VfGH V2/09

VfGHV2/092.3.2009

Aufhebung einer Bestimmung der Gas-Systemnutzungstarife-Verordnung 2004 über die Bildung eines jeweils mehrere Netzbetreiber umfassenden Netzbereichs Kärnten auf bestimmten Netzebenen infolge Quasianlassfallwirkung der Aufhebung der gesetzlichen Grundlage im Gaswirtschaftsgesetz; Zulässigkeit des amtswegigen Verordnungsprüfungsverfahrens infolge Präjudizialität der geprüften Bestimmung im Anlassfall betreffend einen Individualantrag auf Aufhebung der in der GSNT-VO 2004 für den Bereich Kärnten festgesetzten Netznutzungsentgelte

Normen

B-VG Art139 Abs1 / Allg
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
Gas-Systemnutzungstarife-Verordnung 2004 der Energie-Control Kommission (Gas-Systemnutzungstarife-V - GSNT-VO 2004) idF der 2. GSNT-VO-Novelle 2006 §3, §8
GaswirtschaftsG §23b
B-VG Art139 Abs1 / Allg
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
Gas-Systemnutzungstarife-Verordnung 2004 der Energie-Control Kommission (Gas-Systemnutzungstarife-V - GSNT-VO 2004) idF der 2. GSNT-VO-Novelle 2006 §3, §8
GaswirtschaftsG §23b

 

Spruch:

§3 Z2 litb der Verordnung der Energie-Control Kommission, mit der die Tarife für die Systemnutzung in der Gaswirtschaft bestimmt werden (Gas-Systemnutzungstarife-Verordnung, GSNT-VO 2004), verlautbart im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 101 vom 26. Mai 2004, in der Fassung der Verordnung der Energie-Control Kommission, mit der die GSNT-VO 2004 geändert wird (2. GSNT-VO-Novelle 2006), verlautbart im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 250 vom 28. Dezember 2006, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Der Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Anlassverfahren und Rechtslage:

Zu V16/07 ist beim Verfassungsgerichtshof ein Verfahren über einen auf Art139 B-VG gestützten Antrag der Kelag Netz GmbH anhängig. Mit diesem Antrag bekämpft die genannte Gesellschaft in zahlreichen Eventualbegehren jeweils verschiedene Bestimmungen der Verordnung der Energie-Control Kommission, mit der die Tarife für die Systemnutzung in der Gaswirtschaft bestimmt werden (Gas-Systemnutzungstarife-Verordnung, GSNT-VO 2004), verlautbart im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 101 vom 26. Mai 2004, in der Fassung der Verordnung der Energie-Control Kommission, mit der die GSNT-VO 2004 geändert wird (2. GSNT-VO-Novelle 2006), verlautbart im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 250 vom 28. Dezember 2006.

Der Antrag bekämpft neben allgemeinen Vorschriften der Verordnung §5 Abs8 Z1 litb, §5 Abs8 Z2 litb und die "Anordnung 'Kärnten,' " in §5 Abs8 Z3 GSNT-VO 2004 idF der 2. GSNT-VO-Novelle 2006, das sind die Bestimmungen betreffend das Netznutzungsentgelt für Entnehmer für die Netzebenen 2 und 3 sowie jenes für Anlagen, die zum Betanken von erdgasbetriebenen Fahrzeugen dienen, jeweils für den Bereich Kärnten. Diese Bestimmungen lauten (in §5 Abs8 Z3 ist die angefochtene Stelle hervorgehoben):

"Bestimmung des Netznutzungsentgelts

§5. ...

(8) ...

1. Netznutzungsentgelt für Entnehmer für die Netzebene 2:

...

b) Bereich Kärnten - Netzebene 2:

[TABELLE AUS TECHNISCHEN GRÜNDEN NICHT DARSTELLBAR]

...

