auftrittsfläche (Stufenvorderkante bis Stufenhinterkante) 25 cm, Stufenvorderkante zu Geländerunterzug auf Höhe der Stufenvorderkante 18,5 cm, Stufenhinterkante zu Geländerunterzug auf Höhe der nächsten Stufe 33 cm. Die entsprechenden Maße bei der zweiten Stufe seien 25 cm, 17 cm und 33 cm und bei der dritten Stufe 25 cm, 15,5 cm und 32 cm gewesen. Der untere Flacheisendurchzug sei daher in unterschiedlichem Abstand zu den Stufen verlaufen. Dieser Abstand habe jeweils an der Stufenvorderkante, gemessen in der Reihe von unten nach oben, folgendes ausgemacht: kein Geländer/0/5/10/16,5/0/0/0/18,5 (Beginn des Unfallbereiches) 17/15,5/15,5.
Mit der ÖNorm 5371 (Stiegenabmessungen) vom 1. Jänner 1986 seien die Abmessungen von Stiegen grundsätzlich geregelt worden. Im Punkt 9.2. seien die Bestimmungen für die Stiegengeländerkonstruktion enthalten. In dieser werde beschrieben, daß die Geländerkonstruktion so auszuführen sei, daß Kinder weder daran hochklettern noch durchkriechen könnten, wobei auf die Abbildung Bild 6 verwiesen werde. Aus dieser gehe hervor, daß der Abstand zwischen Geländerunterzug bzw. unterster horizontal verlaufender Sprosse und der Auftrittsfläche nicht mehr als 12 cm betragen dürfe, der Abstand zwischen den lotrecht verlaufenden Geländerstangen und der Stufenunterkante nicht mehr als 4 cm.
Der Zustand von Treppe und Geländer sei zum Zeitpunkt der Errichtung bzw. zum Zeitpunkt der Erteilung der Benützungsbewilligung in folgenden Punkten als nicht den anerkannten Regeln der Technik entsprechend anzusehen gewesen:
1. Breite der Spitzstufen am Spitzende, 2. gleiche Stufenhöhe innerhalb des Stiegenlaufes und 3. Abstand des unteren Geländerabschlusses von der Stufenseitenkante. Hinsichtlich der Abstände der vertikalen Geländerlemente habe das Geländer den Bestimmungen und somit den Regeln der Technik entsprochen. Hinsichtlich des Abstandes der unteren, horizontal oder schräg geführten Abschlüsse habe das Geländer keiner einzigen Bestimmung entsprochen. Selbst wenn man von der alten Wiener Praxis mit 14 cm ausgehe und von der Fiktion, es sei an der Stufenvorderkante zu messen, seien mehrfach Überschreitungen aufgetreten.
Am 18. April 1990 sei die damals rund 16 Monate alte Klägerin ihrer Mutter vom 1. Stock ins Erdgeschoß gefolgt. Sie habe die Stiegen von oben nach unten immer in der Weise bewältigen können, daß sie mit den Beinen voraus von oben nach unten krabbelte, was bis zum Unfalltag ohne Zwischenfall geblieben sei. Die Mutter der Klägerin hätte an diesem Tag vom
1. Stock einen Staubsauger ins Erdgeschoß transportiert. Im beschriebenen Bereich sei die Klägerin in den zwischen Auftrittsfläche und Geländerunterzug verbleibenden Freiraum geraten, sei durch diesen gerutscht und rund 2 m ins Erdgeschoß gestürzt. Sie hätte hiedurch einen Bruch der "Scheitelregien" beiderseits in Form einer gering imprimierten Schädelfraktur, eine Schädelprellung und einen Bluterguß der Kopfschwarte erlitten.
