VwGH 94/02/0044

VwGH94/02/004420.5.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Strohmaier, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 23. November 1993, Zl. UVS 30.13-168/93-9, betreffend Übertretungen der Bauarbeiterschutzverordnung (mitbeteiligte Partei: I in B, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in B), zu Recht erkannt:

Normen

ASchG 1972 §31 Abs2 litp;
ASchG 1972 §33 Abs7;
BArbSchV §7 Abs1;
StGB §34 Z17;
VStG §19;
ASchG 1972 §31 Abs2 litp;
ASchG 1972 §33 Abs7;
BArbSchV §7 Abs1;
StGB §34 Z17;
VStG §19;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der Strafbemessung (zu den Übertretungen nach § 7 Abs. 1 erster und zweiter Satz Bauarbeiterschutzverordnung) wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, sowie hinsichtlich der Einstellung des Strafverfahrens (wegen Übertretung nach § 8 der Bauarbeiterschutzverordnung) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Mur vom 24. Februar 1993 wurde der Mitbeteiligte für schuldig befunden, er habe als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der

L. GesmbH. (mit näher angeführtem Standort) nicht dafür gesorgt, daß am 16. September 1991 um ca. 18.20 Uhr auf einer örtlich umschriebenen Baustelle in K. 1. an einem Dach (das eine Traufenhöhe von ca. 13 m und eine Dachneigung von ca. 10 Grad aufgewiesen habe), auf dem von zwei namentlich genannten Arbeitnehmern (D. und P.) Dachreparaturen durchgeführt worden seien, Einrichtungen angebracht gewesen seien, die ein Abstürzen von Personen verhindert hätten, sowie

2. diese am Dach beschäftigten Arbeitnehmer angeseilt gewesen seien, obwohl es sich um eine besonders gefährliche Arbeitsstelle gehandelt habe. Der Beschwerdeführer habe dadurch zwei Verwaltungsübertretungen und zwar zu 1. nach § 9 Abs. 1 VStG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 erster Satz "Arbeitnehmerschutzverordnung" und § 33 Abs. 7 erster Satz sowie § 31 Abs. 2 lit. p Arbeitnehmerschutzgesetz und zu

2. nach § 7 Abs. 1 zweiter Satz "Arbeitnehmerschutzverordnung" in Verbindung mit denselben Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzgesetzes begangen. Es wurden zwei Geldstrafen zu je S 10.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe je eine Woche) verhängt.

Mit (weiterem) Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Mur vom 24. Februar 1993 wurde von der Fortführung des Verwaltungsstrafverfahrens gegen den Mitbeteiligten, betreffend den im Ladungsbescheid vom 24. Oktober 1991 unter Punkt 3. angeführten Tatbestand (wonach es der Mitbeteiligte auch zu verantworten habe, daß am 16. September 1991 um ca. 18.20 Uhr auf der erwähnten Baustelle die Verkehrswege nicht gegen Durchbruch gesichert gewesen seien, obwohl Arbeiten auf Dächern erst begonnen werden dürften, nachdem die Verkehrswege entsprechend gegen Durchbrechen gesichert seien) wegen Übertretung "gemäß § 7 Abs. 1 Bauarbeiterschutzverordnung", betreffend den Arbeitnehmer D., abgesehen und gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG die Einstellung verfügt.

Sowohl gegen das erwähnte Straferkenntnis (und zwar wegen zu geringer Bestrafung) als auch gegen den zitierten Bescheid über die Einstellung des Strafverfahrens erhob das Arbeitsinspektorat für den 12. Aufsichtsbezirk jeweils Berufung. Diesen beiden Berufungen gab die belangte Behörde mit Bescheid vom 23. November 1993 keine Folge.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 gestützte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:

Zur Strafbemessung in Ansehung der Übertretungen nach § 7 Abs. 1 erster und zweiter Satz "Arbeitnehmerschutzverordnung":

