VfGH B1329/02

VfGHB1329/0213.3.2003

Verletzung der Versammlungsfreiheit durch die Feststellung der nicht rechtzeitigen Anzeige einer Versammlung infolge Einlangens der per Telefax eingebrachten Anzeige erst nach Ende der Amtsstunden; Gleichsetzung mit Regelung der Einbringung von Eingaben während und außerhalb der Amtsstunden im Allgemeinen Verwaltungsverfahren nicht zulässig

Normen

StGG Art12 / Versammlungsrecht
EMRK Art11
AVG §13 Abs5
VersammlungsG §2
StGG Art12 / Versammlungsrecht
EMRK Art11
AVG §13 Abs5
VersammlungsG §2

 

Spruch:

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 2.142,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 3. Juni 2002 wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, sie habe es unterlassen, eine am 8. März 2001 um

19.30 Uhr vor der Universität beginnende Kundgebung spätestens 24 Stunden vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung der Behörde schriftlich anzuzeigen. Die Anzeige sei nämlich nicht spätestens 24 Stunden vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung innerhalb der Amtsstunden bei der Behörde eingelangt: Die Beschwerdeführerin habe die Versammlungsanzeige per Telefax am 7. März 2001 um 17.45 Uhr übermittelt; das Fax sei bei der Bundespolizeidirektion Wien an diesem Tag erst nach Ende der Amtsstunden eingelangt, es habe daher erst mit dem Wiederbeginn der Amtsstunden am 8. März 2001 um 7.30 Uhr als bei ihr eingelangt gegolten. Die Beschwerdeführerin habe somit eine Verwaltungsübertretung nach §2 Abs1 iVm §19 des Versammlungsgesetzes 1953 (im Folgenden: VersG) begangen.

Von der Verhängung einer Strafe wurde gemäß §21 Abs1 VStG abgesehen: Zum einen fehle es an einschlägiger höchstgerichtlicher Judikatur zur Frage, wann Versammlungsanzeigen nach der zur Tatzeit geltenden Rechtslage als eingelangt gelten; zum anderen erweise sich der objektive Unrechtsgehalt der Tat als gering, weil die Tat keine bzw. nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen habe.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Versammlungsfreiheit (Art12 StGG, Art11 EMRK) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheids, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

Nach Auffassung der Beschwerdeführerin verletze die Verpflichtung zur Einhaltung der Amtsstunden im vorliegenden Fall die durch Art12 StGG und Art11 EMRK gewährleistete Versammlungsfreiheit. Die Frist des §2 Abs1 VersG sei ausdrücklich nicht an Werktage oder Amtsstunden geknüpft. Eine Verpflichtung zur Einhaltung von Amtsstunden würde es unmöglich machen, spontan mittels Versammlung auf politische Ereignisse reagieren zu können; das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf "(unverzügliche) Versammlungsfreiheit" würde damit unterlaufen. In verfassungskonformer Interpretation sei daher ArtII Abs2 Z6 EGVG iVm §2 VersG so auszulegen, dass bezüglich Versammlungsanzeigen §13 Abs5 AVG nicht zur Anwendung komme und es zur Einhaltung der 24-Stunden-Frist des §2 VersG auf den faktischen Zeitpunkt des Einlangens der Anzeige und nicht auf die Einhaltung von Amtsstunden ankomme. Für den Fall, dass eine solche Interpretation nicht möglich sein sollte, rügt die Beschwerdeführerin die Verfassungswidrigkeit der angewendeten Bestimmungen.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift aber verzichtet.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. In seiner bisherigen Judikatur hat der Verfassungsgerichtshof keine Bedenken gegen die dem Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften gehegt (zB VfSlg. 14.773/1997 zu §2 iVm §19 VersG, VfSlg. 15.858/2000 zu §13 Abs5 AVG); solche sind auch aus dem Blickwinkel des vorliegenden Falles nicht entstanden.