Das antragstellende Landesgericht ist der Ansicht, daß das Stiegengeländer der angeführten Wendeltreppe den Regelungen des § 107 Abs. 1 Bauordnung für Wien nicht entsprochen und hiedurch eine zumindest für Kinder gefährliche Situation bestanden habe. Die mit Bescheid vom 20. Jänner 1987 gemäß § 128 Bauordnung für Wien erteilte Benützungsbewilligung sei daher rechtswidrig gewesen.
§ 107 Abs. 1 erster Satz Bauordnung für Wien bestimme, daß alle dem Zutritt offenstehenden, absturzgefährlichen Stellen innerhalb von Baulichkeiten oder an Baulichkeiten mit einem standsicheren, genügend dichten und festen Geländer zu sichern seien. Für die verfahrensgegenständliche Wendeltreppe sei der erste Satz dieser Bestimmung anzuwenden, dessen Sinn und Zweck durch die gegebene Geländerkonstruktion aber keinesfalls erfüllt gewesen sei, wie ein Vergleich mit der ÖNorm zeige. Die Anordnung in der Baubewilligung, daß die Abstände der Geländerelemente eine lichte Weite von 14 cm nicht überschreiten dürften, wäre sinnlos, wenn zwischen dem Unterzug des Geländers und den Stufen ein weit größerer Abstand freibleiben dürfte. Die verlangte Dichte des Geländers wäre nämlich dann nicht erreicht, weil ein dichtes Geländer jeglichen Absturz verhindern solle, also auch einen solchen zwischen den Stufen und dem untersten Geländerelement.
Da somit nach Ansicht des Gerichtes die Ausführung dieses Geländers nicht dem § 107 Abs. 1 Bauordnung für Wien, der Baubewilligung und dem Stand der Technik entsprochen habe, weil es nicht genügend dicht gegenüber den Stufen gewesen sei, und dadurch eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen bestanden habe, hätte nach Ansicht des Gerichtes die Benützungsbewilligung nicht erteilt werden dürfen.
Da aus den dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Akten nicht erkennbar war, ob der gemäß § 11 Abs. 1 Amtshaftungsgesetz gefaßte Unterbrechungsbeschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien der Behörde und der Beklagten, die den Bescheid erlassen hat, zugestellt worden war, stellte es der Verwaltungsgerichtshof dem Magistrat der Bundeshauptstadt Wien und der Bundeshauptstadt Wien frei, ergänzende Ausführungen zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides zu machen. In der daraufhin ergangenen Stellungnahme führte der Magistrat der Stadt Wien aus:
"Mit dem vom Antrag des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 1.12.1994 betroffenen Bescheid wurde eine Benützungsbewilligung gemäß § 128 der Bauordnung für Wien (BO) erteilt. Die Benützungsbewilligung war gemäß § 128 Abs. 4 BO in der 1987 geltenden Fassung zu erteilen, wenn das Gebäude, die bauliche Anlage bzw. der Gebäudeteil der Baubewilligung und den Vorschriften dieses Gesetzes sowie der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen entsprechend ausgeführt und alle mit dem Bau verbundenen gesetzlichen und bescheidmäßig auferlegten Verpflichtungen erfüllt waren. Sie war auch zu erteilen, wenn die Ausführung von den genehmigten Bauplänen nur insoweit abwich, als für die Abweichung eine Baubewilligung nicht erforderlich war (§ 62) oder wenn nur untergeordnete Teile noch nicht ausgeführt waren und mit diesen Mängeln keine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen verbunden war oder nur solche Verpflichtungen noch nicht erfüllt waren, mit deren Nichterfüllung keine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen verbunden war.
Die übrigen Bestimmungen des § 128 Abs. 4 BO sind im gegebenen Zusammenhang ohne Belang.
