Normen
EMRK Art8
AsylG 1997 §5
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
Dubliner Übereinkommen betr die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen innerhalb der EG BGBl III 165/1997
EMRK Art8
AsylG 1997 §5
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
Dubliner Übereinkommen betr die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen innerhalb der EG BGBl III 165/1997
Spruch:
Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide in dem durch das BVG BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten zuhanden ihres Rechtsvertreters binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Erstbeschwerdeführer ist iranischer Staatsbürger, die Zweitbeschwerdeführerin ist dessen Tochter. Sie reisten am 13. Dezember 2000 von Italien kommend illegal in Österreich ein und stellten am 19. Dezember 2000 einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Mit Schreiben vom 30. März 2001 hat sich Italien gemäß Art6 des Dubliner Übereinkommens, BGBl. III 165/1997, zur Wiederaufnahme der Asylwerber bereit erklärt.
Mit Bescheid jeweils vom 20. April 2001, Z. 00 18.054 und Z. 00 18.056 hat das Bundesasylamt gemäß §5 Abs1 AsylG 1997 die Asylanträge als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art6 des Dubliner Übereinkommens zuständig sei. Die gegen die genannten Bescheide des Bundesasylamtes erhobenen Berufungen wies der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 28. Mai 2001 ab. Dagegen erhoben beide Asylwerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.
2. Mit Erkenntnis vom 26. November 2001, B901, 902/01, hob der Verfassungsgerichtshof die beiden Bescheide wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander auf. In der Begründung verwies der Verfassungsgerichtshof auf die Begründung des im gleich gelagerten Fall am 11. Juni 2001 ergangenen Erkenntnisses, VfSlg. 16.160/2001, welches auszugsweise lautete:
"1. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. März 2001, G117/00 ua., wurden Anträge des Unabhängigen Bundesasylsenates abgewiesen, den letzten Satz im Abs1 des §5 AsylG 1997 sowie dessen (gesamten) Absatz 3 als verfassungswidrig aufzuheben. Der Gerichtshof gab den Anträgen deshalb keine Folge, weil eine verfassungskonforme Interpretation des §5 AsylG 1997 - welche die Asylbehörde unter bestimmten Voraussetzungen zum Selbsteintritt und damit zur Sachentscheidung in der Asylsache verpflichtet - möglich ist und führte in der Begründung seines Erkenntnisses insbesondere aus, "daß eine strikte, zu einer Grundrechtswidrigkeit führende Auslegung (und somit Handhabung) des §5 Abs1 durch die Heranziehung des Art3 Abs4 des Dubliner Übereinkommens von der Asylbehörde zu vermeiden ist; Art3 Abs4 ist - als ins innerstaatliche Recht transformierte, unmittelbar anwendbare Norm betrachtet - nicht etwa als eine Ermächtigung zur Ermessensübung, sondern als eine durch sämtliche in Betracht kommenden Verfassungsvorschriften zielgerichtete und daher unter dem Aspekt des Legalitätsprinzips ausreichend determinierte Rechtsvorschrift zu werten.
2. Der Verfassungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung (vgl. VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur) die Meinung, daß das BVG BGBl. 390/1973 (auch) das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot enthält, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung des durch dieses BVG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander liegt auch dann vor, wenn die Behörde dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum BVG stehend erscheinen ließe (VfSlg. 14.393/1995).
Der Unabhängige Bundesasylsenat geht im angefochtenen Bescheid davon aus, daß bei vertraglicher Zuständigkeit eines anderen Staates zur Prüfung des Asylantrages iSd §5 AsylG 1997 eine negative Prozeßvoraussetzung vorliegt, die eine Sachentscheidung über den Asylantrag verbietet und auch keine Möglichkeit gewährt, einer behaupteten Verletzung des Non-Refoulement-Gebotes nachzugehen. Ob die belangte Behörde vom im Art3 Abs4 Dubliner Übereinkommen festgelegten Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen hat, sieht sie insofern in ihr Ermessen gestellt, als die Voraussetzungen des Art9 Dubliner Übereinkommen (humanitäre Gründe) vorlägen. Diese Ansicht steht in offenkundigem Widerspruch zu der vom Verfassungsgerichtshof im schon zitierten Erkenntnis vom 8. März 2001, G117/00 ua., dargelegten Rechtsauffassung; sie beruht schon im Hinblick darauf, daß sie eine Betrachtung der Asylsache unter dem Aspekt des Non-Refoulement-Gebotes ausschließt, auf einer nicht verfassungskonformen, vielmehr dem Gesetz fälschlicherweise einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellenden Auslegung des §5 AsylG 1997.
Da die belangte Behörde §5 AsylG 1997 also in nicht verfassungskonformer Weise herangezogen hat, hat sie den Beschwerdeführer in dem durch das BVG BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt."
