VfGH B378/11

VfGHB378/1129.11.2011

B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall

 

Spruch:

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen

einen Bescheid der Berufungskommission beim Bundeskanzleramt (in der Folge: Berufungskommission), mit dem die Berufung des nunmehrigen Beschwerdeführers gegen einen Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres, Senat 3, vom 22. September 2010, mit der Maßgabe bestätigt wurde, dass gegen den nunmehrigen Beschwerdeführer wegen des Verdachts der mit Disziplinaranzeige vom 9. Juni 2009 angezeigten schuldhaften Dienstpflichtverletzung nach §44 Abs1 und §48 Abs1 iVm §91 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 - BDG 1979 auf Grund näher beschriebener Tatvorwürfe gemäß §124 Abs1 BDG 1979 eine mündliche Verhandlung anberaumt wird.

2. In der dagegen erhobenen, auf Art144 B-VG

gestützten Beschwerde wird die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt.

Zur behaupteten Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter bringt der Beschwerdeführer u.a. Folgendes vor:

"Grundsätzlich muss der Verhandlungsbeschluss mit dem Senat [der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres] gefasst werden, der der Geschäftseinteilung des Jahres 2009 (dem Anfallsjahr) zugrunde liegt. Die Geschäftseinteilung 2009 wurde aber [...] nicht ordnungsgemäß kundgemacht, sodass [...] eine 'Nichtbehörde' den gegenständlichen Verhandlungsbeschluss gefasst hat."

3. Die Berufungskommission als die im verfassungsgerichtlichen Verfahren belangte Behörde legte u.a. die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt und u.a. Folgendes ausführt:

"Zu den Ausführungen, dass die Geschäftsverteilung für das Jahr 2009 anzuwenden gewesen wäre, ist festzuhalten, dass die Frage der Zuständigkeit nach der Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides zu beurteilen ist (vgl. VfGH 8.12.2010, B1337/09-B1347/09).

Bei einem Verhandlungsbeschluss vom 22.9.2010 war

dies eindeutig die Geschäftsverteilung 2010. Soweit die jeweilige Geschäftsverteilung in ihren Allgemeinen Bestimmungen darauf verweist, dass der ursprünglich bestimmte Senat bis zur rechtskräftigen Erledigung der Rechtssache zuständig bleibt, kann dies verfassungskonform nur dahingehend ausgelegt werden, dass die Zuweisung zu einem Senat erhalten bleibt, nicht aber dass die gesamte Geschäftsverteilung eines vergangenen Jahres als geltend erklärt wird.

Eine verfassungskonforme Auslegung im Sinne der eindeutigen Erkennbarkeit des gesetzlichen Richters legt sich auch deshalb nahe, weil ansonsten eine sinnvolle Senatszusammensetzung nicht möglich wäre, würde auf die gesamte alte Geschäftsverteilung verwiesen. Dies würde nämlich bedeuten, dass auch in den alten Geschäftsverteilungen noch angeführte, aber mittlerweile bereits ausgeschiedene Mitglieder zu den Senaten (sei es als Mitglied oder als stellvertretendes Mitglied) beigezogen werden würden.

Sinn und Zweck einer Geschäftsverteilung kann aber nur die einheitliche Festlegung der Verteilung der Geschäfte sein. In der Geschäftsverteilung könnte jedes Jahr eine andere Senatszusammensetzung festgelegt werden, allerdings wäre dies - da die Geschäftsverteilung auch auf Fälle des §125 letzter Satz BDG Bedacht zu nehmen hat - wohl nicht zweckmäßig. Mit jeder Geschäftsverteilung erfolgt somit für die Zukunft eine Neuverteilung. Die Annahme eines Verweises auf eine alte Geschäftsverteilung entspricht somit nicht einer gesetzes- und verfassungskonformen Auslegung.

Der relevierte Verweis der Geschäftsverteilung 2010 hat für das gegenständliche Verfahren somit lediglich die Wirkung, dass der bisherige Senat auch den Verhandlungsbeschluss gefasst hat. Die Bestimmung des Senates (inklusive allfälliger Vertretungsregelungen) selbst aber erfolgt formal nach der Geschäftsverteilung 2010.

Dass allenfalls die Geschäftsverteilung 2009

mangelhaft kundgemacht war, hat keine Auswirkungen auf die Senatszusammensetzung 2010, da sich die Senatszusammensetzung aus der Geschäftsverteilung 2010 ergibt, wenngleich diese bestimmt, dass der bisherige Senat das Verfahren weiter zu führen hat. Mit dieser Anordnung ist der 'bisherige Senat' auch entsprechend kundgemacht, als sich der bisherige Senat nur aus Mitgliedern der noch in der laufenden Geschäftsverteilung vorgesehenen Mitglieder zusammensetzen kann. Im gegenständlichen Fall war der Senat für den Beschwerdeführer aus der Geschäftsverteilung 2010 erkennbar und ihm aus dieser Geschäftsverteilung in Verbindung mit dem Inhalt des ihm bereits zugestellten Einleitungsbeschlusses her bekannt und überprüfbar.

