VfGH B1918/07

VfGHB1918/075.3.2008

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Ausweisung von Fremden wegen unrechtmäßigen Aufenthalts aufgrund unzureichender Interessenabwägung

Normen

EMRK Art8
FremdenpolizeiG 2005 §53 Abs1, §66 Abs1
EMRK Art8
FremdenpolizeiG 2005 §53 Abs1, §66 Abs1

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.340,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger,

reiste am 20. Juni 2001 illegal in das Bundesgebiet ein. Sein am selben Tag gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. Februar 2003 gemäß §7 AsylG 1997 abgewiesen. Gleichzeitig wurde gemäß §8 AsylG 1997 die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien für zulässig erklärt. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates (UBAS) vom 15. März 2007 abgewiesen. Seitdem hält sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer arbeitet als Zeitungskolporteur und hat mit seiner Lebensgefährtin, einer österreichischen Staatsbürgerin, einen einjährigen Sohn. Er lebt (mittlerweile) im gemeinsamen Haushalt mit seiner Familie und betreut regelmäßig sein Kind. Auch der Bruder und der Onkel des Beschwerdeführers - beide österreichische Staatsangehörige - leben in Österreich.

2. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Steyr vom 28. August 2007 wurde der Beschwerdeführer gemäß §53 Abs1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 18. September 2007 abgewiesen.

Darin führt die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass sich der Beschwerdeführer seit rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Seit dem Jahr 2001 lebe er nunmehr in Österreich und gehe einer Erwerbstätigkeit nach. Auch Verwandte des Beschwerdeführers seien im Bundesgebiet aufhältig; überdies habe er mit seiner österreichischen Lebensgefährtin ein gemeinsames Kind. Die Ausweisung bewirke somit einen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers iSd §66 Abs1 FPG, der aber zur Erreichung der in Art8 Abs2 EMRK genannten Ziele dringend notwendig sei.

Die öffentliche Ordnung werde schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde unerlaubt nach Österreich begeben, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Dasselbe gelte für Fremde, die nach Ablauf einer Aufenthaltsberechtigung oder nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verlassen. In solchen Fällen sei die Ausweisung erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Im Ergebnis überwiege daher das dem Beschwerdeführer vorwerfbare (Fehl-)Verhalten gegenüber der von ihm geltend gemachten Integration im Bundesgebiet.

3. Die Beschwerde behauptet die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Begründend wird insbesondere ausgeführt, dass die belangte Behörde im Hinblick auf den langjährigen Aufenthalt und die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers sowie seine private und berufliche Integration eine unzureichende Interessenabwägung iSd Art8 EMRK durchgeführt habe. Im Falle seiner Ausreise wäre er an der Führung eines Familienlebens mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Sohn, für dessen Erziehung und Pflege er verantwortlich sei, gehindert. Die Familie sei zudem auf sein Einkommen angewiesen.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -

Beschwerde erwogen:

1. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).

Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der §§53 Abs1 und 66 Abs1 FPG sind aus Anlass der vorliegenden Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof nicht entstanden.

2. Der belangten Behörde ist allerdings ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorzuwerfen.

2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 29. September 2007, B328/07, dargelegt hat, ist die zuständige Fremdenpolizeibehörde stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In der zitierten Entscheidung wurden vom Verfassungsgerichtshof auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht.

2.2. Im Lichte dieser Kriterien erweist sich aber die von der Behörde vorgenommene - formelhafte - Abwägung iSd Art8 EMRK als unzureichend:

Vorauszuschicken ist, dass die Behörde die Ausweisung - unter Beachtung des §66 Abs1 FPG - zutreffend auf §53 Abs1 FPG gestützt hat.

Die belangte Behörde hat zwar dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet gegenüber gestellt, jedoch keine - im Lichte der zitierten Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 29. September 2007 gebotene und auf den zu beurteilenden Einzelfall bezogene - Interessenabwägung durchgeführt.

Dem Beschwerdeführer wurde von der belangten Behörde angesichts seiner persönlichen Verhältnisse zwar das Bestehen eines Familienlebens und eine gewisse Integration in Österreich zugestanden; zugleich hat die Behörde aber dem Umstand, dass sich der Beschwerdeführer seit rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, entscheidungswesentliche Bedeutung beigemessen. So gelangte sie - nach einer Aneinanderreihung allgemeiner Ausführungen über ein "geordnetes Fremdenwesen" und ohne weitere Überlegungen zur Situation des Beschwerdeführers anzustellen - zur Auffassung, dass das ihm "vorwerfbare (Fehl-)Verhalten

(illegaler Aufenthalt) im Verhältnis zu der ... geltend gemachten

Integration (Aufenthalt in Österreich seit 2001; Aufenthalt von Verwandten und des Sohnes ...; Erwerbstätigkeit) überwiegt".

Die - für den Verfassungsgerichtshof mit Blick auf die Begründung des angefochtenen Bescheides nicht nachvollziehbare - Schlussfolgerung der Behörde, dass der illegale Aufenthalt des (im Übrigen strafrechtlich unbescholtenen) Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung in hohem Maße gefährdet, vermag eine konkrete Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Ausweisung auf sein Privat- und Familienleben allerdings nicht zu ersetzen.

3. Dadurch, dass die Behörde auf die Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet nicht ausreichend Bedacht genommen hat, wurde dieser in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; im zugesprochenen Betrag sind Umsatzsteuer in Höhe von € 360,- sowie der Ersatz der gemäß §17a VfGG entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 180,- enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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