VfGH V15/12

VfGHV15/1214.3.2012

Individualantrag eines Wirtschaftstreuhänders und Steuerberaters auf Aufhebung von Bestimmungen der Wirtschaftstreuhandberufs-Ausübungsrichtlinie 2003 betreffend die Fortbildung unzulässig; unzulässige Abgrenzung der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen

Normen

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
Wirtschaftstreuhandberufs-Ausübungsrichtlinie 2003 §3
WirtschaftstreuhandberufsG §83
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
Wirtschaftstreuhandberufs-Ausübungsrichtlinie 2003 §3
WirtschaftstreuhandberufsG §83

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Anlassverfahren und Antragsvorbringen

1. Mit dem auf Art139 Abs1 letzter Satz B-VG

gestützten Antrag begehrte der Antragsteller, §3 Abs2 4. Satz, §3 Abs6 und §3 Abs7 der Richtlinie des Vorstandes der Kammer der Wirtschaftstreuhänder über die Ausübung der Wirtschaftstreuhandberufe

(Wirtschaftstreuhandberufs-Ausübungsrichtlinie 2003 - WT-ARL 2003, in der Fassung ABl-KWT Sondernummer I/2011; im Folgenden: WT-ARL 2003) als gesetzwidrig aufzuheben. Der Antragsteller macht geltend, durch die genannten Bestimmungen im Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums, auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt zu werden. Der Antragsteller rügt weiters, dass die angefochtenen Bestimmungen gegen Art18 B-VG verstießen sowie eine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit iSd Art49 AEUV darstellten.

2. Zur Antragslegitimation führt der Antragsteller aus, er sei selbstständig tätiger Steuerberater und Wirtschaftstreuhänder iSd §1 Abs1 Wirtschaftstreuhandberufsgesetz - WTBG (im Folgenden: WTBG) und als solcher ordentliches Mitglied der Kammer der Wirtschaftstreuhänder gemäß §163 Abs2 Z1 WTBG. Als solches sei er direkter Adressat der WT-ARL 2003.

Zur Frage des zumutbaren Weges, die Prüfung der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen der WT-ARL 2003 auf andere Weise als mittels eines Individualantrags gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, führt der Antragsteller wörtlich aus:

"Der Verfassungsgerichtshof hält in ständiger Rechtsprechung eine Anfechtung einer Norm durch Individualantrag iSd Art139 Abs1 letzter Satz B-VG für zulässig, wenn die Norm unmittelbar in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreift und seine Interessen beeinträchtigt. Ein derartiger Eingriff ist dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Vorschrift selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die rechtlich geschützten Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtwidrigen Eingriffes zur Verfügung steht.

Dies geschieht im vorliegenden Fall dadurch, dass der Antragsteller de lege lata durch die bekämpfte Verordnung dazu angehalten ist, entsprechende Terminplanungen nur aufgrund von verpflichtenden Besuchen von Fortbildungsveranstaltungen vorzunehmen, was vor allem bei einer kleinen Wirtschaftstreuhandkanzlei mit geringem Personalstand, wie der des Antragstellers, auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen kann. Es ist dem Antragsteller auch nicht zumutbar, sich verbotswidrig zu verhalten, ein Disziplinarverfahren zu provozieren, eine Verurteilung abzuwarten und erst im Wege einer gegen das Disziplinarerkenntnis gerichteten Beschwerde nach Art144 B-VG die Möglichkeit der Anregung einer Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Verbots zu erlangen.

Die Nichtbeachtung der bekämpften Fortbildungsverpflichtung nach §3 WT-ARL 2003 hätte zwingend ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller nach §120 Z25 WTBG zur Folge. Auf diesen Umstand weist selbst der Vorstand der Kammer der Wirtschaftstreuhänder in seiner Sitzung vom 01.06.2011 ausdrücklich hin. Der Verfassungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass es bei der Beurteilung der Antragslegitimation auch darauf ankommt, ob die Ausschöpfung eines allenfalls zur Verfügung stehenden Rechtsweges dem Antragsteller zugemutet werden kann. Die Provozierung eines Strafbescheides oder das Warten auf die Einleitung eines Straf- oder Disziplinarverfahrens wird dabei als unzumutbar betrachtet." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

II. Rechtslage

1. Die §§83 und 120 WTBG, BGBl. I 58/1999, in der Fassung BGBl. I 39/2010, lauten auszugsweise:

"Ausübungsrichtlinie

§83. (1) Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder hat

eine Richtlinie für die Ausübung der Wirtschaftstreuhandberufe zu erlassen.