Zunächst ist klarzustellen, daß es sich bei der jeweiligen Anführung "Arbeitnehmerschutzverordnung" (als jener generellen Norm, wogegen der Beschwerdeführer verstoßen hat) im Spruch des Straferkenntnisses vom 24. Februar 1993 offenbar um ein Versehen handelt und es statt dessen jeweils richtig "Bauarbeiterschutzverordnung" (BGBl. Nr. 267/1954) lauten soll, wie sich insbesondere auch aus der Begründung dieses Straferkenntnisses entnehmen läßt. In der Begründung des vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde zur Abweisung der diesbezüglichen Berufung des Arbeitsinspektorates aus, bei der Strafbemessung sei von einem Einkommen des Mitbeteiligten von S 50.000,-- monatlich netto, keinem Vermögen und Sorgepflichten für zwei Kinder ausgegangen worden. Mildernd sei das abgelegte Geständnis, erschwerend eine einschlägige Verwaltungsvorstrafe zu werten. Von einer Erhöhung der Strafe habe trotz der ausgezeichneten Einkommensverhältnisse (eine Strafe solle bekanntlich auch als solche empfunden werden) abgesehen werden, weil am Unfall den Arbeiter D. ein gerütteltes Maß an Mitverschulden treffe. Ein "Ausfallverschulden" (richtig wohl: Auswahlverschulden) hinsichtlich des Vorarbeiters sei dem Mitbeteiligten nicht nachweisbar, auch seien sämtliche Behelfe zur ordnungsgemäßen Absicherung auf der Baustelle vorhanden gewesen. Daß sich D. auf Grund unvorhergesehener Verzögerungen ohne ausreichende Sicherung am Dach bewegt habe, weil er die noch ausstehende halbstündige Arbeit noch erledigen hätte wollen, obwohl diese auch am nächsten Tag erledigt hätte werden können und Zeitdruck von der Firmenleitung nicht ausgeübt worden sei, sei menschlich verständlich und sei er durch seinen Leichtsinn selbst am allermeisten zu Schaden gekommen.

Zum Ausmaß des Verschuldens verweist der Beschwerdeführer darauf, die belangte Behörde habe nicht berücksichtigt, daß der Mitbeteiligte wiederholt zur Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften aufgefordert hätte werden müssen. Dagegen bringt die belangte Behörde in der Gegenschrift vor, diese "Aufforderungen zur Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften" seien bei ihr nicht aktenkundig. Dazu ergibt sich allerdings aus der Niederschritft über die vor der belangten Behörde vorgenommene mündliche Verhandlung am 23. November 1993 (vgl. das "Schlußwort" des Vertreters des Arbeitsinspektorates), daß "schriftliche Aufforderungen zuletzt vom 11.7.1989 an den Arbeitgeber gerichtet", zur Einhaltung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen vorlägen. Allerdings behauptet auch der Beschwerdeführer nicht, daß es sich bei den erwähnten "Aufforderungen" inhaltlich um solche gehandelt hat, welche zumindest gleichartige Verwaltungsübertretungen zum Gegenstand hatten. Die belangte Behörde war daher nicht verpflichtet, diese "Aufforderungen" in ihre Überlegungen miteinzubeziehen.

Auch kann der Gerichtshof nicht finden, daß die belangte Behörde die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Mitbeteiligten (§ 19 Abs. 2 letzter Satz VStG) nicht "berücksichtigt" hätte, wenn sie auch in der Folge beim "Mitverschulden" des Arbeitnehmers am Unfall neuerlich darauf Bezug nahm; vielmehr versteht der Gerichtshof die diesbezüglichen Ausführungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides - unabhängig von der Frage der Richtigkeit des Ergebnisses - dahin, daß die belangte Behörde trotz der günstigen Einkommensverhältnisse keine Veranlassung sah, die Strafen hinaufzusetzen.

Was weiters den Einwand der belangten Behörde in der Gegenschrift anlangt, die von ihr als Erschwerungsgrund herangezogene Verwaltungsvorstrafe sei "zu Unrecht" berücksichtigt worden, so wird dieser Umstand im fortgesetzten Verfahren (siehe unten) zu prüfen sein.

Zutreffend bringt der Beschwerdeführer allerdings vor, daß sich aus der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht entnehmen läßt, ob die belangte Behörde auch Umstände der Spezial- und der Generalprävention bei der Strafbemessung mitberücksichtigt hat. Ob der Mitbeteiligte seit Herbst 1991 (bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides) keine weiteren "Verstöße gegen Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzes" begangen hat - so die belangte Behörde in der Gegenschrift - hat mit der Berücksichtigung der Spezialprävention bei der Strafbemessung, die den Täter vor weiteren (künftigen) strafbaren Handlungen abhalten soll, nichts zu tun.

Zu Recht rügt der Beschwerdeführer auch, daß die belangte Behörde im Beschwerdefall ein Mitverschulden des Arbeitnehmers zugunsten des Mitbeteiligten bei der Strafbemessung mitberücksichtigt habe, sollen doch gerade die hier maßgebenden Arbeitnehmerschutzvorschriften, gegen die der Mitbeteiligte verstoßen hat, eine solche, durch Leichtsinn des Arbeitnehmers hervorgerufene, gefährliche Situation und die daraus allenfalls resultierenden Folgen hintanhalten, wozu den Arbeitgeber die Pflicht zur Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems zur Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften durch den Arbeitnehmer trifft.