2. Netznutzungsentgelt für Entnehmer für die Netzebene 3:

...

b) Bereich Kärnten - Netzebene 3:

[TABELLE AUS TECHNISCHEN GRÜNDEN NICHT DARSTELLBAR]

...

3. Netznutzungsentgelt für Entnehmer für die Netzebenen 2 und 3 für Anlagen, die zum Betanken von erdgasbetriebenen Fahrzeugen dienen in den Netzbereichen Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Wien:

Pauschale/Jahr 2.400,- €/Jahr

Arbeitspreis 0,36 ct/kWh"

Die Netzbereiche im Sinne des §23b Abs1 GWG (vgl. unten) ergeben sich aus §3 der GSNT-VO 2004 idF der 2. GSNT-VO-Novelle 2006, der auszugsweise lautet (die amtswegig in Prüfung gezogenen Teile sind hervorgehoben):

"Umschreibung der Netzbereiche

§3. Als Netzbereiche im Sinne von §23b Abs1 GWG ... werden

bestimmt:

...

2. für die Netzebenen 2 und 3:

...

b) Bereich Kärnten: Das vom Netz der KELAG Netz GmbH und der Energie Klagenfurt GmbH abgedeckte Gebiet;

..."

§23b des Bundesgesetzes, mit dem Neuregelungen auf dem Gebiet der Erdgaswirtschaft erlassen werden (Gaswirtschaftsgesetz - GWG), BGBl. I 121/2000 (ArtI des Energieliberalisierungsgesetzes), lautet(e) in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I 148/2002 auszugsweise (den hervorgehobenen Teil hat der Verfassungsgerichtshof mit dem Erkenntnis vom 12. Juni 2008, G11/08 ua., unter Fristsetzung für das Außer-Kraft-Treten bis 30. Juni 2009 aufgehoben):

"Netzebenen und Netzbereiche

§23b. (1) Als Netzebenen, von denen bei der Bildung der Systemnutzungstarife auszugehen ist, werden bestimmt:

  1. 1. Fernleitungen;
  2. 2. Verteilerleitungen mit einem Druck 6 bar;
  3. 3. Verteilerleitungen mit einem Druck 6 bar.

(2) Als Netzbereiche sind vorzusehen:

1. Für die Netzebene 1:

a) Ostösterreichischer Bereich: Die in Anlage 2 angeführten Fernleitungsanlagen; darüber hinaus sind jene Leitungen in die Ebene 1 einzubeziehen, die Eintritt und Austritt eines Netzbereiches oder einer Regelzone miteinander verbinden. Eine Fortsetzung einer Verteilleitung wird dann in die Ebene 1 miteinbezogen, wenn dadurch eine neue Verbindung in ein anderes Verteil- oder Fernleitungsnetz oder in eine andere Regelzone begründet wird;

b) Tiroler Bereich: Das die Bundesgrenze überschreitende Teilstück aller Leitungen in Tirol;

c) Vorarlberger Bereich: Den grenzüberschreitenden Leitungsabschnitt von Deutschland nach Vorarlberg;

2. für die anderen Netzebenen die jeweiligen, durch die Netze in den Netzebenen gemäß Abs1 Z1 bis 3 abgedeckten Gebiete der in der Anlage 3 angeführten Unternehmen, wobei die Netze unterschiedlicher Netzbetreiber mit dem Sitz innerhalb desselben Landes zu einem Netzbereich zusammengefasst werden können."

Die Anlage 3 zu §23b und §29 Abs1 GWG lautete idF BGBl. II Nr. 497/2006 auszugsweise wie folgt:

"...

9. KELAG Netz GmbH

...

18. Energie Klagenfurt GmbH

..."

II. Aus Anlass dieses zu V16/07 protokollierten Verfahrens beschloss der Verfassungsgerichtshof am 1. Dezember 2008, gemäß Art139 Abs1 B-VG die Gesetzmäßigkeit des §3 Z2 litb der GSNT-VO 2004 idF der 2. GSNT-VO-Novelle 2006 von Amts wegen zu prüfen.

