VfGH V54/07

VfGHV54/0730.11.2007

Aufhebung einer Prostitutionsverordnung wegen gesetzwidriger Kundmachung mangels Einhaltung der zweiwöchigen Kundmachungsfrist infolge kürzerer Dauer des Anschlags an der Amtstafel; keine Sanierung des Kundmachungsmangels durch eine gesetzmäßig kundgemachte Novelle

Normen

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz litc
Nö GdO 1973 §59
Nö ProstitutionsG §3, §5, §6
ProstitutionsV des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Amstetten vom 20.12.02
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz litc
Nö GdO 1973 §59
Nö ProstitutionsG §3, §5, §6
ProstitutionsV des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Amstetten vom 20.12.02

 

Spruch:

Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Amstetten über ein Verbot der Anbahnung und Ausübung der Prostitution in der Stadtgemeinde Amstetten vom 20. Dezember 2002 wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1081/06 das Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Mit Berufungsbescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 2. Mai 2006 wurde über die Beschwerdeführerin wegen Übertretung mehrerer Verbotsnormen betreffend die Ausübung von Prostitution eine Verwaltungsstrafe in Höhe von insgesamt € 3.670,- verhängt. Dabei wurde es der Beschwerdeführerin unter anderem angelastet, entgegen §§6 Abs1 (gemeint wohl: §6 Z1), 5 Abs1 und 3 Abs2 Z5 NÖ Prostitutionsgesetz, LGBl. 4005-1, (im Folgenden: NÖ Prostitutionsgesetz) und §1 Z7 der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Amstetten über ein Verbot der Anbahnung und Ausübung der Prostitution in der Stadtgemeinde Amstetten vom 20. Dezember 2002 (im Folgenden: Prostitutionsverordnung vom 20. Dezember 2002) die Prostitution in einem Bereich des Gebietes der Stadtgemeinde Amstetten ausgeübt zu haben, in welchem die Anbahnung und Ausübung der Prostitution gemäß letzterer Bestimmung verboten ist.

2. Bei Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des §1 Z7 der Prostitutionsverordnung vom 20. Dezember 2002 entstanden; er hat daher am 13. Juni 2007 beschlossen, diese Verordnungsstelle von Amts wegen einem Normenprüfungsverfahren zu unterziehen.

In diesem Verfahren wurden vom Bürgermeister der Stadtgemeinde Amstetten und von der Niederösterreichischen Landesregierung Akten vorgelegt. Eine schriftliche Äußerung zum Gegenstand wurde nicht erstattet.

3. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

3.1. Die Prostitutionsverordnung vom 20. Dezember 2002 lautet auszugsweise (der in Prüfung gezogene Teil ist hervorgehoben):

"Aufgrund der Bestimmung des §5 Abs1 NÖ. Prostitutionsgesetz, LGBl. 4005-1, wird verordnet:

§1

Zum Schutze der Nachbarschaft vor unzumutbarer Belästigung sowie aus öffentlichem Interesse, insbesondere wegen sittlicher Gefährdung von Jugendlichen, ist die Anbahnung und Ausübung der Prostitution in den nachstehend angeführten Bereichen des Gebietes der Stadtgemeinde Amstetten, in denen sich zahlreiche Gebäude, die religiösen Zwecken dienen, Amtsgebäude, Schulen, Heime für Kinder und Jugendliche, Sportstätten, Kinder- und Jugendspielplätze, Krankenanstalten, Jugendzentren, Pensionisten- und Pflegeheime, Bahnhöfe und Stationen öffentlicher Verkehrsmittel befinden, verboten:

1) bis 6) ...

7) Ulmerfeld-Hausmening:

begrenzt im Norden durch die Rudolfsbahn, im Osten durch die Heidestraße, Teichweg und Sonnenstraße, im Süden durch Römer-, Türken- und Landstraße, im Westen durch Dorf- und Schauleithenstraße.

§2

Zuwiderhandlungen gegen diese Verordnung stellen eine Verwaltungsübertretung dar und werden gemäß der Bestimmung des §6 NÖ. Prostitutionsgesetz, LGBl. 4005-1, bestraft.

Amstetten, am 20.12.2002 Der Bürgermeister:

[Unterschrift]

Kdm.Nr.: 290

anzuschl.: 23.12.2002

abzun.: 02.01.2003"

Mit der Novelle vom 20. Juli 2005 wurde §1 der Prostitutionsverordnung vom 20. Dezember 2002 um eine - im vorliegenden Fall nicht maßgebliche - weitere, in Z8 umschriebene Verbotszone ergänzt. Laut vorliegendem Kundmachungsvermerk wurde diese Verordnung am 21. Juli 2005 an der Amtstafel der Stadtgemeinde Amstetten angeschlagen und am 5. August 2005 abgenommen. Die Novelle ist mit Ablauf der Kundmachungsfrist in Kraft getreten.

3.2. Die §§3, 5 und 6 NÖ Prostitutionsgesetz lauten auszugsweise wie folgt:

"§3

Verbotsbestimmungen

(1) ...

(2) Die Prostitution darf weder angebahnt noch ausgeübt werden

1. bis 4. ...

5. an Orten oder zu Zeiten, für welche die Gemeinde mit Verordnung ein Verbot erlassen hat (§5 Abs1)."

"§5

Aufgaben der Gemeinde

(1) Die Gemeinde hat mit Verordnung

an bestimmten Orten oder zu bestimmten Zeiten zu verbieten, wenn dies zum Schutz der Nachbarschaft vor unzumutbarer Belästigung oder aus öffentlichen Interessen, besonders wegen sittlicher Gefährdung Jugendlicher, erforderlich ist.

(2) ...

(3) Die Gemeinde hat ihre Aufgaben nach diesem Gesetz im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen."

"§6

Strafbestimmungen

Wer

1. die Prostitution entgegen den Bestimmungen des §3 anbahnt oder ausübt,

2. ...

3. es als Verfügungsberechtigter über Gebäude oder Gebäudeteile zuläßt, daß dort die Prostitution ausgeübt wird, obwohl dies dort aufgrund von Bestimmungen dieses Gesetzes oder einer Verordnung nach §5 Abs1 verboten ist,

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeidirektion von dieser, mit einer Geldstrafe bis € 3.600,-, im Falle der Wiederholung mit einer Geldstrafe bis € 7.200,- zu bestrafen."

3.3. §59 NÖ Gemeindeordnung 1973, LGBl. 1000-12, lautet auszugsweise samt Überschrift:

"4. Abschnitt

Verwaltungsakte und Verwaltungsverfahren

§59

Verordnungen der Gemeinde

(1) Verordnungen der Gemeinde bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der öffentlichen Kundmachung. Aus der Verordnung muß erkennbar sein, von welchem Organ der Gemeinde sie erlassen wurde. Die Kundmachung ist vom Bürgermeister, wenn es sich um eine Verordnung des Gemeinderates handelt, binnen zwei Wochen nach Beschlußfassung, durch Anschlag an der Amtstafel durchzuführen. Die Kundmachungsfrist beträgt zwei Wochen. Verordnungen, die einer Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde bedürfen, können erst nach Erlassung des Genehmigungsbescheides kundgemacht werden. Die Verordnungen treten, soferne nicht anderes bestimmt wird, mit dem auf den Ablauf der Kundmachungsfrist folgenden Tag in Kraft.

(2) ..."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Bei dem in Prüfung gezogenen Verwaltungsakt - der (wie der Anlassfall zeigt) von den Behörden vollzogen wird und so ein Mindestmaß an Publizität erreicht hat (vgl. zB VfSlg. 7375/1974, 9247/1981, 11.624/1988, 14.985/1997, 16.188/2001, 17.244/2004) - handelt es sich um eine Verordnung iSd Art139 B-VG.

2. Zweifel an der Zulässigkeit der Anlassbeschwerde oder an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung der Prostitutionsverordnung vom 20. Dezember 2002 sind nicht entstanden.

3. Das Verfahren erweist sich damit als zulässig.

4. Der Verfassungsgerichtshof hegte in seinem Prüfungsbeschluss das Bedenken, die Prostitutionsverordnung vom 20. Dezember 2002 sei nicht ordnungsgemäß kundgemacht worden. Dieses Bedenken erweist sich als begründet.

Gemäß §59 Abs1 NÖ Gemeindeordnung 1973 bedürfen Verordnungen der Gemeinde der Kundmachung durch Anschlag an der Amtstafel. Die Kundmachungsfrist beträgt zwei Wochen. Wie dem auf der Prostitutionsverordnung vom 20. Dezember 2002 verzeichneten Vermerk und auch den dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Akten zu entnehmen ist, wurde die Prostitutionsverordnung am 23. Dezember 2002 an der Amtstafel der Stadtgemeinde Amstetten angeschlagen und am 2. Jänner 2003 abgenommen. Durch diese Dauer des Anschlages wurde aber dem Erfordernis einer zweiwöchigen Kundmachungsfrist iSd §59 Abs1 NÖ Gemeindeordnung 1973 nicht entsprochen, was die Verordnung mit Gesetzwidrigkeit belastet (vgl. VfSlg. 6949/1972, 16.031/2000).

Wenngleich die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Amstetten vom 20. Juli 2005 von diesem Fehler nicht betroffen ist, reicht doch die ordnungsgemäße Kundmachung einer Novelle, die sich - wie hier - nur auf eine einzelne, die Stammverordnung ergänzende Bestimmung bezieht, nicht aus, um den der Stammvorschrift anhaftenden Kundmachungsmangel zu sanieren (vgl. VfSlg. 16.377/2001, 16.548/2002, 16.690/2002, 17.744/2005).

5. Da nicht bloß der in Prüfung gezogene - im Anlassfall präjudizielle - Teil der Verordnung, sondern in gleicher Weise auch die übrigen Verordnungsbestimmungen vom festgestellten Kundmachungsmangel betroffen sind, war gemäß Art139 Abs3 litc B-VG die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben. Umstände, die dem iSd Art139 Abs3 letzter Satz B-VG entgegenstünden, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

Die Kundmachungspflicht der Niederösterreichischen Landesregierung gründet in Art139 Abs5 erster Satz B-VG iVm §60 Abs2 VfGG.

6. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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