VwGH 92/18/0252

VwGH92/18/025229.6.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des M in L, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in F, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 8. April 1992, Zl. Frb-4250/91, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs1;
FrPolG 1954 §3 Abs2 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs3 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs3 Z2;
EMRK Art8 Abs2;
FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs1;
FrPolG 1954 §3 Abs2 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs3 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs3 Z2;
EMRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg (der belangten Behörde) vom 8. April 1992 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Fremdenpolizeigesetz ein bis zum 12. September 1996 befristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet erlassen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der (im Jahre 1966 geborene) Beschwerdeführer sei mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 25. März 1991 wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs. 1 StGB, der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 2, 84 Abs. 1 und 2 Z. 4 StGB und der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden, die mit dem Berufungsurteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 26. Juni 1991 bedingt nachgesehen worden sei. Der Beschwerdeführer sei ferner wegen verschiedener Verwaltungsübertretungen bestraft worden, und zwar am 20. September 1990 wegen der Übertretung des § 14b Abs. 1 Z. 4 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z. 2 Fremdenpolizeigesetz (Geldstrafe S 2.000,--), am 12. Dezember 1990 wegen der Übertretung nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG (Geldstrafe S 3.000,--) und der Übertretung der §§ 18 Abs. 1 lit. a und 1 Abs. 1 Sittenpolizeigesetz (Geldstrafe S 1.500,--), am 2. Dezember 1991 wegen der Übertretung des Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG (Geldstrafe S 2.000,--) und am 6. Februar 1992 wegen der Übertretungen des § 5 Abs. 1 in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. a StVO (Geldstrafe S 10.000,--), des § 7 Abs. 1 in Verbindung mit § 99 Abs. 3 lit. a StVO (Geldstrafe S 2.000,--) und des § 4 Abs. 1 lit. c in Verbindung mit § 99 Abs. 2 lit. a StVO (Geldstrafe S 1.000,--).

Dem erwähnten Gerichtsurteil sowie den rechtskräftigen Bestrafungen vom 6. Februar 1992 liege zugrunde, daß der Beschwerdeführer am 26. Oktober 1990 in alkoholisiertem Zustand einen Verkehrsunfall verursacht habe, indem er von der Straße abgekommen und in der Folge frontal gegen einen auf einem Tankstellenareal abgestellten Klein-LKW geprallt sei. In der Folge sei er tätlich gegen den Tankstellenpächter und einen Zeugen vorgegangen. Als daraufhin die Gendarmerie am Tatort eingetroffen sei, sei er auch gegen die Beamten tätlich geworden. Insgesamt habe er drei Personen verletzt.

Auf Grund der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden strafbaren Handlungen sei die im § 3 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz umschriebene Annahme gerechtfertigt. Im Rahmen der Interessenabwägung sei zwar zu Gunsten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen, daß seine Eltern und Geschwister in Österreich leben, doch komme den daraus abgeleiteten Interessen am weiteren Aufenthalt in Österreich kein entscheidendes Gewicht zu, weil seine nächsten Familienangehörigen, nämlich seine Frau und seine Kinder, in der Türkei lebten. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich sei relativ kurz, wobei zu berücksichtigen sei, daß er sich ca. ein halbes Jahre lang illegal in Österreich aufgehalten habe. Dem Beschwerdeführer sei zumutbar, seinen Beruf als Umspinner in einem anderen Land auszuüben. Auf Grund der gravierenden Gesetzesverletzungen wären die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des § 3 Abs. 1, Abs. 2 Z. 1 und 2 und Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz lauten:

§ 3 (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958, genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

(2) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder

1. von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

einer solchen Verurteilung ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht dann gleichzuhalten, wenn sie den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht;

2. im Inland mehr als einmal wegen schwerwiegender Verwaltungsübertretungen oder mehrmals wegen Übertretungen des Fremdenpolizeigesetzes, des Paßgesetzes, des Grenzkontrollgesetzes oder des Meldegesetzes rechtskräftig bestraft worden ist.

(3) Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen, als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;

  1. 2. die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen;
  2. 3. die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen.

    2. Der Beschwerdeführer meint, im Hinblick darauf, daß durch die gerichtliche Verurteilung der Tatbestand des § 3 Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz nicht erfüllt sei, sei auch § 3 Abs. 1 leg. cit. nicht anwendbar.

    Der Beschwerdeführer geht mit diesen Ausführungen von einem unrichtigen Verständnis der bezeichneten Gesetzesstellen aus. Der Verwaltungsgerichtshof hat zum Verhältnis des § 3 Abs. 1 zu § 3 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß es sich bei Abs. 1 um die Generalklausel und bei Abs. 2 um die beispielsweise Aufzählung von Fällen handle, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes jedenfalls rechtfertigen. Ein Aufenthaltsverbot kann gemäß § 3 Abs. 1 leg. cit. auch dann erlassen werden, wenn triftige Gründe vorliegen, die zwar nicht die Voraussetzungen der im Abs. 2 angeführten Fälle aufweisen, wohl aber in ihrer Gesamtheit die im § 3 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigen (siehe das hg. Erkenntnis vom 2. Dezember 1991, Zl. 90/19/0585, mit weiteren Judikaturhinweisen).