(2) Diese Richtlinie hat insbesondere zu regeln:

1. das standesgemäße Verhalten im Geschäftsverkehr mit Auftraggebern,

2. das standesgemäße Verhalten gegenüber anderen Berufsberechtigten, Berufsanwärtern und Personen anderer Berufe, die durch die Ausübung des Wirtschaftstreuhandberufes berührt werden,

3. die Kontrolle der sonstigen Pflichten von Berufsberechtigten,

4. angemessene Vorkehrungen zum Schutz der Berufsberechtigten von einer Ausnutzung durch die organisierte Kriminalität und einer Verwicklung in diese.

5. die nähere Ausgestaltung der Sorgfaltspflichten im Hinblick auf Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung,

6. die Erstellung von Risikoprofilen betreffend Geschäftsbeziehungen im Hinblick auf Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung und

7. Anleitungen betreffend erweiterter Sorgfaltspflichten für risikoreiche Geschäfte im Hinblick auf Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung.

(3) Diese Richtlinie ist im Amtsblatt der Kammer der Wirtschaftstreuhänder und im Internet auf der Homepage der Kammer der Wirtschaftstreuhänder kundzumachen. Die im Internet kundgemachten Inhalte müssen jederzeit ohne Identitätsnachweis und gebührenfrei zugänglich sein und in ihrer kundgemachten Form vollständig und auf Dauer ermittelt werden können.

[...]

Berufsvergehen

§120. Ein Berufsvergehen begeht, wer

[...]

25. eine in der Ausübungsrichtlinie gemäß §83

normierte Pflicht verletzt oder

[...]."

2. Die WT-ARL 2003 wird auf Grund von §83 WTBG

erlassen. §3 WT-ARL 2003 lautet:

"Fortbildungsverpflichtung

§3 (1) Berufsberechtigte natürliche Personen sind verpflichtet, ihre beruflichen

Kenntnisse stets auf dem Laufenden zu halten. Die Fortbildungsverpflichtung gilt für Berufsberechtigte, die das Ruhen ihrer Befugnis gemäß §97 WTBG erklärt haben, gleichermaßen, es sei denn sie üben keine facheinschlägige Tätigkeit aus.

(2) Berufsberechtigte sind verpflichtet, sich laufend im Ausmaß von 120 Stunden, verteilt auf drei Jahre fortzubilden. Pro Kalenderjahr hat das Ausmaß der Fortbildung zumindest 30 Stunden zu betragen. Die Fortbildungsverpflichtung hat durch die Teilnahme [an] facheinschlägigen Fortbildungsveranstaltungen oder durch Selbststudium zu erfolgen. Zur Erfüllung des vorgeschriebenen Umfanges der Fortbildung kann das Selbststudium im Ausmaß von höchstens 10 Stunden pro Kalenderjahr herangezogen werden. In dem Kalenderjahr, in welchem eine Fachprüfung nach dem WTBG erfolgreich abgelegt wird, entfällt die Fortbildungsverpflichtung.

(3) Auf den Umfang der Fortbildungsverpflichtung

können facheinschlägige Tätigkeiten als Schriftsteller, Lektor, Vortragender, Prüfungskommissär und als Mitglied in Fachgremien der Kammer der Wirtschaftstreuhänder, des Instituts Österreichischer Wirtschaftsprüfer, des Instituts Österreichischer Steuerberater, des Österreichischen Rechnungslegungskomitees und vergleichbarer Organisationen im Ausmaß von höchstens 20 Stunden pro Kalenderjahr angerechnet werden.

(4) Zu Vortragstätigkeiten im Sinne des Abs3 sind

auch Vorbereitungszeiten zu zählen. Diese sind pauschal mit dem Zweifachen der Vortragszeit dieser hinzuzurechnen.

(5) Lehreinheiten von zumindest 45 Minuten gelten als eine Stunde im Sinne der Abs2 und 3.

(6) Die in einem Kalenderjahr absolvierten Fortbildungsmaßnahmen sind der Kammer der Wirtschaftstreuhänder bis spätestens 31. März des Folgejahres unter Verwendung eines von der Kammer der Wirtschaftstreuhänder zu diesem Zweck bereitzustellendes Formular schriftlich oder auf elektronischem Wege bekannt zu geben.

