VfGH B329/10

VfGHB329/1019.4.2010

VfGG §85 Abs2 / "Vollzug"
VfGG §85 Abs2 / Begründung des Antrages
VfGG §85 Abs2 / Börsenwesen
VfGG §85 Abs2 / Verwaltungsstrafrecht
VfGG §85 Abs2 / "Vollzug"
VfGG §85 Abs2 / Begründung des Antrages
VfGG §85 Abs2 / Börsenwesen
VfGG §85 Abs2 / Verwaltungsstrafrecht

 

Spruch:

Dem in der Beschwerdesache des Mag. K M, ..., vertreten durch die M Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, ..., gegen den am 25. Jänner 2010 mündlich verkündeten Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien, Z ..., gestellten Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird gemäß §85 Abs2 VfGG F o l g e gegeben.

Begründung

Begründung

1. Der Antragsteller ist Mitglied des Vorstands der

H. Bank AG. Dieses Unternehmen ist Mitglied der Wiener Börse. Mit Straferkenntnis der Finanzmarktaufsichtsbehörde (im Folgenden: FMA) vom 3. August 2009 wurde über ihn eine Geldstrafe in Höhe von € 2.000,-- wegen einer Verwaltungsübertretung nach §48a Abs1 Z2 lita iVm §48c BörseG (Marktmanipulation) verhängt. Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien, mündlich verkündet am 25. Jänner 2010, Z ..., wurde seine dagegen erhobene Berufung abgewiesen, der Tatvorwurf präzisiert und das Straferkenntnis der FMA bestätigt. Darüber hinaus wurde ihm ein Kostenbeitrag von € 400,-- vorgeschrieben.

2. In der dagegen gemäß Art144 B-VG an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wird u.a. der Antrag gestellt, ihr die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Zur Begründung führt der Beschwerdeführer aus, dass der Bewilligung der aufschiebenden Wirkung keine zwingenden öffentlichen Interessen entgegenstünden. Die Wirkungen des angefochtenen Bescheides würden sich nicht in der Verhängung einer Geldstrafe erschöpfen, sondern darüber hinaus dazu führen, dass das Börseunternehmen Wiener Börse AG die Pflicht habe, dafür Sorge zu tragen, dass der Antragsteller seine Erwerbstätigkeit als Geschäftsleiter eines Börsemitglieds nicht mehr länger ausüben kann. Gemäß §19 Abs1 Z1 Börsegesetz seien nämlich Börsemitglieder auszuschließen, wenn bei ihnen die Zulassungsvoraussetzungen nachträglich weggefallen sind. Nach §14 Abs1 Z4 Börsegesetz gehöre es zu den Zulassungsvoraussetzungen, dass weder das betreffende Unternehmen noch einer seiner Geschäftsleiter rechtskräftig nach §48c leg.cit. bestraft sind. Dem Börseunternehmen komme bei der Entscheidung über den Ausschluss von der Börsemitgliedschaft kein Ermessen zu. Der angefochtene Bescheid werde daher zur Folge haben, dass die Wiener Börse AG der H. Bank AG die Börsemitgliedschaft entzieht, wenn letztere den Antragsteller nicht als Geschäftsleiter abberuft. Der Antragsteller könne in diesem Fall auch nicht mehr als Geschäftsleiter eines anderen Börsemitglieds tätig sein und verliere daher seine bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit. Daraus würden Einkommenseinbußen und eine Schädigung seiner beruflichen Reputation resultieren.

3. Gemäß §85 Abs2 VfGG kann einer Beschwerde auf Antrag die aufschiebende Wirkung zuerkannt werden, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug des angefochtenen Bescheides für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

4. Nach §19 Abs1 Z1 BörseG sind Börsemitglieder von der Mitgliedschaft auszuschließen, wenn die Zulassungsvoraussetzungen weggefallen sind. Dies ist gemäß §14 Abs1 Z4 leg.cit. etwa dann der Fall, wenn einer der Geschäftsleiter des Börsemitglieds rechtskräftig nach §§48, 48b oder 48c leg.cit. bestraft ist.

Eine rechtskräftige Bestrafung wie jene des angefochtenen Bescheides entfaltet daher Tatbestandswirkung für die von der Börse auf ihrer Grundlage zu veranlassende Beendigung des Börsemitgliedschaftsverhältnisses (welches seit dem Börsefondsüberleitungsgesetz BGBl. I 11/1998 privatrechtlich organisiert ist; vgl. die RV 929 BlgNR 20. GP, 21). Im Hinblick darauf, dass im privatrechtlichen Verhältnis zwischen dem Börsemitglied und der Börse keine mit aufschiebender Wirkung ausgestatteten Rechtsbehelfe vorgesehen sind (§19 Abs2 BörseG schließt ein Besitzstörungsverfahren oder die Erlassung von einstweiligen Verfügungen in diesem Zusammenhang ausdrücklich aus), sieht es der Verfassungsgerichtshof als belegt an, dass eine Vollziehung des angefochtenen Bescheides für den Beschwerdeführer dazu führen würde, dass das Unternehmen, bei dem er als Vorstand bestellt ist, ihn als Vorstandsmitglied absetzen müsste, um den Ausschluss von der Börsemitgliedschaft abzuwenden. Mit der Umsetzung des angefochtenen Bescheides wären für den Beschwerdeführer daher nicht nur die Fälligkeit der Geldstrafe, sondern auch der (zumindest vorläufige) Verlust seiner Position im Unternehmen verbunden.

