VfGH V97/03

VfGHV97/0318.3.2005

Gesetzwidrigkeit einer Regelung über Kostenzuschüsse für medizinische Hauskrankenpflege in der Satzung 1999 der Wiener Gebietskrankenkasse mangels Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedürfnisse der Versicherten

Normen

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
ASVG §131b, §144, §151
Satzung 1999 der Wr Gebietskrankenkasse §38, Anhang 6 Z3
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
ASVG §131b, §144, §151
Satzung 1999 der Wr Gebietskrankenkasse §38, Anhang 6 Z3

 

Spruch:

Die Wortfolge "- die medizinische Hauskrankenpflege (§151 ASVG)" in §38 sowie im Anhang 6 die Z3 der Satzung 1999 der Wiener Gebietskrankenkasse, Soziale Sicherheit 1999, Amtliche Verlautbarung Nr. 70/1999, in der Fassung der 2. Änderung der Satzung 1999, Soziale Sicherheit 2001, Amtliche Verlautbarung Nr. 86/2001, der 3. Änderung der Satzung 1999, Soziale Sicherheit 2001, Amtliche Verlautbarung Nr. 99/2001, sowie der 4. Änderung der Satzung 1999, Soziale Sicherheit 2001, Amtliche Verlautbarung Nr. 161/2001, waren gesetzwidrig.

Die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Antrag vom 1. Juli 2003 beantragt der Oberste Gerichtshof die Feststellung, dass die Wortfolge "- die medizinische Hauskrankenpflege (§151 ASVG)" in §38 sowie im Anhang 6 die Z3 der Satzung 1999 der Wiener Gebietskrankenkasse, SozSi Nr. 70/1999 idF SozSi Nr. 86/2001, Nr. 99/2001 und 161/2001, gesetzwidrig war.

1.2. Zum Sachverhalt des bei ihm anhängigen Revisionsverfahrens führt der Oberste Gerichtshof aus, dass die Klägerin die Mutter des mittlerweile verstorbenen Kleinkindes S P sei; dieses habe an 88 Tagen mit der Indikation Kurzdarmsyndrom medizinische Hauskrankenpflege erhalten. Auf Grund des Fehlens von Verträgen der Wiener Gebietskrankenkasse mit Einrichtungen, die medizinische Hauskrankenpflege für Kinder anböten, sei eine mobile Kinderkrankenschwester in Anspruch genommen worden. Die Kosten dafür beliefen sich auf EUR 5.903,77, die von der Klägerin beglichen worden seien. Der Kostenzuschuss betrage EUR 767,36.

2. Im Antrag des Obersten Gerichtshofes werden - nach eingehender Darstellung der Rechtslage und der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Fragen des Kostenersatzes und der Kostenerstattung in der gesetzlichen Krankenversicherung - die gegen die Z3 des Anhangs 6 (und gegen die mit diesem Teil des Anhangs in untrennbaren Zusammenhang stehende angefochtene Wortfolge in §38) der Satzung 1999 der Wiener Gebietskrankenkasse in der im Spruch genannten Fassung bestehenden Bedenken wie folgt dargelegt:

"Aufgrund des Wortlauts der Satzungsbestimmung des Anhangs 6 Z3 muss davon ausgegangen werden, dass nach dem Willen des Satzungsgebers jeder Fall der medizinischen Hauskrankenpflege von der in der Satzung festgesetzten Pauschalvergütung umfasst sein soll. Gegen eine solche Satzungsregelung bestehen jedoch Bedenken wegen Gesetzwidrigkeit, da dadurch dem Kläger im Ergebnis nur ein geringfügiger, nur wenig ins Gewicht fallender Teil (ca 13 %) seiner Krankenbehandlungskosten ersetzt würde und damit dem Kläger der gesetzliche Anspruch auf Sachleistungsgewährung im Wege des Kostenzuschusses de facto 'abgeschnitten' werden würde. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 13.571 ausgesprochen hat, muss ein Zuschuss (eine Kostenbeteiligung) eine bestimmte Höhe erreichen, um begrifflich noch als Zuschuss gelten zu können. Es bestehen daher im vorliegenden Fall erhebliche Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der im Anhang 6 der Satzung der beklagten Partei für Leistungen der medizinischen Hauskrankenpflege vorgesehenen pauschalen Zuschussregelung."

