VfGH B94/04

VfGHB94/0430.11.2004

Keine Verletzung im Gleichheitsrecht und im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen einen Finanzbeamten und Anberaumung einer Verhandlung

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Strafrecht
BDG 1979 §94, §123, §124
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Strafrecht
BDG 1979 §94, §123, §124

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer steht als Finanzbeamter in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.

2.1. Mit Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen vom 2. Juli 2003 wurde gegen den nunmehrigen Beschwerdeführer gemäß §123 Abs1 des Beamtendienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333 (BDG), ein Disziplinarverfahren eingeleitet und gemäß §124 Abs1 leg. cit. eine mündliche Verhandlung anberaumt. Darin wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe

"1) eine schriftliche Weisung der Amtsvorständin vom 8. Jänner 1998 nicht befolgt und

2) als Gruppenleiter während seiner Dienstzeit jahrelang regelmäßig umfangreiche nicht dienstlich veranlasste Abfragetätigkeiten im Abfrageinformationssystem der Finanzverwaltung über Daten von Klienten seiner als Gewerbliche Buchhalterin tätigen Gattin durchgeführt und

3) Reisespesen zu Unrecht geltendgemacht, indem er sich während der Zeit, in der er laut Reisekostenabrechnung Außendienst versehen haben soll und jeweils 1/3 der Tagediäten geltendgemacht hat, nachweislich in seiner Dienststelle (Finanzamt Wolfsberg) aufgehalten hat, da er zugleich vom dortigen PC Gerät Abfragen aus dem AIS getätigt hat und

4) im Rahmen seiner ihm obliegenden Dienstaufsicht die ihm zum Teil bekannt gewesene unerlaubte Nebenbeschäftigung von Prüfern seiner Gruppe geduldet."

Damit sei der Beschwerdeführer verdächtig, schuldhaft gegen näher genannte Bestimmungen des BDG verstoßen und dadurch Dienstpflichtverletzungen iSd. §91 BDG begangen zu haben.

2.2. Gegen diesen Bescheid erhob der nunmehrige Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 25. Juli 2003 Berufung. Darin macht der Beschwerdeführer primär Verjährung (§94 Abs1 BDG) geltend.

Weiters bringt er vor: Es entspreche nicht den Tatsachen, dass er die Weisung der Amtsvorständin vom 8. Jänner 1998 nicht befolgt habe. Auskünfte aus Datenbanken seien nur auf Grund dienstlicher Veranlassung getätigt worden. Unkorrektheiten bei den Reisekostenabrechnungen seien bislang nicht nachgewiesen worden. Was den Vorwurf der mangelnden Dienstaufsicht anlange, so habe sich trotz Erfüllung sämtlicher Prüfungspflichten niemals auch nur der geringste Verdacht ergeben; zudem sei der Aufgabenbereich des Beschwerdeführers ständig erweitert worden, daher seien immer weniger zeitliche Ressourcen zur Wahrnehmung dieser Aufgabe vorhanden gewesen.

2.3. Mit Bescheid der Berufungskommission beim Bundeskanzleramt vom 18. November 2003 wurde der Berufung insoweit Folge gegeben, als das Disziplinarverfahren hinsichtlich Pkt. 3 des oben wiedergegebenen Spruches des erstinstanzlichen Bescheides eingestellt wurde. Im Übrigen wurde die Berufung abgewiesen.

Begründend wird dazu ua. Folgendes ausgeführt:

"Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes [...] erlangt die Disziplinarbehörde, zu der auch die im jeweiligen Fall in Betracht kommende Dienstbehörde (im konkreten Fall: Finanzlandesdirektion für Kärnten) zählt, in einer die Frist des §94 Abs1 Z1 BDG in Lauf setzenden Weise Kenntnis, wenn ihr von dem später als Dienstpflichtverletzung gewürdigten Verhalten ausreichend Mitteilung gemacht worden ist. Es kann nur auf die Kenntnisnahme jener Umstände abgestellt werden, die für die Dienstbehörde gemäß §110 Abs1 Z2 BDG die Pflicht zur Weiterleitung der Disziplinaranzeige an den Vorsitzenden der Disziplinarkommission und an den Disziplinaranwalt begründen [...].