2.1. Jede Verletzung des VersG, die in die Versammlungsfreiheit eingreift, ist als Verletzung des durch Art12 StGG und Art11 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts zu werten (zB VfSlg. 9103/1981, 10.443/1985, 14.761/1997). Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofs (vgl. zB VfSlg. 14.365/1995, 14.773/1997, 15.680/1999) kann auch eine Bestrafung wegen Übertretung des VersG in das erwähnte Grundrecht eingreifen. Auch Verfahrensmängel können dieses Recht verletzen (vgl. zB VfSlg. 11.832/1988).

2.2. Gemäß §2 VersG ist eine allgemein zugängliche Versammlung wenigstens 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zwecks, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde schriftlich anzuzeigen, wobei die Anzeige - nach dem ausdrücklichen Wortlaut dieser Bestimmung - spätestens 24 Stunden vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung bei der Behörde einlangen muss.

Die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 15.858/2000 angestellten Überlegungen - betreffend die Rechtzeitigkeit einer am letzten Tag der Berufungsfrist nach Ende der Amtsstunden mittels Telefax eingebrachten Berufung - sind daher auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar: Maßgeblich für diese Entscheidung war nämlich der Umstand, dass (der die Erhebung der Berufung regelnde) §63 Abs5 erster Satz AVG auf das Einbringen abstellt; gemäß dem im vorliegenden Fall relevanten §2 VersG kommt es hingegen auf das Einlangen (der Anzeige) an (zur Differenzierung zwischen den beiden Begriffen s. ausführlich das genannte Erkenntnis).

Zur Beurteilung des Zeitpunkts des Einlangens der Anzeige iS des §2 VersG hat die belangte Behörde die allgemeine Vorschrift des §13 Abs5 AVG (in der im Zeitpunkt der Tatbegehung in Geltung stehenden Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 158/1998) herangezogen, wonach (u.a.) mit Telefax eingebrachte Anbringen, die außerhalb der Amtsstunden bei der Behörde einlangen, erst mit dem Wiederbeginn der Amtsstunden als bei ihr eingelangt gelten.

Bei dieser Rechtsanwendung hat die belangte Behörde übersehen, dass §2 VersG die speziellere Regelung gegenüber §13 Abs5 AVG darstellt. §2 VersG regelt nicht die Einbringung innerhalb einer bestimmten Frist, wie das §13 AVG vor Augen hat, sondern stellt nur auf den Zeitpunkt des faktischen Einlangens der Versammlungsanzeige bei der Behörde ab, wobei die Bestimmung sichtlich davon ausgeht, dass gerade bei diesen Behörden entsprechende Vorkehrungen zur jederzeitigen Entgegennahme von Anzeigen getroffen sind: Sinn und Zweck der im §2 VersG festgelegten Anzeigefrist von 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung der Versammlung ist es, einerseits der Versammlungsbehörde die Beurteilung zu ermöglichen, ob ein Untersagungsgrund iS des §6 VersG vorliegt, und ihr die notwendige Zeit einzuräumen, um allenfalls erforderliche Vorkehrungen zur Sicherung des ungehinderten Verlaufs der Versammlung zu treffen, andererseits aber auch zu gewährleisten, dass auch kurzfristig mittels Abhaltung einer Versammlung - unter Einhaltung aller Vorschriften des VersG - auf aktuelle Ereignisse reagiert werden kann (zum Begriff der Spontanversammlung vgl. VfSlg. 14.366/1995). Eine Interpretation des §2 VersG wie die der belangten Behörde übersieht das Wesen der durch Art12 StGG und Art11 EMRK gewährleisteten Versammlungsfreiheit (vgl. auch VfGH B1182/02 vom heutigen Tag).

Indem die belangte Behörde dies verkannt hat, hat sie die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt.

Der angefochtene Bescheid war somit aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag sind Umsatzsteuer in Höhe von € 327,-- sowie der Ersatz der gemäß §17a VfGG entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 180,-- enthalten.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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