VfGH B1376/2012

VfGHB1376/20126.6.2013

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen beschuldigender Äußerungen gegenüber einem anderen Rechtsanwalt

Normen

RL-BA 1977 §18
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
RL-BA 1977 §18
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Wien. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien (im Folgenden: RAK Wien) vom 10. Jänner 2011 wurde er der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt, weil er als Klagevertreter in Schriftsätzen in gegen den Rechtsanwalt Dr. H. und andere Beklagte eingeleiteten Verfahren ohne Kenntnis des tatsächlichen Informationsstandes des Dr. H. vorgebracht habe, Dr. H. habe sich wissentlich an schädigenden und aussichtslosen Verfahrenshandlungen und einer mutwilligen Prozessführung einer Partei beteiligt und hafte somit als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe. Über den Beschwerdeführer wurde eine Geldbuße in der Höhe von € 1.000,– verhängt.

2. Der gegen den Bescheid des Disziplinarrates der RAK Wien erhobenen Berufung wurde mit als Bescheid zu wertendem Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission (im Folgenden: OBDK) vom 7. Mai 2011 (gemeint wohl: 2012) teilweise Folge gegeben, indem die Geldbuße auf € 750,– herabgesetzt wurde. Die belangte Behörde führte aus, dass der Beschwerdeführer im Auftrag seiner Mandantin ZGmbH im Jahr 2006 eine Schadenersatzklage gegen Rechtsanwalt Dr. H. (und andere) eingebracht habe. Gegenstand dieses Verfahrens sei ein Anspruch auf Ersatz eines Schadens gewesen, der der ZGmbH durch ihre ehemaligen Dienstnehmer gemeinsam mit deren Rechtsvertreter Dr. H. (und anderen) in einem Verfahren zugefügt worden sei. Durch die inkriminierte Äußerung habe der Beschwerdeführer Dr. H. unnötig in den Streit gezogen und persönlich angegriffen. Er habe somit §18 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwalts­berufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: RL-BA) verletzt. Mildernd berücksichtigte die belangte Behörde die unangemessen lange Verfahrensdauer. Es sei wiederholt zu Verzögerungen gekommen, für die keine Begründung und insbesondere keine Veranlassung durch den Beschwerdeführer ersichtlich gewesen sei. Aus diesem Grund sei die an sich angemessene Sanktion von € 1.000,– um € 250,– zu reduzieren gewesen.

3. Gegen diesen Bescheid der OBDK richtet sich die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewähr­leisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Er­werbs­freiheit, Meinungsfreiheit und auf ein faires Verfahren geltend gemacht wird. Begründend wird ausgeführt, die belangte Behörde habe den Wortsinn des §18 RL-BA zum Nachteil des Beschwerdeführers in verfassungswidriger Weise überdehnt. Dr. H. sei in jenen Verfahren, in denen der Beschwerdeführer die in­krimi­nierte Äußerung getätigt habe, nicht "Rechtsanwalt einer anderen Partei", sondern selbst Prozesspartei gewesen. Die Auslegung der OBDK, dass ein unnötiges In-den-Streit-Ziehen auch verpönt sei, wenn ein Rechtsanwalt als Prozess­partei auftrete, sei überschießend. Weiters sei durch die überlange Verfahrens­dauer Art6 EMRK verletzt worden. Durch die bloß geringfügige Herabsetzung der Strafe werde diesem Umstand nicht verfassungskonform Rechnung getragen. Ein schriftlicher Verweis wäre ausreichend gewesen.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete aber keine Gegenschrift.

II. Rechtslage

§18 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwalts­berufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsan­walts­an­wärter lautet:

"Artikel III

Der Rechtsanwalt und sein Stand

§18. Der Rechtsanwalt darf den Rechtsanwalt einer anderen Partei nicht umgehen und es auch nicht ablehnen, mit diesem zu verhandeln; er darf ihn weder unnötig in den Streit ziehen noch persönlich angreifen."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1.1. Bedenken gegen die dem Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften wurden weder in der Beschwerde behauptet noch sind solche beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass dieses Beschwerdefalles entstanden.

Der Beschwerdeführer ist daher durch den angefochtenen Bescheid nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.

1.2. Der Beschwerdeführer behauptet die Verletzung in verschiedenen ver­fassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, weil die belangte Behörde den Wortsinn des §18 RL-BA in verfassungswidriger Weise überdehnt habe; Dr. H. sei nicht der "Rechtsanwalt einer anderen Partei", sondern selbst Prozesspartei gewesen. Die Rechtsansicht der belangten Behörde würde dazu führen, dass kein Rechtsunterworfener mehr die Möglichkeit hätte, Schadenersatzforderungen gegen einen Rechtsanwalt gerichtlich durchzusetzen, weil er keinen Rechtsanwalt finden würde, der gegen einen Kollegen eine ausschließlich auf In­formationen seines Mandanten gestützte Klage einbringen dürfte. Dies stelle eine unsachliche Bevorzugung eines bestimmten Berufsstandes dar und würde den Rechtsanwalt in seiner Erwerbsfreiheit ein­schränken. Das Verbot, alles unumwunden vorzubringen, was der Rechtsanwalt zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, widerstreite nicht nur §9 RAO, sondern auch dem Recht auf freie Meinungsäußerung.

Mit diesem Vorbringen verkennt der Beschwerdeführer die Rechtslage. §18 RL-BA steht unter der Überschrift "Der Rechtsanwalt und sein Stand" und betrifft die standesrechtlichen Verpflichtungen eines Rechtsanwaltes gegenüber einem Standeskollegen (vgl. VfSlg 14.813/1997). Die Ansicht des Beschwerdeführers, wonach §18 RL-BA nicht anwendbar sei, wenn sich die inkriminierte Äußerung gegen einen Rechtsanwalt richtet, der in einem früheren Verfahren Rechtsvertreter der Gegenpartei war, ist daher verfehlt (vgl. VfSlg 14.813/1997 und 16.864/2003).

Der belangten Behörde ist zudem kein in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorzuwerfen, wenn sie die ohne weitere Recherchen getätigte schriftliche Äußerung des Beschwerdeführers, Dr. H. habe sich wissentlich an schädigenden und aussichtslosen Verfahrenshandlungen und einer mutwilligen Prozessführung einer Partei beteiligt und hafte somit als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe, als disziplinär wertet (vgl. hiezu VfSlg 16.482/2002).

Der Beschwerdeführer ist daher durch den angefochtenen Bescheid in den von ihm genannten verschiedenen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nicht verletzt.

1.3. Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art6 EMKR behauptet, weil die überlange Ver­fahrensdauer nicht ausreichend bei der Strafbemessung berücksichtigt worden sei, ist ihm entgegenzuhalten, dass die OBDK in der Dauer des Disziplinarverfahrens insgesamt eine unangemessen lange Verzögerung erkannt und diesen Umstand bei der Strafbemessung als Milderungsgrund berücksichtigt hat. Ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist ihr dabei nicht unterlaufen (vgl. VfSlg 16.550/2002).

Der Beschwerdeführer ist daher nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK verletzt worden.

1.4. Es ist nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer in einem anderen, von ihm nicht geltend gemachten, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden ist.

Der Beschwerdeführer ist daher durch den angefochtenen Bescheid nicht in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden.

2. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

3. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde – wie im vorliegenden Fall – gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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