VwGH 91/06/0118

VwGH91/06/011819.9.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Leukauf, Dr. Giendl und Dr. Müller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde der N & Co. Maschinenfabrik und Eisengießerei in S, vertreten durch Dr. W,Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 2. Mai 1991, Zl. VIIa-410.361, betreffend Versagung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: Konrad F in S), zu Recht erkannt:

Normen

BauG Vlbg 1972 §6 Abs8;
BauG Vlbg 1972 §6 Abs9;
BauRallg;
VwRallg;
BauG Vlbg 1972 §6 Abs8;
BauG Vlbg 1972 §6 Abs9;
BauRallg;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus dem Vorbringen in der Beschwerde in Verbindung mit der vorgelegten Ausfertigung des angefochtenen Bescheides ergibt sich nachstehender Sachverhalt:

Über Aufforderung der Bezirkshauptmannschaft Bregenz, der mit Verordnung der Vorarlberger Landesregierung die Besorgung der Angelegenheiten der örtlichen Baupolizei in der Gemeinde S u. a. hinsichtlich der Bauwerke für genehmigungspflichtige gewerbliche Betriebsanlagen übertragen worden war, suchte die Beschwerdeführerin am 3. Mai 1990 um die nachträgliche Baubewilligung eines vor mindestens 15 Jahren errichteten Flugdaches an. Bei der Bauverhandlung wendete der Mitbeteiligte als Nachbar ein, daß dieses Bauwerk zu nahe an seinem Grundstück bestehe, sodaß dessen allfällige spätere Nutzung gehindert sei. Der Mitbeteiligte erhob diese Einwendung, obwohl er (nach der Behauptung der Beschwerdeführerin) auf Grund einer in der Vergangenheit mündlich erklärten Zustimmung mindestens 15 Jahre lang, vermutlich aber länger, sich nicht über das an seiner Grundstücksgrenze errichtete Flugdach beschwert habe.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 4. Februar 1991 wurde die Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung des Flugdaches auf dem Grundstück Nr. 191, KG S, mit der Begründung versagt, daß der Gemeindevorstand in seiner Sitzung vom 18. Oktober 1990 dem Antrag auf Erteilung der Bauabstandnachsicht seine Zustimmung nicht erteilt habe. Die nach § 6 Abs. 8 des Baugesetzes ansonsten erforderliche Zustimmung des Nachbarn für einen geringeren Abstand als 2 m liege nicht vor.

Der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. Die von der Beschwerdeführerin behauptete frühere Zustimmung des Nachbarn zur Errichtung des Flugdaches sei bedeutungslos, da diese Zustimmung auch im Zeitpunkt der Entscheidung über das Bauansuchen vorliegen müsse. Daher sei davon auszugehen, daß der Mitbeteiligte einem geringen Abstand nicht zugestimmt habe. Zu prüfen sei weiters, ob eine der im § 6 Abs. 9 des Baugesetzes angeführten Voraussetzungen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes oder einer zweckmäßigeren Verbauung vorliege, die eine Ausnahme von den Abstandsvorschriften rechtfertige; im Berufungsverfahren bestehe ja keine Bindung an die Genehmigung des Gemeindevorstandes. Im vorliegenden Fall handle es sich nicht um eine geringfügige Unterschreitung des vom Gesetz geforderten Abstandes, sondern um die Erstellung des Bauvorhabens entlang der Grundgrenze; § 6 Abs. 9 des Baugesetzes dürfe jedoch nicht so ausgelegt werden, daß zu Lasten des Nachbarn jede beliebige größere Ausnutzung eines Bauplatzes zulässig sei. Dem Lageplan sei zu entnehmen, daß der Bauplatz eine gut bebaubare Form aufweise und ein ca. 1,8 ha großes Betriebsgrundstück, auf welchem bereits eine Lager- und Versandhalle, ein Gußversand, eine Gießerei, eine Maschinenfabrik, eine Schweißerei und ein Wohnhaus mit Sozialräumen errichtet sei, darstelle. Daher könne von einer besonderen Form des Baugrundstückes nicht ausgegangen werden, es ergebe sich auch kein Hinweis, daß das Baugrundstück eine besondere Lage aufweise. Wie der Lageplan zeige, könne das Flugdach auch an anderer Stelle oder aufgeteilt an mehreren anderen Stellen des Grundstückes unter Einhaltung der Abstandsvorschriften erstellt werden, und zwar in einer Weise, daß eine Ein- bzw. Durchfahrtsmöglichkeit von Lastkraftwagen weiterhin gegeben sei. Eine intensivere Ausnützung des Baugrundstückes mit der Unterschreitung des gesetzlichen Bauabstandes müsse dort seine Grenze finden, wo eine zweckmäßige Bebauung auch unter Einhaltung der Abstandsvorschriften erreicht werden könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 6 Abs. 8 des Vorarlberger Baugesetzes, LGBl. Nr. 39/1972, hat bei oberirdischen Bauwerken, ausgenommen Gebäude und Einfriedungen oder sonstige Wände bis zu einer Höhe von 1,80 m über dem Nachbargrundstück der Abstand von der Nachbargrenze mindestens 2 m zu betragen, falls nicht der Nachbar einem geringeren Abstand zustimmt und die im Abs. 9 genannten Interessen nicht beeinträchtigt werden.

