Normen
B-VG Art83 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
ASVG §344, §345
B-VG Art83 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
ASVG §344, §345
Spruch:
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
II. Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt , Beschwerde, Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist Arzt für Allgemeinmedizin und steht in einem kurativen Einzelvertragsverhältnis zur mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft. Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2011 beantragte er bei der paritätischen Schiedskommission die Erlassung eines Bescheides mit dem Spruch, die Antragsgegnerin (die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft) sei "dem Antragsteller gegenüber ab sofort bei sonstiger Exekution schuldig, die Abrechnung geldleistungsberechtigter Patienten der Antragsgegnerin durch ihre Vertragsärzte über das Sachleistungssystem zu unterlassen".
In der Begründung dieses Antrages wird – nach Hinweis auf die in der Krankenversicherung nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG) gesetzlich vorgegebene Unterscheidung zwischen sachleistungsberechtigten und geldleistungsberechtigten Versicherten – behauptet, dass die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft die Abrechnung von geldleistungsberechtigten Versicherten "über Sachleistung, also über das e‑card‑System und der sohin direkten Abrechnung zwischen Vertragsarzt und Antragsgegnerin" akzeptiere. Nach §8 Abs1 Satz 1 des Gesamtvertrages obliege dem Vertragsarzt die Behandlung nur gegenüber jenen Anspruchsberechtigten die Anspruch auf Sachleistungen haben. Die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft verletze daher Gesetz und Gesamtvertrag und den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Vertragsärzte. Dies ergebe sich auch aus wettbewerbsrechtlichen Überlegungen, weil geldleistungsberechtigte Patienten dazu tendieren würden, den vertragswidrig agierenden Vertragsarzt aufzusuchen, der direkt mit der Kasse abrechnet und nicht den vertragskonform agierenden Vertragsarzt, der privat abrechnet und der zudem noch als "Abkassierer" verunglimpft werde.
2. Die paritätische Schiedskommission wies diesen Antrag wegen Unzuständigkeit der angerufenen Behörde zurück. Das Begehren des Beschwerdeführers, die mitbeteiligte Partei möge sich in bestimmter Weise gegenüber allen Vertragsärzten verhalten, gehe über den Rahmen einer Streitigkeit aus einem Einzelvertrag hinaus. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung hat die belangte Behörde mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid abgewiesen.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der eine Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie die Verletzung in Rechten des Art6 EMRK geltend gemacht wird. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift. Die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft erstattete eine Äußerung, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.
II. Zur Rechtslage
1. Gemäß §341 Abs1 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz, BGBl 189/1955 idgF (ASVG) sind die Beziehungen zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den freiberuflich tätigen Ärzten durch Gesamtverträge zu regeln; diese sind vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (für die Träger der Krankenversicherung) mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abzuschließen. Die Gesamtverträge haben ua. "die Rechte und Pflichten der Vertragsärzte [...], insbesondere auch ihre Ansprüche auf Vergütung der ärztlichen Leistung" zu regeln (§342 Abs1 Z3 ASVG). Der Inhalt des Gesamtvertrages ist auch Inhalt des zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt geschlossenen Einzelvertrages (§341 Abs3 ASVG).
2. Die §§344 und 345 ASVG in der Fassung der Novelle BGBl I 61/2010 lauten:
"3. UnterabschnittVerfahren bei Streitigkeiten
Paritätische Schiedskommission
§344 . (1) Zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen, ist im Einzelfall in jedem Land eine paritätische Schiedskommission zu errichten. Antragsberechtigt im Verfahren vor dieser Behörde sind die Parteien des Einzelvertrages.
(2) Die paritätische Schiedskommission besteht aus einem/einer Richter/in des Ruhestandes als Vorsitzenden/Vorsitzende und vier Beisitzern/Beisitzerinnen. Der/Die Vorsitzende soll durch längere Zeit hindurch in Arbeits- und Sozialrechtssachen tätig gewesen sein. Er/Sie ist vom Bundesminister für Justiz jeweils auf fünf Jahre zu bestellen. Je zwei Beisitzer/Beisitzerinnen – von denen jeweils ein/eine Arzt/Ärztin sein muss – werden von der zuständigen Ärztekammer und vom Krankenversicherungsträger, der Partei des Einzelvertrages ist, bestellt.