Der Umstand, daß die Bestimmungen über die Erteilung der Benützungsbewilligung nicht bloß auf die Baubewilligung, sondern auch auf die Vorschriften der Bauordnung und ihrer Durchführungsverordnungen Bezug nahmen, bedeutete nicht, daß diese generellen Normen in der Fassung, die sie im Zeitpunkt der Erteilung (Erlassung) der Benützungsbewilligung hatten, heranzuziehen waren. Die Anwendbarkeit neuer Vorschriften - worunter auch neue Erfahrungen der technischen Wissenschaften zu verstehen sind, die gemäß § 97 Abs. 1 BO in die Bauvorschriften eingeflossen waren - auf bereits bewilligte Bauten ordnete der Gesetzgeber zwar ausnahmsweise an (vgl. Art. III der Bauordnung), doch bedeutete dies bloß, daß die neue Vorschrift des § 107 Abs. 1 BO auf im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bauordnungsnovelle 1976 bereits bestehende Bauten anzuwenden war.
Grundsätzlich ist für die Prüfung der ordnungsgemäßen Ausführung die Rechtslage im Zeitpunkt der Bewilligung heranzuziehen, wobei allfällige Widersprüche zwischen dieser objektiven Rechtslage und der Bewilligung im Hinblick auf die bei der Erteilung der Benützungsbewilligung vorausgesetzte Rechtskraft der Baubewilligung unbeachtlich sind. Die Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung ist jedoch insoweit für die Ermittlung des Konsenses heranzuziehen, als Bescheidtext und planliche Darstellung allein keine sichere Aussage zulassen. In diesem Fall ist anzunehmen, daß ein Bauvorhaben bewilligt wurde, das den im Zeitpunkt seiner Bewilligung geltenden Vorschriften und damit dem damaligen Stand der technischen Wissenschaften entsprochen hat. Die Rechtsvorschriften und der Stand der technischen Wissenschaften sind dabei bloß Hilfsmittel zur Feststellung des Inhalts der rechtskräftigen Baubewilligung.
Somit hängt die Rechtmäßigkeit der Benützungsbewilligung vom 20.1.1987 davon ab, ob die Wohnhausanlage 23., M-Gasse 111 der Bewilligung vom 14.5.1980 und den Planwechselbewilligungen vom 15.1.1981, 21.1.1985, 4.10.1985 und 15.10.1987 entsprochen hat. Die im § 128 Abs. 4 BO genannte Nichtausführung untergeordneter Teile des Bauwerks konnte keinen Grund für die Versagung der Benützungsbewilligung darstellen, wenn Teile (wie etwa ein Geländer bestimmter Dichte) im Konsens gar nicht vorgesehen waren.
Das hier interessierende Stiegengeländer ist in der Stammbewilligung vom 14.5.1980 nicht näher beschrieben und in den Plänen nicht im Detail dargestellt. Es wird jedoch von der Nebenbestimmung des Punktes 13 des Bescheides erfaßt, der lautet:
"Gemäß § 127 BO müssen Geländer an der niedersten (ungünstigsten) Stelle mindestens 1 m, bei Dachterassen mindestens 1,10 m hoch sein. Die Abstände der Geländerelemente dürfen eine lichte Weite von 14 cm nicht überschreiten."
Dazu ist festzustellen, daß die Vorschreibung einen Schreibfehler enthält. Anstelle von "§ 127 BO" soll es richtig heißen "§ 107 BO".
Die Planwechselbewilligung vom 15.1.1981 hat auch die Lage der Stiegen betroffen, doch wurden hinsichtlich der Geländer keine Änderungen bewilligt. Vielmehr wurden in dieser Planwechselbewilligung ebenso wie in allen übrigen Planwechselbewilligungen die bisher erteilten Auflagen für anwendbar erklärt. Soweit sich aus den Baubewilligungen vom 14.5.1980 und 15.1.1981, einschließlich der Auflage Punkt 13 des erstgenannten Bescheides nicht näheres entnehmen läßt, ist somit auf die im Bewilligungszeitpunkt geltenden generellen Vorschriften und den damaligen Stand der Technik zurückzugreifen. Im Jahre 1981, als die Stiege in ihrer neuen Lage bewilligt wurde, konnte die ÖNorm B 5371 vom 1.1.1988 noch nicht maßgebend sein. 1981 gab es keine ÖNorm, die im Sinne des § 97 Abs. 1 BO als Zusammenfassung der Erfahrungen der technischen Wissenschaften hätte gelten können.
