VfGH B640/09

VfGHB640/0928.6.2011

B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall

 

Spruch:

I. Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Das Land Tirol ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.860,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und amtswegiges Gesetzesprüfungsverfahren

1. Mit Antrag vom 19. Dezember 2006 zeigten die Beschwerdeführer - ein Ehepaar - bei der Bezirks-Grundverkehrskommission (im Folgenden: BGVK) einen gerichtlichen Vergleich vom 13. Dezember 2006 an, der vor dem Bezirksgericht Innsbruck zwischen den Beschwerdeführern als außerbücherlichen Eigentümern und dem grundbücherlichen Eigentümer abgeschlossen wurde und eine näher bezeichnete Liegenschaft betrifft. In diesem Vergleich erteilt der bücherliche Eigentümer ausdrücklich und unwiderruflich die Einwilligung, dass auf Grund der eingetretenen Ersitzung an dem bezeichneten Grundstück die Einverleibung des Eigentumsrechtes für die Beschwerdeführer je zur Hälfte erfolge.

Die Beschwerdeführer bringen in ihrem Antrag vor, dass es sich bei diesem Grundstück um eine im Freiland liegende Wiese handle, die von ihnen seit mehr als 30 Jahren wie von Eigentümern genutzt worden sei. Seit dieser Zeit würden von ihnen auch die gesamten Grundabgaben beglichen. Hinsichtlich dieser Liegenschaft würden sie bei der Gemeinde A. und beim Finanzamt als Eigentümer geführt.

§4 Abs2 litb des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1996 (im Folgenden: TirGVG 1996) unterstelle jeden originären Erwerb des Eigentums an land- oder forstwirtschaftlichen Grundstücken der Genehmigungspflicht. Nach Auffassung der Beschwerdeführer unterliege aber der Rechtserwerb der Ersitzung als originäre Erwerbsform keiner grundverkehrsbehördlichen Genehmigung, da unter die Kompetenz des Landesgesetzgebers betreffend den "Grundverkehr" nur der rechtsgeschäftliche Liegenschaftsverkehr falle.

Unter Hinweis auf das Verbot der Inländerdiskriminierung stützen sich die Beschwerdeführer subsidiär auf das Urteil des EuGH 23.9.2003, Rs. C-452/01 , Ospelt, Slg. 2003, I-09743, und weisen darauf hin, dass die ordentliche Bewirtschaftung durch mehr als 30 Jahre durch Verpachtung sicher gestellt sei und die Beschwerdeführer bereit seien, den bestehenden Pachtvertrag auch weiterhin aufrecht zu erhalten.

Die Beschwerdeführer beantragten, die BGVK möge feststellen, dass für den gegenständlichen Rechtserwerb keine Genehmigung erforderlich sei, in eventu möge die Genehmigung erteilt werden, da die ordnungsgemäße Bewirtschaftung sicher gestellt sei.

1.1. Die BGVK versagte dem Rechtserwerb die Genehmigung. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Berufung wies die Landes-Grundverkehrskommission (im Folgenden: LGVK) beim Amt der Tiroler Landesregierung mit Bescheid als unbegründet ab; u.a. weil eine Selbstbewirtschaftung der Liegenschaft durch die Erwerber nicht beabsichtigt sei.

Dagegen erhoben die Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der den Bescheid mit Erkenntnis vom 15. Dezember 2008, B2138/07, wegen Anwendung einer rechtswidrigen Norm (vgl. VfSlg. 18.656/2008) aufhob.

1.2. Mit Ersatzbescheid vom 2. April 2009 wies die LGVK nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung die Berufung wiederum als unbegründet ab und änderte den Spruch des erstinstanzlichen Bescheides dahingehend ab, dass gemäß §4 Abs2 litb iVm §6 Abs1 lita TirGVG 1996 dem Rechtserwerb die Genehmigung versagt werde.

Begründend führt die LGVK aus:

Außer Streit stehe, dass es sich um ein land- bzw. forstwirtschaftliches Grundstück im Sinne der Bestimmungen des §2 Abs1 TirGVG 1996 handle und die Beschwerdeführer keine Ausländer seien.