(3) Die paritätische Schiedskommission ist verpflichtet, über einen Antrag ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach dessen Einlangen, mit Bescheid zu entscheiden. Wird der Bescheid dem Antragsteller innerhalb dieser Frist nicht zugestellt, geht auf schriftliches Verlangen einer der Parteien die Zuständigkeit zur Entscheidung an die Landesberufungskommission über. Ein solches Verlangen ist unmittelbar bei der Landesberufungskommission einzubringen. Das Verlangen ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde (§73 AVG) zurückzuführen ist.
(4) Gegen einen Bescheid der paritätischen Schiedskommission kann Berufung an die Landesberufungskommission erhoben werden.
Landesberufungskommission
§345 . (1) Für jedes Land ist auf Dauer eine Landesberufungskommission zu errichten. Diese besteht aus einem Richter als Vorsitzendem und vier Beisitzern. Der Vorsitzende ist vom Bundesminister für Justiz zu bestellen; der Vorsitzende muss ein Richter sein, der im Zeitpunkt seiner Bestellung bei einem Gerichtshof in Arbeits- und Sozialrechtssachen tätig ist. Je zwei Beisitzer sind vom Bundesminister für Justiz auf Vorschlag der Österreichischen Ärztekammer und des Hauptverbandes zu bestellen. Versicherungsvertreter(innen) und Arbeitnehmer(innen) jenes Versicherungsträgers sowie Angehörige und Arbeitnehmer(innen) jener Ärztekammer, die Vertragsparteien des Gesamtvertrages sind, auf dem der streitgegenständliche Einzelvertrag beruht, dürfen im jeweiligen Verfahren nicht Beisitzer(in) sein; das Gleiche gilt für Personen, die bei der Erarbeitung der Richtline nach §347 Abs4a mitgewirkt haben, wenn in einem Verfahren die Richtline anzuwenden ist.
(2) Die Landesberufungskommission ist zuständig:
1. zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der paritätischen Schiedskommission und
2. zur Entscheidung auf Grund von Devolutionsanträgen gemäß §344 Abs3.
(3) §346 Abs3 bis 7 gelten sinngemäß auch für die Landesberufungskommission und deren Mitglieder."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet:
2. Der Beschwerdeführer erachtet sich unter dem Gesichtspunkt des Art6 EMRK und des Gleichheitssatzes dadurch verletzt, dass an der Entscheidung der paritätischen Schiedskommission seiner Meinung nach befangene Mitglieder, nämlich Bedienstete der mitbeteiligten Partei mitgewirkt hätten, während ihm ein Entsendungsrecht in die paritätische Schiedskommission nicht zustünde.
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits wiederholt (vgl. VfSlg 17.788/2006 mwH) dargelegt, dass Streitigkeiten aus einem Einzelvertrag zwar in den Kernbereich der von Art6 Abs1 EMRK erfassten "zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen" fallen, die (zur Entscheidung solcher Streitigkeiten in zweiter Instanz berufenen) Landesberufungskommissionen den Anforderungen des Art6 Abs1 EMRK jedoch grundsätzlich entsprechen (zur Unbedenklichkeit der Mitwirkung von Interessenvertretern an der Willensbildung dieser Behörden vgl. insbesondere VfSlg 15.698/1999).
2.2. Die Zusammensetzung der paritätischen Schiedskommission ist im Hinblick auf ihre Aufgabenstellung verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. VfSlg 14.362/1995, 14.980/1997 und 17.788/2006). Es kann auf sich beruhen, ob die Besetzung der paritätischen Schiedskommission in jeder Hinsicht den Anforderungen des Art6 EMRK genügt, da dies jedenfalls auf die Landesberufungskommission zutrifft (vgl. erneut VfSlg 17.788/2006). Ob der angefochtene Bescheid, der ausschließlich die verfahrensrechtliche Frage der Zuständigkeit der durch die §§344 und 345 ASVG eingerichteten Behörden zur Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers behandelt, nicht aber über zivilrechtliche Ansprüche des Beschwerdeführers aus dem Einzelvertrag abspricht, überhaupt den Schutzbereich des Art6 EMRK berührt, muss daher nicht weiter erörtert werden.