Die maßgebende gesetzliche Vorschrift (§ 107 Abs. 1 BO) lautete:
"Alle dem Zutritt offenstehenden, absturzgefährlichen Stellen innerhalb von Baulichkeiten oder an Baulichkeiten sind mit einem standsicheren, genügend dichten und festen Geländer zu sichern. Bei Wohnungen müssen Geländer von Loggien, Balkonen, Fenster, Türen oder Terrassen überdies so beschaffen sein, daß Kleinkinder nicht durchschlüpfen oder leicht hochklettern können. Anstelle von Geländern sind auch Brüstungen zulässig."
Besondere Vorkehrungen zum Schutz von Kleinkindern sah das Gesetz schon damals für Stiegengeländer i n n e r h a l b
von Wohnungen n i c h t vor. Für solche Geländer galt nur
die allgemeine Forderung der genügenden Dichte. Nach dem Erfahrungsstand der technischen Wissenschaften im Jahre 1981, wie er in der baubehördlichen Praxis zum Ausdruck kam, war das Geländer einer Wohnungsinnenstiege genügend dicht, wenn es wie das Geländer der Wohnung M-Gasse 111/3 ausgeführt war.
Die Baubehörde konnte daher, als sie am 10.12.1986 vor Erteilung der Benützungsbewilligung einen Augenschein vornahm, davon ausgehen, daß das Stiegengeländer der erteilten Baubewilligung entsprach und sie hatte folglich die Benützungsbewilligung zu erteilen. Die Rechtmäßigkeit der Baubewilligung hatte sie im Rahmen des Benützungsbewilligungsverfahrens nicht zu prüfen. Sie mußte sich darauf beschränken, den Inhalt der Baubewilligung zu ermitteln.
Die in der Klage der mj. KK erwähnte nachfolgende Ergänzung der Benützungsbewilligung durch einen Bescheid vom 29.5.1990 hatte keinen Einfluß auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 20.1.1987. Die Vorgangsweise der Behörde war im übrigen formal unrichtig. Wenn schon eine Änderung für notwendig erachtet wurde, dann wäre nicht die Benützungsbewilligung, sondern die ihr zugrundeliegende Baubewilligung abzuändern gewesen. In deren Rechtskraft hätte die Behörde allenfalls gemäß § 68 Abs. 3 AVG eingreifen können, worauf sie in der Folge den Konsens des Hauses, gestützt auf die inzwischen erweiterten Erfahrungen der technischen Wissenschaften und damit (§ 97 Abs. 1 BO) auf geänderte materielle Bauvorschriften, die Baubewilligung zu ergänzen gehabt hätte. Nach der Ergänzung des Konsenses (der Baubewilligungsbescheide) wäre erforderlichenfalls gemäß § 129 Abs. 10 BO ein Auftrag zur konsensgemäßen Ausführung des Gebäudes zu erteilen gewesen. Nochmals sei jedoch hervorgehoben, daß diese spätere Entwicklung bei der Prüfung der Frage außer Betracht bleiben muß, ob 1987 die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Benützungsbewilligung auf Grund der rechtskräftigen Baubewilligung aus dem Jahre 1980 und der Planwechselbewilligung aus dem Jahr 1981 gegeben waren."
Die im gerichtlichen Anlaßverfahren beklagte Partei Stadt Wien führte folgendes aus:
"1.) Maßstab der Erteilung der Benützungsbewilligung war der Baubewilligungsbescheid vom 14.5.1980, hinsichtlich des Geländers dessen Punkt 13.), wonach Geländer an der niedersten (ungünstigsten) Stelle mindestens 1 m, bei Dachterrassen mindestens 1.10 m hoch sein müssen und die Abstände der Geländerelemente eine lichte Weite von 14 cm nicht überschreiten durften.
