Normen
EMRK Art8
FremdenpolizeiG 2005 §53 Abs1, §66 Abs1
EMRK Art8
FremdenpolizeiG 2005 §53 Abs1, §66 Abs1
Spruch:
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.160,-
bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführerin, eine philippinische
Staatsangehörige, reiste am 2. Juni 2000 mit einem bis 31. August 2000 gültigen Visum C legal in das Bundesgebiet ein. Am 21. August 2000 stellte sie einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher". Die Niederlassungsbewilligung wurde zunächst bis zum 28. September 2001 erteilt und in weiterer Folge bis zum 28. September 2002 verlängert. Auch dem folgenden - nach Ablauf des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gestellten - Verlängerungsantrag wurde stattgegeben und der Beschwerdeführerin eine vom 2. Juli 2003 bis 2. Juli 2004 gültige Niederlassungsbewilligung erteilt. Seit 3. Juli 2004 hält sich die Beschwerdeführerin unrechtmäßig in Österreich auf. Ihr zuletzt im Juli 2007 gestellter Antrag auf Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung wurde am 24. August 2007 wegen unzulässiger Inlandsantragstellung abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin lebt mit ihrem Ehemann, der österreichischer Staatsbürger ist, im gemeinsamen Haushalt. Im Bundesgebiet leben auch ihre drei erwachsenen Kinder, die ebenfalls österreichische Staatsangehörige sind. In den Jahren 2003 und 2007 wurde die Beschwerdeführerin wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet bestraft.
2. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 3. Juli 2007 wurde die Beschwerdeführerin gemäß §53 Abs1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 8. November 2007 keine Folge gegeben.
Darin geht die belangte Behörde zunächst davon aus, dass die Ausweisung der Beschwerdeführerin angesichts des mehr als siebenjährigen Aufenthalts und der Tatsache, dass der Ehemann und die Kinder der Beschwerdeführerin österreichische Staatsbürger sind, zwar einen Eingriff in ihr Privatleben bewirkt; allerdings wirke der Umstand, dass sich die Beschwerdeführerin in den Zeiträumen vom 29. September 2002 bis 2. Juli 2003 und seit 3. Juli 2004 bis dato unrechtmäßig in Österreich aufgehalten habe, wesentlich "interessensmindernd".
Die den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens ein sehr hoher Stellenwert zukomme, seien von der Beschwerdeführerin aufgrund ihres jahrelangen unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet in äußerst gravierender Weise missachtet worden. Die Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten Interessen der Beschwerdeführerin jedenfalls nicht höher zu bewerten seien, als das Interesse der Allgemeinheit an ihrer Ausreise aus dem Bundesgebiet.
Der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in die familiäre Sphäre der Beschwerdeführerin - ein Eingriff in berufliche Interessen liege nicht vor - werde daher in seinem Gewicht durch die lange Dauer und die Beharrlichkeit des illegalen Aufenthalts bei weitem aufgewogen. Die Aufenthaltsbeendigung sei aber auch deshalb zulässig, weil die Beschwerdeführerin keine Möglichkeit habe, ihren Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren und einer gesetzmäßigen Beschäftigung nachzugehen. Weiters merkt die belangte Behörde an, dass die Kinder der Beschwerdeführerin "bereits über 24 Jahre alt und selbsterhaltungsfähig sind". Im Hinblick auf die kaum überprüfbare Behauptung, dass keine Verwandten der Beschwerdeführerin auf den Philippinen leben, sei auf die Berufungsausführungen verwiesen, wonach die Beschwerdeführerin in ihrem Heimatland über "umfangreiches Landvermögen" verfüge.
