VfGH B1611/04

VfGHB1611/0427.9.2005

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch neuerliche Abweisung des Antrags eines praktischen Arztes auf Auszahlung von Honoraranteilen aus einem Einzelvertrag durch die Gebietskrankenkasse nach aufhebendem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes; keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch verfassungswidrige Zusammensetzung der belangten Behörde; keine Willkür, keine denkunmögliche oder gleichheitswidrige Gesetzesauslegung durch die Versagung vorläufiger Honorarzahlungen bei offenbar unrichtiger Abrechnung; keine Bedenken gegen die Regelung über die Zusammensetzung der Landesberufungskommission, keine Zweifel an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Mitglieder im konkreten Fall

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
ASVG §341 ff
ASVG §345
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
ASVG §341 ff
ASVG §345

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Arzt für Allgemeinmedizin mit Sitz in Niederösterreich. Er hat ua. mit der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (im Folgenden: Gebietskrankenkasse) einen Einzelvertrag geschlossen.

Mit insgesamt vier im Jahr 1998 bei der Ärztekammer für Niederösterreich (als Geschäftsstelle der paritätischen Schiedskommission für Niederösterreich) eingebrachten Schriftsätzen beantragte der Beschwerdeführer bei der paritätischen Schiedskommission für Niederösterreich, die Gebietskrankenkasse schuldig zu erkennen, dem Beschwerdeführer die in den Anträgen verzeichneten Beträge an ausständigem Honorar zu bezahlen. Begründend wurde dazu ausgeführt, der Beschwerdeführer habe im III. und IV. Quartal des Jahres 1997 sowie im I. und II. Quartal des Jahres 1998 an die Versicherten der Gebietskrankenkasse Leistungen erbracht, die diese aber zu Unrecht nicht honoriert habe.

Die strittigen Leistungen (urologische Ultraschalluntersuchung, Sonographie des Oberbauches, Echokardiographie) sind in der Honorarordnung zum anzuwendenden Gesamtvertrag den Fachgebieten "Urologie" bzw. "Interne Medizin" zugeordnet; sie dürfen daher nur von entsprechenden Fachärzten verrechnet werden.

2. Mit dem im Devolutionsweg (vgl. §345 Abs2 Z2 iVm §344 Abs3 ASVG) ergangenen Bescheid der Landesberufungskommission für Niederösterreich vom 25. November 1998 wurden die das III. und IV. Quartal 1997 und das I. Quartal 1998 betreffenden Anträge abgewiesen.

Dieser Bescheid wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 27. November 2000, B721/99, wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor einem unparteiischen Tribunal aufgehoben.

3. Mit dem im zweiten Rechtsgang erlassenen - auch den das II. Quartal 1998 betreffenden Antrag erledigenden - Bescheid vom 19. September 2001 wurden die vom Beschwerdeführer gestellten Leistungsbegehren (erneut) abgewiesen.

Auch dieser Bescheid wurde vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben (VfSlg. 16.704/2002), und zwar wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal.

4. Mit dem im nunmehr dritten Rechtsgang - nach durchgeführter öffentlicher mündlicher Verhandlung - erlassenen Bescheid vom 20. Dezember 2004 (dem Beschwerdeführer zugestellt mit Einschreiben vom 21. Dezember 2004) wies die Landesberufungskommission für Niederösterreich die in Rede stehenden Anträge neuerlich ab.

Begründend wird dazu ua. Folgendes ausgeführt:

Nach der Honorarordnung zum Gesamtvertrag seien grundsätzlich nur die im "Verzeichnis der vertragsärztlichen Leistungen und Vergütungen" angeführten Leistungen verrechenbar. Die einzelnen Leistungen seien den Fachgebieten entsprechend zusammengefasst; bestehe in Einzelfällen die Notwendigkeit, die angegebenen Fachbeschränkungen zu überschreiten, so sei - mit Begründung - die vorherige chefärztliche Genehmigung einzuholen. Nach den - vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger erlassenen - Richtlinien über die Berücksichtigung ökonomischer Grundsätze bei der Krankenbehandlung sei diese Genehmigung nicht erforderlich, wenn die Anwendung der betreffenden Behandlungsmethode in Fällen der Ersten Hilfe oder zur Abwendung einer erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigung unverzüglich notwendig gewesen sei; dies sei vom Arzt auf dem jeweiligen Abrechnungsbeleg schriftlich zu begründen. Eine derartige Begründung für die Überschreitung der Fachbeschränkung habe der Beschwerdeführer aber nicht vorgenommen.