Ob der Senat für den Einleitungsbeschluss wegen eines allfälligen Mangels der Geschäftsverteilung 2009 ordnungsgemäß oder nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt war, ist auf Grund der Nichtanwendbarkeit der Geschäftsverteilung 2009 nicht entscheidend.

Da die Geschäftsverteilung 2010 für bereits aus den Vorjahren anhängige Verfahren an den ursprünglichen Senat anknüpft, ist auch dieser nach der Geschäftsverteilung 2010 heranzuziehen und sind auch allfällige[...] Geschäftsverteilungsfragen nach der Geschäftsverteilung 2010 inklusive all ihrer Regelungen zu beantworten.

Ungeachtet dessen ist auszuführen, dass einer Relevierung des Mangels der Geschäftsverteilung 2009 schon rein formal die im Zeitpunkt des Verhandlungsbeschlusses bereits vorliegende Rechtskraft des Einleitungsbeschlusses entgegensteht. Mit der im Zeitpunkt des Verhandlungsbeschlusses bestehenden Rechtskraft des Einleitungsbeschlusses ist auch ein Senat für die Geschäftsverteilung 2010 im Sinne ihrer allgemeinen Bestimmungen bindend bestimmt worden.

Die Auslegung des Beschwerdeführers hingegen würde der Geschäftsverteilung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellen. Der Berufungskommission ist es aber verwehrt, einer Verordnung einen inhaltlich gesetzwidrigen Inhalt zu unterstellen.

Diese Auslegung stimmt auch mit der vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 29. November 2010, V87/10, unter Punkt 4.2. vertretenen Rechtsauffassung überein. Demnach ist nämlich mit der Erlassung einer neuen Geschäftsverteilung der bisherigen Geschäftsverteilung materiell derogiert worden. In einem weiteren Erkenntnis vom 29. November 2010, V88/10, wurde dies unter Punkt 4.2. für den Fall des nächstfolgendes Jahres ebenfalls vertreten. Demnach wird mit der Erlassung einer neuen Geschäftsverteilung für das Folgejahr der bisherigen Geschäftsverteilung für das vorangegangene Jahr materiell derogiert. In weiterer Folge beschränkte sich der Verfassungsgerichtshof auf den Ausspruch, dass die Verordnung gesetzwidrig war. Würde man hingegen der Auffassung des Beschwerdeführers folgen, wäre in einem Disziplinarverfahren, das vor dem 28. Februar 2007 bzw. dem 31. Dezember 2007 eingeleitet wurde, aber noch andauert, die Geschäftsverteilung vor dem 28. Februar 2007 bzw. die Geschäftsverteilung 2007 ab dem 1. März 2007 noch anzuwenden. Diese Auslegung würde dazu führen, dass damit entgegen der Auffassung des Verfassungsgerichtshofes keine materielle Derogation, sondern eine Fortgeltung angenommen würde. Dieselbe Fallkonstellation - bezogen auf 2009 und 2010 - liegt aber im vorliegenden Fall vor. Der Geschäftsverteilung 2009 ist jedenfalls mit der Erlassung der Geschäftsverteilung 2010 derogiert worden. Jedenfalls lässt sich die Senatszusammensetzung für den Verhandlungsbeschluss der Geschäftsverteilung 2010 entnehmen." (Zitierung ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

II. Rechtslage

Die Allgemeinen Regelungen der "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2010 ab 1. Jänner 2010" der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres lauten - auszugsweise - wie folgt:

"Allgemeine Regelungen

[...]

Hinsichtlich der Zuständigkeit gilt Nachstehendes in der angeführten Reihenfolge:

1. Für die Zuständigkeit der Senate ist der Zeitpunkt des Anfalles der Rechtssache (Datum des Einlangens bei der Disziplinarkommission) maßgebend.

2. Der dadurch bestimmte Senat bleibt bis zur rechtskräftigen Erledigung der Rechtssache zuständig, selbst wenn inzwischen Veränderungen in der Geschäftsverteilung oder in der Zuweisung der Mitglieder oder Ersatzmitglieder zu den einzelnen Senaten eingetreten sein sollte.

[...]

