VfGH V34/11

VfGHV34/1119.9.2011

Gesetzwidrigkeit einer Automatenverordnung; Überschreitung der gesetzlichen Verordnungsermächtigung in der Gewerbeordnung durch Festlegung einer Verbotszone in unmittelbarer Nähe aller Haltestellen im gesamten Stadtgebiet

Normen

B-VG Art18 Abs1, Abs2
AutomatenV der Stadtgemeinde Hall in Tirol vom 05.10.04
GewO 1994 §52 Abs4
B-VG Art18 Abs1, Abs2
AutomatenV der Stadtgemeinde Hall in Tirol vom 05.10.04
GewO 1994 §52 Abs4

 

Spruch:

I. Die Wortfolge "Zone I: In unmittelbarer Nähe der im gesamten Stadtgebiet vorhandenen öffentlichen Haltestellen (Schulbushaltestellen und Annahmestellen - IVB, ÖBB, Post und Regiobus)" in §1 der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Hall in Tirol vom 5. Oktober 2004 über die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, kundgemacht in der Stadtzeitung von Hall in Tirol, Nr. 36/2004 vom 7. Oktober 2004 sowie durch Anschlag an der Amtstafel des Stadtamtes Hall in Tirol im Zeitraum vom 8. bis 25. Oktober 2004, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Der Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B74/10 eine Beschwerde gegen den im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol (in der Folge: UVS Tirol) anhängig, mit dem dem Beschwerdeführer zur Last gelegt wurde, er habe als Inhaber der Gewerbeberechtigung "Handelsgewerbe" am näher bezeichneten Standort in 5600 St. Johann im Pongau gewerbsmäßig in der Zeit vom 18. April 2008 bis 30. Jänner 2009 am näher bezeichneten Standort in 6060 Hall in Tirol, direkt bei der Bushaltestelle einen Kaugummiautomaten betrieben und diesen nicht entfernt, obwohl dies gemäß §52 Abs4 Gewerbeordnung 1994 (im Folgenden: GewO 1994) in Verbindung mit der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Hall in Tirol vom 5. Oktober 2004 über die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten untersagt worden sei. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß §367 Z15 iVm §52 Abs4 GewO 1994 sowie iVm der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Hall in Tirol begangen.

2. Aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der Wortfolge "Zone I: In unmittelbarer Nähe der im gesamten Stadtgebiet vorhandenen öffentlichen Haltestellen (Schulbushaltestellen und Annahmestellen - IVB, ÖBB, Post und Regiobus)" in §1 der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Hall in Tirol vom 5. Oktober 2004 über die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten entstanden, welche ihn veranlasst haben, diese Bestimmung mit Beschluss vom 22. Februar 2011 von Amts wegen in Prüfung zu ziehen.

II.

1. Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Hall in Tirol vom 5. Oktober 2004 über die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, kundgemacht in der Stadtzeitung von Hall in Tirol, Nr. 36/2004 vom 7. Oktober 2004 sowie durch Anschlag an der Amtstafel des Stadtamtes Hall in Tirol im Zeitraum vom 8. bis 25. Oktober 2004, lautet (die in Prüfung gezogene Wortfolge ist hervorgehoben):

"Auf Grund des §52 Abs4 Gewerbeordnung 1994 - GewO 1994, BGBl. Nr. 194/1994, idgF, wird die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind, für nachstehende Gebiete, Straßen und Plätze sowie die davon umfassten Zonen im Bereich der Stadtgemeinde Hall untersagt:

§1 Gebiete, Straßen und Plätze

Zone I: In unmittelbarer Nähe der im gesamten Stadtgebiet vorhandenen öffentlichen Haltestellen (Schulbushaltestellen und Annahmestellen - IVB, ÖBB, Post und Regiobus)

Zone II: Bozner Straße - Scheidensteinstraße - Badgasse - Reimmichlstraße (Freischwimmbad - Minigolf - Tennisplätze)

Zone III: Stadtgraben - Kathreinstraße - Fuxmagengasse - Straubstraße - durch den Kurpark bis zur Thurnfeldgasse - Thurnfeldgasse - Stadtgraben - Milser Straße - Schulgasse - Stiftsplatz - Eugenstraße - Schweighoferstiege - Unterer Stadtplatz - Gerbergasse - Stolzstraße - Stadtgraben (Gymnasium der Franziskaner, Schülerheim, Hauptschule Dr. Posch und Europahauptschule, Volksschulen am Stiftplatz und am Unteren Stadtplatz, Sonderpädagogisches Zentrum, Park In Jugendhaus, städtische und private Kindergärten)