Die Beschwerdeführer hätten eine Vergleichsausfertigung des Bezirksgerichtes Innsbruck vorgelegt, wonach der Beklagte dem Rechtserwerb zustimme und seine ausdrückliche und unwiderrufliche Einwilligung hinsichtlich des in Rede stehenden Grundstückes zur grundbücherlichen Einverleibung des Eigentumsrechtes für die Beschwerdeführer je zur Hälfte erteilt habe. Die LGVK gehe davon aus, dass es sich bei dem gegenständlichen Erwerb um einen originären Rechtserwerb handle, der nach §4 Abs2 litb TirGVG 1996 der Genehmigung durch die Grundverkehrsbehörde bedürfe. Die Genehmigungsvoraussetzungen nach §6 leg.cit. müssten auch hier erfüllt werden.

Das Grundstück, GB A., habe ein Ausmaß von 2.797 m2. Die Beschwerdeführer hätten sonst keine landwirtschaftlichen Grundstücke und auch keine Hofstelle. Das Grundstück sei keine ausreichende Betriebsbasis zur Führung eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes. Durch den Erwerb je eines ideellen Hälfteanteils würden die gegenwärtigen Besitzverhältnisse in eine agrarpolitisch unerwünschte Richtung verändert werden. Der Rechtserwerb widerspreche daher den öffentlichen Interessen an der Erhaltung oder Stärkung eines leistungsfähigen Bauernstandes bzw. dem öffentlichen Interesse an der Schaffung oder Erhaltung eines wirtschaftlich gesunden land- oder forstwirtschaftlichen Grundbesitzes.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird. Bezüglich ihrer Bedenken ob der Kompetenzwidrigkeit des §4 Abs2 litb TirGVG 1996 verweisen die Beschwerdeführer zunächst darauf, dass das Bundesministerium für Justiz bereits in der zusammenfassenden Stellungnahme des Bundes vom 17. Juni 1993 zum Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Grundstücken in Tirol (TirGVG 1993) kompetenzrechtliche Bedenken hinsichtlich des originären Eigentumserwerbs geäußert und zu §4 u.a. ausgeführt habe:

"Der Abs2 litc (originärer Eigentumserwerb) müßte entfallen. Zunächst kann der Rechtserwerb durch Ersitzung keine Rolle spielen, die seine gesonderte Regelung rechtfertigt. Ein Fall könnte etwa die Ersitzung nach einem Kaufvertrag mit einem Nichtberechtigten sein; hier ist aber gar nicht erkennbar, daß ein originärer und nicht derivativer Erwerb vorliegt, der Kaufvertrag muß ohnedies genehmigt sein. Der zweite praktisch bedeutsame Fall wäre die Feststellung einer strittigen Grenze anhand des Besitzes (und damit der Ersitzung) während der letzten 30 (allenfalls 40) Jahre; diese Möglichkeit wäre durch die grundverkehrsrechtliche Erfassung beseitigt, was ganz unzweckmäßig wäre. Die Ersitzung ist im übrigen als Umgehungsvorgang ungeeignet, weil dabei der gute Glaube des Erwerbers - die Meinung das ausgeübte Recht, in der Regel das Eigentum, stehe ihm tatsächlich zu - jedenfalls ausgeschlossen ist. Außerdem steht schon der zur Ersitzung erforderliche Zeitraum von 30 (allenfalls sogar 40) Jahren einer Umgehung entgegen. Es müßte sohin genügen, alle Rechtsgeschäfte zu erfassen, durch die oder auf Grund deren Eigentum oder andere aufgezählte Rechte erworben werden sollen."

3. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §4 Abs2 litb des TirGVG 1996 ein. Mit Erkenntnis vom 28. Juni 2011, G11/11, hob er diese Bestimmung als verfassungswidrig auf.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerde ist begründet.

Die belangte Behörde hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war.

Die Beschwerdeführer wurden also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.404/1985).

Der Bescheid war daher aufzuheben.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,--, eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,-- sowie ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 200,-- enthalten.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte