VfGH V123/10

VfGHV123/1028.11.2011

Individualantrag auf Aufhebung einer Verordnung betreffend ein Fahrverbot auf einem Güterweg unzulässig; Erwirkung einer Ausnahmebewilligung zumutbar

Normen

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
StVO 1960 §45
FahrverbotsV des Bürgermeisters der Gemeinde Dalaas betr den Güterweg "Dalaas-Kaiser" vom 03.09.10
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
StVO 1960 §45
FahrverbotsV des Bürgermeisters der Gemeinde Dalaas betr den Güterweg "Dalaas-Kaiser" vom 03.09.10

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I.

1. Die "Verordnung des Bürgermeisters über die Erlassung eines Fahrverbotes auf dem Güterweg

'Dalaas - Kaiser', Z710/GW Kaiser - 9/2010" lautet wie folgt:

"Gemäß §43 Abs1 litb (und Abs2 lita) der Straßenverkehrsordnung, BGBl Nr 159/1960, in der geltenden Fassung, in Verbindung mit §1 Abs1 der Verordnung über den übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde in Angelegenheiten der Straßenpolizei, LGBl Nr 30/1995, wird mit Rücksicht auf die Sicherheit des Verkehrs sowie die Lage, Widmung und die Beschaffenheit des Güterweges (sowie der Fernhaltung von Gefahren und Belästigungen) verordnet:

§1

Das Befahren des Güterweges mit Kraftfahrzeugen ist ab der Abzweigung der Gemeindestraße 'Poller' auf der gesamten Weganlage in beiden Fahrtrichtungen verboten.

§2

Vom Verbot sind außerhalb der in §3 angeführten Zeit ausgenommen:

a) Eigentümer der in die Güterweggenossenschaft einbezogenen Grundstücke, soweit die Benützung zur Ausübung ihrer Rechte an den beigezogenen Grundstücken erfolgt, dies gilt auch für Bauberechtigte, Dienstbarkeitsberechtigte, Pächter sowie Mieter von Wohnungen oder Wohnräumen, die der Deckung eines ganzjährig gegebenen Wohnbedarfes dienen, sofern die Nutzung der einbezogenen Grundstücke im Kostenaufteilungsschlüssel nach §13 Abs2 Güter- und Seilwegegesetz, LGBl Nr 25/1963, in der Fassung Nr 33/2008 berücksichtigt ist.

b) Eigentümer der mit einem Bringungsrecht belasteten Grundstücke, die nicht in die Güterweggenossenschaft einbezogen sind, soweit die Benützung zur Ausübung ihrer Rechte an den belasteten Grundstücken erfolgt; dies gilt auch für Bauberechtigte, Dienstbarkeitsberechtigte, Pächter und Mieter, die ihr Recht vom Eigentümer solcher Grundstücke ableiten.

c) Haushaltsberechtigte, Arbeitskräfte, Lieferanten, Handwerker und Erbringer land- und forstwirtschaftlicher Dienstleistungen der in lita und b angeführten Personen.

d) Personen die in lita oder b angeführte Personen oder Haushaltsangehörige in Wohnungen oder Wohnräumen, die der Deckung eines ganzjährigen gegebenen Wohnbedarfs dienen, besuchen.

e) Personen, die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, insbesondere Personen der Rettung, der Feuerwehr, der Polizei, des Gesundheitsdienstes, des Veterinärdienstes, der Forst-, Jagd-, und Fischereiaufsicht, der Wildbach- und Lawinenverbauung und der Wasserwirtschaft.

f) Jagnutzungsberechtigte der durch den Güterweg erschlossenen Jagden.

§3

Gemäß Spruchpunkt III./1.1.4. des Bescheides Zahl:

II-412-340 vom 24.07.1985 der Agrarbezirksbehörde Bregenz über die Gründung der Güterweggenossenschaft Dalaas - Kaiser, ist der Güterweg während der Wintersaison zur Sicherheit der Schiliftbenützer für jegliche Kraftfahrzeuge zu sperren.

§4

(1) Diese Verordnung ist gemäß §44 Abs3 StVO 1960

durch Anschlag an der Amtstafel der Gemeinde kundzumachen und im Gemeindeblatt zu verlautbaren.

(2) Sie tritt am 03. September 2010 in Kraft."