Als Arzt für Allgemeinmedizin habe der Beschwerdeführer daher - trotz seiner unbestrittenen Qualifikation - auf Grund der geltenden Facharztbeschränkung keinen Anspruch auf Vergütung der von ihm durchgeführten sonographischen Untersuchungen. Die strittige Facharztbeschränkung sei sachlich gerechtfertigt, zudem hätten die Parteien des Einzelvertrages die Möglichkeit, "im Einzelfall" Sondervereinbarungen zu treffen. Im vorliegenden Fall sei eine solche aber nicht geschlossen werden.

5. Gegen diesen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden (vgl. §345 Abs3 iVm §346 Abs7 ASVG) - Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde. Darin behauptet der Beschwerdeführer, in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt zu sein, und beantragt, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, ohne eine Gegenschrift zu erstatten. Die am Beschwerdeverfahren beteiligte Gebietskrankenkasse erstattete eine schriftliche Äußerung, in der sie den angefochtenen Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt. Der Beschwerdeführer brachte sodann einen Schriftsatz mit "weiterem Vorbringen" ein, dem die beteiligte Gebietskrankenkasse mit einer "ergänzenden Äußerung" entgegentrat.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift irrig einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001 16.640/2002).

Keiner dieser Mängel liegt hier vor:

1.1. Die belangte Behörde hat sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides mit der Frage der Sachlichkeit der im vorliegenden Fall strittigen sogenannten "Fachgebietsbeschränkung", wie sie in der Honorarordnung zum anzuwendenden Gesamtvertrag enthalten ist, ausführlich auseinandergesetzt; soweit sie die sachliche Rechtfertigung dieser Regelung in dem Anliegen erblickt, die flächendeckende medizinische Versorgung im Hinblick auf Qualität und Wirtschaftlichkeit zu steuern (in diesem Sinne Grillberger, in Strasser [Hrsg.], Arzt und gesetzliche Krankenversicherung [1995] 372; diesem folgend OGH 30. März 1999, 10 ObS 403/98g, DRdA 2000, 156 [157]), kann ihr aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden.

1.2. Der Beschwerdeführer wendet sich auch dagegen, dass er zwar verpflichtet sei, alle Leistungen zu erbringen, "die auf Grund der ärztlichen Ausbildung und der dem Vertragsarzt zu Gebote stehenden Hilfsmittel" durchgeführt werden können (so §9 Abs1 der vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger erlassenen Richtlinien über die ökonomische Krankenbehandlung - RöK), für diese Leistungen aber nicht entlohnt werde.

Die Beschwerde übersieht hier, dass die strittige "Fachgebietsbeschränkung" bloß den vertragsärztlichen Vergütungsanspruch gegenüber dem Versicherungsträger beschränkt, seinen Honoraranspruch gegenüber dem Versicherten aber unberührt lässt (vgl. OGH 5. Dezember 2000, 10 ObS 336/00k, mwN).

1.3. Der Beschwerdevorwurf, durch die strittige Regelung der Honorarordnung werde der gesetzliche Anspruch des Versicherten auf Krankenbehandlung beschränkt, erweist sich ebenfalls als unbegründet; dem Versicherten ist es vielmehr grundsätzlich zumutbar, die notwendigen Leistungen bei den entsprechenden Fachärzten in Anspruch zu nehmen (vgl. Grillberger, aaO 373).

1.4. Gemäß §32 Abs2 des anzuwendenden Gesamtvertrages sind "strittige" Honorarteile vom Versicherungsträger als vorläufige Zahlung anzuweisen; Honorarteile, die vom Schlichtungsausschuss (bzw. von der paritätischen Schiedskommission) rechtskräftig "gestrichen" worden sind, können bei der nächsten Honorarzahlung in Abzug gebracht werden.

Soweit die Beschwerde den Vorwurf erhebt, die Behörde habe diese Bestimmung - trotz entsprechenden Vorbringens im Verwaltungsverfahren - bei ihrer Entscheidung nicht beachtet und so Willkür geübt, releviert sie bloß einen Mangel der Begründung des angefochtenen Bescheides, der aber nicht in die Verfassungssphäre reicht: Es wäre nämlich nicht denkunmöglich, die genannte Bestimmung dahin auszulegen, dass eine vorläufige Honorarzahlung dann nicht in Betracht kommt, wenn der Versicherungsträger - wie vorliegend - schon anhand der Abrechnung und der Honorarordnung ohne besonderen Aufwand nachweisen kann, dass die Abrechnung unrichtig ist (vgl. Grillberger, aaO 378).