3. Die Wiener Gebietskrankenkasse bringt in ihrer Äußerung Folgendes vor:

Sie habe zur Sicherstellung der Erbringung der medizinischen Hauskrankenpflege als Sachleistung einen Vertrag mit der Stadt Wien zur Erbringung dieser Leistung für Versicherte und anspruchsberechtigte Angehörige durch diplomiertes Pflegepersonal der Stadt Wien abgeschlossen. Diese Verträge seien allerdings keine Gesamtverträge, da Vertragspartner die Stadt Wien sei. Die Abgeltung der Leistungen erfolge pauschal; es bestünden auch keine Einzelverträge über die Erbringung medizinischer Hauskrankenpflege als Sachleistung. Infolge des Fehlens von Verträgen sei für jene Fälle, in denen die medizinische Hauskrankenpflege nicht durch diplomiertes Pflegepersonal der Stadt Wien in Anspruch genommen werde, gem. §131b ASVG ein Kostenzuschuss vorzusehen gewesen. Unter die Kostenzuschussregelung seien im Jahr 2002 sechs Fälle mit insgesamt 88 Leistungstagen, im Jahr 2001 fünf Fälle mit insgesamt 83 Leistungstagen gefallen; medizinische Hauskrankenpflege sei hier von vornherein privat in Anspruch genommen worden oder weil seitens der Stadt Wien keine Pflegepersonen mit einer offenbar notwendigen speziellen Qualifikation verfügbar gewesen seien. Über den Vertrag wurden 2002 141.731 Pflegetage, 2001 149.039 Pflegetage als Sachleistung erbracht.

In der "Bedachtnahmeformel" des §131b ASVG komme das für die Krankenbehandlung allgemein geltende Wirtschaftlichkeitsgebot zum Ausdruck; die Satzung habe zu berücksichtigen, dass die finanziellen Ressourcen der Versichertengemeinschaft beschränkt seien, weil ein angemessenes Beitragsniveau beibehalten werden solle; die Satzung habe aber auch zu berücksichtigen, dass die Versicherten Anspruch auf eine ausreichende Versorgung mit Krankenbehandlungsleistungen hätten. Es bestehe aber keine Verpflichtung der Krankenversicherung, alle denkbaren und medizinisch möglichen Leistungen als Sachleistungen ohne Zuzahlungen zu erbringen. Der Krankenversicherungsträger sei auch bei Fehlen gesamtvertraglicher Regelungen nicht verpflichtet, den Kostenzuschuss so zu bemessen, dass dem Versicherten die tatsächlich entstandenen Behandlungskosten zur Gänze ersetzt würden. In der Satzung 1999 habe sich der Zuschuss auf EUR 8,72 täglich belaufen, was im Klagsfall etwa 13 % der tatsächlichen Aufwendungen betrage. Aus Sicht der Wiener Gebietskrankenkasse könne aber eine Orientierung am tatsächlichen Aufwand schon deshalb nicht in Betracht gezogen werden, weil dem gesamten Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung ein Kostenersatz nach Marktpreisen fremd sei. Es käme sonst nämlich - je nach dem vom Anbieter verlangten Preis - zu unterschiedlich hohen Kassenleistungen. Der Verfassungsgerichtshof habe bislang auch nicht auf die tatsächlich aufgewendeten Kosten abgestellt, sondern dem Kostenzuschuss den finanziellen Aufwand des Trägers für eine vergleichbare Sachleistung gegenübergestellt. Die Wiener Gebietskrankenkasse stimme dem Obersten Gerichtshof aber darin zu, dass sich aus dem von der Ärztekammer Wien mit dem Hauptverband abgeschlossenen, mit 30. Juni 1995 ausgelaufenen Gesamtvertrag (betreffend Leistungen der Vertragsärzte im Bereich "krankenhausersetzende medizinische Hauskrankenpflege") kein unmittelbar vergleichbarer Tarif ergebe, zumal die allenfalls vergleichbare Tätigkeit eines Allgemeinmediziners im Wesentlichen pauschal pro Anspruchsberechtigtem und pro Quartal zu honorieren gewesen sei.