2. Die Antragsteller begehren mit ihrem, auf Art139 B-VG gestützten Antrag die Aufhebung der gesamten Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit. Zu ihrer Antragslegitimation führen sie u.a. Folgendes aus:

"Eingriff in die Rechtsphäre der Antragsteller:

Offensichtlich ist zwischenzeitlich auch die Gemeinde Dalaas zum Ergebnis gelangt, dass die Antragsteller über ein privates Zufahrtsrecht verfügen und dass bei der betreffenden Zufahrt von einer zumindest doppelten Rechtsnatur auszugehen ist. Wird die Zufahrt für land- und forstwirtschaftliche Zwecke iSd Güter- und Seilwegegesetzes benützt, sind die Agrarbehörden kompetenzrechtlich zuständig. Wird die Zufahrtstraße jedoch darüber hinaus, insbesondere für nicht land- und forstwirtschaftliche Zwecke verwendet, dann kann die Sperre nicht mehr mittels einem Bescheid, mit welchem Bringungsrechte eingeräumt wurden und mit welchem eine Sperre vorgesehen ist, wirksam durchgesetzt werden. Zu diesem Ergebnis musste die Behörde insbesondere auch darum kommen, weil die Bezirkshauptmannschaft Bludenz ein eingeleitetes Verwaltungsstrafverfahren gegen den Erstantragsteller, dieser hatte nämlich auch im vergangenen Winter seine Zufahrtsstraße (notwendigerweise) außerhalb der Liftbetriebszeiten benützt, aus diesem Grund wieder umgehend eingestellt hat.

Da die Zweitantragstellerin und der Drittantragsteller nicht grundbücherliche Eigentümer

(Miteigentümer) des Anwesens Paluda ... in 6752 Dalaas sind,

sind die Zweitantragstellerin und der Drittantragsteller auch nicht vom Gründungsbescheid der ABB vom 24.07.1985 erfasst bzw nicht Mitglied der Güterweggenossenschaft Dalaas-Kaiser. Mitglied sind nämlich nur jene Eigentümer (Miteigentümer), welchen zumindest ein Grundstück, welches in den genossenschaftlichen Verband einbezogenen bzw im Wegekataster angeführt wurde, gehört. Da ein Bescheid keine generellen Anordnungen enthält entfaltet eine bescheidmäßig angeordnete Sperre, im Gegensatz zu der hier bekämpften Verordnung, auch insofern, insbesondere für die Zweitantragstellerin und den Drittantragsteller, keine Wirkung. Im Übrigen leitet auch die Zweitantragstellerin ihr Recht auf ungehinderte Zu- und Abfahrt von einem Privatrecht ab. Sie benützt das betreffende Wegrecht nämlich seit mehr als vierzig Jahre, sodass sie etwaige Rechte schon längst ersessen hat.

Die nunmehr vom Bürgermeister der Gemeinde Dalaas erlassene und hier bekämpfte Verordnung verfolgt ausschließlich den Zweck, auch die private Zufahrtsstraße zum Wohnobjekt der Antragsteller zu sperren. Dies mittels behördlicher genereller Anordnung, weil der Gemeinde Dalaas die betreffenden Rechte privatrechtlich für die Betreibung des Paludaliftes fehlen.

Dadurch werden die Antragsteller aber nunmehr auch in ihren privaten Rechten massiv beeinträchtigt. So können die Antragsteller durch die hier bekämpfte Verordnung, welche generelle Wirkung entfaltet, ihre Zufahrtsstraße während der Wintersaison nicht mehr mittels Kraftfahrzeuge benützen. Die Zufahrt wurde ja mittels der hier bekämpften Verordnung während der Wintersaison für jegliche Kraftfahrzeuge komplett gesperrt. Das heißt für die Antragsteller, dass sie über eine Strecke von ca 500 Metern zu Fuß bergaufwärts gehen und sämtliche Versorgungsgüter tragen müssen. Zudem dürfte die 500 Meter lange Zufahrtsstraße aber auch nicht maschinell (mittels Kraftfahrzeug) vom Schnee geräumt werden. Dies hätte zur Folge, dass die Straße bei entsprechenden Schneeverhältnissen im Winter auch von Einsatzfahrzeugen (Arzt, Feuerwehr etc) nicht einmal mehr in Notfällen benützt werden könnte, was zusätzlich einen völlig unverhältnismäßigen Eingriff bedeuten würde (su). Neben der Tatsache, dass diesbezüglich auch Lebensgefahr gegeben ist, wurde durch die Verordnung nunmehr auch das gesamte Anwesen des Erstantragstellers völlig entwertet. Ohne ganzjährig gesicherte Zu- und Abfahrt sinkt der Wert der Liegenschaft (derzeit rund € 500.000,00, wobei rund € 200.000,00 hiervon vom Drittantragsteller geleistet wurden) ins Unermessliche.

Weiters verfolgt die hier bekämpfte Verordnung den Zweck, betreffend die vom Erstantragsteller eingeleiteten Gerichtsverfahren eine Rechtslage zu schaffen, welche sowohl für die Gemeinde als Liftbetreiberin als auch für den Obmann der Güterweggenossenschaft vor dem Zivilgericht günstig scheint. Die Gemeinde Dalaas hat somit eine Rechtslage geschaffen, welche im Zusammenhang mit den anhängigen Gerichtsverfahren für den Erstantragsteller ungünstig ist.

Im Übrigen droht den Antragstellern ein Strafverfahren, wenn sie die betreffende Verordnung missachten. Sie müssten sich daher zuerst mit einem oder mehreren Strafverfahren auseinandersetzen und jeweils einen aufwändigen Rechtsmittelweg beschreiten um zu ihrem Recht zu gelangen.

Sofern der Benutzerkreis durch die Verordnung dem rechtskräftigen Gründungsbescheid widerspricht bzw dieser vom Bürgermeister erweitert wurde, darf festgehalten werden, dass sich dadurch auch eine erhöhte Gefahrenquelle für die Antragsteller ergibt. So bedeutet ein Mehr an Straßenbenutzern auch ein Mehr an Gefahren. Einer Benutzung über den Gründungsbescheid hinaus hat der Erstantragsteller nie zugestimmt. Er hätte seine Zustimmung hierzu auch nie erteilt.

Zusammengefasst ist es somit evident, dass die Antragsteller ganz massiv und unmittelbar von der hier bekämpften Verordnung, welche de facto ausschließlich die Antragsteller betrifft, betroffen sind, sodass die Antragsteller auch zur Einbringung des hier gegenständlichen Individualantrages legitimiert sind."

(Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

3. Die Vorarlberger Landesregierung als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde erstattete eine Äußerung, in der sie der Antragslegitimation der Antragsteller entgegentritt und die Gesetzmäßigkeit der Verordnung verteidigt.

Der Bürgermeister erstattete eine Äußerung, in der er dem Vorbringen der Antragsteller entgegentritt. Dazu erstatteten die Antragsteller eine Replik.

II.

1. Der Verfassungsgerichtshof geht seit dem Beschluss VfSlg. 8058/1977 unter Hinweis auf VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Antragslegitimation nach Art139 Abs1 letzter Satz B-VG voraussetze, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art139 Abs1 B-VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11.684/1988, 14.297/1995, 15.349/1998, 16.345/2001 und 16.836/2003).

2. Der Verfassungsgerichtshof hat mehrfach ausgesprochen, dass die Möglichkeit der Erwirkung einer Ausnahmebewilligung gemäß §45 StVO 1960 zur Bekämpfung einer mittels Verordnung verhängten Verkehrsbeschränkung einen zumutbaren Weg zur Geltendmachung der behaupteten Rechtswidrigkeit dieser Verordnung eröffnet (vgl. VfSlg. 13.542/1993, 16.364/2001, 16.731/2002, 18.581/2008, 19.200/2010). Auch im vorliegenden Fall besteht für die Antragsteller gemäß §45 StVO 1960 die Möglichkeit, in einem (auf Antrag der Betroffenen einzuleitenden) Verwaltungsverfahren abzuklären, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung vom vorliegenden Fahrverbot gegeben sind. Liegen solche vor, so hat die Behörde durch Erteilung der beantragten Bewilligung die sonst für jedermann eintretende Verkehrsbeschränkung für die Antragsteller aufzuheben. Damit steht den Antragstellern ein Mittel zur Verfügung, die Wirkung der Verordnung von sich abzuwenden oder aber - wenn dieser Antrag erfolglos bleiben sollte - nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges in einer Beschwerde nach Art144 B-VG die Frage der Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Bürgermeisters von Dalaas über die Erlassung eines Fahrverbotes auf dem Güterweg "Dalaas- Kaiser", Z710/GW Kaiser - 9/2010, an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

3. Ein Individualantrag wäre in solchen Fällen nur bei Vorliegen besonderer, außergewöhnlicher Umstände zulässig (zB VfSlg. 13.871/1994 und die dort zitierte Vorjudikatur). Man gelangte andernfalls zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Charakter des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht in Einklang stünde (vgl. VfSlg. 8890/1980, 13.659/1993). Solche außergewöhnlichen Umstände liegen hier nicht vor.

III.

1. Der Antrag ist mangels Legitimation der Antragsteller als unzulässig zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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