VwGH 90/10/0156

VwGH90/10/015619.11.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Mag. Onder, Dr. Puck, Dr. Waldner und Dr. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungskommissär Mag. Kirchner, über die Beschwerde des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung vom 30. Mai 1990, Zl. 09/07/89.150/2, betreffend Rodungsbewilligung (mitbeteiligte Partei: R), zu Recht erkannt:

Normen

ForstG 1975 §17 idF 1987/576;
ForstG 1975 §17 idF 1987/576;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seines Ausspruches über die Erteilung der Rodungsbewilligung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Die mitbeteiligte Partei beantragte mit Eingabe vom 23. Oktober 1989 die Erteilung einer Rodungsbewilligung hinsichtlich einer Teilfläche ihres Waldgrundstückes Nr. 4944, KG. G. Im Zuge der hierüber von der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung anberaumten mündlichen Verhandlung vom 7. Dezember 1989 schränkte sie ihr Begehren auf die im rechtskräftigen Flächenwidmungsplan der Gemeinde G als "Bauland-Wohngebiet" gewidmete Teilfläche von rund 2.930 m2 ein.

Der dem Lokalaugenschein beigezogene Amtssachverständige für Raumplanung führte in seinem Befund aus, das gegenständliche Grundstück sei im rechtskräftigen Flächenwidmungsplan als Bauland-Wohngebiet gewidmet. Diese Widmung sei aufgrund eines politisch motivierten Kompromisses über Empfehlung des Ausschusses des Raumplanungsbeirates vom 27. Juni 1978 entgegen der Fachmeinung der Landesamtsdirektion, Bereich Raumordnung, zustande gekommen. Die Einbeziehung in das Bauland sei damals nur unter der Bedingung akzeptiert worden, daß im Einvernehmen mit der Forstbehörde der bestehende Föhrenwald erhalten und für das neu zu erschließende Gebiet vor Erteilung weiterer Bewilligungen ein Teilbebauungsplan ausgearbeitet werde. Ein solcher sei bis jetzt von der Gemeinde nicht beschlossen worden. Das gegenständliche Waldgrundstück stelle aus der Sicht der Raumordnung ein wesentliches Gestaltungselement im Sinne der Abschirmung des Siedlungsgebietes dar; das Gelände falle zum Teil stark nach Osten hin ab. Die engste Stelle in diesem Grundstücksbereich betrage lediglich 20 m. An Flächenreserven seien laut Erläuterungsbericht zum Flächenwidmungsplan aus 1971 unter anderem rund 20 ha "Bauland-Neu" sowie rund 15 ha Aufschließungsgebiete ausgewiesen. Unter der Annahme einer durchschnittlichen Bauplatzfläche von 800 bis 1.200 m2 ergäben sich im neu ausgewiesenen Bauland (Wohngebiet und gemischtes Baugebiet) rund 250 Hausplätze, dazu kämen im Aufschließungsgebiet rund weitere 127 Hausplätze. Wenn man bedenke, daß G im Jahre 1945 rund 300 und im Jahre 1970 459 Häuser aufgewiesen habe, also in 25 Jahren ein Zuwachs von 149 Häusern zu verzeichnen sei, so müsse angenommen werden, daß mit insgesamt 377 Hausplätzen der Baulandbedarf unter Berücksichtigung der Nachfrage leicht gedeckt werden könne. Nach Angaben des Bürgermeisters betrage die Anzahl der Neubaubewilligungen in der Gemeinde G in den Jahren 1979 bis 1989 absolut 147, das seien durchschnittlich 15 Neubauten im Jahr. Im gleichen Zeitraum sei die Bevölkerung absolut um 106 Einwohner angewachsen. Die Bevölkerungszunahme seit der letzten Volkszählung betrage durchschnittlich 3 %. In seinem abschließenden "Gutachten" führte der Sachverständige für Raumplanung aus, die gegenständliche Waldfläche stelle ein wesentliches Gliederungselement dar und schirme die in exponierten Lagen gewidmeten Siedlungsflächen auch optisch ab. Darüber hinaus erscheine die zum Teil äußerst geringe Tiefe der Grundstücke (minimal 20 m) in Verbindung mit der starken Hanglage für eine Bebauung nur äußerst bedingt geeignet. Da die Gemeinde G über ausreichende Flächenreserven in besser geeigneten Siedlungsgebieten verfüge (Bauland-Wohngebiet bzw. Aufschließungswohngebiet), bestehe aus der Sicht der Raumordnung kein öffentliches Interesse an der Rodung von Waldflächen mit bedeutender Funktion für drei Hausplätze.