[...]

Maßgebend für den Beginn der sechsmonatigen Verjährungsfrist ist die Kenntnis - nicht das Kennenmüssen - der Dienstbehörde von Tatsachen, die zur Annahme berechtigen, ein konkretes Verhalten eines Beamten falle unter einen disziplinär zu ahndenden Tatbestand. 'Kenntnis erlangt' die Dienstbehörde in einer die Frist des §94 Abs1 Z1 BDG in Lauf setzenden Weise, wenn ihr von dem später als Dienstpflichtverletzung gewürdigten Verhalten des Beamten ausreichend Mitteilung gemacht worden ist.

In Betracht kommt nur das auf sicheren Grundlagen beruhende Wissen über bestimmte Tatsachen, nicht also das bloße Erfahren eines Gerüchtes bzw. von Vermutungen Dritter oder das bloße Kennenmüssen

[...].

Ein anonymes Schreiben steht auf der Stufe von Vermutungen Dritter. Die 'Kenntnis' einer Dienstpflichtverletzung i.S.d. §94 Abs1 Z1 BDG ist erst anzunehmen, wenn die Dienstbehörde die in einer anonymen Anzeige erhobenen Vorwürfe auf ihre Stichhaltigkeit geprüft und sich ein umfassendes Bild über die möglicherweise disziplinär relevanten Sachverhalte verschafft hat [...].

Bezogen auf den vorliegenden Berufungsfall bedeutet dies Folgendes:

Im vorliegenden Fall hat die zuständige Dienstbehörde (= Finanzlandesdirektion für Kärnten) von den im Einleitungs- und Verhandlungsbeschluss der Disziplinarkommission zu Grunde gelegten Fakten weder durch die am 29. Juli 2002 noch durch die am 7. Jänner 2003 bei der Dienstbehörde eingelangten anonymen Anzeigen 'Kenntnis erlangt' (iSd §94 Abs1 Z1 BDG). Dies deshalb, weil - wie ausgeführt - als 'Kenntnis' von Dienstpflichtverletzungen nur das auf sicheren Grundlagen beruhende Wissen über bestimmte Tatsachen in Betracht kommt.

Die auf Grund der am 29. Juli 2002 eingelangten anonymen Anzeige von der Dienstbehörde (= Finanzlandesdirektion für Kärnten) getroffenen Veranlassungen erbrachten keinen begründeten Verdacht einer Dienstpflichtverletzung. Auch dadurch hat die Dienstbehörde von dem später als Dienstpflichtverletzung gewürdigten Verhalten nicht in relevanter Weise Kenntnis erlangt.

Es war daher zu prüfen, ab wann die Dienstbehörde von den dem BW zur Last gelegten Dienstpflichtverletzungen Kenntnis erlangt hat.

Zum Anschuldigungspunkt 1:

Der BW wird beschuldigt, er habe eine schriftliche Weisung seiner Amtsvorständin vom 8. Jänner 1998, jene Fälle bekannt zugeben, in denen seine Gattin steuerliche Agenden oder Buchhaltungsarbeiten wahrnimmt und in Hinkunft jede Änderung der Klientenliste mitzuteilen, nicht befolgt. Zwar sei der Amtsvorständin vom BW eine Auflistung der Klienten seiner Gattin vorgelegt worden; die dem BW aufgetragene Anzeige der Veränderung im Klientenstamm seiner Gattin sei vom BW aber nicht durchgeführt worden. Erst im Zuge der aus Anlass der anonymen Anzeige vom 7. Jänner 2003 durchgeführten Erhebungen [...] habe sich der Verdacht ergeben, dass sich der BW seit Bekanntgabe der ursprünglichen Klientenliste über den ganzen Zeitraum hindurch nicht weisungsgemäß verhalten habe. [...] Kenntnis von diesem Umstand (Verdacht der Nichtbefolgung der gegenständlichen Weisung über Jahre hinweg) erlangte die Dienstbehörde als Disziplinarbehörde der Aktenlage nach somit erst im Zuge der dargestellten Erhebungen. Damit steht für die Berufungskommission fest, dass der dem BW am 15. Juli 2003 zugestellte angefochtene Beschluss der DK [...] innerhalb der sechsmonatigen Verjährungsfrist erfolgte. [...]

Nichts anderes ergibt eine Prüfung iSd §94 Abs1 Z2 BDG: Nach dieser Bestimmung darf der Beamte wegen einer Dienstpflichtverletzung nicht mehr bestraft werden, wenn gegen ihn nicht innerhalb von drei Jahren, gerechnet von dem Zeitpunkt der Beendigung der Dienstpflichtverletzung, eine Disziplinarverfügung erlassen oder ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde. Der Zeitpunkt der Beendigung der Dienstpflichtverletzung, von dem an die dreijährige Verjährungsfrist zu laufen beginnt, ist jener, in dem das mit Strafe bedrohte Verhalten aufhört. Bei fortgesetzten Delikten beginnt die Frist daher erst zu laufen, wenn auch der letzte Teilakt abgeschlossen ist, bei Dauerdelikten, wenn der rechtswidrige Zustand beendet wird [...]. Hier wird dem BW vorgeworfen, er habe sich während des gesamten Zeitraums bis zur Durchführung der oben beschriebenen Erhebungen rechtswidrig verhalten, in dem er die Änderung im Stand der Klienten seiner Frau weisungswidrig nicht bekannt gegeben hat. Vom Zeitpunkt der Beendigung der dem BW zur Last gelegten Dienstpflichtverletzung ist daher die dreijährige Verjährungsfrist des §94 Abs1 Z2 BDG bei weitem noch nicht abgelaufen.

Zum Anschuldigungspunkt 2:

[...]

Erst im Zuge der aus Anlass der anonymen Anzeige vom 7. Jänner 2003 durchgeführten Erhebungen (die Dienstbehörde forderte am 4. März 2003 beim Bundesministerium für Finanzen die Abfrageprotokolle der vom BW in den Jahren 1998-2002 getätigten Abfragen aus dem Abgabeinformationssystem an, welche am 17. März 2003 in der Dienstbehörde einlangten; diese Daten wurden sodann von der Dienstbehörde dahin gehend geprüft, wie oft der BW in diesem Zeitraum bei den zu diesem Zeitpunkt bekannten Klienten seiner als Gewerbliche Buchhalterin tätigen Gattin Abfragen aus dem AIS durchgeführt hat) hat die Dienstbehörde von diesem konkreten Verhalten des BW Kenntnis erlangt, welches den Verdacht einer Dienstpflichtverletzung rechtfertigt und für die Dienstbehörde die Pflicht zum Tätigwerden (Weiterleitung der Disziplinaranzeige an den Vorsitzenden der Disziplinarkommission und an den Disziplinaranwalt gemäß §110 Abs1 Z2 BDG) begründete. Die Dienstbehörde kann daher von diesem Anschuldigungspunkt frühestens nach dem Einlangen der vom Bundesministerium für Finanzen angeforderten Abfrageprotokolle bei der Dienstbehörde Kenntnis erlangt haben, also nicht vor dem 17. März 2003.

Auch die unter Punkt 2 des Einleitungsbeschlusses erhobenen Vorwürfe sind daher nicht iSd §94 Abs1 Z1 BDG verjährt.

[...]

Zum Anschuldigungspunkt 4:

Der BW wird beschuldigt, er habe im Rahmen seiner ihm obliegenden Dienstaufsicht die ihm zum Teil bekannt gewesene unerlaubte Nebenbeschäftigung von Prüfern seiner Gruppe ('Pfuschertätigkeit') geduldet. Erst im Zuge der aus Anlass der anonymen Anzeige vom 7. Jänner 2003 durchgeführten Erhebungen, insbesondere aufgrund der niederschriftlichen Aussage des in der Prüfergruppe des BW tätigen ADir. M M vom 22. Mai 2003, hat der Aktenlage nach die Dienstbehörde von diesem konkreten Verhalten des BW Kenntnis erlangt, welches den Verdacht einer Dienstpflichtverletzung rechtfertigt und für die Dienstbehörde die Pflicht zum Tätigwerden (Weiterleitung der Disziplinaranzeige an den Vorsitzenden der Disziplinarkommission und an den Disziplinaranwalt gemäß §110 Abs1 Z2 BDG) begründete. Die Dienstbehörde kann daher erst wesentlich nach der am 7. Jänner 2003 eingelangten anonyme[n] Anzeige von diesem Anschuldigungspunkt Kenntnis erlangt haben (aus der Aktenlage ergibt sich als spätester Zeitpunkt der 22. Mai 2003 [Zeugenaussage von ADir. M M]).

[...]

Auch insofern ist daher der Einwand der Verjährung nicht berechtigt.

Im Übrigen geht die Berufungskommission von folgenden Erwägungen aus:

[...]

Bei dem vom BW bekämpften Einleitungs- und Verhandlungsbeschluss handelt es sich um eine Entscheidung im Verdachtsbereich. Eine über die noch im Verdachtsbereich zu erfolgende konkrete Anschuldigung hinausgehende Behandlung bzw. Würdigung des angenommenen Sachverhaltes und allfälliger Beweise bzw. Auseinandersetzung mit der Schuldfrage ist nicht Aufgabe des zum Einleitungs- und Verhandlungsbeschluss führenden Verfahrens. Die Klärung der Rechts- und Schuldfrage ist vielmehr dem nachfolgenden Disziplinarverfahren vorbehalten [...]. Aus dieser Funktion des Einleitungs- und Verhandlungsbeschlusses ergibt sich auch die Aufgabe der Berufungskommission. Diese hat sich in gleicher Weise wie die Behörde erster Instanz mit der Sache zu befassen und zu prüfen, ob ausreichende Verdachtsmomente gegen den BW vorliegen, welche die Annahme einer Dienstpflichtverletzung rechtfertigen. Weiters hat die Berufungskommission im Rahmen einer 'Grobprüfung' das Vorliegen von Einstellungsgründen nach §118 Abs1 BDG zu prüfen. Die Berufungskommission hat also nicht darüber zu entscheiden, ob der BW eine Dienstpflichtverletzung begangen hat, sondern nur, ob ausreichende Verdachtsmomente vorliegen oder ob offenkundige Einstellungsgründe vorliegen. Die Entscheidung darüber, ob der BW die ihm angelastete Dienstpflichtverletzung begangen hat, ist Sache des Verfahrens vor der DK [...].

Im hier zu beurteilenden Fall kann auf Grund der ausführlich erörterten Verfahrensergebnisse nicht zweifelhaft sein, dass jedenfalls der Verdacht der verbleibenden dem BW zur Last gelegten Dienstpflichtverletzungen besteht; ob der BW die Dienstpflichtverletzungen tatsächlich schuldhaft begangen hat, wird im nachfolgenden Disziplinarverfahren von der DK zu klären sein. Diese wird daher auch die vom BW beantragten Beweise durchzuführen haben (Grundsatz der Unmittelbarkeit und der Mündlichkeit des Disziplinarverfahrens).

Ein Einstellungsgrund nach §118 BDG war insofern nicht erkennbar."

2.4. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Begründend führt er dazu ua. Folgendes aus:

"Es ist [...] zutreffend, dass es nach der derzeit herrschenden Rechtsprechung für den Beginn der sechsmonatigen Verjährungsfrist auf die Kenntnis der Dienstbehörde von Tatsachen, die zur Annahme berechtigen, ein konkretes Verhalten eines Beamten sei disziplinär zu ahnden, ankomme und grundsätzlich ein anonymes Schreiben lediglich auf der Stufe von Vermutungen stehe.

Unter dem Deckmantel dieser Rechtsprechung, stützt sich die Berufungskommission nunmehr darauf, dass die Kenntnis der Dienstpflichtverletzung erst aufgrund der nach dem 04.03.2003 eingeleiteten Erhebungen erfolgt sei und demnach im Lichte dieser Rechtsprechung noch keine Verjährung eingetreten sei.

Im vorliegenden Fall kann jedoch auch der Deckmantel dieser Rechtsprechung nicht hinwegtäuschen, dass hier massiv Willkür geübt wurde, in die verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte des Beschwerdeführers eingegriffen, die aktuell gültige Gesetzeslage nicht eingehalten wurde und tatsächlich bereits längst Verjährung eingetreten ist.

