VwGH 93/18/0247

VwGH93/18/024727.5.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Y in N, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 24. März 1993, Zl. III 153/92, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AuslBG §3 Abs2;
FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §20 Abs1;
FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs3 idF 1987/575;
EMRK Art8 Abs2;
VwRallg;
AuslBG §3 Abs2;
FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §20 Abs1;
FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs3 idF 1987/575;
EMRK Art8 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Nachdem die Bezirkshauptmannschaft Reutte mit Bescheid vom 3. November 1992 gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Volksrepublik China, ein auf § 3 Abs. 1, Abs. 2 Z. 6 und § 4 des Fremdenpolizeigesetzes gestütztes mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen hatte, wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (die belangte Behörde) die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, daß gemäß §§ 18 Abs. 1 Z. 1, 19, 20 und 21 des Fremdengesetzes-FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen wurde.

Die belangte Behörde nahm als erwiesen an, daß der Beschwerdeführer mit Hilfe einer chinesischen Schlepperin am

10. oder 11. September 1990 mit einem Taxi von Ungarn kommend unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist sei. In Wien angekommen sei er von der Schlepperin an ein (namentlich genanntes) China-Restaurant in Linz vermittelt worden; dort habe er dann unrechtmäßig eine Beschäftigung aufgenommen. In der Folge habe der Betreiber dieses Restaurants in Zusammenarbeit mit der Schlepperin dafür gesorgt, daß dem Beschwerdeführer im Jänner 1991 von der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land ein bis 2. November 1991 befristeter Sichtvermerk ausgestellt worden sei. Laut seinen eigenen Angaben vor der belangten Behörde am 9. Juni 1992 habe der Beschwerdeführer der Schlepperin für seine Verbringung nach Österreich, die Vermittlung an das China-Restaurant und die Besorgung des österreichischen Sichtvermerkes einen - bereits in Ungarn - ausgehandelten Betrag in der Höhe von S 105.000,-- übergeben. Im Verlauf seines weiteren Aufenthaltes in Österreich habe der Beschwerdeführer seine Arbeitsstelle (jeweils ein China-Restaurant) mehrmals gewechselt; auf seinen Antrag hin seien ihm am 13. Jänner 1992 (gültig bis 29. November 1992) und am 27. März 1992 (gültig bis 15. Dezember 1992) zwei weitere Sichtvermerke erteilt worden.

In rechtlicher Hinsicht wertete die belangte Behörde das als erwiesen feststehende Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers, nämlich seine bewußt rechtswidrige Einreise in Österreich, seinen anschließenden bewußt rechtswidrigen Aufenthalt im Bundesgebiet, das Besorgenlassen des ersten Sichtvermerkes durch die Schlepperin und/oder deren Helfer und die in der ersten Zeit nach seiner Einreise ausgeübte Schwarzarbeit im Gastgewerbe, als bestimmte Tatsachen i.S. des § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG, welche die dort umschriebene Annahme rechtfertigten.

Daß das Aufenthaltsverbot einen Eingriff in das Leben des Beschwerdeführers darstelle, sei unbestritten. Dieser Eingriff sei aber zur Erreichung des im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Zieles der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung dringend geboten. Der Einhaltung der fremdenpolizeilichen und arbeitmarktrechtlichen Bestimmungen eines Gastlandes, insbesondere der genauen Einhaltung der Vorschriften über die Einreise von Fremden in das Bundesgebiet, komme "gerade in Zeiten wie diesen" ein hoher Stellenwert zu. Die Vorgangsweise, deren sich der Beschwerdeführer bei der Einreise nach Österreich und bei der anschließenden Beschaffung des ersten Sichtvermerkes bedient habe, aber auch die vorsätzliche Mißachtung der arbeitsmarktrechtlichen Bestimmungen durch Aufnahme von Schwarzarbeit in einem China-Restaurant verstießen gegen erhebliche öffentliche Interessen des österreichischen Staates.