Der Amtssachverständige für Forsttechnik hielt in seinem Befund fest, das gegenständliche Teilstück der Parzelle 4944 liege ca. 300 m nördlich der Ortsausfahrt in Richtung Eisenstadt. Es grenze mit rund 15 % seines Umfanges an Wald. Der Rest des Teilstückes grenze an Bauland und landwirtschaftliche Flächen. Der Waldentwicklungsplan weise für dieses Waldgebiet die Kennziffern 3, 1, 2 aus, das bedeute, daß die Leitfunktion die Schutzfunktion sei (Erosionsschutz). Die Gemeinde G weise eine Waldausstattung von rund 35 % auf. Die Waldflächenbilanz der KG sei positiv. Eine Waldflächenerhebung aus dem Jahre 1986 habe einen Zugang von 36,4 ha gegenüber dem Stand von 1977 ergeben, das bedeute einen Waldflächenzugang von 8,7 %. In seinem "Gutachten" führte der Sachverständige für Forsttechnik aus, da nach den Ausführungen des Sachverständigen für Raumplanung in der KG. G andere Flächen für Bebauungszwecke zur Verfügung stünden und die Inanspruchnahme von Waldflächen zu Siedlungszwecken nur subsidiär, d.h. nach Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten einer Baulandbeschaffung, erfolgen dürfe, könne aus forstfachlicher Sicht dem Rodungsantrag nicht zugestimmt werden. Zur Entscheidungsfindung trage auch die Bewertung der Schutzfunktion als Leitfunktion bei. Daher sei das öffentliche Interesse an der Walderhaltung höher zu bewerten als jenes am Rodungszweck.

Der Bürgermeister der Gemeinde G nahm wie folgt Stellung:

Es sei Baulandbedarf für die Gemeindebürger gegeben. Zwar sei genügend Bauland gewidmet, es stünden aber sämtliche Flächen im Privatbesitz. Diese Baulandflächen würden gehortet bzw. zu überdimensionierten Preisen weitergegeben (Durchschnittspreis S 370,--, Höchstpreis S 550,--). Auf Grund der Struktur der Bevölkerungsentwicklung bestehe ein in der Praxis nicht zu befriedigender Baulandbedarf. Im Hinblick auf das Interesse an der Ansiedlung neuer Gemeindebürger liege die gegenständliche Rodungsbewilligung auch im öffentlichen Interesse.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung vom 30. Mai 1990 wurde der mitbeteiligten Partei gemäß § 17 Abs. 2 bis 4 des Forstgesetzes 1975 (FG), BGBl. Nr. 440, die Bewilligung zur Rodung der im rechtskräftigen Flächenwidmungsplan der Gemeinde G in der Fassung der

1. Änderung als "Bauland-Wohngebiet" ausgewiesenen Teilfläche des Grundstückes Nr. 4944, KG. G, im Ausmaß von rund 2.930 m2 erteilt. Ferner wurden der mitbeteiligten Partei die Verfahrenskosten vorgeschrieben.

Zur Begründung führte die Behörde aus, aus der Stellungnahme des Bürgermeisters der Gemeinde G gehe unzweifelhaft hervor, daß im konkreten Fall aus der Sicht der örtlichen Raumplanung und des Raumplanungsinteresses der Gemeinde ein Bedarf an weiteren Flächen für Siedlungszwecke bestehe und eine anderweitige Befriedigung dieses Bedarfes als durch die Rodung der gegenständlichen Waldfläche nicht realistisch sei. Diesem Umstand sei bereits durch die Widmung der zur Rodung beantragten Waldfläche als "Bauland-Wohngebiet" Rechnung getragen worden. Im Hinblick auf diese vom Amtssachverständigen nicht berücksichtigten Umstände sei ein öffentliches Interesse an der Rodung für Zwecke des Siedlungswesens anzunehmen. Bei der Interessenabwägung hielt die Behörde zunächst fest, den Gutachten liege die unhaltbare Ansicht zugrunde, daß der gegebene Bedarf an Bauland im konkreten Fall anders als durch die beabsichtigte Rodung befriedigt werden könne. Das forsttechnische Gutachten lasse zwar eine Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Walderhaltung erkennen. Insgesamt sei aber das öffentliche Interesse am Rodungszweck höher zu werten als jenes an der Walderhaltung. Dies insbesondere deshalb, weil ein dringender Bedarf an Baugrund auf andere Weise nicht sinnvoll befriedigt werden könne und die Rodungsfläche im rechtskräftigen Flächenwidmungsplan der Gemeinde als "Bauland-Wohngebiet" ausgewiesen sei.

Gegen diesen Bescheid, und zwar allein gegen seinen Ausspruch betreffend die Rodungsbewilligung, richtet sich die vorliegende, auf § 170 Abs. 8 FG gestützte Beschwerde.

Die mitbeteiligte Partei hat, anders als die belangte Behörde, eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 17 Abs. 1 FG ist die Verwendung von Waldboden zu anderen Zwecken als für solche der Waldkultur (Rodung) verboten. Die Forstbehörde kann aber gemäß Abs. 2 dieser Gesetzesstelle eine Bewilligung zur Rodung erteilen, wenn ein öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche das öffentliche Interesse an der Erhaltung derselben als Wald überwiegt. Nach Abs. 3 können öffentliche Interessen im Sinne des Abs. 2 insbesondere in der umfassenden Landesverteidigung, im Eisenbahn-, Luft- und öffentlichen Straßenverkehr, im Post- und öffentlichen Fernmeldewesen, im Bergbau, im Wasserbau, in der Energiewirtschaft, in der Agrarstrukturverbesserung sowie im Siedlungswesen begründet sein. Gemäß § 17 Abs. 4 FG hat die Behörde bei Abwägung der öffentlichen Interessen im Sinne des Abs. 2 insbesondere auf eine die erforderlichen Wirkungen des Waldes gewährleistende Waldausstattung Bedacht zu nehmen; ferner sind unter diesen Voraussetzungen die Zielsetzungen der Raumordnung zu berücksichtigen.

Die belangte Behörde hat im Beschwerdefall ein im Siedlungswesen begründetes öffentliches Interesse angenommen. Diese Annahme steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach ein solches öffentliches Interesse jedenfalls dann besteht, wenn Grundflächen der Verwirklichung eines nach dem Flächenwidmungsplan zulässigen Bauvorhabens dienen sollen (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 11. Oktober 1983, Zl. 83/07/0055, und vom 30. Oktober 1989, Zl. 89/10/0133, jeweils mit weiteren Judikaturhinweisen). Diese Rechtsauffassung hat der Gerichtshof auch in dem in der Beschwerde genannten Erkenntnis vom 25. September 1986, Zl. 83/07/0366, vertreten. In diesem Zusammenhang ist es ohne Belang, ob die mitbeteiligte Partei auch ein mit dem öffentlichen Interesse in Einklang stehendes privates Siedlungsinteresse geltend zu machen vermag oder nicht. Diese Frage wäre - wie sich aus den diesbezüglichen (in der Beschwerde zitierten) Ausführungen des zuletzt genannten Erkenntnisses im Begründungszusammenhang ergibt - erst bei der Gewichtung eines allenfalls geltend gemachten privaten Siedlungsinteresses im Rahmen der Interessenabwägung von Bedeutung.

Aus der Bejahung eines im Siedlungswesen gelegenen öffentlichen Interesses folgt allerdings noch nicht das Überwiegen dieses Interesses gegenüber jenem an der Walderhaltung, hiezu bedarf es vielmehr einer entsprechenden Interessenabwägung (vgl. zur diesbezüglichen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die vorhin genannten Erkenntnisse).

Der Beschwerdeführer meint, die Interessenabwägung sei im Hinblick auf das vom Sachverständigen für Raumplanung aufgezeigte Vorhandensein ausreichender Flächenreserven im Bereich der Gemeinde unschlüssig. Es sei auch nicht ersichtlich, weshalb die belangte Behörde diesbezüglich der Stellungnahme des Bürgermeisters der Gemeinde G und nicht jener des Sachverständigen für Raumplanung gefolgt sei.

Der Beschwerdeführer macht mit diesem Vorbringen zu Recht eine unzureichende Interessenabwägung geltend. Der Sachverständige für Raumplanung hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Widmung der gegenständlichen Waldfläche als "Bauland-Wohngebiet" aufgrund eines politisch motivierten Kompromisses entgegen der Fachmeinung der Landesamtsdirektion, Bereich Raumordnung, zustande gekommen und unter anderem nur unter der bis jetzt nicht realisierten Bedingung der Ausarbeitung eines Teilbebauungsplanes für das neu zu erschließende Gebiet akzeptiert worden sei. Im Hinblick auf diese Äußerung hätte sich die belangte Behörde jedenfalls mit den - aus der Aktenlage nicht ersichtlichen - Gründen, die zur Widmung der gegenständlichen Waldfläche als "Bauland-Wohngebiet" geführt haben, auseinandersetzen müssen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in gleichgelagerten Fällen wiederholt betont, daß es im Rahmen einer dem Gesetz entsprechenden Interessenabwägung auch der Auseinandersetzung mit den Gründen bedarf, die zur Festlegung der Baulandwidmung der zur Rodung beantragten Fläche geführt haben, und daß eine Befassung mit dieser Frage dann umso mehr geboten ist, wenn das Raumplanungsinteresse ursprünglich in eine andere Richtung gewiesen hat (vgl. die Erkenntnisse vom 27. Juni 1988, Zl. 89/10/0080 und vom 30. Oktober 1989, Zl. 89/10/0133). Diese Auseinandersetzung erübrigte sich auch nicht im Hinblick auf die Stellungnahme des Bürgermeisters im Rodungsverfahren; auch diese läßt nämlich eine derartige Auseinandersetzung vermissen. Im übrigen zeigen seine allgemein gehaltenen Ausführungen keine besonderen Umstände auf, die im konkreten Fall die Annahme eines das Walderhaltungsinteresse überwiegenden öffentlichen Siedlungsinteresses zuließen, zumal auch der Bürgermeister das Vorhandensein einer an sich ausreichenden Baulandreserve auf Nichtwaldflächen in der Gemeinde nicht in Abrede gestellt hat. Diese Stellungnahme läßt daher entgegen der Auffassung der belangten Behörde nicht den Schluß auf einen derart dringenden, auf andere Weise nicht sinnvoll zu befriedigenden Bedarf an Baugrund zu, der zur Annahme des Überwiegens des Siedlungsinteresses gegenüber jenem an der Walderhaltung auf der gegenständlichen Fläche berechtigte.

Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid in dem im Spruch bezeichneten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Im Hinblick auf die Erledigung der Beschwerde erübrigt sich eine Entscheidung über den (zur Zl. AW 90/10/0053 protokollierten) Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

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