VfGH G24/2014

VfGHG24/20146.6.2014

Unzulässigkeit des Individualantrags eines Jagdausübungsberechtigten auf Aufhebung einer Schadenersatzregelung des Nö JagdG 1974 für Wildschäden infolge zumutbaren Umwegs

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
Nö JagdG 1974 §101
B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
Nö JagdG 1974 §101

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antragsvorbringen

1. Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben Pächter und Jagdausübungsberechtigter eines Eigenjagdgebietes in Niederösterreich und beeidetes Jagdschutzorgan.

2. Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litc B-VG begehrt der Antragsteller die Aufhebung des §101 Abs1 Z2 und Abs2 Niederösterreichisches Jagdgesetz 1974 (im Folgenden: nö Jagdgesetz 1974).

Begründend führt der Antragsteller im Wesentlichen aus:

Er sei auf der Grundlage des Jagdpachtvertrages vom 29. April 2011 Jagdausübungsberechtigter eines Eigenjagdgebietes. Der Jagdpachtvertrag sei für den Zeitraum von 1. Jänner 2011 bis 31. Dezember 2019 zwischen ihm als Jagdpächter und dem Grundeigentümer abgeschlossen worden. In diesem Jagdpachtvertrag werde auf die Haftung für Wildschäden auf der Grundlage der landesjagdgesetzlichen Wildschadenersatzregelung verwiesen. Nach der bekämpften Bestimmung hafte der Antragsteller verschuldensunabhängig für Wildschäden. Diese landesgesetzliche Regelung sei nicht mehr zeitgerecht und verstoße daher gravierend gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und Gleichheit vor dem Gesetz.

Wildschäden würden in zunehmendem Maße nicht mehr durch die Jagdausübung, sondern durch andere Nutzungen des Waldes verursacht. Das Eigenjagdgebiet werde – als Folge des freien Betretungsrechts des Waldes nach §33 Forstgesetz 1975 – intensiv touristisch genutzt. Die Konsequenz dieser touristischen Nutzung sei eine intensive Stressbelastung des Wildes, wodurch es zu Wildschäden komme.

Durch die bekämpfte Regelung entstehe ferner die Gefahr, dass der Jagdausübungsberechtigte zum Ersatz von Schäden an Holz verpflichtet wird, die nicht von Wild verursacht wurden, sondern bei Holzerntearbeiten entstanden sind. Zudem würden durch den Klimawandel die Wälder zunehmend vertrocknen und von Krankheiten und Schädlingen beschädigt werden. Die Wildschäden würden von jenen Schäden "überholt". Auch die Veränderungen der Agrarwirtschaft würden bewirken, dass die bekämpfte Regelung ihre sachliche Rechtfertigung verloren habe.

Der Antragsteller verweist auf – im Individualantrag auszugsweise wörtlich wiedergegebene – wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit den jagdrechtlichen Schadensersatzregelungen. Darin werden unter anderem die Haftungsformen der Verschuldens-, Gefährdungs- und Eingriffshaftung sowie die Haftung kraft vermuteten Verschuldens untersucht. Die Haftungsbestimmungen im nö Jagdgesetz 1974 könnten keinem dieser Haftungsformen des allgemeinen Schadenersatzrechts zugeordnet werden. Das Abweichen von diesen Haftungsformen in der bekämpften Bestimmung sei unsachlich. Mangels einer Haftungshöchstgrenze könne die bekämpfte gesetzliche Bestimmung im Extremfall wirtschaftlich vernichtend wirken.

II. Erwägungen

Der Antrag ist unzulässig.

1.1. Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das bekämpfte Gesetz für den Antragsteller nicht bloß behaupteterweise, sondern tatsächlich ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist (so VfSlg 8009/1977). Zu untersuchen ist vom Verfassungsgerichtshof hiebei lediglich, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Rechtswirkungen vorliegen (VfSlg 8060/1977, 8587/1979, 14.476/1996).