Zone IV: Sparberegg - Milserstraße - Faistenbergerstraße - Weißenbachstraße - Bei der Säule - Kaiser-Max-Straße bis in die Einmündung Sparberegg (Volks- und Hauptschule sowie Kindergarten Schönegg)

§2 Strafbestimmungen

Eine Verwaltungsübertretung gem. §367 Z15 GewO 1994, die mit einer Geldstrafe bis zu EUR 2.180,- zu bestrafen ist, begeht, wer ein Gewerbe mittels Automaten entgegen dieser Verordnung ausübt.

§3 Inkrafttreten

(1) Alle bisher ergangenen Verordnungen der Stadtgemeinde Hall, soweit sie mit dieser Verordnung im Widerspruch stehen, werden mit dem Inkrafttreten dieser Verordnung aufgehoben

(2) Diese Verordnung tritt mit dem Tage der Kundmachung in Kraft.

Der Bürgermeister Leo Vonmetz e.h."

2. §52 Abs4 GewO 1994, BGBl. 194/1994, lautet:

"(4) Soweit dies zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben oder vor den Gefahren des Straßenverkehrs erforderlich ist, kann die Gemeinde durch Verordnung die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind,

1. im näheren Umkreis von Schulen, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden,

2. bei Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Wege zur oder von der Schule benützt werden,

3. bei Schulbushaltestellen, die von unmündigen Minderjährigen benützt werden,

4. auf Plätzen oder in Räumen, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen besucht werden, oder

5. im näheren Umkreis der in Z4 angeführten Plätze und Räume untersagen."

III.

1. Der Verfassungsgerichtshof ging im Prüfungsbeschluss vorläufig davon aus, dass die Beschwerde zulässig ist, dass der UVS Tirol bei Erlassung des angefochtenen Bescheides §1 der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Hall in Tirol über die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten angewendet hat und auch der Verfassungsgerichtshof diese Bestimmung im Verfahren B74/10 anzuwenden hätte.

2. In der Sache hegte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass die verordnungserlassende Behörde bei Festlegung einer Verbotszone in unmittelbarer Nähe der im gesamten Stadtgebiet der Stadtgemeinde Hall in Tirol vorhandenen öffentlichen Haltestellen die durch §52 Abs4 GewO 1994 eingeräumte Ermächtigung des Gesetzgebers überschritten habe. Ferner hatte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass auch gegen den Einleitungssatz des §52 Abs4 GewO 1994 verstoßen werde.

3. Der Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend sah von der Erstattung einer Äußerung ab.

4. Der Bürgermeister der Stadtgemeinde Hall in Tirol legte einen Plan der Stadtgemeinde Hall in Tirol vor, in dem sämtliche Haltestellen des öffentlichen Verkehrs und alle Kindergärten, Schulen, Spielplätze und andere Erholungs- und Freizeiteinrichtungen eingezeichnet sind, und erstattete eine Äußerung, in der er den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes im Wesentlichen Folgendes entgegenhielt: Da es sich beim Stadtgebiet von Hall in Tirol um ein sehr dicht verbautes Gebiet handle, in dem sich sehr viele unmündige Minderjährige aufhalten würden, würden sich die öffentlichen Bushaltestellen naturgemäß vor allem in unmittelbarer Nähe der von unmündigen Minderjährigen vorwiegend genutzten Einrichtungen (Kindergärten, Schulen, Freizeiteinrichtungen u.a.) befinden. Trotz dieses Umstandes stünde jedoch in ausreichendem Maße die Möglichkeit offen, das Automatengewerbe im Stadtgebiet auszuüben. Schließlich wies der Bürgermeister der Stadtgemeinde darauf hin, "dass es in der Natur der Sache liegt, dass öffentliche (Schulbus-)Haltestellen vor allem von unmündigen Minderjährigen frequentiert werden, da mündige Minderjährige zu einem großen Teil bereits über motorisierte Fahrzeuge verfügen, sodass sie auf öffentliche Verkehrsmittel nicht mehr angewiesen erscheinen".

