Normen
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
Richtlinien für die Bundesbetreuung hilfsbedürftiger Asylwerber einschließlich der Aufnahme in das "Notquartier" vom 01.10.02
VfGG §57 Abs1
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
Richtlinien für die Bundesbetreuung hilfsbedürftiger Asylwerber einschließlich der Aufnahme in das "Notquartier" vom 01.10.02
VfGG §57 Abs1
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. 1. Der Einschreiter, ein russischer Staatsangehöriger, beantragte am 24. Oktober 2002 wegen der Verfolgung durch den Geheimdienst in seinem Heimatstaat gemeinsam mit seiner Familie Asyl. Er wurde jedoch trotz seiner Mittellosigkeit nicht in die Bundesbetreuung aufgenommen, da er aus Russland stamme und Staatsangehörige dieses Landes gemäß den "Richtlinien des Bundesministers für Inneres für die Bundesbetreuung hilfsbedürftiger Asylwerber einschließlich der Aufnahme in das 'Notquartier'" von der Bundesbetreuung ausgeschlossen seien. Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2002 stellte der Einschreiter beim Verfassungsgerichtshof den Antrag gemäß Art139 B-VG, der Gerichtshof wolle die oa. Richtlinien des Bundesministers für Inneres, die seit 1. Oktober 2002 in Geltung sind, zur Gänze als gesetz- und verfassungswidrig aufheben.
In der Begründung führt der Antragsteller ua. aus, dass die Richtlinien auf Grund ihres generellen Adressatenkreises und ihres normativen Inhaltes als (nicht gehörig kundgemachte) Verordnung zu qualifizieren seien. Weiters legt der Einschreiter dar, inwieweit sich die Richtlinien unmittelbar auf die Rechtssphäre des Antragstellers auswirken und er individuell sowie unmittelbar und aktuell von diesen Richtlinien betroffen sei. Die angefochtenen Richtlinien greifen auch grob nachteilig in seine Rechtssphäre ein und stehe ihm kein anderer zumutbarer Weg offen. Der Antragsteller bringt jedoch nichts zum Aufhebungsumfang des Antrages vor.
2. Die belangte Behörde führt in ihrer Äußerung zur Zulässigkeit des Antrages aus, dass es sich bei den angefochtenen Richtlinien um keine Verordnung im Sinne des Art139 B-VG handle, sondern um eine interne Weisung, welche Kriterien die Mitarbeiter der Bundesbetreuung bei der Ermessensübung über die Aufnahme oder Nichtaufnahme in diese heranzuziehen haben. Weiters bestehe auf Bundesbetreuung kein Rechtsanspruch (§3 Bundesbetreuungsgesetz), sodass durch die Richtlinien in die Rechtsposition von Asylwerbern schon abstrakt nicht eingegriffen werden könne. Außerdem sei die Wirkung dieser Anordnung nicht unmittelbar, dem Antragsteller stehe der Weg zu den ordentlichen Gerichten offen und sei ihm dieser auch zumutbar. Der Antrag sei auch mangels hinreichend deutlicher Angabe der bekämpften Stellen der Richtlinien unzulässig.
II. Die Richtlinien für die Bundesbetreuung hilfsbedürftiger Asylwerber einschließlich der Aufnahme in das "Notquartier" vom 1. Oktober 2002 lauten:
"1. Hilfsbedürftige Asylwerber sind in Bundesbetreuung aufzunehmen, es sei denn, es trifft einer der nachstehenden Ausschlussgründe zu:
1.1. Asylwerber, bei denen ein absoluter Ausschlussgrund vorliegt, sind von der Bundesbetreuung ausgeschlossen; sie können jedoch ausnahmsweise vorübergehend in Bundesbetreuung aufgenommen werden, wenn sie aufgrund ihres körperlichen Zustandes besonders hilfsbedürftig sind.
1.2. Asylwerber, bei denen ein relativer Ausschlussgrund vorliegt, sind von der Bundesbetreuung ausgeschlossen, es sei denn, die Aufnahme dieses Asylwerbers in Bundesbetreuung wäre aus besonderen Gründen für die Sicherung eines effizienten Asylverfahrens erforderlich oder deshalb geboten, weil der Asylwerber/die Asylwerberin (z.B. als unbegleiteter Minderjähriger, vorschulpflichtiger oder schulpflichtiger MJ; Schwangere innerhalb der Schutzfrist) besonders schutzbedürftig ist.
1.3. Asylwerber, die den Asylantrag persönlich bei der Außenstelle Traiskirchen einbringen, sind - ungeachtet vom Vorliegen von Ausschlussgründen - bis zum Abschluss der Datenaufnahme einschließlich der erkennungsdienstlichen Behandlung unterzubringen und zu verpflegen.
1.4. Keine Aufnahme in Betreuung erfolgt, wenn der Asylantrag offensichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen ist (Folgeantrag) oder wenn eine Entscheidung in der Sache eines EWR-Mitgliedstaates oder eines Staates vorliegt, mit dem Verhandlungen über den Beitritt zur EU bereits stattfinden.
2. Als absolute Ausschlussgründe gelten:
2.1. Staatsangehörigkeit eines EWR-Mitgliedstaates, der Schweiz, der USA, Kanadas, Japans, Australiens und Neuseelands.
2.2. Staatsangehörigkeit eines Staates, mit dem Verhandlungen über den Beitritt zur EU bereits stattfinden (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Rumänien, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Zypern, Malta).
2.3. Russische, armenische, türkische, georgische, aserbaidschanische, mazedonische, jugoslawische oder nigerianische Staatsangehörigkeit sobald der Asylantrag in I. Instanz ab- oder zurückgewiesen worden ist; dies gilt jedoch nicht für Angehörige von Minderheiten (Serben, Bosniaken, Roma, Ashkali, Ägypter und Gorani) aus dem Kosovo, für Tschetschenen oder bestimmte Kurden1 aus der Türkei.
2.4. Verurteilung in Österreich zu einer Freiheitsstrafe wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung.
3. Als relative Ausschlussgründe gelten:
3.1. Unvermögen, anders als durch eigene Angaben an der Feststellung der Identität mitzuwirken, solange dieser Zustand aufrechterhalten wird und nicht besondere Umstände für die Glaubwürdigkeit der Angaben sprechen.
3.1.1. Bei Staatsangehörigen von Moldawien, der Ukraine sowie bei Staatsangehörigen eines afrikanischen Staates ist das Vorliegen der Voraussetzung nach Punkt 3.1. erst zu prüfen, sobald die Ersteinvernahme im Asylverfahren erfolgt ist (Notquartier).
3.1.2. Bei Staatsangehörigen aus Nigeria, die kein amtliches Identitätsdokument vorlegen, liegt dieser Ausschlussgrund stets vor.
3.1.3. Bei Staatsangehörigen von Afghanistan und des Irak ist wegen der besonderen Situation in diesen Staaten, das Unvermögen an der Feststellung der Identität (Punkt 3.1.) mitzuwirken, unbeachtlich.
3.2. Verdacht der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung (im In- oder Ausland), die in Österreich mit Freiheitsstrafe bedroht ist.
3.3. Fortgesetztes Verhalten, das eine unzumutbare Belastung für den Unterkunftgeber oder mehrere andere Asylwerber darstellt.
3.4. Staatsangehörigkeit eines der folgenden Staaten, bei dem Asylgewährung ausgeschlossen scheint, wie insbesondere Indien, Pakistan, Bangladesch, Bosnien, Kroatien, Mazedonien, BR Jugoslawien (ausgenommen Angehörige von Minderheiten aus dem Kosovo) Albanien, Armenien, Georgien, Russland (ausgenommen Tschetschenien) und Türkei (ausgenommen bestimmte Kurden2).
4. Dauer der Betreuung; Entlassung aus der Betreuung
4.1. Die Bundesbetreuung wird bis zum rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens gewährt, es sei denn, es wird ein Ausschlussgrund wirksam. Darüber hinaus wird Rückkehrbetreuung oder Integrationsbetreuung für höchstens drei Monate gewährt.
4.2. Keine Betreuung erfolgt während eines Verfahrens vor einem Höchstgericht und zwar auch dann nicht, wenn dieses dem Fremden mit Beschluss die Stellung wie einem Asylwerber zubilligt.
4.4. Ausüben von Schwarzarbeit führt zur Entlassung aus der Betreuung.
4.4.1. Bereithalten zur Schwarzarbeit in der Öffentlichkeit führt im Wiederholungsfall nach niederschriftlicher Ermahnung zur Entlassung aus der Betreuung.
5. Unterstützung durch das Bundesasylamt
5.1. Das Bundesasylamt prüft aus besonderem Anlass jedenfalls aber zweimal jährlich die relevante Situation in den in diesen Richtlinien genannten Staaten und teilt das Ergebnis dem Bundesministerium für Inneres mit.
5.2. Das Bundesasylamt prüft über Ersuchen des Bundesministeriums für Inneres die relevante Situation in einem anderen Staat und teilt das Ergebnis dem Bundesministerium für Inneres mit.
6. Inkrafttreten: Diese Richtlinien treten am 1. Oktober 2002 in Kraft. Alle bis dahin geltenden Richtlinien sind mit Ablauf des 30. September 2002 aufgehoben.
1 und 2 Kurden aus den Ausnahmebezirken 'Diyaarbakir' und
'Sirnak'"
III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit des vorliegenden Individualantrages erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof kann es dahingestellt sein lassen, ob die bekämpften Richtlinien überhaupt als Verordnung anzusehen sind, denn selbst wenn diese Prämisse zuträfe, ist Voraussetzung für die Antragslegitimation einerseits, dass der Einschreiter behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung - im Hinblick auf die Gesetzwidrigkeit - in seinen Rechten verletzt zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder Erlassung eines Bescheides wirksam geworden sei. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt (vgl. VfSlg. 14.320/1995, 14.321/1995).
2. Der Antragsteller begehrt ausdrücklich die Aufhebung der "Richtlinien für die Bundesbetreuung hilfsbedürftiger Asylwerber einschließlich der Aufnahme in das 'Notquartier'" zur Gänze. Da aber nicht alle Bestimmungen der Richtlinien unmittelbar in die Rechtssphäre des Antragstellers als russischer Staatsangehöriger eingreifen können (vgl. zB Ziffer 5 der Richtlinien und die andere Staaten als Russland betreffenden Bestimmungen), ist das Aufhebungsbegehren zu weit gefasst und der Antrag schon aus diesem Grund zurückzuweisen.
IV. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren getroffen werden.
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