1.2. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist es grundsätzlich zumutbar, den Klagsweg zu beschreiten, im gerichtlichen Rechtsstreit Bedenken gegen präjudizielle Vorschriften vorzubringen und vor dem in zweiter Instanz zur Entscheidung berufenen Gericht die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrage beim Verfassungsgerichtshof anzuregen (vgl. zB VfSlg 8979/1980, 8890/1980, 9394/1982, 9695/1983, 9926/1984, 10.445/1985, 10.785/1986, 11.551/1987, 11.759/1988, 11.890/1988, 12.046/1989, 12.775/1991). Wollte man wegen des bloßen Prozessrisikos und damit allfällig verbundener Kostenfolgen oder wegen der mit gerichtlichen Verfahren im Regelfall verbundenen Zeitdauer grundsätzlich davon ausgehen, dass die Beschreitung des Gerichtsweges unzumutbar sei, verlöre die in Art140 Abs1 letzter Satz B-VG - wie auch in der dazu korrespondierenden Bestimmung des Art139 Abs1 letzter Satz B-VG - enthaltene Einschränkung "sofern das Gesetz [die V] ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung ... für diese Person wirksam geworden ist" ihren hauptsächlichen Anwendungsbereich (vgl. VfSlg 10.785/1986, 11.551/1987, 11.759/1988, 11.889/1988, 12.046/1989 ua.). Angesichts der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgesetzgebers, die Initiative zur Prüfung genereller Normen - vom Standpunkt des Betroffenen aus - zu mediatisieren, wenn die Rechtsverfolgung vor Gerichten stattfindet, kommt es dabei auch nicht auf die Erfolgschancen des Antragstellers im Gerichtsverfahren, sondern bloß darauf an, dass sich im Zuge eines derartigen Verfahrens Gelegenheit bietet, verfassungsrechtliche Bedenken gegen präjudizielle Vorschriften über die ordentlichen Gerichte an den VfGH heranzutragen (vgl. VfSlg 9170/1981, 9285/1981, 10.592/1985, 11.889/1988). Andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Charakter eines Individualantrages als eines subsidiären Rechtsbehelfes nicht in Einklang stünde (vgl. zB VfSlg 9939/1984, 11.454/1987). Ob und inwieweit allerdings das Gericht auf die Kritik der Partei des Gerichtsverfahrens an der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzesbestimmungen eingeht, ist hiebei nicht ausschlaggebend (vgl. VfSlg 11.890/1988, 12.046/1989). In einem laufenden gerichtlichen Verfahren könnte sohin die Anwendung verfassungswidriger Gesetze regelmäßig nicht durch einen Individualantrag nach Art140 B-VG verhindert werden (vgl. VfSlg 14.832/1997).

2. Zur Frage seiner Antragslegitimation hat der Antragsteller lediglich vorgebracht, dass er als jagdausübungsberechtigter Pächter eines Eigenjagdgebietes und beeidetes Jagdschutzorgan an die gesetzliche Schadenersatzregelung des §101 Abs1 Z2 und Abs2 nö Jagdgesetz 1974 gebunden sei. Abgesehen davon, dass die bekämpfte gesetzliche Bestimmung ohne Dazwischentreten einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung für den Antragsteller nicht wirksam wird, erweist sich der Individualantrag als unzulässig, wenn die rechtlichen Bedenken auf anderem Wege an den Verfassungsgerichtshof herangetragen werden können. Wird der Antragsteller als Jagdausübungsberechtigter nach der von ihm bekämpften Bestimmung zum Ersatz von Wildschäden in Anspruch genommen, steht es ihm frei, nach vorangegangenem Vergleichsversuch eine Entscheidung der Bezirksverwaltungsbehörde zu erwirken (§116 Abs1 nö Jagdgesetz 1974). Nach der Entscheidung der Bezirksverwaltungsbehörde kann ein Antrag auf Entscheidung der Sache im Außerstreitverfahren an das zuständige Landesgericht gestellt (§116 Abs2 nö Jagdgesetz 1974) und in weiterer Folge beim Rechtsmittelgericht die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrages angeregt werden.

Da dem Antragsteller somit ein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung steht, seine Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, ist sein Antrag – schon aus diesem Grund – mangels Legitimation zurückzuweisen (§19 Abs3 Z2 lite VfGG).

III. Ergebnis

1. Der Antrag auf Aufhebung des §101 Abs1 Z2 und Abs2 nö Jagdgesetz 1974 ist somit als unzulässig zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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