Der angefochtene Bescheid ist daher einem Vollzug zugänglich und sowohl hinsichtlich der Pflicht zur Zahlung der Geldstrafe als auch hinsichtlich seiner aus §19 BörseG resultierenden Folgewirkungen geeignet, für den Antragsteller unmittelbar nachteilige Folgen auszulösen.

5. Der Verfassungsgerichtshof hat die FMA, den UVS als belangte Behörde sowie - als die die für die Vollziehung der Rechtsfolgen des §19 BörseG verantwortliche Institution - die Wiener Börse AG eingeladen, zum Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung Stellung zu nehmen und zwar "insbesondere zur Frage, inwiefern der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung (allenfalls zwingende) öffentliche Interessen entgegenstehen".

Weder die belangte Behörde noch die Wiener Börse AG haben von der Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme und zur Geltendmachung öffentlicher Interessen Gebrauch gemacht.

Die FMA hat eine Stellungnahme abgegeben, in der sie zunächst darauf hinweist, "dass die Entscheidung über den Ausschluss eines Börsemitglieds gemäß §19 BörseG und die Beurteilung der Frage, ob die entsprechenden Voraussetzungen dafür gegeben sind, vom Börseunternehmen zu treffen ist". In weiterer Folge führt die FMA allgemein aus, dass "es grundsätzlich im öffentlichen Interesse [gelegen sei], dass nur solche Kreditinstitute Börsemitglieder sind, die alle Zulassungsvoraussetzungen erfüllen" und dass alle in §14 BörseG genannten Zulassungsvoraussetzungen im öffentlichen Interesse gelegen seien. Sie weist auf der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 15.646/1999) hin, wonach ein besonderes öffentliches Interesse an einem funktionierenden Kreditsektor bestehe, und schließt daraus, dass in gleicher Weise anzunehmen sei, dass ein öffentliches Interesse an einem funktionierenden Börsewesen bestehe. Zur Interessenabwägung führt die FMA ins Treffen, "dass es im Hinblick auf die §§14 und 19 BörseG nicht um die Durchsetzung der [mit dem angefochtenen Bescheid auferlegte] Geldstrafe geht, sondern eben um das Interesse an der Funktionsfähigkeit der Börse und des gesamten Finanzplatzes Österreich daran, dass nur solche Personen Geschäftsleiter eines Börsemitglieds sind, die über die erforderliche Zuverlässigkeit verfügen" (die bei einer rechtskräftigen Verurteilung wegen Marktmanipulation nicht mehr gegeben sei). Zu dieser Interessenabwägung habe der Beschwerdeführer aber nichts vorgebracht;

er habe damit seine diesbezügliche Darlegungs- und Konkretisierungspflicht verletzt (Hinweis auf VfGH B1054/96;

B999/01).

6. Im Hinblick auf die Ausführungen unter Punkt 4. geht der Verfassungsgerichtshof von der Vollzugstauglichkeit des angefochtenen Bescheides aus sowie davon, dass der Beschwerdeführer - jedenfalls hinsichtlich der als Folgewirkungen des Bescheides gemäß §19 BörseG von ihm zu befürchtenden Konsequenzen - die ihn betreffenden Nachteile hinreichend konkret dargelegt hat. Entgegen der Auffassung der FMA bezieht sich die Darlegungs- und Konkretisierungspflicht des Antragstellers gemäß §85 Abs2 VfGG nicht auf die (allein dem VfGH zukommende) "Interessenabwägung", sondern lediglich darauf, die (im Fall der sofortigen Vollziehung des Bescheides zu gewärtigenden) ihn treffenden Nachteile hinreichend konkret darzustellen. Dieser Verpflichtung ist der Antrag nachgekommen.

Dagegen wurde im Verfahren von keiner Partei geltend gemacht oder näher dargetan, aus welchen Gründen es im öffentlichen Interesse geboten wäre, dass der angefochtene Bescheid sofort vollzogen werden muss, d.h. ohne dass der Ausgang des verfassungsgerichtlichen Verfahrens abgewartet werden dürfte.

Die Wiener Börse AG hat von der Abgabe einer diesbezüglichen Äußerung Abstand genommen. Die Ausführungen der FMA beschränken sich darauf darzutun, dass dem Regelungssystem der §§14 und 19 BörseG generell öffentliche Interessen zugrunde liegen. Sie legt jedoch nicht dar, inwiefern sich daraus für den vorliegenden Fall eine spezielle Dringlichkeit ergibt und führt auch nicht näher aus, ob dieses Regelungssystem - jedenfalls - zwingend eine umgehende Vollziehung der einschlägigen Bescheide gebietet (somit, ob der aufschiebenden Wirkung ein zwingendes öffentliches Interesse iSd §85 Abs2 VfGG entgegensteht).

Nach Abwägung aller berührten Interessen ist daher davon auszugehen, dass der Vollzug des angefochtenen Bescheides für den Beschwerdeführer mit einem unverhältnismäßigen Nachteil im Sinn des §85 Abs2 VfGG verbunden wäre. Dem Antrag ist daher Folge zu geben.

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