1. Der Verfassungsgerichtshof nahm vorläufig betreffend die Zulässigkeit des Individualantrags und die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen das Folgende an:

"Zur Antragslegitimation bringt die antragstellende Gesellschaft vor, sie betreibe Verteilerleitungen im Netzbereich Kärnten iSd §3 Z2 litb der GSNT-VO 2004 idF der 2. GSNT-VO-Novelle 2006, und sei daher durch die bekämpften Bestimmungen dieser Verordnung, die das Netznutzungsentgelt in Bezug auf den Netzbereich Kärnten für die Netzebenen 2 und 3 festsetzen, unmittelbar betroffen.

Die behördliche Festsetzung des Netznutzungsentgeltes durch die angefochtenen Bestimmungen dürfte in die Rechtsstellung jener Netzbetreiber, deren Netze in den Netzbereich Kärnten einbezogen sind, unmittelbar eingreifen. Dass das Netz der antragstellenden Gesellschaft in den Netzbereich Kärnten einbezogen ist, dürfte sich aus der in Prüfung gezogenen Bestimmung ergeben.

Die antragstellende Gesellschaft sieht zwar die Gesetzwidrigkeit der von ihr bekämpften Bestimmungen des §5 Abs8 Z1 litb, §5 Abs8 Z2 litb und der 'Anordnung 'Kärnten,' ' in §5 Abs8 Z3 GSNT-VO 2004 idF der 2. GSNT-VO-Novelle 2006 darin gelegen, dass bei der Festsetzung der Systemnutzungstarife ihre Netzkosten fehlerhaft ermittelt worden seien. Obwohl die antragstellende Gesellschaft somit die von Amts wegen in Prüfung gezogene Bestimmung nicht bekämpft, dürfte doch der Verfassungsgerichtshof bei der Prüfung der Frage der unmittelbaren rechtlichen Betroffenheit der antragstellenden Gesellschaft und damit der Zulässigkeit des Individualantrags jene Bestimmung anzuwenden haben, aus der sich der Netzbereich ergibt, für den die angefochtenen Systemnutzungstarife festgelegt sind (vgl. VfGH 12.6.2008, V339/08); das ist für den Bereich Kärnten und die Netzebenen 2 und 3 die von Amts wegen in Prüfung gezogene Bestimmung (§3 Z2 litb GSNT-VO 2004 idF der 2. GSNT-VO-Novelle 2006)."

2. Gegen die in Prüfung gezogenen Bestimmungen hegte der Verfassungsgerichtshof folgendes Bedenken:

"Mit Erkenntnis vom 12. Juni 2008, G11/08 ua., hob der Verfassungsgerichtshof §23b Abs2 Z2 GWG als verfassungswidrig auf und setzte für das In-Kraft-Treten der Aufhebung eine Frist mit 30. Juni 2009. Mit demselben Erkenntnis hob er auch Bestimmungen der GSNT-VO 2004 auf, die - gestützt auf die aufgehobene gesetzliche Bestimmung - Systemnutzungstarife für Netzbereiche festlegten, die Netze unterschiedlicher Netzbetreiber mit dem Sitz innerhalb desselben Landes (dort: Netzbereich Oberösterreich) zusammenfassten.

... Mit der Aufhebung des §23b Abs2 Z2 GWG dürfte auch die

Bildung eines jeweils mehrere Netzbetreiber umfassenden 'Netzbereichs Kärnten' auf den Netzebenen 2 und 3 durch die in Prüfung gezogene Bestimmung ihre gesetzliche Grundlage verloren haben.