Gemäß § 6 Abs. 9 leg. cit. kann die Behörde wegen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes oder aus Gründen einer zweckmäßigeren Bebauung mit Genehmigung des Gemeindevorstandes von den auch im Abs. 2 vorgeschriebenen Abstandsflächen und Abständen Ausnahmen zulassen, wenn dadurch die Interessen des Brandschutzes, der Gesundheit sowie des Schutzes des Landschafts- und Ortsbildes nicht beeinträchtigt werden.

Zu § 6 Abs. 8 BauG ist der Beschwerdeführerin zwar zuzustimmen, daß keine Vorschrift darüber besteht, wie die Zustimmung des Nachbarn zu erteilen ist; dies ändert jedoch nichts daran, daß der Mitbeteiligte ausdrücklich die Einwendung des mangelnden Abstandes erhoben und daher NICHT zugestimmt hat. Die von Miteigentümern oder Nachbarn in einzelnen Bauvorschriften erforderten Zustimmungserklärungen müssen nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes "liquid" sein, d.h. wenn nicht ein die Zustimmung ersetzendes gerichtliches Urteil vorliegt (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 23. April 1987, Zl. 86/06/0153, BauSlg. Nr. 912, und vom 16. Juni 1987, Zl. 84/05/0145, BauSlg. Nr. 940), darf die Zustimmungserklärung bis zur Entscheidung jener Behörde, die in letzter Instanz in der Sache selbst entscheidet, widerrufen werden. Falls Eigentümer, Miteigentümer oder Nachbarn rechtswidrig (also etwa auch entgegen einer vertraglich eingegangenen Verpflichtung) die Zustimmung verweigern oder aber die Wirksamkeit einer erteilten Zustimmung bestreiten, ist es Sache des Bauwerbers, eine gerichtliche Entscheidung in seinem Sinn zu erwirken (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1987, Zl. 87/06/0108, BauSlg. Nr. 1036, mit weiteren Nachweisen). Ob also das Schweigen des Nachbarn als konkludente Zustimmung zu werten ist oder ob er seinerzeit mündlich die Zustimmung erteilt hat, die er rechtswidrig widerrufen hat, hat nicht die Baubehörde, sondern das Gericht zu entscheiden. In diesem Zusammenhang kann der Verwaltungsgerichtshof nicht erkennen, inwiefern die Regelung des § 6 Abs. 8 BauG derart unbestimmt sei, daß sie - wie die Beschwerdeführerin meint - gegen Art. 18 Abs. 1 B-VG verstoße.