(7) Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder ist zur Überprüfung der übermittelten Meldungen über die absolvierten Fortbildungsmaßnahmen berechtigt. In diesem Zusammenhang sind die Berufsberechtigten verpflichtet, die für die Überprüfung der Meldungen erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die erforderlichen Unterlagen vorzulegen."

III. Erwägungen zur Zulässigkeit des Antrags

1. Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung - im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt.

2. Nicht jedem Normadressaten kommt aber die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht

(VfSlg. 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).

3. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit

VfSlg. 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 15.527/1999, 16.425/2002 und 16.426/2002).

4. Unzulässig ist ein Antrag gemäß Art139 Abs1

letzter Satz B-VG dann, wenn der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Gesetzwidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl. zB VfSlg. 16.191/2001, 13.299/1992, 14.740/1997).

Der Antragsteller bringt Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des §3 Abs2 4. Satz, des §3 Abs6 und des §3 Abs7 WT-ARL 2003 vor. §3 Abs2 4. Satz WT-ARL 2003 bestimmt, dass "[z]ur Erfüllung des vorgeschriebenen Umfanges der Fortbildung [...] das Selbststudium im Ausmaß von höchstens 10 Stunden pro Kalenderjahr herangezogen werden [kann]." Die Abs6 und 7 des §3 WT-ARL 2003 besagen, dass die in einem Kalenderjahr absolvierten Fortbildungsmaßnahmen der Kammer der Wirtschaftstreuhänder bis spätestens 31. März des Folgejahres unter Verwendung eines von der Kammer der Wirtschaftstreuhänder zu diesem Zweck bereitzustellenden Formulars schriftlich oder auf elektronischem Wege bekannt zu geben sind. Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder ist zur Überprüfung der übermittelten Meldungen über die absolvierten Fortbildungsmaßnahmen berechtigt. In diesem Zusammenhang sind die Berufsberechtigten verpflichtet, die für die Überprüfung der Meldungen erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die erforderlichen Unterlagen vorzulegen.

Würden die dem Begehren des Antragstellers

entsprechend angefochtenen Bestimmungen der WT-ARL 2003 aus der Rechtsordnung eliminiert, wäre damit nicht eine Rechtslage hergestellt, auf welche die vom Antragsteller ins Treffen geführten Bedenken nicht mehr zuträfen. §3 Abs2 4. Satz, §3 Abs6 und §3 Abs7 WT-ARL 2003 normieren nämlich nicht abschließend jene Fortbildungsverpflichtungen, welche die Berufspflichtigen der Wirtschaftstreuhandberufe treffen. Die behauptete Gesetzwidrigkeit bliebe also im Falle der Aufhebung von §3 Abs2 4. Satz, §3 Abs6 und §3 Abs7 WT-ARL 2003 bestehen. Da das Ziel eines Individualantrages in der Behebung der geltend gemachten Rechtsverletzung zu erblicken ist, kann die Antragslegitimation nur bejaht werden, wenn die Aufhebung der angefochtenen Norm die Rechtsposition des Antragstellers dergestalt verändert, dass die behaupteten belastenden Rechtswirkungen entfallen (Schäffer, Art140 B-VG, in Kneihs/Lienbacher (Hg), Rill-Schäffer-Kommentar, 8. Lfg [2011] Rz 59; vgl. dazu auch VfSlg. 14.498/1996, 14.526/1996). Dieses Ziel des Aufhebungsantrags würde im konkreten Fall gerade nicht erreicht, sodass der Individualantrag schon aus diesem Grund unzulässig ist.

5. Darüber hinaus müssen nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Grenzen der Aufhebung so gezogen werden, dass einerseits der verbleibende Teil der Rechtsvorschriften nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und andererseits die mit der aufzuhebenden Vorschrift in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen dennoch erfasst sind (zB VfSlg. 14.044/1995, 14.180/1995, 14.466/1996). Da diesem Erfordernis durch das Ausscheiden von §3 Abs2 4. Satz, §3 Abs6 und §3 Abs7 WT-ARL 2003 aus der Rechtsordnung nicht Folge geleistet werden könnte und sich an der geltend gemachten Rechtsposition des Antragstellers nichts ändern würde, ist der Antrag auch aus diesem Grund zurückzuweisen.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Antrag ist daher mangels Legitimation des Antragstellers als unzulässig zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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