4. Erweist sich die Anwendung von Ziffer 2.

tatsächlich unmöglich [...], so ist jener Senat heranzuziehen, der in Ansehung der dienstrechtlichen Stellung der/s Beamtin/Beamten nach der Geschäftsverteilung des aktuellen Jahres zuständig ist."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Entgegen der von der Berufungskommission in ihrer Gegenschrift vertretenen Auffassung hatte diese die "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2009 ab 1. Jänner 2009" der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres hier - in Beurteilung der Frage, welcher Senat der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides zuständig war - anzuwenden:

1.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt in ständiger Judikatur (VfSlg. 5373/1966, 8999/1980, 11.644/1988, 11.945/1989) die Auffassung, dass eine generelle Norm in einer Beschwerdesache nur dann präjudiziell ist, wenn sie die belangte Behörde im Anlassfall tatsächlich angewendet hat und wenn ihre faktische Anwendung durch die Behörde denkmöglich war, wenn sohin der Sachverhalt der angewendeten Norm zumindest denkmöglich subsumierbar ist (vgl. VfSlg. 4625/1963, 5373/1966) oder wenn sie - unabhängig von der tatsächlichen Anwendung durch die Behörde - jedenfalls anzuwenden war.

1.2. Die Berufungskommission meint in ihrer Gegenschrift, "dass einer Relevierung des Mangels der Geschäftsverteilung 2009 schon rein formal die im Zeitpunkt des Verhandlungsbeschlusses bereits vorliegende Rechtskraft des Einleitungsbeschlusses entgegensteht. Mit der im Zeitpunkt des Verhandlungsbeschlusses bestehenden Rechtskraft des Einleitungsbeschlusses ist auch ein Senat für die Geschäftsverteilung 2010 im Sinne ihrer allgemeinen Bestimmungen bindend bestimmt worden."

Für die Zusammensetzung des den Verhandlungsbeschluss fassenden Disziplinarsenates ist jedoch nicht maßgebend, wie der Disziplinarsenat zusammengesetzt war, der den Einleitungsbeschluss gefasst hat, sondern bestimmt sich die Senatszusammensetzung allein nach dem Zeitpunkt des Einlangens der Disziplinaranzeige bei der Disziplinarkommission. Gemäß Z1 und Z2 der im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides anwendbaren Zuständigkeitsbestimmungen der "Allgemeinen Regelungen" der Geschäftsverteilung der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres für das Jahr 2010 ist nämlich für die Zuständigkeit der Senate der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres der Zeitpunkt des Anfalles der Rechtssache (Datum des Einlangens bei der Disziplinarkommission) maßgebend und bleibt der dadurch bestimmte Senat bis zur rechtskräftigen Erledigung der Rechtssache zuständig, selbst wenn inzwischen Veränderungen in der Geschäftsverteilung oder in der Zuweisung der Mitglieder oder Ersatzmitglieder zu den einzelnen Senaten eingetreten sein sollten.

Die den Beschwerdeführer betreffende Disziplinaranzeige ist bei der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres am 15. Juni 2009 eingelangt. Um beurteilen zu können, ob der erstinstanzliche Bescheid vom zuständigen Senat erlassen worden war, hatte die Berufungskommission die Geschäftseinteilung "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2009 ab 1. Jänner 2009" anzuwenden. Denn die im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres in Geltung stehende, für das Jahr 2010 maßgebliche Geschäftseinteilung "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2010 ab 1. Jänner 2010" erstreckt mit ihren oben genannten Zuständigkeitsbestimmungen den zeitlichen Anwendungsbereich ausdrücklich auf die Geschäftseinteilung "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2009 ab 1. Jänner 2009", aus der sich somit der für die Erlassung des erstbehördlichen Bescheides zuständige Senat ergibt (vgl. auch den dem Erkenntnis VfGH 5.10.2011, V70,71/11, zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss VfGH 9.6.2011, B456/10). Nur für den Fall, dass die in der Geschäftsverteilung 2009 vorgesehene Zusammensetzung des Senates tatsächlich nicht mehr möglich ist (etwa wegen Ausscheidens von Mitgliedern), ist gemäß Z4 der Zuständigkeitsbestimmungen der "Allgemeinen Regelungen" der Geschäftsverteilung der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres für das Jahr 2010 der für den betreffenden Beamten nach der Geschäftsverteilung 2010 bestimmte Senat zuständig. Doch auch in diesem Fall ist die Beurteilung des zuständigen Senates auch anhand der Geschäftsverteilung 2009 erforderlich. Träfe die von der Berufungskommission in ihrer Gegenschrift vertretene Auffassung zu, die Geschäftsverteilung 2010 knüpfe nicht an die Geschäftsverteilung 2009 an, weil sonst "auch in den alten Geschäftsverteilungen noch angeführte, aber mittlerweile bereits ausgeschiedene Mitglieder zu den Senaten [...] beigezogen werden würden", so wäre die Bestimmung der Z4 der Zuständigkeitsbestimmungen der "Allgemeinen Regelungen" der Geschäftsverteilung der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres für das Jahr 2010 überflüssig.