Der spätere Erlaß der Magistratsdirektion der Stadt Wien, Stadtbaudirektion - Gruppe Baupolizei - vom 18.1.1988 (Beilage ./1 des Gerichtsaktes), wonach in Anlehnung an die Bestimmungen der ÖNorm B 5371 Öffnungen in und zwischen Geländerelementen eine lichte Weite von 12 cm nicht überschreiten sollen, war daher für die Erteilung der Benützungsbewilligung nicht maßgebend.
Ebensowenig war die ÖNorm B 5371 als nach der Baubewilligung, nämlich am 1. Jänner 1986, erlassen nicht von Bedeutung und konnte die Auflagen des Baubewilligungsbescheides nicht ändern oder verschärfen. Dazu kommt, daß diese ÖNorm (Beilage ./2 des Gerichtsaktes) nur eine Empfehlung darstellt, in die Bauordnungen und andere gesetzliche Regelungen übernommen zu werden, also keine Rechtsnorm ist.
Im Zeitpunkt der Erlassung der Baubewilligung bestand aber weder diese noch eine andere einschlägige ÖNorm.
2.) Maßgebend war ausschließlich § 107 Abs. 1 BO für Wien.
Die Stiege befand sich innerhalb der Wohnung. Gemäß § 107 Abs. 1 Satz 2 gilt die Anforderung, daß Kleinkinder nicht durchschlüpfen oder leicht hochklettern können, bei Wohnungen nur für Geländer von Loggien, Balkonen, Fenstertüren oder Terrassen, nicht für eine Treppe innerhalb der Wohnung, wie sie hier im Reihenhaus gegeben war.
Ein Treppengeländer hat den Zweck, einen Absturz zu verhindern, ist aber gemäß dieser Gesetzesstelle innerhalb des Wohnbereiches eines Reihenhauses nicht zwingend dazu bestimmt, ein Durchschlüpfen von Kleinkindern zu verhindern.
Der Abstand zwischen Stufenvorderkante und Beginn des Füllelementes entsprach im Zeitpunkt der Erteilung der Benützungsbewilligung Punkt 13.) der Baubewilligung, nämlich der damals üblichen lichten Weite von 14 cm.
3.) Somit erschien im Zeitpunkt der Erteilung der Benützungsbewilligung die Benützbarkeit der Stiege auf der Grundlage der erteilten Baubewilligung gegeben; die Benützungsbewilligung wurde nicht rechtswidrig erteilt."
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 128 Abs. 1 Bauordnung für Wien, LGBl. Nr. 11/1930 in der Fassung des Landesgesetzes LGBl. Nr. 18/1976 (die im Zeitpunkt der Erteilung der Benützungsbewilligung galt), dürfen u. a. Neu-, Zu- und Umbauten vor Erteilung der Benützungsbewilligung nicht benützt werden. Gemäß § 128 Abs. 4 leg. cit. in der Fassung des Landesgesetzes LGBl. Nr. 18/1976 ist die Benützungsbewilligung zu erteilen, wenn das Gebäude, die bauliche Anlage bzw. der Gebäudeteil der Baubewilligung und den Vorschriften dieses Gesetzes sowie der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen entsprechend ausgeführt und alle mit dem Bau verbundenen gesetzlichen und bescheidmäßig auferlegten Verpflichtungen erfüllt sind. Sie ist auch zu erteilen, wenn die Ausführung von den genehmigten Plänen nur insoweit abweicht, als für die Abweichung eine Baubewilligung nicht erforderlich ist (§ 62) oder wenn nur untergeordnete Teile noch nicht ausgeführt sind und mit diesen Mängeln keine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen verbunden ist oder nur solche Verpflichtungen noch nicht erfüllt sind, mit deren Nichterfüllung keine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen verbunden ist.