Die erste anonyme Anzeige langte bei der Finanzlandesdirektion für Kärnten bereits am 29.07.2002 ein. Das Disziplinarverfahren hätte daher bereits spätestens sechs Monate danach am 29.01.2003 eingeleitet werden können und müssen.

Die zweite anonyme Anzeige langte bei der Disziplinarbehörde ebenfalls noch vor Ablauf der Verjährungsfrist am 07.01.2003 ein.

Die belangte Behörde führt selbst aus, dass erst mit einem Zeitpunkt ab dem 04.03.2003 umfangreiche Erhebungen durchgeführt wurden, welche schließlich die Kenntnis einer Dienstpflichtverletzung zutage gebracht haben.

Jene Maßnahmen aber, die die Behörde erst ab dem 04.03.2003 durchgeführt hatte, hätte sie unzweifelhaft auch bereits nach der ersten anonymen Anzeige vom 29.07.2002 unverzüglich in Angriff nehmen können und müsse[n]. Es bedarf diesbezüglich keiner näheren Begründung, dass sich das Ergebnis der Ermittlungen für die Behörde zwangsläufig gleich dargestellt hätte, hätte sie die Erhebungen bereits unverzüglich nach Einlangen der ersten anonymen Anzeige vom 29.07.2002 durchgeführt.

Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer gleich mehrfach der Willkür der Behörden ausgesetzt:

Es ist evident, dass im vorliegenden Fall die ordnungsgemäße Durchführung eines Ermittlungsverfahrens in einer der Willkür gleichzuhaltenden Weise unterlassen wurde.

Es ist durch nichts zu rechtfertigen, dass mit der Durchführung eines Ermittlungsverfahrens über ein 3/4 Jahr bis zum 03.04.2003 zugewartet wurde, wiewohl zwischenzeitig bereits am 29.01.2003 Verjährung eingetreten ist. Wenngleich es grundsätzlich auf die Kenntnis des allenfalls disziplinär zu ahndenden Verhaltens ankommt, widerspricht es jedenfalls den Grundsätzen der österreichschen Rechtsordnung, wenn es im Belieben bzw. der Willkür der Behörde stünde, zu welchem Zeitpunk diese die notwendigen Erhebungen durchführt und dadurch willkürlich den Beginn der Verjährungsfrist festlegen bzw in Gang setzen kann. [...]

Hätte die belangte Behörde diesen Punkt rechtsfolgerichtig beurteilt, hätte diese der Berufung Folge geben müssen. So hat sie jedoch den zugrundeliegenden Rechtsvorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt und sohin einen Bescheid gefällt, welcher auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht.

[...]

Die im vorliegenden Fall an den Tag gelegte Willkür der Behörden zeigt sich auch an folgenden weiteren Umständen:

Der Beschwerdeführer hat stets darauf verwiesen, dass seine Ehegattin auf Aufforderung jederzeit unter Berücksichtigung allfälliger Verschwiegenheitsverpflichtungen Klientenlisten etc offen legen werde. Entgegen jedem Gebot der Sachlichkeit haben die Beamten im Zuge der Ermittlungen teilweise auch Klienten der Ehegattin des Beschwerdeführers penibel geprüft und diese auch peinlichst genau über persönliche Dinge befragt. Weiter haben die Ermittlungsbeamten angeblich den einvernommenen Personen teilweise auch mit Straffolgen gedroht, sollten diese nicht das Gewünschte aussagen. Insbesondere wurde auch stets der Eindruck vermittelt, dass sich der Beschwerdeführer sowie dessen Ehegattin eindeutig etwas zu schulden kommen haben lassen. Obwohl hiefür keinerlei Ansatzpunkte vorhanden waren, haben die Ermittlungsbeamten die befragten Klienten in diesem Glauben gelassen bzw bei diesen eindeutig diesen Eindruck erweckt. Dem nicht genug, haben die Ermittlungsbeamten diese Klienten teilweise auch noch darüber informiert, welche weiteren Klienten in der Folge noch befragt werden.