Damit blieb nach Z1 und Z2 der Zuständigkeitsbestimmungen der "Allgemeinen Regelungen" der Geschäftsverteilung der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres für das Jahr 2010 der durch die Geschäftsverteilung für das Jahr 2009 bestimmte Senat zuständig. Der Bescheid, der mit dem Bescheid der belangten Behörde bestätigt wurde, war daher von jenem Senat der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres zu erlassen, dessen geschäftsverteilungsmäßige Rechtsgrundlage die "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2009 ab 1. Jänner 2009" der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres bildet. Diesem entspricht auch die personelle Zusammensetzung des Senates, der den mit dem angefochtenen Bescheid bestätigten Bescheid erlassen hat.

Damit trifft das Argument der Berufungskommission in ihrer Gegenschrift, dass "sich die Senatszusammensetzung aus der Geschäftsverteilung 2010 ergibt", weil mit der in dieser enthaltenen Anordnung, "dass der bisherige Senat das Verfahren weiter zu führen hat[, ...] der 'bisherige Senat' auch entsprechend kundgemacht [ist], als sich der bisherige Senat nur aus Mitgliedern der noch in der laufenden Geschäftsverteilung vorgesehenen Mitglieder zusammensetzen kann", und "der Senat für den Beschwerdeführer aus der Geschäftsverteilung 2010 erkennbar [war]", nicht zu. Es ist nicht ersichtlich, woraus sich aus der Geschäftsverteilung 2010 die geschäftsverteilungsmäßige Grundlage für Altfälle ergibt.

Es trifft zwar zu, dass die "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2009 ab 1. Jänner 2009" für das Jahr 2009 galt und ihr mit der mit "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2010 ab 1. Jänner 2010" überschriebenen Geschäftsverteilung der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres materiell derogiert wurde. Im Hinblick darauf hatte der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 20. September 2011, V75/11, den Ausspruch darauf zu beschränken, dass die Verordnung gesetzwidrig war (s. unten, Pkt. 2.1.). Der Umstand, dass die Geschäftsverteilung für das Jahr 2009 auf Grund ihrer materiellen Derogation durch die Geschäftsverteilung für das Jahr 2010 außer Kraft trat, ändert jedoch nichts an ihrer - durch die Zuständigkeitsbestimmungen der "Allgemeinen Regelungen" der Geschäftsverteilung der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres für das Jahr 2010 bewirkten - Anwendbarkeit auf Rechtssachen, die bei der Disziplinarkommission im Jahr 2009 anhängig wurden (vgl. auch VfGH 5.10.2011, V70,71/11).

1.3. Die belangte Behörde hatte ihre Entscheidung

daher auch auf die Bestimmungen über den Senat 3 der Geschäftsverteilung der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres für 2009 zu stützen. Daraus folgt aber, dass die Bestimmungen über den Senat 3 der Geschäftsverteilung der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres für das Jahr 2009 präjudiziell sind.

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 20. September 2011, V75/11, ausgesprochen, dass die Verordnung "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2009 ab 1. Jänner 2009" der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres gesetzwidrig war.

2.2. Gemäß Art139 Abs6 B-VG wirkt die Aufhebung einer Verordnung auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als gesetzwidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde liegenden Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art139 Abs6 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Verordnungsprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Verordnungsprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg. 10.616/1985, 10.736/1985, 10.954/1986). Im - hier allerdings nicht gegebenen - Fall einer Beschwerde gegen einen Bescheid, dem ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. 2.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg. 17.687/2005).

2.3. Die nichtöffentliche Beratung im Verordnungsprüfungsverfahren begann am 20. September 2011. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 17. März 2011 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde hatte bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als gesetzwidrig erkannte Verordnung anzuwenden. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass dadurch die Rechtssphäre des Beschwerdeführers nachteilig beeinflusst wurde. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt.

3. Die vom Beschwerdeführer behauptete

Gesetzwidrigkeit der "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2010 ab 1. Jänner 2010" der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres wegen mangelhafter Kundmachung liegt nicht vor. Die genannte Verordnung war im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres - worauf es hier allein ankommt (vgl. VfGH 8.12.2010, B1337/09 mwH) - bereits ordnungsgemäß kundgemacht.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Bescheid ist aufzuheben, weil die belangte Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides eine als gesetzwidrig erkannte Verordnung anzuwenden hatte.

2. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG abgesehen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,- enthalten.

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