VwGH 81/07/0108

VwGH81/07/01083.11.1981

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hinterauer und die Hofräte Dr. Salcher, Dr. Hoffmann, Dr. Hnatek und Dr. Fürnsinn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Davy, über die Beschwerde des JO in Z, vertreten durch Dr. Ernst Biel, Rechtsanwalt in Wien I, Rauhensteingasse 1, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 8. Mai 1981, Zl. III/1-21.102/2-81, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Wasserrechtssache (mitbeteiligte Parteien: 1) Marktgemeinde X, 2) Gemeinde Y), zu Recht erkannt:

Normen

WRG 1959 §107 Abs2;
WRG 1959 §107 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.360,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 20. November 1980 erteilte die Bezirkshauptmannschaft Melk im Einvernehmen mit der Bezirkshauptmannschaft Amstetten den mitbeteiligten Gemeinden gemäß §§ 39, 41, 98, 101 Abs. 1, 107 und 111 WRG 1959 die wasserrechtliche Bewilligung zur projektsgemäßen Errichtung eines Entlastungsgerinnes. Der Beschwerdeführer, der in der KG X eine Fischteichanlage betreibt, wurde diesem wasserrechtlichen Verfahren nicht beigezogen, an ihn wurde vorerst auch der Bescheid vom 20. November 1980 nicht zugestellt.

Am 15. Jänner 1981 stellte der Beschwerdeführer bei der Bezirkshauptmannschaft den Antrag, ihm den Bewilligungsbewilligungsbescheid vom 20. November 1980 zuzustellen. Diesem Ersuchen wurde am 19. Februar 1981 entsprochen, worauf der Beschwerdeführer an diesem Tag konkrete Einwendungen und am 5. März 1981 gegen diesen Bescheid Berufung erhob.

Mit dem nunmehr vom Beschwerdeführer mit der vorliegenden Beschwerde bekämpften Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich (in der Folge: belangte Behörde) wurde diese Berufung gemäß § 98 WRG 1959 in Verbindung mit § 66 Abs. 4 AVG 1950 als unzulässig zurückgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, der wasserrechtliche Bewilligungsbescheid sei den Bewilligungswerbern und den übrigen Verfahrensparteien bereits "Ende November 1981" (richtig: 1980) nachweislich, zugestellt worden und nach fruchtlosem Ablauf der zweiwöchigen Rechtsmittelfrist in Rechtskraft erwachsen. Im Antrag der Bewilligungswerber seien keine Angaben enthalten gewesen, wonach der Beschwerdeführer durch das Projekt in seinen Rechten berührt werde, weshalb der Beschwerdeführer auch nicht zur mündlichen Verhandlung am 14. November 1980 geladen worden sei. Aus § 107 Abs. 2 WRG 1959 folge jedoch, daß die Rechtskraft eines wasserrechtlichen Bescheides auch gegenüber einer Partei wirksam werde, die mangels persönlicher Verständigung eine mündliche Verhandlung versäumt habe. Für Nachteile, die eine solcherart übergangene Partei daraus erleide, hafte nach § 26 Abs. 3 WRG 1959 und nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes der Wasserberechtigte, der entgegen § 103 Abs. 1 lit. e WRG 1959 diese Partei der Wasserrechtsbehörde nicht bekanntgegeben habe. Die Berufung des Beschwerdeführers sei daher aus formalrechtlichen Gründen als unzulässig zurückzuweisen, weil der Bewilligungsbescheid vom 20. November 1980 nicht innerhalb der ab Zustellung an die beigezogene Parteien zu berechnenden Berufungsfrist bekämpft worden sei. Mit Rücksicht auf diese Rechtslage sei die Frage, ob dem Beschwerdeführer im Wasserrechtsverfahren überhaupt Parteistellung zugekommen wäre, von der belangten Behörde nicht zu klären gewesen, diese sei vielmehr von dem für den Beschwerdeführer günstigsten Fall, nämlich von der Richtigkeit der behaupteten Parteistellung, ausgegangen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer ausführt, die belangte Behörde habe die Frage der Rechtskraft des Bescheides vom 20. November 1980 unrichtig gelöst. Die dem Beschwerdeführer offen stehende Berufungsfrist habe erst mit der Zustellung dieses Bescheides an ihn zu laufen begonnen und daher erst am 5. März 1981 geendet. Fehler von Ämtern und Behörden, die zu dem "ursprünglichen Fristablauf" geführt hätten, könnten nicht zu Nachteilen des Beschwerdeführers führen. Rechtswidrig sei es, wenn die belangte Behörde, statt über die Berufung des Beschwerdeführers in der Sache zu entscheiden, diesen auf Schadenersatzansprüche verweise. Rechtswidrig sei der angefochtene Bescheid aber auch deshalb, weil gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 die Berufung nicht wegen mangelnder Parteistellung unzulässig, sondern nur theoretisch als verspätet zurückweisbar sein könne.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung auf § 107 Abs. 2 WRG 1959. Danach kann eine Partei (§ 102 Abs. 1), die eine mündliche Verhandlung versäumt hat, weil sie nicht persönlich verständigt worden war, selbst dann, wenn die Anberaumung der mündlichen Verhandlung öffentlich bekanntgemacht worden ist (§ 41 Abs. 2 AVG 1950), ihre Einwendungen auch nach Abschluß der mündlichen Verhandlung und bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Angelegenheit vorbringen. Solche Einwendungen sind binnen zwei Wochen von dem Zeitpunkt, in dem die Partei nachweislich davon Kenntnis erhalten hat, daß ihre Rechte durch das Vorhaben berührt werden, bei der Behörde einzubringen, die die mündliche Verhandlung anberaumt hat, und von dieser oder von der Berufungsbehörde in gleicher Weise zu berücksichtigen, als wären sie in der mündlichen Verhandlung erhoben worden.

Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (vgl. Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes Slg. Nr. 3246/57 und Slg. Nr. 5884/ 69 und des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. Februar 1978, Zl. 2484/76, vom 2. März 1978, Zl. 2733/77, vom 11. November 1980, Zl. 3221/80, und vom 14. September 1981, Zl. 81/ 07/0122) ist aus der Regelung des § 107 Abs. 2 WRG 1959 die Rechtskraftwirkung eines wasserrechtlichen Bescheides gegenüber einer übergangenen Partei abzuleiten; eine Partei, die infolge Eintritts der Rechtskraft ihre Einwendungen im wasserrechtlichen Verfahren nicht mehr vorbringen kann, ist auf Schadenersatzansprüche zu verweisen. So lange aber die Rechtskraft des wasserrechtlichen Bescheides nicht eingetreten ist, soll es gerade § 107 Abs. 2 WRG 1959 ermöglichen, Verfahrensmängel hinsichtlich der Verständigung von Parteien noch im wasserrechtlichen Verfahren, und zwar auch außerhalb der mündlichen Verhandlung und sogar noch nach Erlassung des Wasserrechtsbescheides gutzumachen (vgl. Grabmayr-Rossmann, Das österreichische Wasserrechte, S. 510 f, Anm. 10 zu § 107).

Die belangte Behörde hatte daher im Berufungsverfahren vorerst zu prüfen, ob der Wasserrechtsbescheid vom 20. November 1980 im Zeitpunkt der vom Beschwerdeführer erhobenen Einwendungen bereits in formelle Rechtskraft erwachsen und damit unanfechtbar war. Dies hat die belangte Behörde auch erkannt und ergänzende Erhebungen darüber veranlaßt, wann der Bescheid vom 20. November 1980 der Marktgemeinde X als einer der beiden Bewilligungswerberinnen zugestellt worden war, weil dies aus den Akten der Bezirkshauptmannschaft nicht ersichtlich war. Die belangte Behörde hat jedoch in diesem Zusammenhang übersehen, daß die Zustellung des Bewilligungsbescheides auch hinsichtlich einer weiteren dem Wasserrechtsverfahren zugezogenen Partei aus den vorliegenden Verwaltungsakten nicht ersichtlich ist.

Einem dem Antrag der Mitbeteiligten angeschlossenen Parzellenverzeichnis ist zu entnehmen, daß zu den von dem Projekt berührten Grundeigentümern auch TD in W zählte, deren Parzelle Nr. 2245/16, EZ. 423, KG. X, nach dieser Urkunde im Überflutungsbereich unterhalb des geplanten Durchstichs gelegen ist. TD wurde daher zur mündlichen Verhandlung geladen und hat an der Verhandlung auch teilgenommen; es wurde dann auch verfügt, den Bescheid vom 20. November 1980 an diese Grundeigentümerin zuzustellen. Den vorgelegten Verwaltungsakten ist jedoch zu entnehmen, daß die Zustellung dieses Bescheides an TD an der angegebenen Adresse nicht möglich war. Ein Ersuchen der Bezirkshauptmannschaft, die Anschrift dieser Partei bekanntzugeben, beantwortete die damit betraute erstmitbeteiligte Gemeinde am 3. Dezember 1980 dahin gehend, daß jene TD, die an der Verhandlung vom 14. November 1980 teilgenommen hatte, in X, wohnhaft sei. Darüber hinaus findet sich in den Verwaltungsakten weder ein Hinweis auf einen weiteren Zustellversuch noch auf eine Zustellung an diese Partei.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß der Bescheid vom 20. November 1980 demnach noch nicht an alle dem Wasserrechtsverfahren zugezogenen Parteien zugestellt wurde, seine formelle Rechtskraft daher der Beachtlichkeit der Einwendungen des Beschwerdeführers nicht mit Sicherheit entgegenstand, hat die belangte Behörde dadurch, daß sie es unterließ, Ermittlungen über den ungeklärten Zustellvorgang hinsichtlich der Partei TD anzustellen, Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grunde gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 3 VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Anzufügen ist noch, daß die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid entgegen ihren Ausführungen in der Gegenschrift die Berufung nicht wegen Unzulässigkeit infolge Fehlens der Parteistellung des Beschwerdeführers, sondern wegen Verspätung zurückgewiesen hat. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt sich, daß sich die belangte Behörde mit dem Wort "unzulässig" nur im Ausdruck vergriffen und "verspätet" gemeint hat. Dadurch wurde aber der Beschwerdeführer in seinen Rechten nicht verletzt.

Der Beschwerdeführer hat in seiner Beschwerdeergänzung die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof beantragt. Von einer Verhandlung konnte jedoch einerseits mit Rücksicht auf § 39 Abs. 2 lit. c VwGG 1965, andererseits mit Rücksicht darauf, daß der Verhandlungsantrag nicht innerhalb der Beschwerdefrist und daher verspätet gestellt wurde (vgl. den Beschluß eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. März 1969, Slg. Nr. 7542/A), abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47, 48 Abs. 1 lit. a und b und 59 VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221. Wien, am 3. November 1981

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