[...]

Die willkürliche Vorgehensweise wird auch dadurch augenscheinlich, dass dem Beschwerdeführer, ohne einen Beweis für Unkorrektheiten bei den Aufzeichnungen der Reiserechnung, zur Last gelegt wurde, dass er angeblich hinsichtlich Reiserechnungen im Gegenwerte von nicht einmal € 10,-- Unkorrektheiten zu verantworten habe. Es sei festgehalten, dass der Beschwerdeführer bereits seit Jahrzehnten als Finanzbeamter tätig ist und sämtliche Reisekosten stets ordnungsgemäß abgerechnet hatte.

Die Ermittlungsbeamten haben sich ganz offensichtlich im Dilemma befunden, gegen den Beschwerdeführer tatsächlich keine Beweise für Dienstpflichtverletzungen vorzufinden und haben sich dabei mit nicht rechtzufertigender Akribie an jede nur denkbare Kleinigkeit geklammert. Bezüglich dieses Punktes hat rechtsfolgerichtig auch die belangte Behörde erkannt, dass dieser Anschuldigungspunkt fallen zu lassen ist.

[...]

Die belangte Behörde hätte jedenfalls erkennen müssen, dass im vorliegenden Fall zum einen ein ordnungsgemäßes, insbesondere zeitgerechtes Ermittlungsverfahren unterlassen und eindeutig Willkür geübt wurde. Bei rechtsfolgerichtiger Entscheidung hätte die belangte Behörde somit der Berufung Folge geben und das Disziplinarverfahren einstellen müssen.

Wenngleich Verjährung bereits am 29.01.2003 eingetreten ist, hat die Disziplinarkommission, [...] einen Auftrag zur Durchführung weiterer Ermittlungen erst am 02.06.2003 getätigt. Ein solcher Auftrag, welcher erst rund ein halbes Jahr nach bereits eingetretener Verjährung erteilt wird, vermag jedoch jedenfalls nicht die Verjährungsfrist um sechs Monate iSd §94 Abs1 Z2 BDG zu verlängern.

Rechtsfolgerichtig hätte daher erkannt werden müssen, dass im vorliegenden Fall bereits Verjährung eingetreten ist und beruht daher der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage.

[...]

In ebenfalls willkürlicher Art und Weise wird [...] |bergangen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich stets darauf verwiesen hat, dass eine Offenlegung der Kundenlisten und allfälliger Änderungen der Klienten seiner Ehegattin jederzeit möglich sei, diesbezüglich jedoch die Kontaktaufnahme direkt mit seiner Ehegattin erfolgen soll, zumal er selbst nicht in deren Sphäre eingreifen kann und nicht zu beurteilen vermag, in wie weit eine Offenlegung mit allfälligen Verschwiegenheitsverpflichtungen der Ehegattin in Widerspruch stünde. Es wurde jedoch stets zugesagt, dass die Ehegattin auf Aufforderung jederzeit die gewünschten Unterlagen offen legt.

Dass eine derartige Offenlegung in der Folge offenbar nicht gewünscht wurde, kann nicht zu Lasten des Beschwerdeführers gehen. Dieser konnte vielmehr redlich davon ausgehen, dass er die Weisung der Amtsvorständin vom 08.10.1998 vollinhaltlich befolgte, zumal auch über Jahre hindurch diesbezüglich keine weiteren Anfragen oder Beschwerden an den Beschwerdeführer gerichtet wurden.

Es kann daher in dieser Hinsicht keinesfalls von einem Dauerdelikt ausgegangen werden und ist diesbezüglich jedenfalls bereits Verjährung eingetreten, weil vom Zeitpunkt der Beendigung der Dienstpflichtverletzung bis zum Einleitungsbeschluss bereits mehr als drei Jahre verstrichen sind.

Die belangte Behörde hat sich sohin auch selbst willkürlich über die geltende Rechtslage hinweg gesetzt, indem sie das gleichheitswidrige bzw willkürliche Vorgehen der erstinstanzlichen Behörde übergangen und einen gleichheitswidrigen Bescheid erlassen hat.