Die Tatsache, dass die Aufhebung des §23b Abs2 Z2 GWG unter Setzung einer Frist für das Außer-Kraft-Treten erfolgt ist, dürfte an dieser Einschätzung nichts ändern, da der hier vorliegende Individualantrag auf Verordnungsprüfung, beim Verfassungsgerichtshof eingegangen am 2. März 2007, im Zeitpunkt der Fassung des Beschlusses, amtswegig ein Verfahren zur Prüfung der genannten Gesetzesbestimmung einzuleiten (14. Dezember 2007), bereits beim Verfassungsgerichtshof anhängig war (zur vergleichbaren Situation im Bereich der Systemnutzungstarifierung für Elektrizitätsnetze nach der Aufhebung einer Bestimmung des ElWOG vgl. VfGH 12.6.2008, V339/08)."

2. Zum Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofs ergingen keine Äußerungen oder Stellungnahmen.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Zulässigkeit:

Die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofs, er habe zur Beurteilung der Frage, ob der zu V16/07 protokollierte Individualantrag zulässig ist, die in Prüfung gezogene Bestimmung (§3 Z2 litb GSNT-VO 2004 idF der 2. GSNT-VO-Novelle 2006) anzuwenden, wurde nicht in Frage gestellt und trifft zu. Denn die mit dem zu V16/07 protokollierten Antrag bekämpfte behördliche Festsetzung des Netznutzungsentgeltes für den Netzbereich Kärnten greift in die Rechtsstellung jener Netzbetreiber, deren Netze in den Netzbereich Kärnten einbezogen sind, unmittelbar ein. Dass das Netz der antragstellenden Gesellschaft in den Netzbereich Kärnten einbezogen ist, ergibt sich aus der in Prüfung gezogenen Bestimmung (§3 Z2 litb GSNT-VO 2004 idF der 2. GSNT-VO-Novelle 2006).

Da auch die weiteren Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist das amtswegige Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

2. In der Sache:

Das Bedenken des Verfassungsgerichtshofs, mit der Aufhebung des §23b Abs2 Z2 GWG durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Juni 2008, G11/08 ua., habe auch die Bildung eines jeweils mehrere Netzbetreiber umfassenden "Netzbereichs Kärnten" auf den Netzebenen 2 und 3 durch die in Prüfung gezogene Bestimmung ihre gesetzliche Grundlage verloren, trifft zu, zumal sich auch die weitere - gleichfalls unbestritten gebliebene - Annahme des Verfassungsgerichtshofs als zutreffend erwiesen hat, dass an der Gesetzwidrigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmungen auch die Tatsache nichts ändert, dass die Aufhebung des §23b Abs2 Z2 GWG unter Setzung einer Frist für das Außer-Kraft-Treten erfolgt ist. Denn der den Anlass des amtswegigen Verfahrens bildende, zu V16/07 protokollierte Individualantrag auf Verordnungsprüfung, beim Verfassungsgerichtshof eingegangen am 2. März 2007, war schon im Zeitpunkt der Fassung des Beschlusses, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der genannten Gesetzesbestimmung einzuleiten (14. Dezember 2007), und daher natürlich auch im Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung in diesem Gesetzesprüfungsverfahren bereits beim Verfassungsgerichtshof anhängig. Deshalb ist der Fall dem im Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall im engeren Sinn (anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist) gleichzuhalten; die Aufhebung des Gesetzes wirkt daher auch auf diesen Fall zurück (zur vergleichbaren Situation im Bereich der Systemnutzungstarifierung für Elektrizitätsnetze nach der Aufhebung einer Bestimmung des ElWOG vgl. VfGH 12.6.2008, V339/08).

§3 Z2 litb GSNT-VO 2004 idF der 2. GSNT-VO-Novelle 2006 war daher als gesetzwidrig aufzuheben (zur Aufhebung auch bereits außer Kraft getretener Bestimmungen betreffend Systemnutzungstarife vgl. zB VfSlg. 17.798/2006).

3. Die Verpflichtung des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §60 Abs2 VfGG iVm §4 Abs1 Z4 BGBlG.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz und Z2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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