VfGH B1222/06

VfGHB1222/0627.2.2007

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter durch Abweisung eines Antrags auf Wiederaufnahme eines Dienstrechtsverfahrens nach Abweisung der Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof; vertretbare Annahme des Nichtvorliegens der Wiederaufnahmegründe einer strafbaren Handlung bzw neuer Tatsachen und Beweismittel aufgrund Vorlage einer gutachtlichen Stellungnahme

Normen

B-VG Art83 Abs2
StGG Art5
EMRK Art6 Abs1 / Allg
AVG §69
Wr DienstO 1994 §32
B-VG Art83 Abs2
StGG Art5
EMRK Art6 Abs1 / Allg
AVG §69
Wr DienstO 1994 §32

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Der Beschwerdeführer steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Gemeinde Wien.

1.2. Mit Bescheiden vom 1. August 2002, vom 17. März 2003 sowie vom 3. April 2003 stellte der Magistrat der Stadt Wien fest, der Beschwerdeführer habe gemäß §32 Abs1 des Gesetzes über das Dienstrecht der Beamten der Bundeshauptstadt Wien (Dienstordnung 1994) den Anspruch auf sein Diensteinkommen für bestimmte Zeiträume verloren, weil er eigenmächtig und unentschuldigt vom Dienst ferngeblieben sei.

1.3. Mit Bescheid des Dienstrechtssenates der Stadt Wien vom 5. August 2004 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen diese Bescheide teilweise Folge gegeben, im Übrigen wurde sie abgewiesen.

1.4. Die gegen den zuletzt genannten Bescheid erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichthof wurde mit Erkenntnis vom 29. November 2005 B1192/04 abgewiesen.

1.5. Mit Eingabe vom 23. Jänner 2006 begehrte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 5. August 2004 abgeschlossenen Verfahrens. Er machte neue Tatsachen und Beweismittel gemäß §69 Abs1 Z2 AVG geltend, nämlich die - zu einem im (abgeschlossenen) Verfahren erstatteten psychiatrisch-neurologischen Gutachten eingeholte - Stellungnahme einer Privatsachverständigen vom 31. März 2005. Weiters brachte der Beschwerdeführer vor, dass der dringende Verdacht bestehe, dass der Berufungsbescheid des Dienstrechtssenates vom 5. August 2004 im Sinn des §69 Abs1 Z1 AVG durch eine gerichtlich strafbare Handlung (§302 StGB) herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden sei, da dieser auf einem falschen Zeugnis, und zwar dem falschen Gutachten der Amtssachverständigen beruhe. Zur Rechtzeitigkeit seines Antrages brachte der Beschwerdeführer vor, dass die Nichtanwendbarkeit des Art6 EMRK erstmals im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 29. November 2005 festgestellt worden sei. Dieses Erkenntnis sei ihm am 11. Jänner 2006 zugestellt worden und laufe die Frist gemäß §69 Abs2 AVG ab dessen Zustellung an ihn.

1.6. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Dienstrechtssenates der Stadt Wien vom 22. Mai 2006 abgewiesen. Begründend führt die belangte Behörde - unter Berufung auf die diesbezügliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - aus, dass sich aus den vom Antragsteller vorgebrachten Gründen für das Vorliegen von strafbaren Handlungen nicht einmal der Verdacht einer strafbaren Handlung ergäbe. Im Übrigen komme der Tatbestand des Erschleichens für das Handeln der Behörde selbst von vornherein nicht in Frage. Die nunmehr eingeholte Stellungnahme einer Privatsachverständigen enthalte weder neu hervorgekommene Tatsachen noch stelle sie selbst eine solche Tatsache dar. Es handle sich auch nicht um ein neu hervorgekommenes Beweismittel. Die in der Stellungnahme enthaltenen Befundergebnisse stellten keine Tatsachen dar, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bereits bestanden hätten.

1.7. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf eine faires Verfahren gemäß Art6 EMRK, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unverletzlichkeit des Eigentums sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.

1.8. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentritt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

2.1. Die im vorliegenden Falle maßgebliche Bestimmung des §69 Abs1 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. 1991/51, lautet:

"Wiederaufnahme des Verfahrens

§69 (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder

3. der Bescheid gemäß §38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde."

2.2. Der Beschwerdeführer ist auf Grund der nachstehenden Erwägungen nicht im Recht:

2.2.1. Der Beschwerdeführer behauptet durch den angefochtenen Bescheid deshalb im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt zu sein, "weil die belangte Behörde ... an Stelle der in §74b DO 1994 vorgesehenen Senatsmitglieder nur durch den Vorsitzenden entschieden hat." Dem ist entgegen zu halten, dass - ausgehend von dem dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Beratungs- und Abstimmungsprotokoll über die hier in Betracht kommende Sitzung des Dienstrechtssenates am 22. Mai 2006 - dem bekämpften Bescheid eine kollegiale Beratung und Beschlussfassung zu Grunde liegt.