Gemäß § 62 Bauordnung für Wien in der Fassung des Landesgesetzes LGBl. Nr. 18/1976 ist für alle im § 60 nicht genannten baulichen Maßnahmen keine Bewilligung der Behörde erforderlich.
§ 107 Abs. 1 Bauordnung für Wien in der im vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung des Landesgesetzes LGBl. Nr. 18/1976 lautet wie folgt:
"(1) Alle dem Zutritt offenstehenden, absturzgefährlichen Stellen innerhalb von Baulichkeiten oder an Baulichkeiten sind mit einem standsicheren, genügend dichten und festen Geländer zu sichern. Bei Wohnungen müssen Geländer von Loggien, Balkonen, Fenstertüren oder Terrassen überdies so beschaffen sein, daß Kleinkinder nicht durchschlüpfen oder leicht hochklettern können. Anstelle von Geländern sind auch Brüstungen zulässig.
(2) Bei Dachterrassen und allgemein zugänglichen Flachdächern sowie bei Balkonen oder Loggien vom 5. Geschoß aufwärts muß das Geländer mindesten 1,10 m hoch sein. Sonstige Geländer müssen mindestens 1 m hoch sein. Die Geländerhöhe ist bei Stiegen lotrecht von der Stufenvorderkante bis zur Geländeroberkante zu messen. ..."
Die ÖNorm B 5371 vom 1. Jänner 1986 betreffend Stiegen-Abmessungen ordnet im Punkt 9.2. an, daß die Geländerkonstruktion so auszuführen ist, daß Kinder weder daran hochklettern noch durchkriechen können. Öffnungen zwischen dem Geländer einerseits und der seitlichen Begrenzung des Stiegenlaufes oder Podestes andererseits dürfen den lichten Wandabstand von 4 cm und das Maß von 12 cm (wie auf Bild 6 dargestellt) nicht überschreiten (Abs. 1).
Unbestritten ist im vorliegenden Verfahren, daß der Abstand des unteren Flacheisendurchzuges des verfahrensgegenständlichen Geländers im Unfallbereich von der Stufenvorderkante gemessen 18,5 cm, 17 cm und 15,5 cm betrug.
Die Benützungsbewilligung ist - wie bereits dargelegt - gemäß § 128 Abs. 4 Bauordnung für Wien zu erteilen, wenn das Gebäude der Baubewilligung und den Vorschriften dieses Gesetzes sowie der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen entsprechend ausgeführt und alle mit dem Bau verbundenen gesetzlichen und bescheidmäßig auferlegten Verpflichtungen erfüllt sind. Soweit bei der Benützungsbewilligung die Einhaltung der Anordnungen des Baubewilligungsbescheides Bewilligungskriterium ist, sind die mit dem Baubewilligungsbescheid in Zusammenhang stehenden angewendeten generellen Normen im Zeitpunkt der Erlassung des Baubewilligungsbescheides maßgeblich. Soweit die Baubewilligung keine normativen Anordnungen hinsichtlich der Ausführung des bewilligten Vorhabens enthält, sind jene Bestimmungen der Bauordnung für Wien und der aufgrund dieser Bestimmungen erlassenen Verordnungen einzuhalten, die im Zeitpunkt der Erlassung des Benützungsbewilligungsbescheides gelten.
Der Baubewilligungsbescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 14. Mai 1980 enthielt im Punkt 13. folgende Anordnungen:
"Gemäß § 127 BO müssen Geländer an der niedersten (ungünstigsten) Stelle mindestens 1 m, bei Dachterrassen mindestens 1,10 m hoch sein. Die Abstände der Geländerelemente dürfen eine lichte Weite von 14 cm nicht überschreiten."
Die dieser Bewilligung angeschlossenen, mit dem amtlichen Sichtvermerk versehenen Pläne enthalten keine nähere Darstellung des verfahrensgegenständlichen Geländers. Die Planwechselbewilligung vom 15. Jänner 1981 betraf auch die Lage der Stiegen, doch wurde in dieser Bewilligung hinsichtlich der Geländer keine Änderung bewilligt. Es wurden vielmehr die bisher erteilten Auflagen für anwendbar erklärt.