3. Der Beschwerdeführer rügt ferner die Zurückweisung seines Bescheidantrages als eine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und die Unterlassung der Erörterung seines sich darauf beziehenden Berufungsvorbringens durch die belangte Behörde als Willkür.
3.1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
3.2. Gemäß §344 Abs1 erster Satz ASVG entscheidet die paritätische Schiedskommission (ebenso wie die ihr im Instanzenzug übergeordnete Landesberufungskommission) über Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen. Antragsberechtigt sind "die Parteien des Einzelvertrages" (§344 Abs1 letzter Satz ASVG).
Diese Bestimmung ist zwar – wie der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt dargelegt hat (siehe etwa VfSlg 15.178/1998, 15.804/2000, 17.056/2003, 17.201/2004 mwN) – weit auszulegen, sie erfasst jedoch nur solche "Streitigkeiten", die zwischen den Parteien eines bestehenden Einzelvertrages entstanden sind und mit diesem in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang stehen (vgl. auch §2 Abs1 Z1 der Schiedskommissionsverordnung - SchKV 2010, BGBl II 446/2010). Wie sich insbesondere aus §341 Abs3 ASVG ergibt, ist ein Einzelvertrag zwischen einem Träger der sozialen Krankenversicherung und einem Arzt abzuschließen. Die paritätische Schiedskommission kann daher nur entweder von einem Krankenversicherungsträger gegen einen Vertragsarzt oder von einem Vertragsarzt gegen einen Krankenversicherungsträger angerufen werden (vgl. VfSlg 18.899/2009).
3.3. Nicht zum Wirkungskreis der paritätischen Schiedskommission und der Landesberufungskommission zählen hingegen Streitigkeiten außerhalb eines Einzelvertrages, wie zB aus dem Vorfeld von dessen Abschluss: die Behörden der §§344 und 345 ASVG können daher von einem übergangenen Bewerber nicht mit dem Begehren auf Nichtigerklärung des Kassenvertrages eines anderen Vertragsarztes angerufen werden (vgl. neuerlich VfSlg 18.899/2009).
3.4. Der Beschwerdeführer hat mit seinem eingangs wiedergegebenen Bescheidantrag weder die Feststellung einer Verpflichtung der mitbeteiligen Sozialversicherungsanstalt angestrebt, bestimmte Direktverrechnungen aus seinem Einzelvertrag vorzunehmen oder deren Vornahme bei bestimmten Versicherten zu unterlassen, noch hat er verlangt, dass er in dieser oder in anderer Hinsicht auf Grund seines Vertrages von der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt mit anderen Vertragsärzten gleich behandelt werde. Er intendiert vielmehr eine Unterlassung der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft in Bezug auf alle anderen Vertragsärzte, wie nicht nur der Wortlaut des Antrages, sondern wie auch dessen Begründung zeigt: Der Beschwerdeführer erblickt nämlich in der von ihm kritisierten Vorgangsweise der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft eine seiner Meinung nach von dieser zu unterlassende gesetzwidrige Förderung fremden Wettbewerbs (nämlich zugunsten jener Vertragsärzte, die sich – offenbar im Gegensatz zum Beschwerdeführer – auch bei geldleistungsberechtigten Versicherten mit der Verrechnung eines Honorars in der Höhe des Vertragstarifs begnügen). Damit hat der Beschwerdeführer aber der Sache nach einen wettbewerbsrechtlichen (zivilrechtlichen) Anspruch geltend gemacht, der in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fällt.
3.5. Die paritätische Schiedskommission hat daher den Antrag des Beschwerdeführers zu Recht wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen, weshalb die berufungsabweisende Entscheidung der belangten Behörde den Beschwerdeführer nicht in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
3.6. Aus demselben Grund hat die belangte Behörde daher auch nicht Willkür geübt, wenn sie im Hinblick darauf Berufungsargumente des Beschwerdeführers nicht weiter erörtert hat.
IV. Ergebnis
1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
2. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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