Der erst seit September 1990 währende Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet habe keinen hohen Integrationsgrad bewirkt. Der Beschwerdeführer sei zwar in der sogenannten Chinesenszene integriert und mit Bindungen versehen. Der Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen vor seiner Einreise habe sich in der Volksrepublik China befunden. Das Kind und die Ehegattin des Beschwerdeführers hielten sich dort auf. Angesichts dieser Tatsachen sei unzweifelhaft, daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung dieser Maßnahme.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit erhobene Beschwerde, mit dem Begehren, ihn aus diesem Grund aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Was zunächst den Beschwerdeeinwand anlangt, die belangte Behörde hätte vorliegend § 3 Abs. 2 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes anwenden müssen, so ist diese Rüge schon deshalb verfehlt, weil im Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides im Grunde des § 88 Abs. 1 iVm § 86 Abs. 1 FrG dieses Gesetz und nicht mehr das Fremdenpolizeigesetz anzuwenden war.

2. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des § 18 Abs. 1 Z. 1, des § 19 und des § 20 Abs. 1 FrG lauten:

§ 18. (1) Gegen einen Fremden ist ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt

1. die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet.

§ 19. Würde durch eine Ausweisung gemäß § 17 Abs. 1 oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist ein solcher Entzug der Aufenthaltsberechtigung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannten Ziele dringend geboten ist.

§ 20. (1) Ein Aufenthaltsverbot darf nicht erlassen werden, wenn seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;

  1. 2. die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen.
  2. 3. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum Fremdenpolizeigesetz konnte ein Aufenthaltsverbot rechtens ausschließlich auf § 3 Abs. 1 (unter Bedachtnahme auf § 3 Abs. 3) leg. cit. gestützt werden, wenn triftige Gründe vorlagen, die zwar nicht die Voraussetzungen der in § 3 Abs. 2 leg. cit. angeführten Fälle aufwiesen, wohl aber in ihrer Gesamtheit die im § 3 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigten (vgl. etwa jüngst das Erkenntnis vom 3. Mai 1993, Zl. 92/18/0529 und die dort zitierte Entscheidung). Der Gerichtshof sieht sich angesichts der ab 1. Jänner 1993 an die Stelle der vorgenannten Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes getretenen Vorschriften des § 18 Abs. 1 und 2 sowie der §§ 19 und 20 Abs. 1 FrG, die sich, soweit für die hier relevante Fragestellung von Belang, von jenen nicht wesentlich unterscheiden, nicht veranlaßt, von dieser Rechtsanschauung abzurücken.

    4. Die belangte Behörde hat unter Zugrundelegung des Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers geprüft, ob die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei. Sie ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, daß aufgrund mehrfacher Gesetzesverstöße des Beschwerdeführers, wobei diesen Verfehlungen von den jeweils beeinträchtigten öffentlichen Interessen her großes Gewicht zukomme, die Annahme gerechtfertigt sei, daß sein weiterer Aufenthalt in Österreich die öffentliche Ruhe und Ordnung gefährde.

    Der Gerichtshof vermag diese Auffassung der belangten Behörde nicht als rechtsirrig zu erkennen. Dem Einwand des Beschwerdeführers, das Gesetz stelle als Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes darauf ab, daß der Fremde wegen bestimmter Übertretungen zumindest zweimal rechtskräftig bestraft worden sei, ist entgegenzuhalten, daß die belangte Behörde nicht den solcherart angesprochenen Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2, sondern jenen des § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG als verwirklicht angesehen hat. Die im Grunde des § 18 Abs. 1 leg. cit. relevante Rechtsfigur des Gesamt(fehl)verhaltens ist aber mit dem (Verwaltungs-)Strafrecht nicht derart verknüpft, daß sie lediglich im Fall der Bestrafung oder zumindest der Strafbarkeit des Fehlverhaltens zum Tragen kommt. Entscheidend für die Zulässigkeit des Abstellens auf das Gesamt(fehl)verhalten, also der "direkten" Gebrauchnahme von § 18 Abs. 1 FrG (ohne "Dazwischentreten" einer der Tatbestände des § 18 Abs. 2 Z. 1 bis 8 leg. cit.), ist vielmehr, ob die jeweils ins Auge gefaßten Verhaltensweisen des Fremden von der Rechtsordnung in solcher Weise verpönt sind, daß sie zusammengefaßt betrachtet die im § 18 Abs. 1 leg. cit. näher umschriebene Annahme rechtfertigen (vgl. dazu nochmals das zu § 3 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes ergangene hg. Erkenntnis Zl. 92/18/0529). Diese Annahme trifft auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid dargestellten - in der Beschwerde unbestritten gebliebenen - Verhaltensweisen des Beschwerdeführers zu.