Aus dem in der angeführten Auflage angeordneten, maximal zulässigen Abstand zwischen den Geländerelementen im Ausmaß von 14 cm muß im Zusammenhalt mit dem gesetzlichen Gebot eines "genügend dichten" Geländers gemäß § 107 Abs. 1 erster Satz leg. cit. an einer absturzgefährlichen Stelle auch für die Frage des nach der Baubewilligung für zulässig (weil den Erfordernissen des § 107 Abs. 1 erster Satz leg. cit. entsprechend) erachteten Abstandes zwischen den einzelnen Stufen und dem Unterlauf des Geländers abgeleitet werden, daß auch dieser Abstand an keiner Stelle größer als die genannten 14 cm sein durfte. Das eingangs näher dargestellte verfahrensgegenständliche Geländer hat diesem Erfordernis im angeführten Unfallbereich jedenfalls nicht entsprochen (vgl. die bereits angeführten Abstände zwischen dem unteren Flacheisendurchzug und der Stufenvorderkante).
Dem Argument der Bundeshauptstadt Wien, nur für die in § 107 Abs. 1 Satz 2 leg. cit. genannten Geländer sei geregelt, daß Kleinkinder nicht durchschlüpfen können sollen, ist entgegenzuhalten, daß damit offensichtlich das Durchschlüpfen zwischen den Stäben und nicht jenes unter dem Geländer gemeint ist. Aus dem Zweck der Sicherung absturzgefährlicher Stellen im Sinne des § 107 Abs. 1 leg. cit. muß abgeleitet werden, daß unter jenen Personen, die vor dem Absturz durch ein standsicheres, genügend dichtes und festes Geländer geschützt werden sollen, auch die im § 107 Abs. 1 zweiter Satz leg. cit. im besonderen angeführten Kleinkinder zu verstehen sind. § 107 Abs. 1 zweiter Satz leg. cit. richtet sich offensichtlich darauf, daß Kleinkinder BEWUßT versuchen könnten, durch das Geländer zu schlüpfen. Nur für diesen Fall trifft diese Bestimmung für bestimmte Geländer besondere Vorkehrungen.
Die Erteilung der Benützungsbewilligung mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 20. Jänner 1987 stellt sich somit im Lichte des § 107 Abs. 1 und 2 Bauordnung für Wien im Zusammenhalt mit Punkt 13. der Baubewilligung vom 14. Mai 1980 als rechtswidrig dar.
Sofern das antragstellende Gericht als Prüfungsmaßstab für die Benützungsbewilligung die ÖNorm B 5371 heranzieht, ist darauf zu verweisen, daß es sich bei einer solchen ÖNorm um eine unverbindliche Empfehlung des Normungsinstitutes handelt, der nur dann normative Wirkung zukommt, wenn sie der Gesetzgeber (unter Umständen mittels Verordnungserlassung) als verbindlich erklärt. Daß die ÖNorm B 5371 im Zeitpunkt der Erlassung der in Frage stehenden Benützungsbewilligung vom Gesetzgeber bzw. vom Verordnungsgeber für verbindlich erklärt worden wäre, wird auch vom antragstellenden Gericht nicht behauptet. Für die Rechtmäßigkeit der Benützungsbewilligung vom 20. Jänner 1987 war daher allein die Regelung des § 107 Abs. 1 und 2 Bauordnung für Wien in der im Zeitpunkt der Erlassung des Benützungsbewilligungsbescheides geltenden Fassung maßgeblich.
Es war somit gemäß § 67 VwGG festzustellen, daß der Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 20. Jänner 1987 hinsichtlich des Reihenhauses 3 in Wien 23., M-Gasse 111/3, rechtswidrig war.
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