Durchaus vergleichbare Tarife enthielten aber jene Verträge, welche die Steiermärkische und die Tiroler Gebietskrankenkasse zur Sicherstellung der medizinischen Hauskrankenpflege als Sachleistung abgeschlossen hätten; bei privater Inanspruchnahme würde hier Kostenerstattung gem. §131 Abs1 ASVG geleistet. Die Satzungen der übrigen Gebietskrankenkassen sähen der Wiener Satzung vergleichbare Zuschüsse vor. Die Steiermärkische Gebietskrankenkasse vergüte ihren Vertragspartnern im Bereich der medizinischen Hauskrankenpflege jeden Besuch mit einem Besuchspauschale in Höhe von EUR 6,90 zuzüglich eines Wegpauschales in Höhe von EUR 1,96, gesamt somit EUR 8,86. Die Tiroler Gebietskrankenkasse honoriere ihren Vertragspartnern jeden Besuch mit EUR 12,72. Weder die Satzung der Steiermärkischen noch die der Tiroler Gebietskrankenkasse sähen eine Kostenzuschussregelung bei Inanspruchnahme medizinischer Hauskrankenpflege vor. Würde daher der jeweils Anspruchberechtigte die Leistung nicht beim Vertragspartner sondern privat in Anspruch nehmen, so betrage nach §131 Abs1 ASVG die Kostenerstattung (Anm.: d.s. 80 % des im Tarif des jeweiligen Gesamtvertrages vorgesehenen Honorars) je Besuch bei der Tiroler Gebietskrankenkasse EUR 10,17 und bei der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse EUR 7,09.

Auch wenn es keinen für eine vergleichbare Pflichtleistung festgelegten Tarif gebe, könne dies nach Meinung der Wiener Gebietskrankenkasse nicht zur Folge haben, dass bei Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Höhe eines Kostenzuschusses ersatzweise auf den Marktpreis der bezuschussten Leistung abzustellen wäre. Es erscheine nahe liegend und sachgerecht, als Prüfmaßstab jenen Aufwand heranzuziehen, den andere Gebietskrankenkassen für die Erbringung der medizinischen Hauskrankenpflege durch private Leistungserbringer zu tragen hätten. Bei Heranziehung dieses Maßstabes liege der seit Einführung der Leistung der medizinischen Hauskrankenpflege vorgesehene Kostenzuschuss sogar geringfügig über dem Mittelwert der bei privater Inanspruchnahme dieser Leistung dafür bei Gebietskrankenkassen zur Anwendung gelangenden Kostenerstattung.

4. Zur Ermittlung des Zuschusses in der Höhe von EUR 8,72 äußerten sich über Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger sowie die Wiener Gebietskrankenkasse ergänzend wie folgt:

Der Hauptverband sei insofern an der Festlegung des verfahrensgegenständlichen Kostenzuschusses beteiligt gewesen, als er an der Ermittlung der Gesamtpflegekosten der Träger und des Anteiles der Kosten für medizinische Hauskrankenpflege an diesen Gesamtkosten sowie der Zahl der Pflegetage mitgewirkt habe. Der eingesetzte Arbeitskreis sei zum Ergebnis gekommen, dass der Anteil der in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung fallenden medizinischen Hauskrankenpflege als krankenhausersetzende Leistung an der umfassenden Hauskrankenpflege mit maximal 10% anzusetzen sei. Ein zwischen der Wiener Gebietskrankenkasse und der Stadt Wien abgeschlossener Vertrag sehe zur Sicherstellung der Erbringung von Leistungen der medizinischen Hauskrankenpflege für Versicherte und deren anspruchberechtigte Angehörige eine Abgeltung der im Jahr 1992 erbrachten vertragsgegenständlichen Leistungen mit einem Pauschalbetrag von S 26,250.000,00 (zuzüglich einer allfälligen gesetzlichen Umsatzsteuer) vor. In zeitlicher Kongruenz mit diesem Vertragsabschluss sei in der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse für die Erstattung von Kosten der medizinischen Hauskrankenpflege für diplomiertes Pflegepersonal pro Fall und Pflegetag ein Höchstbetrag von S 120,00 festgelegt worden. Eine Gegenüberstellung des auf die Wiener Gebietskrankenkasse nach dem Versichertenstand entfallenden Anteiles an dem Pauschalbetrag von S 26,250.000,00 (entspricht EUR 1,907.661,80) von EUR 1,585.457,80 zu den präliminierten Pflegetagen (185.000) führe rechnerisch zu einem Tagessatz von EUR 8,57, zu den tatsächlich erbrachten Pflegetagen (182.104) zu einem Tagessatz von EUR 8,70.