Darüber hinaus hat die belangte Behörde durch die inhaltliche (unrichtige) Entscheidung in einer bereits verjährten Angelegenheit auch das Recht des Beschwerdeverfahrens [Beschwerdeführers} auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Unabhängig davon, dass bereits hinsichtlich sämtlicher Anschuldigungspunkte Verjährung eingetreten ist, hätte die belangte Behörde iSd §118 Abs1 BDG im Rahmen der Grobprüfung zur Entscheidung gelangen müssen, dass das gegenständliche Verfahren gegen den Beschwerdeführer einzustellen ist."

2.5. Die Berufungskommission beim Bundeskanzleramt legte als belangte Behörde die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdeausführungen entgegentritt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -

Beschwerde erwogen:

1. Die hier in erster Linie maßgeblichen §§94, 123 und 124

BDG lauten - zT auszugsweise - wie folgt:

"Verjährung

§94. (1) Der Beamte darf wegen einer Dienstpflichtverletzung nicht mehr bestraft werden, wenn gegen ihn nicht

1. innerhalb von sechs Monaten, gerechnet von dem Zeitpunkt, zu dem der Disziplinarbehörde die Dienstpflichtverletzung zur Kenntnis gelangt ist, oder

2. innerhalb von drei Jahren, gerechnet von dem Zeitpunkt der Beendigung der Dienstpflichtverletzung,

eine Disziplinarverfügung erlassen oder ein Disziplinarverfahren vor der Disziplinarkommission eingeleitet wurde. Sind von der Dienstbehörde vor Einleitung des Disziplinarverfahrens im Auftrag der Disziplinarkommission notwendige Ermittlungen durchzuführen (§123 Abs1 zweiter Satz), verlängert sich die unter Z1 genannte Frist um sechs Monate.

(1a) Drei Jahre nach der an den beschuldigten Beamten erfolgten Zustellung der Entscheidung, gegen ihn ein Disziplinarverfahren durchzuführen, darf eine Disziplinarstrafe nicht mehr verhängt werden.

(2)..."

"Verfahren vor der Disziplinarkommission

Einleitung

§123. (1) Der Senatsvorsitzende hat nach Einlangen der Disziplinaranzeige den Disziplinarsenat zur Entscheidung darüber einzuberufen, ob ein Disziplinarverfahren durchzuführen ist. Notwendige Ermittlungen sind von der Dienstbehörde im Auftrag des Senatsvorsitzenden durchzuführen.

(2) Hat die Disziplinarkommission die Durchführung eines Disziplinarverfahrens beschlossen, so ist dieser Beschluss dem beschuldigten Beamten, dem Disziplinaranwalt und der Dienstbehörde zuzustellen. Gegen den Beschluss, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, nicht einzuleiten oder einzustellen (§118 BDG 1979), ist die Berufung an die Berufungskommission zulässig.

(3) Sind in anderen Rechtsvorschriften an die Einleitung des Disziplinarverfahrens Rechtsfolgen geknüpft, so treten diese nur im Falle des Beschlusses der Disziplinarkommission, ein Disziplinarverfahren durchzuführen, und im Falle der (vorläufigen) Suspendierung ein."

"Verhandlungsbeschluß und mündliche Verhandlung

§124. (1) Ist nach Durchführung der notwendigen Ermittlungen der Sachverhalt ausreichend geklärt, so hat die Disziplinarkommission die mündliche Verhandlung anzuberaumen (Verhandlungsbeschluß) und zu dieser die Parteien sowie die in Betracht kommenden Zeugen und Sachverständigen zu laden. Die mündliche Verhandlung ist so anzuberaumen, daß zwischen ihr und der Zustellung des Beschlusses ein Zeitraum von mindestens zwei Wochen liegt.

(2) Im Verhandlungsbeschluß sind die Anschuldigungspunkte bestimmt anzuführen. Gegen den Verhandlungsbeschluß ist Berufung an die Berufungskommission zulässig.

(3) ..."

2.1. Eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde den angewendeten Rechtsvorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellte oder wenn sie bei der Erlassung des Bescheides Willkür übte.

Da der Verfassungsgerichtshof aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften, so vor allem gegen §123 BDG (vgl. VfSlg. 16.269/2001), keine verfassungsrechtlichen Bedenken hegt und die Bescheidbegründung keinen Anhaltspunkt für die Annahme liefert, dass die Berufungskommission diesen Rechtsvorschriften einen verfassungswidrigen Inhalt beigemessen hätte, könnte der Beschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid im genannten Grundrecht nur verletzt worden sein, wenn der Berufungskommission Willkür zum Vorwurf zu machen wäre.

Darüber, welche Umstände gegeben sein müssen, damit einer Behörde Willkür anzulasten ist, lässt sich keine allgemeine Aussage treffen. Ob Willkür vorliegt, kann nur dem Gesamtbild des Verhaltens der Behörde im einzelnen Fall entnommen werden (zB VfSlg. 5491/1967, 6404/1971, 6471/1971, 8808/1980, 14.573/1996 uva.).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10.338/1985, 11.213/1987). Auch eine denkunmögliche Gesetzesanwendung kann Willkür indizieren (VfSlg. 9561/1982, 14.573/1996).

Keiner dieser Mängel liegt jedoch hier vor. Der Verfassungsgerichtshof vermag nicht zu erkennen, dass das Ermittlungsverfahren mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Mangel behaftet wäre; auch kann weder von einem gehäuften Verkennen der Rechtslage noch von denkunmöglicher Gesetzesanwendung die Rede sein.

Insbesondere trifft es nicht zu, dass die Berufungskommission die ordnungsgemäße Durchführung eines Ermittlungsverfahrens in einer der Willkür gleichzuhaltenden Weise unterlassen habe. Die Berufungskommission ist in der bekämpften Entscheidung von der keinesfalls als unvertretbar zu qualifizierenden Rechtsauffassung ausgegangen, dass die Funktion des Einleitungsbeschlusses (iSd. §123 BDG) in der Prüfung bestehe, ob ausreichende Verdachtsmomente gegen den Beschwerdeführer bestehen, die die Annahme einer Dienstpflichtverletzung rechtfertigen, während die Klärung der Rechts- und Schuldfrage dem nachfolgenden Disziplinarverfahren vorbehalten sei (vgl. VfSlg. 16.269/2001). Gestützt darauf gelangte die Berufungskommission ersichtlich und nachvollziehbar zur Auffassung, dass auf Grund der Ergebnisse der von der die Disziplinaranzeige erstattenden Dienstbehörde erster Instanz gepflogenen Ermittlungen der Verdacht begründet sei, der Beschwerdeführer habe sich verschiedener, näher bezeichneter Dienstpflichtverletzungen schuldig gemacht. Im Besonderen ist auch die umfangreiche, auf die einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gestützte Auseinandersetzung der Berufungskommission mit der Verjährungseinrede des Beschwerdeführers nicht als denkunmöglich zu bewerten (vgl. auch VfSlg. 15.287/1998).

Die getroffene behördliche Entscheidung ist - zusammenfassend - also nicht mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Mangel belastet, der eine Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz bewirken würde.

2.2. Schon auf Grund der vorstehenden Erwägungen scheidet aber auch die vom Beschwerdeführer - mit dem Argument, die belangte Behörde habe eine inhaltlich unrichtige Entscheidung in einer bereits verjährten Angelegenheit getroffen, - behauptete Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter aus (vgl. im Übrigen auch VfSlg. 16.716/2002 mwH, wonach ein Einleitungsbeschluss keine Entscheidung über eine "strafrechtliche Anklage" iSd. Art6 EMRK darstellt - für einen Verhandlungsbeschluss gilt sinngemäß das Gleiche).

2.3. Ob der Entscheidung auch darüber hinaus eine in jeder Hinsicht richtige Gesetzesanwendung zu Grunde liegt, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch nicht in dem - hier vorliegenden - Fall, dass eine Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof nicht in Betracht kommt (vgl. VfSlg. 14.806/1997).

2.4. Der Beschwerdeführer wurde sohin aus den in der Beschwerde vorgetragenen Erwägungen weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, dass dies aus anderen, in der Beschwerde nicht dargelegten Gründen der Fall gewesen wäre.

2.5. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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