3. Die Beschwerde behauptet die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Begründend wird insbesondere ausgeführt, dass die belangte Behörde im Hinblick auf den langjährigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin sowie ihre familiäre und private Integration eine unzureichende Interessenabwägung iSd Art8 EMRK durchgeführt habe. Im Falle ihrer Ausreise wäre sie an der Führung eines Familienlebens mit ihrem Ehemann und ihren drei erwachsenen Kindern gehindert, zu denen - ungeachtet ihres Alters - intensive familiäre Bindungen bestehen. Zudem habe die Behörde nicht ausreichend berücksichtigt, dass ihre Familienangehörigen österreichische Staatsbürger sind und auf den Philippinen keine Verwandten der Beschwerdeführerin leben. Demgegenüber habe sie sich überwiegend rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und lediglich verabsäumt, rechtzeitig einen Verlängerungsantrag zu stellen.
4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und beantragt, die Beschwerde abzuweisen, in eventu ihre Behandlung abzulehnen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -
Beschwerde erwogen:
1. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).
Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der §§53 Abs1 und 66 Abs1 FPG wurden nicht vorgebracht und sind aus Anlass der vorliegenden Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof auch nicht entstanden.
2. Der belangten Behörde ist allerdings ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorzuwerfen.
2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 29. September 2007, B328/07, dargelegt hat, ist die zuständige Fremdenpolizeibehörde stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In der zitierten Entscheidung wurden vom Verfassungsgerichtshof auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht.
2.2. Im Lichte dieser Kriterien erweist sich aber die von der Behörde vorgenommene - formelhafte - Abwägung iSd Art8 EMRK als unzureichend:
Die Beschwerdeführerin hält sich seit geraumer Zeit rechtswidrig im Bundesgebiet auf, weshalb die Ausweisung - unter Beachtung des §66 Abs1 FPG - auf §53 Abs1 FPG gestützt wurde.
Im Ergebnis ist die belangte Behörde zur Auffassung gelangt, dass der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführerin in Anbetracht der - durch die lange Dauer und die Beharrlichkeit des illegalen Aufenthalts bewirkten - gravierenden Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens in seinem Gewicht bei weitem aufgewogen werde. Zudem seien die Kinder der Beschwerdeführerin "bereits über 24 Jahre alt und selbsterhaltungsfähig".
2.3. Festzuhalten ist, dass die Frage, ob der mit einer Ausweisung regelmäßig verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des Betroffenen im Lichte des Art8 EMRK zulässig ist, unabhängig vom Vorliegen der für die Erlassung einer Ausweisung erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen zu prüfen ist.
Die belangte Behörde hat dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens die persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet gegenüber gestellt und ist auf Basis einer rudimentären Interessenabwägung - nach einer Aneinanderreihung allgemeiner Ausführungen über ein "geordnetes Fremdenwesen" und ohne weitere Überlegungen zur Situation der Beschwerdeführerin anzustellen - zur Auffassung gelangt, dass die privaten Interessen der Beschwerdeführerin jedenfalls nicht höher zu bewerten seien, als das Interesse der Allgemeinheit an ihrer Ausreise aus dem Bundesgebiet.
Die Behörde hat dabei außer Acht gelassen, dass die aufgrund der Ausweisung drohende Trennung von ihrem Ehemann und den drei gemeinsamen Kindern, die alle österreichische Staatsbürger sind, einen intensiven Eingriff in die gemäß Art8 EMRK garantierten Rechte der Beschwerdeführerin bewirkt. Der Umstand, dass die gemeinsamen Kinder volljährig und selbsterhaltsfähig sind, ändert daran nichts. Hinzu kommt, dass die belangte Behörde die Umstände des Privatlebens der Beschwerdeführerin - insbesondere vor ihrer Einreise im Jahr 2000 - unerörtert gelassen hat.
Die - für den Verfassungsgerichtshof mit Blick auf die Begründung des angefochtenen Bescheides nicht nachvollziehbare - Schlussfolgerung der Behörde, dass die zweimalige Bestrafung und der - allerdings von den Behörden seit 2004 geduldete - illegale Aufenthalt der Beschwerdeführerin nun die öffentliche Ordnung derart gravierend beeinträchtigt, dass eine Ausweisung verfassungsrechtlich zulässig wäre, vermag der Verfassungsgerichtshof nicht zu teilen.
3. Dadurch wurde die Beschwerdeführerin in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt.
Der Bescheid war daher aufzuheben.
III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 360,- enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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