Die belangte Behörde hat aber auch die Vorschrift des § 6 Abs. 9 BauG zutreffend beurteilt. Die dagegen in der Beschwerde vorgebrachten Argumente verkennen das Wesen dieser AUSNAHMEbestimmung. Wie etwa der Gerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19. April 1977, Zl. 1618/76, und zuletzt wieder im Erkenntnis vom 14. Jänner 1987, Zl. 86/06/0072, BauSlg. Nr. 844, dargelegt hat, spielen zwar bei der Frage der zweckmäßigen Bebauung auch wirtschaftliche Gesichtspunkte eine Rolle, weil jedes Grundstück nur dann als zweckmäßig bebaubar beurteilt werden kann, wenn eine wirtschaftlich vernünftige Bauführung zulässig ist, also ein entsprechend langer und breiter Baukörper unter Einhaltung der gesetzlichen Abstandsvorschriften errichtet werden kann. Nur wenn die Errichtung eines solchen Baukörpers derart nicht möglich wäre, könnte eine zweckmäßige Bebauung verneint werden, und es wäre durch die Gewährung einer Ausnahme eine zweckmäßigere Bebauung zuzulassen. Die Ausnahmebestimmung darf aber keinesfalls so ausgelegt werden, daß zu Lasten des Nachbarn jede beliebige größere Ausnutzung des Bauplatzes zulässig wäre.

Die Beschwerdeführerin bekämpft gar nicht die Sachverhaltsfeststellung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, daß der Bauplatz eine gut bebaubare Form aufweise und ein ca. 1,8 ha großes Betriebsgrundstück darstelle, auf dem bereits eine Zahl von Bauten errichtet worden seien. Ihre Argumentation geht vielmehr lediglich dahin, daß für den Umfang des Betriebes das Flugdach unter Außerachtlassung der Abstandsvorschriften erforderlich sei, da entgegen der Ansicht der belangten Behörde diese Baulichkeit an keiner anderen Stelle des Bauplatzes oder an mehreren anderen Stellen unter Einhaltung der Abstandsvorschriften errichtet werden könnten. Die Ansicht der belangten Behörde sei verfehlt, weil Spritzlackierarbeiten an Maschinen nicht aufgeteilt an mehreren Stellen vorgenommen werden könnten. Würde das Flugdach 2 m von der Grundstücksgrenze abgerückt werden, so sei die Ein- und Durchfahrtsmöglichkeit für Lkw zur bestehenden Maschinenfabrik, welche durch Tore an der Nordseite der Fabrikshallen, somit zwischen dem Flugdach und der Maschinenfabrik erfolge, nicht mehr möglich. In diesem Falle wäre der Transport der Maschinen mittels Lkw unmöglich. Daß aber die Holzbearbeitungsmaschinen lackiert werden müßten, bedürfe keines Beweises. Gegenüber diesen wirtschaftlichen Interessen trete das Interesse des mitbeteiligten Nachbarn an der Einhaltung des geseztlichen Abstandes erheblich zurück.

Für eine Interessenabwägung, wie sie mit diesen Ausführungen versucht wird, bietet § 6 Abs. 9 BauG keine Grundlage. Die zweckmäßigere Bebauung besteht aber auch, wie schon oben dargelegt, entgegen der Annahme der Beschwerdeführerin nicht darin, daß ein relativ großes Fabriksareal für die dort vorgesehenen wirtschaftlichen Abläufe "zu eng" wird; ansonsten könnten nämlich die Abstandsvorschriften immer dann unterlaufen werden, wenn der Bauplatz für das Projekt des Bauwerbers zu klein ist. Vielmehr ergibt sich aus dem Zusammenhang der Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 9 BauG, daß auch die "Gründe einer zweckmäßigeren Bebauung" nur auf die Besonderheiten des Baugrundstückes, nicht aber auf das Mißverhältnis zwischen Baugrundstück und Projekt gestützt werden können.

Da sich bereits aus dem Beschwerdevorbringen ergibt, daß die belangte Behörde durch den angefochtenen Bescheid Rechte der Beschwerdeführerin nicht verletzt hat, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne weiteres Verfahren abzuweisen. Damit ist der Antrag auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung gegenstandslos.

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