    Die belangte Behörde war demnach unter Zugrundelegung des festgestellten Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers berechtigt zu prüfen, ob die im § 3 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Sie ist dabei in rechtlich unbedenklicher Weise zu dem Ergebnis gelangt, daß der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich den in § 3 Abs. 1 leg. cit genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft, und zwar auch dann, wenn man im Sinne des Beschwerdevorbringens berücksichtigt, daß die der gerichtlichen Verurteilung sowie den verwaltungsbehördlichen Bestrafungen vom 6. Februar 1992 zugrundeliegenden Straftaten an einem Tag begangen wurden. Neben der großen Zahl der an diesem Tag begangenen Straftaten und ihrer Gefährlichkeit für die Sicherheit von Personen und Sachen ist zu berücksichtigen, daß dem Beschwerdeführer auch weitere Verwaltungsübertretungen zur Last liegen, darunter die oben genannte Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes, die schon im Hinblick auf die Anführung solcher Übertretungen im § 3 Abs. 2 Z. 2 zweiter Fall Fremdenpolizeigesetz nicht von unerheblichem Gewicht ist.

    Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang ausführt, die diversen Übertretungen von Verwaltungsvorschriften seien nicht Gegenstand des verwaltungsbehördlichen Verfahrens gewesen, diesbezüglich hätte ihm das rechtliche Gehör gewährt werden müssen, vermag er keinen relevanten Verfahrensmangel aufzuzeigen, weil seinen Ausführungen nicht zu entnehmen ist, was er im Falle der Gewährung des Parteiengehörs vorgebracht hätte und inwiefern die belangte Behörde auf Grund seines Vorbringens zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

    Die Auffassung des Beschwerdeführers, zur Rechtfertigung der im § 3 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz umschriebenen Annahme hätte es der amtswegigen Einholung eines "fachpsychiatrischen bzw. -psychologischen" Gutachtens bedurft, kann nicht geteilt werden. Die Annahme findet in den vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten hinreichende Deckung.

    3. Der Verwaltungsgerichtshof kann auch nicht finden, daß die belangte Behörde bei der Vornahme der Interessenabwägung gemäß § 3 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz rechtswidrig gehandelt hätte. Nach dem Beschwerdevorbringen hält sich der Beschwerdeführer erst seit 10. September 1990 erlaubterweise im Bundesgebiet auf. Die Auffassung der belangten Behörde, daß die bis zur Erlassung ihres Bescheides verstrichene Zeit relativ kurz sei, ist demnach nicht verfehlt. Die belangte Behörde hat den familiären Bindungen des Beschwerdeführers an seine in Österreich lebenden Angehörigen kein entscheidendes Gewicht beigemessen und dabei mit Recht darauf verwiesen, daß die Frau und die Kinder des Beschwerdeführers in der Türkei leben. Die Bindungen des erwachsenen Beschwerdeführers an diese Personen sind von überwiegender Bedeutung, selbst wenn man seinem Vorbringen folgt, daß sein Vater "Oberhaupt der Großfamilie" sei, der darüber bestimme, wann die Familie des Beschwerdeführers aus der Türkei nachkommen könne. Die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen Fortkommens des Beschwerdeführers ist ebenfalls nicht von entscheidendem Gewicht, auch wenn der Beschwerdeführer in der Türkei keinen Arbeitsplatz als "Umspinner" finden sollte.

    Soweit der Beschwerdeführer schließlich ins Treffen führt, durch das Aufenthaltsverbot würden die Interessen der geschädigten österreichischen Staatsbürger auf Schadenersatz verletzt, weshalb die öffentlichen Interessen geradezu gegen die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sprächen, ist ihm zu erwidern, daß Rechte Dritter bei der gemäß § 3 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz vorzunehmenden Interessenabwägung nicht zu berücksichtigen sind (siehe das Erkenntnis vom 2. Dezember 1991, Zl. 90/19/0585). Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 3 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz sind zudem nur die im § 3 Abs. 1 leg. cit. angeführten öffentlichen Interessen mit den privaten Interessen des betreffenden Fremden - somit nicht mit anderen öffentlichen Interessen - abzuwägen.

    4. Da der Inhalt der vorliegenden Beschwerde erkennen läßt, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

    Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch über den mit der Beschwerde verbundenen (zur hg. Zl. AW 92/18/0101 protokollierten) Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

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