3. Nahezu fünf Jahre nach Erlassung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs vom 26. November 2001, nämlich am 29. September 2006, wies der UBAS neuerlich die Berufungen vom 27. April 2001 ab. Die Abweisungen werden im Wesentlichen damit begründet, dass bei Abschiebung nach Italien, das sich zur Aufnahme bereit erklärt habe, keine Bedrohung bestehe, kein den Anforderungen des Art13 EMRK entsprechendes Verfahren zu erhalten. Ferner bezieht sich die belangte Behörde auf die Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, wonach auch bei Entscheidungen nach §5 AsylG auf die Kriterien der Art3 und 8 EMRK Bedacht zu nehmen ist. Nach der Ausführung, dass kein "real risk" bestehe, dass die nunmehrigen Beschwerdeführer einer gegen Art3 EMRK verstoßenden Behandlung ausgesetzt würden, meint die belangte Behörde:
"Im Übrigen haben sich im Verfahren keine Hinweise darauf ergeben, der Berufungswerber könnte über persönliche Bindungen in Österreich verfügen, die iSd Art8 EMRK relevant wären."
4. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer neuerlich Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.
In der Beschwerde wird zunächst der Sachverhalt wiedergegeben und Folgendes ausgeführt:
"Seit meine Tochter und ich am 19.12.2000 einen Antrag auf Asylgewährung gestellt haben, sind sohin 5 Jahre und 9 Monate vergangen, ohne dass mein Antrag inhaltlich geprüft worden wäre.
In der Zwischenzeit habe ich 7 Deutschkurse im Ausmaß von jeweils 20 bis 30 Stunden besucht, sowie einen österreichischen Führerschein erworben. Ich habe dafür Sorge getragen, dass meine Tochter S S die Schule besuchen kann. Sie wurde 2001 in die 3. Klasse der Volksschule in 8700 Leoben eingeschult und hat - obwohl sie erst Deutsch lernen musste - in einem sehr kurzen Zeitraum den größten Teil des Unterrichtsstoffes nachgeholt. Vom 9.9.2002 bis 7.7.2006 hat meine Tochter die Hauptschulausbildung (5. bis 8. Schulstufe) in der Europa Hauptschule in 8700 Leoben absolviert und einen ausgezeichneten Erfolg erreicht. Sie ist daher im Schuljahr 2006/07 in die Allgemein bildende höhere Schule, in das BG und BRG Leoben, aufgestiegen.
Meine Tochter und ich sind in Österreich sozial integriert und ist Österreich längst zu unserem Lebensmittelpunkt geworden. Es ist uns daher unbegreiflich, wie sich der Unabhängige Bundesasylsenat nach jahrelanger Säumnis auf eine reine Formalentscheidung zurückziehen und unsere Asylanträge mit der Begründung, dass Österreich nicht zuständig sei, abweisen kann. Dies umso weniger, da dieser abweisende Bescheid für uns mit weitreichenden Folgen, insbesondere für meine Tochter, welche aus ihrem mühsam erworbenen sozialen Umfeld herausgerissen werden soll, verbunden sind."
Sodann machen die Beschwerdeführer die Verletzung des Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, auf "Verletzung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtes auf ein faires Verfahren gem. Art83 Abs2 B-VG" geltend.
5. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete aber keine Gegenschrift. Der Verfassungsgerichtshof stellt auf Grund der vorgelegten Verwaltungsakten fest, dass darin kein Geschäftsstück zu finden ist, aus dem ersichtlich wäre, dass die belangte Behörde in den fast fünf Jahren seit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 26. November 2001 irgendwelche Ermittlungen durchgeführt hätte.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat zu den - zulässigen - Beschwerden erwogen:
1. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht Fremder auf Gleichbehandlung untereinander schließt auch ein, dass die Behörde nicht willkürlich vorgehen darf.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solches willkürliches Verhalten ist der belangten Behörde vorzuwerfen:
Im Erkenntnis vom 26. November 2001 erkannte der Verfassungsgerichtshof, dass die belangte Behörde dem §5 AsylG fälschlicherweise einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt hat. Diesem Fehler wird nicht dadurch abgeholfen, dass sich die belangte Behörde nur verbal zur verfassungskonformen Auslegung bekennt, aber dann jegliche Ermittlungstätigkeit unterlässt, um feststellen zu können, ob auch im Tatsächlichen Gründe, die eine Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Grundrechten bewirken können, vorliegen. Dass sich aus einem Akt, den die Behörde nahezu fünf Jahre lang nicht bearbeitet hat und aus einer vor mehr als fünf Jahren eingebrachten Berufung keine Hinweise über die derzeitige Situation der Beschwerdeführer ergeben, ist evident. Auch wenn der angefochtene Bescheid bloß die Zuständigkeit zu beurteilen hatte, können inzwischen Umstände eingetreten sein, die aus grundrechtlicher Sicht zum Selbsteintritt in das Asylverfahren verpflichten. Die Unterlassung jeglicher Ermittlungstätigkeit und der darauf beruhenden Abwägung zwischen dem durch die Abschiebung möglicherweise bewirkten Eingriff in das Privat- und Familienleben (Art8 Abs1 EMRK) einerseits und der Notwendigkeit der Abschiebung im Interesse der öffentlichen Ordnung (Art8 Abs2 EMRK) andererseits verletzt die Beschwerdeführer in ihrem durch das BVG BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander.
Die Bescheide sind daher aufzuheben.
3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den antragsgemäß zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 360,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 180,-- enthalten.
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