Normen
B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
Spruch:
I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Finanzen) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.620,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerdeführerin war zunächst – in den Jahren 1978 bis 1983 über einige Monate hindurch im Rahmen der Privatwirtschaft, seit 21. März 1984 auf Basis eines privatrechtlichen Dienstverhältnisses zum Bund beim Bundessozialamt, Landesstelle Steiermark (vormals Landesinvalidenamt für Steiermark) – als Reinigungskraft beschäftigt gewesen. Nach mehrjähriger Nassarbeit mit Schadstoffeinwirkung auf Hände und Füße entwickelte sich bei ihr u.a. eine schwere, beruflich bedingte, chronische Hauterkrankung. Mit 27. Juni 1990 erfolgte daher eine Versetzung der Beschwerdeführerin in die Kanzlei der genannten Bundesdienststelle, wo sie zunächst als Hilfskraft und später als Kanzleikraft dienstverwendet wurde. Mit Bescheid der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt, Landesstelle Graz, vom 29. Oktober 1991 wurde die Hauterkrankung der Beschwerdeführerin als Berufskrankheit anerkannt und gemäß §§173 ff. des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (im Folgenden: ASVG) eine Versehrtenrente von 20 % der Vollrente ab 1. Dezember 1991 gewährt. Mit Wirksamkeit vom 1. August 1993 wurde die Beschwerdeführerin als Offizialin in ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis zum Bund aufgenommen und weiterhin im Kanzleidienst verwendet.
2. Mit Bescheid des Bundessozialamtes vom 27. Mai 2011 wurde die Beschwerdeführerin mit Ablauf des 30. Juni 2011 in den Ruhestand versetzt. Da sie nach dem 31. Dezember 1954 geboren sowie vor dem 1. Jänner 2005 in ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis zum Bund aufgenommen worden war und sich am 31. Dezember 2004 im Dienststand befunden hatte, war für sie im Wege der in §99 PG 1965 geregelten Parallelrechnung eine Gesamtpension (aus anteiligem Ruhebezug und anteiliger Pension) zu ermitteln. Mit Bescheid der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter/Pensionsservice vom 13. Februar 2012 wurde die Gesamtpension der Beschwerdeführerin mit € 1.117,35 monatlich brutto bemessen, wobei hinsichtlich der Bemessung des Ruhebezuges der Beschwerdeführerin die Abschlagsregelung des §5 Abs2 leg.cit. zur Anwendung gebracht wurde.
3. Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 17. September 2012 wies die Bundesministerin für Finanzen die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den erstinstanzlichen Bescheid ab. Begründend wird darin ausgeführt, dass eine Kürzung nach §5 Abs2 PG 1965 nur dann entfallen könne, wenn sämtliche Voraussetzungen des §5 Abs4 Z2 leg.cit. vorlägen. Im gegenständlichen Fall fehle es am Zuspruch einer Versehrtenrente nach dem Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz (im Folgenden: B-KUVG) bzw. liege lediglich eine Berentung nach dem ASVG vor. Vollständigkeitshalber sei anzumerken, "dass die im letzten Satz der in Rede stehenden pensionsgesetzlichen Bestimmung enthaltene Ausweitung der Relevanz von nicht nach dem B-KUVG zugesprochenen Versehrtenrenten für einen allfälligen Kürzungsentfall lediglich im Zusammenhang mit Arbeits- oder Dienstunfällen, nicht jedoch bei einer Berufskrankheit vorgesehen ist." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des Gleichheitssatzes (Art7 B-VG) behauptet, eine Gesetzesprüfung der Wortfolge "nach dem B-KUVG" in §5 Abs4 Z2 PG 1965 bzw. des letzten Satzes des §5 Abs4 Z2 PG 1965 angeregt und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
5. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B‑VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §5 Abs4 Z2 PG 1965 idF BGBl I 130/2003 ein. Mit Erkenntnis vom 4. Dezember 2013, G67/2013 ua., hob er diese Gesetzesbestimmung als verfassungswidrig auf.
6. Die Beschwerde ist begründet.
Die belangte Behörde hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war.
Die Beschwerdeführerin wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.404/1985).
Der Bescheid ist daher aufzuheben.
7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
8. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,– enthalten.
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