Was schließlich den von der belangten Behörde herangezogenen Milderungsgrund des Geständnisses anlangt, so verweist der Beschwerdeführer zu Recht darauf hin, daß von einem "qualifizierten Geständnis" nicht die Rede sein kann. Der Milderungsgrund nach § 34 Z. 17 StGB, auf den sich die belangte Behörde offenbar bezogen hat, liegt nur dann vor, wenn der Täter ein reumütiges Geständnis abgelegt oder durch seine Aussage wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen hat. Das bloße Unterbleiben des Leugnens der Tat kann nicht unter diesen Milderungsgrund fallen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1993, Zl. 93/11/0234), es ist daher als mildernder Umstand nur ein "qualifiziertes Geständnis" und nicht schon jedes bloßes Zugeben des Tatsächlichen als mildernder Umstand zu werten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 93/02/0057). Da sich für ein solches "qualifiziertes Geständnis" nach der Aktenlage kein Anhaltspunkt bietet, ist davon auszugehen, daß die belangte Behörde offenbar in Verkennung der Rechtslage dem Mitbeteiligten diesen Milderungsgrund zubilligte.

Zur Einstellung des Strafverfahrens (weiterer erstinstanzlicher Bescheid vom 24. Februar 1993):

Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens stimmen darin überein, daß jener Vorwurf, hinsichtlich dessen im Instanzenzug die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens verfügt wurde, der Vorschrift des § 8 der Bauarbeiterschutzverordnung zu subsumieren wäre.

Danach sind vor dem Beginn von Bauarbeiten an bestehenden Bauwerken jene Bauwerks- oder Baukonstruktionsteile, auf die sich diese Arbeiten erstrecken oder die durch diese beeinflußt werden, durch eine fachkundige Person auf ihre Standsicherheit und Tragfähigkeit zu prüfen. Sind Standsicherheit und Tragfähigkeit nicht ausreichend gewährleistet, darf erst nach Durchführung der notwendigen Sicherungen mit den Arbeiten begonnen werden.

Aus der diesbezüglichen Anzeige des Arbeitsinspektorates vom 9. Oktober 1991 geht hervor, daß der Arbeitnehmer D. im Traufenbereich vom Hallendach gestürzt sei, da das Welleternitdach gebrochen sei. Die Verkehrswege auf dem Welleternitdach seien nicht gegen Durchbruch gesichert gewesen. Dies stelle einen Verstoß gegen § 8 der Bauarbeiterschutzverordnung dar, wonach mit Arbeiten auf Dächern erst begonnen werden dürfe, nachdem die Verkehrswege entsprechend gegen Durchbrechen gesichert seien.

Die belangte Behörde nahm allerdings auf Grund der Aussage des (verunglückten) Arbeitnehmers D. als erwiesen, daß die Absicherung der Verkehrswege gerade in Angriff genommen worden sei, als das Unglück geschehen sei, und daß entgegen der Ansicht des Arbeitsinspektorates mit den "eigentlichen" Arbeiten noch nicht begonnen worden sei. Die Einstellung des Strafverfahrens durch die Erstbehörde sei daher zu Recht erfolgt.

Dazu bringt der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, die belangte Behörde habe die vom Arbeitsinspektorat zum Beweis dafür, daß bereits vor Durchführung der notwendigen Sicherungen auf dem Dach gearbeitet worden sei, ins Treffen geführten Beweismittel, nämlich ein Foto und den "Polizeibericht" bei der Beweiswürdigung nicht berücksichtigt.

Es kann dahinstehen, ob - wie die belangte Behörde in der Gegenschrift vorbringt - aus den erwähnten Beweismitteln (ein "Polizeibericht" - gemeint anscheinend "Gendarmeriebericht" - befindet sich nicht in den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten) nicht "zwingend" hervorgehe, daß im Bereich der Unfallstelle vor dem Unfall bereits gearbeitet worden sei. Denn selbst wenn dies zutrifft, wäre es sodann der belangten Behörde zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes oblegen, weitere Ermittlungen in dieser Hinsicht zu pflegen, wie etwa die Einvernahme der am Tattag eingeschrittenen Gendarmeriebeamten, insbesondere im Zusammenhang mit der Verfertigung des "Polizeiberichtes" samt den diesbezüglichen Fotos. Weiters hätte die Einvernahme des eingeschrittenen Organes des Arbeitsinspektorates C sowie des zweiten, auf der Baustelle anwesenden Arbeitnehmers H (trotz des in der Verhandlung vor der belangten Behörde von den dortigen Parteien abgegebenen diesbezüglichen "Verzichtes") durchaus zur Klärung des Sachverhaltes beitragen können.

Der angefochtene Bescheid war daher hinsichtlich der oben behandelten Strafbemessung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und hinsichtlich der Einstellung des Verfahrens wegen des Vorwurfes einer Übertretung nach § 8 Bauarbeiterschutzverordnung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

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