5. Der Beschwerdeführer im Anlassverfahren verwies in seiner Äußerung im Wesentlichen auf die einschlägige Vorjudikatur des Verfassungsgerichtshofes.

IV.

1. Das Verfahren ist zulässig. Es ist nichts hervorgekommen, das an der Zulässigkeit der Beschwerde im Anlassverfahren und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Stelle der Verordnung zweifeln ließe.

2. Die vom Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken erweisen sich als begründet:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis VfSlg. 11.006/1986 zur Frage der Auslegung des §52 Abs4 Z2 GewO u.a. Folgendes ausgeführt:

"Für eine enge Auslegung der Verordnungsermächtigung sprechen auch die Ausführungen in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (798 BlgNR XV. GP, S 9):

'Mit der vorgesehenen neuen Verordnungsermächtigung des §52 Abs4, die auf eine Anregung des Dachverbandes der Elternvereine an den öffentlichen Pflichtschulen Österreichs zurückgeht, soll einer allzu großen Massierung von Automaten in der Nähe von Schulen, Kinderspielplätzen uä. entgegengetreten werden können.'

Dies zeigt, daß es nicht genügt, wenn die Haltestelle von einigen in der Umgebung wohnenden unmündigen Minderjährigen im üblichen Ausmaß benützt wird. Das Gesetz verlangt mehr: nämlich, daß die Haltestelle 'viel' - also öfter als andere Haltestellen - von unmündigen Minderjährigen auf dem Wege zur oder von der Schule benützt wird."

2.2. Angesichts des durch nachfolgende Novellen im Wesentlichen unverändert gebliebenen Wortlauts dieser Bestimmung hält der Verfassungsgerichtshof die in dem Erkenntnis VfSlg. 11.006/1986 (ebenso VfSlg. 11.117/1986, 11.716/1988) angestellten Überlegungen aufrecht.

Das Vorbringen des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Hall in Tirol vermag insgesamt nicht zu überzeugen:

Für die Gesetzwidrigkeit der geprüften Verordnungsstelle genügt es bereits, dass das durch §52 Abs4 Z2 GewO 1994 aufgestellte Erfordernis bei einer einzigen Haltestelle nicht gegeben ist (vgl. VfSlg. 11.117/1986). Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, dass es unwahrscheinlich ist, dass alle Haltestellen im gesamten Stadtgebiet von unmündigen Minderjährigen viel frequentiert werden (vgl. VfSlg. 11.006/1986, 11.117/1986, 11.716/1988), haben sich als zutreffend erwiesen: Der Annahme des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Hall in Tirol, dass sich auf Grund der dichten Besiedelung des Gebietes sämtliche öffentlichen Bushaltestellen naturgemäß vor allem in unmittelbarer Nähe der von unmündigen Minderjährigen vorwiegend genutzten Einrichtungen befinden, kann insbesondere mit Blick auf den dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Plan der Stadtgemeinde Hall in Tirol, aus dem ersichtlich ist, dass es zumindest im "peripheren Bereich" des Gemeindegebietes einige Haltestellen gibt, die sich nicht in unmittelbarer Nähe solcher Einrichtungen befinden, nicht gefolgt werden. Im Übrigen deutet auch das Argument des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Hall in Tirol, es blieben ohnehin in ausreichendem Maße Möglichkeiten offen, das Automatengewerbe im Stadtgebiet auszuüben, darauf hin, dass gerade nicht jede einzelne Haltestelle im Stadtgebiet dem Erfordernis des §52 Abs4 GewO 1994 entspricht.

3. Die im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes erweisen sich sohin als zutreffend. Die in Prüfung gezogene Wortfolge in §1 der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Hall in Tirol vom 5. Oktober 2004 über die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten ist als gesetzwidrig aufzuheben.

4. Der von der im Verfahren zu B74/10 beschwerdeführenden und im vorliegenden Verfahren mitbeteiligten Partei beantragte Kostenersatz für die Erstattung einer Äußerung im Verordnungsprüfungsverfahren war nicht zuzusprechen, da Kosten für Interventionen in amtswegig eingeleiteten Normenprüfungsverfahren durch den im Anlassverfahren zugesprochenen Pauschalsatz abgegolten werden (vgl. VfSlg. 16.305/2001, 16.566/2002).

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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