1.5. Der belangten Behörde ist auch nicht entgegenzutreten, wenn sie davon ausgeht, dass es das zwischen dem Beschwerdeführer und der Gebietskrankenkasse bestehende Vertragsverhältnis nicht zulässt, den in Rede stehenden Vergütungsanspruch (auch) aus dem Titel des Bereicherungsrechtes zu erheben.

1.6. Schließlich bestand für die belangte Behörde kein Anlass, zur Klärung der Frage, ob es sich bei den strittigen Leistungen (wie vom Beschwerdeführer behauptet) um solche handle, "die heutzutage von jedem Mediziner beherrscht werden müssten, von jedem erlernt werden müssten" und deren Verrechenbarkeit nicht auf "beliebige" Fachgruppen beschränkt werden könne, ein Beweisverfahren durchzuführen.

2. Nach Art6 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Tribunal gehört wird, das über seine zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden hat.

2.1. Gemäß §345 Abs1 ASVG in der im vorliegenden Fall maßgebenden Fassung der 60. Novelle, BGBl. I Nr. 140/2002, bestehen die - für jedes Land auf Dauer zu errichtenden - Landesberufungskommissionen aus einem Richter und vier Beisitzern. Je zwei Beisitzer sind vom Bundesminister für Justiz auf Vorschlag der Österreichischen Ärztekammer und des Hauptverbandes zu bestellen. Versicherungsvertreter und Arbeitnehmer jenes Versicherungsträgers sowie Angehörige und Arbeitnehmer jener Ärztekammer, die Parteien des Gesamtvertrages sind, auf dem der strittige Einzelvertrag beruht, dürfen im jeweiligen Verfahren nicht Beisitzer sein.

2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits wiederholt (zuletzt in seinem Erkenntnis vom 30. November 2004, B1121/04) dargelegt, dass Streitigkeiten aus einem Einzelvertrag zwar in den Kernbereich der durch Art6 Abs1 EMRK erfassten "zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen" fallen, die (zur Entscheidung solcher Streitigkeiten in zweiter Instanz berufenen) Landesberufungskommissionen den Anforderungen des Art6 Abs1 EMRK jedoch grundsätzlich entsprechen (zur Unbedenklichkeit der Mitwirkung von Interessenvertretern an der Willensbildung dieser Behörden vgl. insbesondere VfSlg. 15.698/1999). Das - zur Gesetzeslage vor der 60. Novelle zum ASVG ergangene - Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 3. Februar 2005, Z58.141/00 Thaler/Österreich, steht dazu nicht im Widerspruch.

Da die Mitglieder der Landesberufungskommission in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden sind (vgl. §345 Abs3 iVm §346 Abs6 ASVG), könnte sich - wie der Verfassungsgerichtshof in den erwähnten Entscheidungen ausgeführt hat - ein Verstoß gegen Art6 Abs1 EMRK nur aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergeben, so etwa daraus, dass ein Mitglied am Zustandekommen des Gesamt- oder Einzelvertrages, dessen Gültigkeit oder Interpretation im Verfahren bestritten wird, mitgewirkt hat (vgl. VfSlg. 13.553/1993, 15.981/2000), oder sonst "besondere Umstände" vorliegen, welche die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des betreffenden Mitgliedes zur Entscheidung in bestimmten Rechtssachen mit Recht in Zweifel ziehen ließen.

Solche Umstände liegen hier nicht vor; sie könnten auch (entgegen der Beschwerde) nicht allein darin begründet sein, dass jene Ärztekammern und Versicherungsträger, denen die Beisitzer der belangten Behörde angehören, Gesamtverträge mit Bestimmungen geschlossen haben, die den im vorliegenden Fall strittigen gleichen.

2.3. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich daher nicht veranlasst, die Bestimmung des §345 Abs1 ASVG (idF der 60. Novelle) - wie in der Beschwerde angeregt - einem Gesetzesprüfungsverfahren zu unterziehen.

3. Die behaupteten Rechtsverletzungen liegen somit nicht vor. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden wäre.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie vorliegend - gegen den Bescheid einer sogenannten Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag richtet, der gemäß Art133 Z4 B-VG nicht mit Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof bekämpft werden kann (zB VfSlg. 3975/1961, 6760/1972, 7121/1973, 7654/1975, 9541/1982 mwN).

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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