    Anders als der Beschwerdeführer meint, hat er sich nicht bloß eines Verstoßes gegen das Fremdenpolizeigesetz schuldig gemacht. Während die Einreise im September 1990 ohne erforderlichen Sichtvermerk einen Verstoß gegen das Paßgesetz 1969 darstellte, war der daran anschließende Aufenthalt des Beschwerdeführers bis zur (ersten) Sichtvermerkserteilung im Jänner 1991 ein im Grunde des § 2 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes unrechtmäßiger. Gleichermaßen entbehrten aber auch die zwischen dem Ablauf der Gültigkeitsdauer des ersten Sichtvermerkes mit 2. November 1991 und der Erteilung des zweiten Sichtvermerkes am 13. Jänner 1992 sowie dem Ablauf der Gültigkeitsdauer des dritten Sichtvermerkes am 15. Dezember 1992 und der Erlassung des angefochtenen Bescheides gelegenen Aufenthalte der Rechtmäßigkeit. Darüber hinaus nahm die belangte Behörde, ohne auch in diesem Punkt auf den Widerspruch der Beschwerde zu stoßen, als erwiesen an, daß der Beschwerdeführer nach seiner Einreise mehrere Monate eine Beschäftigung ausgeübt habe, die er nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht ausüben hätte dürfen. Aufgrund dieser Verfehlungen des Beschwerdeführers war die belangte Behörde - ohne daß es noch einer Prüfung der Vorgänge im Zusammenhang mit der Beschaffung des ersten Sichtvermerkes und des hiebei dem Beschwerdeführer allenfalls anzulastenden Fehlverhaltens bedurfte - in der Lage, rechtlich einwandfrei anzunehmen, der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ordnung. Denn zum einen lassen die mehrmaligen Verletzungen paßrechtlicher und fremdenpolizeirechtlicher Vorschriften, insbesondere die jeweils mehrere Monate dauernden unrechtmäßigen Aufenthalte im Bundesgebiet, auf eine Neigung des Beschwerdeführers schließen, sich über für ihn wesentliche Rechtsnormen hinwegzusetzen, zum anderen handelt es sich bei der Nichteinhaltung des Gebotes des § 3 Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes um einen schwerwiegenden Verstoß gegen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Arbeitsmarktes und dem Schutz der inländischen Arbeitnehmer (vgl. zu letzterem das hg. Erkenntnis vom 4. September 1992, Zl. 92/18/0185); im übrigen zeigt auch § 18 Abs. 2 Z. 8 FrG, welch großes Gewicht der Gesetzgeber der Bekämpfung der "Schwarzarbeit" zumißt.

    War sohin mit der belangten Behörde der Tatbestand des § 18 Abs. 1 Z. 1 (unter "direkter" Gebrauchnahme von dieser Bestimmung) als verwirklicht anzusehen, bleibt noch zu prüfen, ob die Verhängung des Aufenthaltsverbotes zulässig war.

    5. Was einen allfälligen Eingriff in das Privat- oder Familienleben anlangt, so hat die belangte Behörde einerseits auf den relativ kurzen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich (wozu ergänzend festzuhalten ist, daß der ungefähr zweieinhalbjährige Aufenthalt im Ausmaß von ca. zehn Monaten unrechtmäßig war), anderseits darauf hingewiesen, daß sich die Ehegattin und das Kind des Beschwerdeführers in China aufhielten. Aus diesem Sachverhalt war ohne weiteres der Schluß zu ziehen, daß das Aufenthaltsverbot keinen relevanten Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers i.S. des § 19 FrG darstellt - dies mit der Folge, daß nicht mehr darauf eingegangen zu werden brauchte, ob die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 14. April 1993, Zl. 93/18/0112).

    Stellte sich aber die Frage, ob ein Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer dringend geboten ist, nicht, so bedurfte es auch keiner Interessenabwägung gemäß § 20 Abs. 1 FrG, weil diese als die im Verhältnis zu jener des § 19 leg. cit. speziellere Abwägung nur dann vorzunehmen ist, wenn die Erlassung des Aufenthaltsverbotes als i.S. des § 19 dringend geboten erachtet wurde (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis Zl. 93/18/0112).

    6. Da nach dem Gesagten die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt - was bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt -, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren (daher auch ohne Erteilung eines Mängelbehebungsauftrages bezüglich einer weiteren Beschwerdeausfertigung für den Bundesminister für Inneres) als unbegründet abzuweisen.

    7. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein gesonderter Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

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