Im Zuge der Begutachtung des Entwurfes zu einer Neufassung der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse im Jahr 1999 habe das zuständige Bundesministerium darauf hingewiesen, dass die bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Regelung betreffend Kostenerstattung für medizinische Hauskrankenpflege infolge Fehlens von Gesamtverträgen im Sinne des §349 Abs3 ASVG und von Einzelverträgen durch eine entsprechende Kostenzuschussregelung zu ersetzen sei. Dementsprechend sei bei Neubeschlussfassung der Satzung 1999 der bis dahin für die Kostenerstattung vorgesehene Betrag im Anhang 6 Z3 der Satzung 1999 als Höchstbetrag für einen gem. §131b letzter Satz ASVG zu leistenden Kostenzuschuss übernommen worden.

5. Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

5.1. Gem. §117 Z2 des Allgemeinen Sozialversicherungs-gesetzes - ASVG, BGBl. Nr. 189/1955 idgF, werden als Leistungen der Krankenversicherung erbracht: "aus dem Versicherungsfall der Krankheit: Krankenbehandlung (§§133 bis 137), erforderlichenfalls medizinische Hauskrankenpflege (§151) oder Anstaltspflege (§144 bis 150)".

5.2. Über das Verhältnis zwischen Anstaltspflege und medizinischer Hauskrankenpflege bestimmt §144 Abs1 ASVG Folgendes:

"§144. (1) Pflege in der allgemeinen Gebührenklasse einer Krankenanstalt, die über Landesfonds finanziert wird (landesfondsfinanzierte Krankenanstalt), ist, sofern im Sprengel des Versicherungsträgers eine solche Krankenanstalt besteht und der Erkrankte nicht mit seiner Zustimmung in einer anderen Krankenanstalt untergebracht wird, zu gewähren, wenn und solange es die Art der Krankheit erfordert. §134 gilt entsprechend. Wenn und solange es die Art der Krankheit zuläßt, ist anstelle von Anstaltspflege medizinische Hauskrankenpflege zu gewähren (§151). Die Anstaltspflege kann auch gewährt werden, wenn die Möglichkeit einer medizinischen Hauskrankenpflege nicht gegeben ist."

§151 ASVG, BGBl. Nr. 681/1991 idF des SRÄG 1993, BGBl. Nr. 335, und der 55. Novelle zum ASVG, BGBl. I Nr. 138/1998, umschreibt die medizinische Hauskrankenpflege wie folgt:

"Medizinische Hauskrankenpflege

§151. (1) Wenn und solange es die Art der Krankheit erfordert, ist medizinische Hauskrankenpflege zu gewähren.

(2) Die medizinische Hauskrankenpflege wird erbracht durch Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege (§12 des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes, BGBl. I Nr. 108/1997), die vom Krankenversicherungsträger beigestellt werden oder die mit dem Krankenversicherungsträger in einem Vertragsverhältnis im Sinne des Sechsten Teiles dieses Bundesgesetzes stehen oder die im Rahmen von Vertragseinrichtungen tätig sind, die medizinische Hauskrankenpflege betreiben.

(3) Die Tätigkeit des Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege kann nur auf ärztliche Anordnung erfolgen. Die Tätigkeit umfasst medizinische Leistungen und qualifizierte Pflegeleistungen, wie die Verabreichung von Injektionen, Sondenernährung, Dekubitusversorgung. Zur medizinischen Hauskrankenpflege gehören nicht die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung des Kranken.

(4) Hat der (die) Anspruchsberechtigte nicht die Vertragspartner (§338) oder die eigenen Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) des Versicherungsträgers in Anspruch genommen, so gebührt ihm Kostenersatz gemäß §131.

(5) Die medizinische Hauskrankenpflege wird für ein und denselben Versicherungsfall für die Dauer von längstens vier Wochen gewährt. Darüber hinaus wird sie nach Vorliegen einer chef- oder kontrollärztlichen Bewilligung weitergewährt.

(6) Medizinische Hauskrankenpflege wird nicht gewährt, wenn der (die) Anspruchsberechtigte in einer der im §144 Abs4 bezeichneten Einrichtungen untergebracht ist."

5.3. Die medizinische Hauskrankenpflege ist also grundsätzlich als Sachleistung zu erbringen; in diesem Zusammenhang sieht §338 Abs1 ASVG vor, dass die Beziehungen der Träger der Sozialversicherung (des Hauptverbandes) zu den Pflegepersonen, die medizinische Hauskrankenpflege gem. §151 ASVG erbringen, durch privatrechtliche Verträge "nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen" geregelt werden, die zu ihrer Rechtsgültigkeit der Schriftform bedürfen. Gem. §338 Abs2 ASVG ist durch diese Verträge "die ausreichende Versorgung der Versicherten und ihrer anspruchsberechtigten Angehörigen mit den gesetzlich und satzungsmäßig vorgesehenen Leistungen sicherzustellen".

Gem. §349 Abs3 ASVG können schließlich die Beziehungen zwischen den Sozialversicherungsträgern und anderen Vertragspartnern als den im Gesetz bis dahin schon genannten Gruppen (Ärzte, Gruppenpraxen, Dentisten, Apotheker, freiberuflich tätige Psychologen und Psychotherapeuten sowie Krankenanstalten), dh. auch die Beziehungen zu Pflegepersonen, die medizinische Hauskrankenpflege gem. §151 ASVG erbringen, durch Gesamtverträge geregelt werden, wobei §341 ASVG mit der Maßgabe gilt, dass an die Stelle der Ärztekammer die zuständige gesetzliche berufliche Vertretung tritt. Sieht ein gem. §349 Abs3 ASVG abgeschlossener Gesamtvertrag vor, dass ohne Abschluss von Einzelverträgen die im Gesamtvertrag angeführten Verbandsangehörigen die Sachleistungen für Rechnung der Träger der Krankenversicherung zu erbringen haben, dann regelt der Gesamtvertrag selbst mit verbindlicher Wirkung die Beziehungen zwischen den Verbandsangehörigen und den Versicherungsträgern (§349 Abs4 ASVG).

5.4. Für den Fall, dass vertragliche Regelungen noch nicht bestehen, ordnet §131b ASVG idF der 50. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 676/1991, die Gewährung von Kostenzuschüssen und die Festlegung von deren Höhe in der Satzung des Krankenversicherungsträgers an.

Diese Bestimmung lautet (Hervorhebungen nicht im Original):

"Kostenzuschüsse bei Fehlen

vertraglicher Regelungen

§131b. Stehen andere Vertragspartner infolge Fehlens von Verträgen nicht zur Verfügung, so gilt §131a mit der Maßgabe, daß in jenen Fällen, in denen noch keine Verträge für den Bereich einer Berufsgruppe bestehen, der Versicherungsträger den Versicherten die in der Satzung festgesetzten Kostenzuschüsse zu leisten hat. Der Versicherungsträger hat das Ausmaß dieser Zuschüsse unter Bedachtnahme auf seine finanzielle Leistungsfähigkeit und das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten festzusetzen."

5.5. Die Wiener Gebietskrankenkasse hat bisher weder Verträge mit Pflegepersonen im Sinne des §338 Abs1 ASVG, noch einen Gesamtvertrag über die Erbringung der medizinischen Hauskrankenpflege im Sinne des §349 Abs3 ASVG abgeschlossen. Sie erbringt - wie sie in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 1. Juli 2004 vorgetragen hat - die Sachleistungen aufgrund vertraglicher Vereinbarungen der "Wiener Krankenversicherungsträger" mit der Stadt Wien gegen Entrichtung eines jährlichen Pauschalbetrages, der im Jahre 1992 S 26,250.000,00 betragen hat.

5.5.1. Für jene Fälle, hinsichtlich derer Sachleistungen auf diesem Wege nicht erbracht werden können, sieht die Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse - gestützt auf §131b ASVG - einen Kostenzuschuss vor, den der Oberste Gerichtshof im vorliegenden Antrag als zu niedrig und daher als gesetzwidrig erachtet.

5.5.2. §38 der Satzung 1999 der Wiener Gebietskrankenkasse, SozSi Nr. 70/1999 idF SozSi Nr. 99/2001, lautet wie folgt (der angefochtene Teil ist hervorgehoben):

"Kostenzuschüsse bei Fehlen vertraglicher Regelungen

(§131b ASVG)

§38. Stehen Vertragspartner für

auf Rechnung der Kasse nicht zur Verfügung, weil Verträge nicht zu Stande gekommen sind, leistet die Kasse Kostenzuschüsse nach der Regelung im Anhang 6 zur Satzung."

Der in §38 verwiesene Anhang 6 der Satzung 1999 (idF SozSi Nr. 86/2001, SozSi Nr. 99/2001 und SozSi Nr. 161/2001) lautet auszugsweise (der angefochtene Teil ist hervorgehoben):

"Kostenzuschüsse gemäß §38 der Satzung bei Fehlen vertraglicher

Regelungen

1. - 2. ...

3. Für medizinische Hauskrankenpflege durch diplomiertes

Pflegepersonal pro Fall und Pflegetag, an dem medizinische

Hauskrankenpflege geleistet wurde ............. höchstens € 8,72

(inkl. Wegegebühren)

längstens aber für die Dauer von 4 Wochen für ein und denselben

Versicherungsfall pro Pflegetag ......................... € 8,72

(inkl. Wegegebühren)

4. ...

Die oben angeführten Beträge sind um die anteilige Umsatzsteuer zu erhöhen, wenn in der Rechnung über die Leistung eine Umsatzsteuer ausgewiesen ist."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

A. Zur Zulässigkeit:

1. Die Satzung eines Sozialversicherungsträgers ist eine Verordnung; die Frage ihrer Gesetzmäßigkeit kann daher zulässiger Gegenstand eines Verfahrens nach Art139 B-VG sein (vgl. zB VfSlg. 14.593/1996).

2. Der Verfassungsgerichtshof ist in der Frage der Präjudizialität der angefochtenen Norm nicht berechtigt, das antragstellende Gericht an eine bestimmte Auslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10.296/1984, 11.565/1987, 12.189/1989).

2.1. Nach Einlangen des vorliegenden Antrages hat der Verfassungsgerichtshof auf dasselbe Thema bezogene Anträge des Obersten Gerichteshofes auf Aufhebung vergleichbarer Satzungsbestimmungen anderer Krankenversicherungsträger mit Erkenntnis vom 3. März 2004, V91/03, V94, 95/03, mit der Begründung abgewiesen, dass die in den damaligen Ausgangsfällen in Rede stehende intensivmedizinische Betreuung nicht unter die Kategorie der medizinischen Hauskrankenpflege falle. In dem daraufhin im Revisionsverfahren des Ausgangsfalls zu V91/03 ergangenen Aufhebungsbeschluss vom 21. Juni 2004, 10 ObS 68/04d, hat der Oberste Gerichtshof nunmehr die Auffassung vertreten, dass die vom Verfassungsgerichtshof nicht aufgehobene Satzungsbestimmung den Kostenersatz für die intensivmedizinische Betreuung gar nicht regle, sondern nur den "typischen (einfachen) Fall der Hauskrankenpflege", sodass die - zuvor beim Verfassungsgerichtshof angefochtenen - Satzungsbestimmungen für die Bestimmung des Kostenersatzes in Fällen der Intensivkrankenpflege nicht heranzuziehen seien.

2.1.1. Unter Hinweis auf diesen Beschluss ersuchte der Verfassungsgerichtshof den Obersten Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache um eine ergänzende Äußerung zu der Frage, ob angesichts seines zwischenzeitig ergangenen Beschlusses vom 21. Juni 2004 die Auffassung, die hier angefochtene Satzungsbestimmung sei im Ausgangsverfahren anzuwenden, aufrechterhalten werde. Der Oberste Gerichtshof erklärte in seiner Äußerung, im vorliegenden Fall weiterhin an seiner im Verordnungsprüfungsantrag dargelegten Auffassung festzuhalten; er wies auf das Wesentliche zusammengefasst darauf hin, dass seiner Meinung nach hier ein vergleichbarer Fall intensivmedizinischer Betreuung nicht vorliege, sodass er die angefochtene Bestimmung jedenfalls anzuwenden haben werde.

2.1.2. Vor dem Hintergrund des vom Obersten Gerichtshof dargelegten Sachverhaltes des von ihm zu entscheidenden Ausgangsfalles und angesichts der ergänzenden Äußerung ist es ungeachtet des erwähnten Beschlusses vom 21. Juni 2004 (weiterhin) nicht denkunmöglich, dass die von ihm angefochtenen Bestimmungen der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse betreffend den Kostenzuschuss für medizinische Hauskrankenpflege im Ausgangsfall anzuwenden sind.

2.2. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, ist der Antrag zulässig.

B. In der Sache:

1. Der Oberste Gerichtshof hegt gegen die angefochtenen Satzungsbestimmungen der Sache nach das Bedenken, dass der klagenden Partei des Ausgangsverfahrens - entgegen der Anordnung des §131b ASVG - im Ergebnis nur ein geringfügiger, gemessen an dem Aufwand für medizinische Hauskrankenpflege wirtschaftlich praktisch nicht ins Gewicht fallender Teil der für ihr mitversichertes Kind entstandenen Kosten ersetzt würde. Der bei Fehlen eines Gesamtvertrages normierte gesetzliche Anspruch auf die Leistung eines Kostenzuschusses werde durch die angegriffenen Satzungsbestimmungen de facto "abgeschnitten". Ein Zuschuss müsse eine bestimmte Höhe erreichen, um begrifflich noch als Zuschuss gelten zu können. Die angegriffene Regelung der Satzung führe also nach dem Vorbringen des Obersten Gerichtshofes dazu, dass in Fällen wie jenem des Ausgangsverfahrens der Kostenzuschuss zu niedrig ausfalle, weshalb sie hinsichtlich der Festlegung der Höhe des Kostenzuschusses für medizinische Hauskrankenpflege den gesetzlichen Vorgaben des §131b ASVG nicht genüge.

2. Damit ist der Oberste Gerichtshof im Ergebnis im Recht:

2.1. Wenn - wie hier - Vertragspartner infolge Fehlens von Verträgen zur Erbringung der erforderlichen Sachleistung (Maßnahmen der Hauskrankenpflege für ein am Kurzdarmsyndrom leidendes Kleinkind) nicht zur Verfügung stehen, so tritt gem. §131b ASVG anstelle der Sachleistung die Erbringung von Geldleistungen. §131b ASVG sieht in diesem Zusammenhang die Anwendung des §131a ASVG (Kostenerstattung beim vertragslosen Zustand) mit der Maßgabe vor, dass in jenen Fällen, in denen noch keine Verträge für den Bereich einer Berufsgruppe bestehen, der Versicherungsträger den Versicherten die in der Satzung festgesetzten Kostenzuschüsse zu leisten hat. Nach dem letzten Satz dieser Bestimmung hat der Versicherungsträger das Ausmaß dieser Zuschüsse unter Bedachtnahme auf seine finanzielle Leistungsfähigkeit und das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten festzusetzen.

2.2. Die gebotene Vorgangsweise bei der Festlegung von Kostenzuschüssen nach §131b ASVG unterscheidet sich von jener bei Leistungen im Zusammenhang mit Zahnbehandlung und Zahnersatz im Sinne der §§153 ff ASVG, zu denen der Verfassungsgerichtshof bereits entschieden hat, dass sie sich an Tarifen für vergleichbare Pflichtleistungen zu orientieren haben (vgl. dazu etwa VfSlg. 15.968/2000), somit darin, dass §131b ASVG im Verhältnis zu §153 Abs2 ASVG höhere Anforderungen an den Kostenzuschuss stellt.

