VwGH 84/13/0261

VwGH84/13/026130.1.1985

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Reichel und die Hofräte Dr. Iro und Dr. Pokorny als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Traumüller, in der Beschwerdesache des Dipl.-Ing. AF in W, vertreten durch Dr. Hans Pritz, Rechtsanwalt in Wien I, Schwedenplatz 3 - 4, gegen die Verständigung von der Einleitung eines Strafverfahrens durch das Finanzamt für den 6., 7. und 15. Bezirk in Wien als Finanzstrafbehörde erster Instanz vom 16. Oktober 1984, Straflisten-Nummer 210/84, den Beschluss gefasst:

Normen

FinStrG §82;
FinStrG §85;
KWG 1979 §23;
VwGG §34 Abs1;
FinStrG §82;
FinStrG §85;
KWG 1979 §23;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit Schreiben vom 16. Oktober 1984 teilte das Finanzamt als Finanzstrafbehörde erster Instanz dem Beschwerdeführer mit, dass gegen ihn das Finanzstrafverfahren eingeleitet worden sei, weil der Verdacht bestehe, dass er im Bereich des Finanzamtes für den 6., 7. und 15. Bezirk vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Offenlegungs- und Wahrheitspflicht in den Jahren 1977, 1978, 1979, 1980 und 1981 eine Verkürzung von Abgaben an Umsatzsteuer und an Einkommensteuer im Bemessungsverfahren noch näher festzustellender Höhe bewirkt habe, indem er dem Finanzamt für die genannten Jahre unrichtige Umsatz- und Einkommensteuererklärungen vorgelegt und hiemit ein Finanzvergehen nach § 33 Abs. 1 FinStrG begangen habe.

Der Beschwerdeführer erblickt in dieser Mitteilung einen Bescheid, und zwar eine verfahrensregelnde Anordnung, gegen die gemäß § 152 Abs. 1 FinStrG kein abgesondertes Rechtsmittel zulässig sei. Daraus folge, dass der Instanzenzug als erschöpft anzusehen sei, was wiederum zur Folge habe, dass die Verständigung von der Einleitung des Finanzstrafverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochten werden könne.

Wie der Beschwerdeführer selbst darlegt, hat sich der Verfassungsgerichtshof bereits zweimal mit der Frage befasst, ob die Verständigung von der Einleitung des Finanzstrafverfahrens als Bescheid zu werten ist. Sowohl im Beschluss vom 29. März 1957, B 28/57, Slg. Anhang Nr. 2/1957, als auch in jenem vom 5. Juni 1964, B 94, 95/64, Slg. 4699/1964, hat der Verfassungsgerichtshof diese Frage verneint. Als Begründung hat er darauf hingewiesen, dass ein Bescheid immer ein individueller normativer Verwaltungsakt sei, der für den einzelnen Fall die Gestaltung oder Feststellung von Rechten oder Rechtsverhältnissen zum Inhalt habe. Da die Verständigung von der Einleitung eines Finanzstrafverfahrens aber weder Rechte auf Seiten des Verdächtigen erzeuge noch Rechte des Verdächtigen feststelle, komme ihr kein Bescheidcharakter zu.

Der Beschwerdeführer tritt diesen Entscheidungen insbesondere mit dem Hinweis entgegen, dass in der Zwischenzeit die Bestimmung des § 23 Kreditwesengesetz (KWG) geschaffen worden sei, wonach "die Verpflichtung zur Wahrung des Bankgeheimnisses u.a. nicht im Strafverfahren wegen vorsätzlicher Finanzvergehen" bestehe. Daraus ergebe sich, dass die Einleitung eines Finanzstrafverfahrens rechtliche Interessen des Beschuldigten berühre, weil sie Voraussetzung für die Aufhebung des Bankgeheimnisses sei.

§ 23 Abs. 2 Z. 1 KWG lautet:

"(2) Die Verpflichtung zur Wahrung des Bankgeheimnisses besteht nicht

1. im Zusammenhang mit gerichtlichen Strafverfahren gegenüber den Strafgerichten und mit Strafverfahren wegen vorsätzlicher Finanzvergehen, ausgenommen Finanzordnungswidrigkeiten, gegenüber den Finanzstrafbehörden, oder ..."

Gemäß § 82 FinStrG hat die Finanzstrafbehörde erster Instanz vor Einleitung des Finanzstrafverfahrens zu prüfen, ob genügend Verdachtsgründe für die Einleitung eines Finanzstrafverfahrens gegeben sind. Dies gilt insbesondere auch, wenn sie aus eigener Wahrnehmung vom Verdacht eines Finanzvergehens Kenntnis erlangt.

Aus dieser Vorschrift ergibt sich, dass die Finanzstrafbehörde bereits vor "Einleitung" des Finanzstrafverfahrens zur Durchführung entsprechender Erhebungen berechtigt bzw. verpflichtet ist, um die für die Einleitung des Strafverfahrens erforderlichen Verdachtsgründe zu prüfen. Derartige Erhebungen werden im Zusammenhang mit einem Strafverfahren wegen vorsätzlicher Finanzvergehen durchgeführt und berechtigen die Finanzstrafbehörde erster Instanz daher auch zur Entgegennahme und Verwertung von Informationen, die grundsätzlich gemäß § 23 KWG dem Bankgeheimnis unterliegen.

Wie weit die Rechte der Finanzstrafbehörde erster Instanz vor Einleitung eines Finanzstrafverfahrens reichen, zeigt besonders deutlich die Vorschrift des § 85 FinStrG, wonach ein Verdächtiger unter bestimmten Umständen zum Zwecke der Vorführung und vorläufigen Verwahrung sogar festgenommen werden kann. Da das Gesetz ausdrücklich vom "Verdächtigen" spricht, der gemäß § 75 FinStrG ab Einleitung des Finanzstrafverfahrens zum Beschuldigten wird, bezieht sich die Bestimmung des § 85 eindeutig (auch) auf das Tätigwerden der Finanzstrafbehörde erster Instanz vor Einleitung des Finanzstrafverfahrens. Dem Beschwerdeführer kann daher nicht gefolgt werden, wenn er die Möglichkeit der Festnahme, Vorführung, vorläufigen Verwahrung und Untersuchungshaft gemäß § 85 FinStrG nur für den Fall eines bereits eingeleiteten Finanzstrafverfahrens für gegeben erachtet.

Der Gerichtshof teilt sohin die ihm nach wie vor zutreffend erscheinende Auffassung des Verfassungsgerichtshofes, dass in der Einleitung eines Finanzstrafverfahrens kein individueller normativer Verwaltungsakt zu erblicken ist, mit dem rechtliche Interessen des bis dahin bloß Verdächtigen berührt werden. Mangelt es aber dem angefochtenen Verwaltungsakt am Bescheidcharakter, dann erweist sich die dagegen erhobene Beschwerde als unzulässig und war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen, ohne dass auf das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers zur Frage der gerichtlichen Zuständigkeit für die Einleitung des Finanzstrafverfahrens und die in diesem Zusammenhang angestellten Überlegungen, insbesondere auch jene aus der Sicht des Art. 6 MRK einzugehen war.

Wien, am 30. Jänner 1985

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