VwGH 92/11/0126

VwGH92/11/012616.6.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 16. März 1992, Zl. MA 64-8/94/92, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens in Angelegenheit Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs1 Z3;
KFG 1967 §73 Abs1;
VStG §31 Abs3;
VStG §45 Abs1;
AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs1 Z3;
KFG 1967 §73 Abs1;
VStG §31 Abs3;
VStG §45 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der Beschwerde und dem ihr angeschlossenen angefochtenen Bescheid ergibt sich folgender Sachverhalt:

Aus Anlaß eines vom Beschwerdeführer am 25. September 1988 verursachten Verkehrsunfalles wurde ihm mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 10. Oktober 1988 die Lenkerberechtigung vorübergehend entzogen. Die Behörde stützte diese Entscheidung auf die Sachverhaltsfeststellungen des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf zu Zl. 3-11605-88, mit dem der Beschwerdeführer wegen einer am 25. September 1988 begangenen Übertretung nach § 5 Abs. 1 StVO 1960 bestraft worden war. Der Entziehungsbescheid erwuchs in Rechtskraft.

Das gerichtliche Strafverfahren wegen des Unfalles vom 25. September 1988 endete am 12. Juni 1989 mit dem Freispruch des Beschwerdeführers nach § 259 Z. 3 StPO. Grund hiefür war, daß nach dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen das Ausmaß der Alkoholbeeinträchtigung des Beschwerdeführers zur Tatzeit nicht mit ausreichender Sicherheit feststellbar war.

Mit Schreiben vom 11. Dezember 1991 teilte die NÖ Landesregierung dem Beschwerdeführer mit, daß das auf Grund seiner Berufung anhängige Verwaltungsstrafverfahren wegen des Vorfalles vom 25. September 1988 infolge Verjährung (§ 31 Abs. 3 erster Satz VStG) eingestellt worden sei.

Daraufhin begehrte der Beschwerdeführer mit Eingabe an die Bundespolizeidirektion Wien vom 17. Dezember 1991 die Wiederaufnahme des mit ihrem Bescheid vom 10. Oktober 1988 abgeschlossenen Entziehungsverfahrens. Er begründete diesen Antrag laut Beschwerde damit, daß das "im Entziehungsverfahren präjudizielle Straferkenntnis", auf welches sich der Entziehungsbescheid gestützt habe, weggefallen sei. Gleichzeitig begehrte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Wiederaufnahme des Entziehungsverfahrens.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 16. März 1992 wurde der Wiederaufnahmeantrag gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG abgewiesen (Punkt 1) und dem Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 AVG nicht stattgegeben (Punkt 2).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer ausdrücklich nur den Ausspruch über die Abweisung des Wiederaufnahmeantrages bekämpft.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.

Die belangte Behörde begründete die Abweisung des Wiederaufnahmeantrages damit, daß die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens infolge Ablaufes der Dreijahresfrist nach § 31 Abs. 3 VStG keine neue Tatsache im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG bilde.

Diese Begründung trifft zu. Die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens gegen den Beschwerdeführer infolge eingetretener Verjährung ist nicht "neu hervorgekommen" im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG, sondern vielmehr eine neu entstandene Tatsache. Als solche kann sie schon begrifflich keinen Wiederaufnahmsgrund nach dieser Gesetzesstelle bilden. Dies verkennt der Beschwerdeführer, wenn er das Vorliegen einer "neuen Tatsache" damit begründen zu können meint, "daß sich die belangte Behörde" (richtig wohl: Bundespolizeidirektion Wien als Entziehungsbehörde) "ausdrücklich auf den zum damaligen Zeitpunkt rechtskräftigen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf berief, welcher über die Frage der Alkoholisierung entschied, sodaß durch die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens eine Grundlage des Entziehungsbescheides wegfiel".

Wie die belangte Behörde weiters zu Recht angenommen hat, bildet der im gerichtlichen Strafverfahren ergangene Freispruch vom 12. Juni 1989 keinen Wiederaufnahmsgrund nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. September 1985, Zl. 85/10/0067). Davon abgesehen wäre eine Wiederaufnahme aus diesem Grund schon infolge Versäumung der zweiwöchigen Frist zur Stellung eines Wiederaufnahmeantrages (§ 69 Abs. 2 AVG) nicht in Betracht gekommen. Es kann somit dahinstehen, ob der Beschwerdeführer seinen Wiederaufnahmeantrag auch mit dem gerichtlichen Freispruch begründet hat, was nach dem Beschwerdevorbringen und mangels diesbezüglicher Ausführungen im angefochtenen Bescheid fraglich ist.

Mit Recht führt der Beschwerdeführer unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 25. September 1985, Zl. 83/11/0256, aus, daß die Frage, ob eine Person eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen hat und damit eine bestimmte Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 vorliegt, für die Entziehungsbehörde eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG bildet, und daß ihr bei Vorliegen eines rechtskräftigen Strafbescheides eine selbständige Beurteilung dieser Frage verwehrt ist. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers war aber die Bundespolizeidirektion Wien bei Erlassung ihres Entziehungsbescheides vom 10. Oktober 1988 in der Frage, ob er eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen hat, nicht an das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf gebunden. Denn dieses Straferkenntnis ist auf Grund der Berufung des Beschwerdeführers nicht in Rechtskraft erwachsen; es konnte daher auch keine die Entziehungsbehörde bindende Wirkung entfalten. Der Entziehungsbescheid vom 10. Oktober 1988 beruhte vielmehr auf einer selbständigen Beurteilung der Vorfrage durch die Entziehungsbehörde, wobei sie insoweit offensichtlich die Begründung der Strafbehörde erster Instanz übernahm. Von einem "Wegfall der Grundlage des Entziehungsbescheides" infolge Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens kann daher ebensowenig die Rede sein wie davon, daß "nunmehr eine Vorfragenbeurteilung durch die belangte Behörde erforderlich" sei. Auf Grund der Einstellung des Strafverfahrens wegen Verjährung kommt nunmehr eine Entscheidung der in Rede stehenden Frage durch die Strafbehörde und als deren Folge eine allfällige Änderung der seinerzeitigen vorfrageweisen Beurteilung durch die Entziehungsbehörde nicht mehr in Betracht.

Der Vollständigkeit halber sei noch festgehalten, daß die Einstellung des Strafverfahrens aus einem formellen Grund keine Entscheidung in der hier relevanten Vorfrage (Begehung eines Alkoholdeliktes durch den Beschwerdeführer) darstellt und folglich darin auch kein Wiederaufnahmsgrund nach § 69 Abs. 2 Z. 3 AVG gelegen sein kann (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Oktober 1987, Slg. 12555/A, und das Erkenntnis vom 2. Oktober 1990, Zl. 90/11/0140). Es wäre daher auch eine Wiederaufnahme des Entziehungsverfahrens nach dieser Gesetzesstelle nicht in Betracht gekommen, was allerdings auch der Beschwerdeführer selbst nicht behauptet.

Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, ist der angefochtene Bescheid gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

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