Der Umstand, dass die Mitglieder der entscheidenden Kollegialbehörde (zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Dienstrechtssenates vgl. insb. Art118 Abs5 iVm Art112 B-VG sowie VfSlg. 16.176/2001; s. weiters auch VfSlg. 13.304/1992) dem Bescheid nicht entnommen werden können, verletzt weder das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, noch ein sonstiges verfassungsgesetzlich geschütztes Recht (vgl. zB VfSlg. 13.136/1992 mwH).

Insoweit der Beschwerdeführer behauptet, dass "auf Grund der inhaltlich rechtswidrigen Entscheidung ... eine gesetzwidrige Verweigerung einer Sachentscheidung und damit eine Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter vorliege" genügt es auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hinzuweisen, der zu Folge durch die unrichtige Anwendung der materiellen Bestimmungen eines Gesetzes das genannte Grundrecht nicht verletzt wird, weil dieses Recht nicht die Gesetzmäßigkeit des Inhalts des betreffenden Verwaltungsaktes gewährleistet (vgl. zB VfSlg. 15.068/1998 mwH).

2.2.2. Was die behauptete Verletzung in dem durch Art6 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht anlangt, so ist die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hinzuweisen, dass Art6 Abs1 EMRK auf ein Verfahren, in dem über die Wiederaufnahme eines bereits abgeschlossenen Verfahrens entschieden wird, nicht anwendbar ist (VfSlg. 16.245/2001, 16.749/2002).

2.2.3. Eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde den angewendeten Rechtsvorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellte oder wenn sie bei der Erlassung des Bescheides Willkür übte.

Da der Verfassungsgerichtshof aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften, so vor allem gegen §69 Abs1 AVG, keine verfassungsrechtlichen Bedenken hegt und die Bescheidbegründung keinen Anhaltspunkt für die Annahme liefert, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Darüber, welche Umstände gegeben sein müssen, damit einer Behörde Willkür anzulasten ist, lässt sich keine allgemeine Aussage treffen. Ob Willkür vorliegt, kann nur dem Gesamtbild des Verhaltens der Behörde im einzelnen Fall entnommen werden (zB VfSlg. 5491/1967, 6404/1971, 6471/1971, 8808/1980, 14.573/1996 uva.).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001 16.640/2002). Auch eine denkunmögliche Gesetzesanwendung kann Willkür indizieren (VfSlg. 9561/1982, 14.573/1996).

Keiner dieser Mängel liegt jedoch hier vor. Der Verfassungsgerichtshof vermag nicht zu erkennen, dass das Ermittlungsverfahren mit einem wesentlichen, in die Verfassungssphäre reichenden Mangel behaftet wäre; auch kann weder von einem gehäuften Verkennen der Rechtslage, noch von denkunmöglicher Gesetzesanwendung die Rede sein.

Die Auffassung des Dienstrechtssenates der Stadt Wien, dass der Wiederaufnahmegrund der strafbaren Handlung nicht gegeben sei und dass die vorgelegte gutachtliche Stellungnahme weder eine neu hervorgekommene Tatsache enthalte, noch selbst eine solche darstelle sowie dass es sich auch nicht um ein neu hervorgekommenes Beweismittel handle, ist jedenfalls vertretbar.

Zusammenfassend ist also die getroffene behördliche Entscheidung nicht mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Mangel, der eine Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz bewirkte, belastet.

2.2.4. Auch der Vorwurf, dass der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrecht verletzt ist, ist nicht begründet. Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, wird durch einen Bescheid, mit dem ein Antrag auf Wiederaufnahme abgewiesen wird, in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nicht eingegriffen, weil ein solcher Bescheid rein verfahrenrechtlicher Natur ist (VfSlg. 10.227/1984 uvm.).

2.3. Ob der Entscheidung auch darüber hinaus eine in jeder Hinsicht richtige Gesetzesanwendung zu Grunde liegt, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch nicht in dem - hier vorliegenden - Fall, dass eine Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof nicht in Betracht kommt (vgl. VfSlg. 14.807/1977 uva.).

2.4. Der Beschwerdeführer wurde sohin aus den in der Beschwerde vorgetragenen Erwägungen weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, dass dies aus anderen, in der Beschwerde nicht dargelegten Gründen der Fall gewesen wäre.

2.5. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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