Eine Parallele zu den für Zahnbehandlung und Zahnersatz geltenden Regelungen ergibt sich aber daraus, dass die Gebietskrankenkasse auch nach §131b ASVG iVm §131a ASVG nicht verpflichtet ist, kostendeckende Leistungen (zu Marktpreisen) vorzusehen, wie sich schon aus der Bedeutung des Begriffes des Kostenzuschusses ergibt.

2.3. Allerdings ist der Krankenversicherungsträger in der Festsetzung der Höhe solcher Kostenzuschüsse, die gem. §131b ASVG an Stelle von gesetzlichen Pflicht(sach)leistungen zu gewähren sind, nicht frei. In dieser verfassungsrechtlich unbedenklichen (vgl. VfSlg. 15.787/2000) Bestimmung ist nämlich angeordnet, dass solche Zuschüsse nicht nur nach Maßgabe der finanziellen Leistungsfähigkeit des Versicherungsträgers festzusetzen sind, sondern dass dabei auch das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten mit zu berücksichtigen ist.

2.3.1. Bei Erlassung der entsprechenden Satzungsregelung kommt dem Krankenversicherungsträger zwar ein weiter rechtspolitischer Spielraum zu. Er hat aber bei Festlegung der Höhe eines Kostenzuschusses für Hauskrankenpflege, der an die Stelle einer mangels geeigneter Vertragspartner nicht gewährten Pflichtleistung tritt, mit in Betracht zu ziehen, um welche Art von Pflegeleistungen es sich dabei handeln kann und in welcher Häufigkeit diese typischerweise benötigt werden. Die denkbare Vielfalt der Fallkonstellationen ergibt sich schon aus den in §151 Abs3 ASVG nur beispielsweise aufgezählten Leistungen im Sinne des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes, BGBl. I Nr. 108/1997, von denen evident ist, dass sie - in Abhängigkeit von Art und Häufigkeit der erforderlichen Pflegeleistungen - ganz unterschiedlich hohe Kosten verursachen können. Ein solcherart auch ganz unterschiedliches wirtschaftliches Bedürfnis der Versicherten wäre bei der Festsetzung des Kostenzuschusses aber nach dem letzten Satz des §131b ASVG zu berücksichtigen gewesen.

2.3.2. Eine Pauschalierung des Kostenzuschusses wäre zwar nicht von Vornherein unzulässig, hätte aber eine Orientierung an einer Durchschnittsbetrachtung vorausgesetzt; sie durfte daher keinesfalls an der Untergrenze des in Betracht kommenden Aufwandes erfolgen (hier erreicht der Tagessatz zB nicht einmal den Stundenlohn einer diplomierten Pflegeperson in Höhe von EUR 9,10 für das erste Berufsjahr in der Verwendungsgruppe 3 des vom Bundeseinigungsamt erlassenen Mindestlohntarifs für Anbieter sozialer oder gesundheitlicher Dienste, M 11/2004/XXII/96/1). Mit den von der Wiener Gebietskrankenkasse ins Treffen geführten Gesamtverträgen kann der hier in Rede stehende Kostenzuschuss insofern nicht verglichen werden, als sich der in diesen festgelegte (höhere) Kostenzuschuss auf den einzelnen Hausbesuch bezieht. Es wurde in diesen Gesamtverträgen somit gerade keine von der Anzahl der erforderlichen Dienstleistungen unabhängige tageweise Pauschalierung vorgenommen.

3. Die angefochtenen Satzungsbestimmungen erweisen sich daher als gesetzwidrig. Im Hinblick darauf, dass die Satzung 1999 der Wiener Gebietskrankenkasse mit Ablauf des 31. Dezember 2002 außer Kraft getreten ist (vgl. §51 der Satzung 2003 der Wiener Gebietskrankenkasse, www.avsv.at , Amtliche Verlautbarung Nr. 1/2003), hatte es gem. Art139 Abs4 B-VG bei der Feststellung zu bleiben, dass diese Bestimmungen gesetzwidrig waren.

4. Die Kundmachungspflicht der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen ergibt sich aus Art139 Abs5 erster und zweiter Satz B-VG iVm §60 Abs2 VfGG und §4 Abs1 Z4 BGBlG.

C. Dies konnte gem. §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte