VfGH G378/02

VfGHG378/022.10.2003

Keine Verfassungswidrigkeit des generellen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung einer Berufung in einer Abgabenordnung angesichts des Rechtsschutzrisikos einer lediglich geringfügigen Vermögensbelastung; Stundung und Nachsicht zum Ausgleich von Härten im Einzelfall möglich

Normen

B-VG Art18 Abs1
Vlbg AbgabenverfahrensG §86
Vlbg AbgabenverfahrensG §102
Vlbg AbgabenverfahrensG §113
B-VG Art18 Abs1
Vlbg AbgabenverfahrensG §86
Vlbg AbgabenverfahrensG §102
Vlbg AbgabenverfahrensG §113

 

Spruch:

§113 des Vorarlberger Gesetzes über allgemeine Bestimmungen, das Verfahren und das Strafrecht für die von den Behörden des Landes und der Gemeinden verwalteten Abgaben (Abgabenverfahrensgesetz - AbgVG.), LGBl. Nr. 23/1984, wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B910/02 eine auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde gegen einen Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 25. März 2002 anhängig. Mit diesem Bescheid wurde der Vorstellung der nunmehrigen beschwerdeführenden Gesellschaft gegen die Bescheide der Abgabenkommission der Marktgemeinde Schruns betreffend die Festsetzung der Kommunalsteuer für die Monate Februar bis Juli 2000 und die Zurückweisung eines Antrages auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung keine Folge gegeben.

2. Bei der Behandlung der Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §113 des Vorarlberger Gesetzes über allgemeine Bestimmungen, das Verfahren und das Strafrecht für die von den Behörden des Landes und der Gemeinden verwalteten Abgaben (Abgabenverfahrensgesetz - AbgVG), LGBl. 23/1984, entstanden. Der Gerichtshof hat daher mit Beschluß vom 27. November 2002 von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich der eben genannten Bestimmung eingeleitet.

3. Zur Rechtslage:

Gemäß §108 des Vorarlberger Gesetzes über allgemeine Bestimmungen, das Verfahren und das Strafrecht für die von den Behörden des Landes und der Gemeinden verwalteten Abgaben (Abgabenverfahrensgesetz - AbgVG), LGBl. 23/1984 (in der Folge: Vbg. AbgVG), ist gegen Bescheide, welche die Behörden erster Instanz erlassen, als Rechtsmittel die Berufung zulässig, soweit nicht in Abgabenvorschriften ein Rechtsmittel für unzulässig erklärt wird.

Der mit "Wirkung der Berufung" überschriebene - in Prüfung gezogene - §113 Vbg. AbgVG lautet folgendermaßen:

"Durch die Einbringung einer Berufung wird die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides nicht gehemmt, insbesondere die Einhebung und zwangsweise Einbringung einer Abgabe nicht aufgehalten."

Durch die Novelle LGBl. 9/1989 wurde §86a, der unter der Überschrift "Zinsausgleich bei Herabsetzung der Abgabenschuld" steht, in das Vbg. AbgVG eingefügt; diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut (§86a Abs1 letzter Satz in der Fassung der Novelle LGBl. 84/1998):

"(1) Wird eine bereits entrichtete Abgabenschuld auf Grund einer Berufung herabgesetzt, so sind dem Abgabepflichtigen für den zu viel entrichteten Betrag Zinsen zu gewähren. Die Zinsen sind für den Zeitraum von der Entrichtung der Abgabe (§85) bis zur Rückzahlung des Guthabens, im Falle der Umbuchung oder Überrechnung des Guthabens bis zu dem im §85 Abs1 litg angeführten Zeitpunkt, zu berechnen. Der Zinssatz ist pro Jahr mit 3 v.H. über dem jeweils geltenden Basiszinssatz gemäß ArtI §1 Abs1 des 1. Euro-Justiz-Begleitgesetzes anzunehmen.

(2) Wird eine Abgabenschuld, für die Zahlungserleichterungen (§86) gewährt worden sind, auf Grund einer Berufung herabgesetzt, so sind die Stundungszinsen nur für die verbleibende Abgabenschuld zu bezahlen.

(3) Die Abs1 und 2 gelten nicht,

a) soweit die entrichtete Abgabenschuld dem Anbringen des Abgabepflichtigen entsprochen hat oder

b) wenn die Herabsetzung der Abgabenschuld auf Grund einer Wiederaufnahme des Verfahrens (§127) erfolgt ist."

Im Vbg. AbgVG sind weiters die Instrumente der "Zahlungserleichterungen" (§86 leg.cit.) und der "Nachsicht fälliger Abgabenschuldigkeiten" (§102 leg.cit.) geregelt. Die relevanten Bestimmungen lauten wörtlich folgendermaßen:

"§86

Zahlungserleichterungen

(1) Auf Ansuchen des Abgabepflichtigen kann die Behörde den Zeitpunkt der Entrichtung der Abgaben hinausschieben (Stundung) oder die Entrichtung in Raten bewilligen, wenn die sofortige oder die sofortige volle Entrichtung der Abgaben für den Abgabepflichtigen mit erheblichen Härten verbunden wäre und die Einbringlichkeit der Abgaben durch den Aufschub nicht gefährdet wird.

Zahlungserleichterungen können nur in jenen Fällen gewährt werden, in denen gegenüber dem Abgabepflichtigen für den Fall des bereits erfolgten oder späteren Eintrittes aller Voraussetzungen hiezu Einbringungsmaßnahmen auf Grund eines Rückstandsausweises in Betracht kommen.

(2) Werden für aushaftende Abgabenschuldigkeiten Zahlungserleichterungen (Abs1) bewilligt, so kann die Bewilligung von Bedingungen, welche die Einbringung sichern, und von der Leistung einer angemessenen Verzinsung (Stundungszinsen) der aushaftenden Abgabenschuld (pro Jahr höchstens 6 v.H. über dem im Zeitraum des Zahlungsaufschubes jeweils geltenden Basiszinssatz gemäß ArtI §1 Abs1 des 1. Euro-Justiz-Begleitgesetzes) abhängig gemacht werden. Im Falle des Terminverlustes gilt der Zahlungsaufschub im Sinne dieser Bestimmung erst im Zeitpunkt der Ausstellung des Rückstandsausweises (§96) als beendet.

§102

Nachsicht fälliger Abgabenschuldigkeiten

(1) Fällige Abgabenschuldigkeiten können auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

(2) Der Abs1 findet auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung. ...

(3) ..."

4. Die Erwägungen, die den Verfassungsgerichtshof zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens veranlaßt hatten, legte er in seinem Prüfungsbeschluß wie folgt dar:

"Wie der Verfassungsgerichtshof in dem an seine ständige Rechtsprechung zum rechtsstaatlichen Prinzip anknüpfenden Erkenntnis VfSlg. 11.196/1986 betreffend §254 BAO ausgesprochen hat, müssen Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen, worunter nicht nur die Erlangung einer Entscheidung rechtsrichtigen Inhalts, sondern auch die Umsetzung einer solchen Entscheidung in den Tatsachenbereich zu verstehen sei. Der Verfassungsgerichtshof vertrat in diesem Erkenntnis die Auffassung, daß es nicht angehe, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt sei. Zu berücksichtigen seien in diesem Zusammenhang nicht nur die Position des Rechtsschutzwerbers, sondern auch Zweck und Inhalt der Regelung, ferner die Interessen Dritter sowie das öffentliche Interesse. Der Gesetzgeber habe unter diesen Gegebenheiten einen Ausgleich zu schaffen, wobei aber dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfes der Vorrang zukäme und dessen Einschränkung nur aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen zulässig sei; auf welche Weise dieser Ausgleich vom Gesetzgeber vorgenommen werde, lasse sich nicht allgemein sagen (vgl. hiezu außerdem VfSlg. 12.409/1990, 12.683/1991, 13.003/1992, 13.182/1992, 13.305/1992, 13.493/1993, 14.039/1995, 14.374/1995, 14.548/1996, 14.765/1997, 15.218/1998 sowie das hg. Erkenntnis vom 1. März 2002, G319/01).

Wörtlich führte der Verfassungsgerichtshof in der Entscheidung VfSlg. 11.196/1986 noch folgendes aus:

'Im vorliegenden Gesetzesprüfungsfall geht es um die Erlassung abgabenbehördlicher Bescheide, mithin auch um die Erlassung von Abgabenbescheiden im rechtstechnischen Sinn. Dem Gesetzgeber ist es bei einer solchen Lage aufgegeben, das Interesse der Gebietskörperschaften an regelmäßig fließenden Einnahmen gebührend zu berücksichtigen, gegenüber dem die Interessenposition des Abgabenschuldners Einschränkungen auf sich nehmen muß. Die vom Gesetzgeber vorzunehmende Interessensabwägung erlaubt es ihm, ein System zu schaffen, das den regelmäßigen Zufluß der Abgaben sicherstellt, die Abgabenschuldner aber nicht einseitig in Fällen belastet, in denen - trotz Bedachtnahme auf gesicherte Erfahrungstatsachen, eine längerwährend unbeanstandet geübte Verwaltungspraxis oder die Klärung von Rechtsfragen durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts - Tatsachen- oder Rechtsfragen echt strittig sind. In solchen Fällen (- und dies ist bei Betrachtung eines konkreten Abgabenbescheides auch in der Weise denkbar, daß nur ein Teilbereich betroffen ist -) geht es nicht an, das Rechtsschutzrisiko im echt fraglichen Bereich dem Rechtsunterworfenen vorbehaltlos aufzulasten. Wie nun ein System, das einen solchen Zustand bis zur endgültigen Rechtsschutzgewährung vermeidet, im einzelnen beschaffen sein soll, liegt im rechtspolitischen Ermessen des Gesetzgebers; es kommt nicht darauf an, wie er es rechtstechnisch ausgestaltet (zB festlegt, daß und in welchem Umfang auf Parteiverlangen einem Rechtsmittel durch die Abgabenbehörde erster oder zweiter Rechtsstufe aufschiebende Wirkung zuzuerkennen ist), sondern ob das System den Rechtsschutz im umschriebenen Sinn gewährleistet.

Legt man diesen Maßstab an den §212 Abs1 BAO (demzufolge auf Ansuchen bestimmte Zahlungserleichterungen, insbesondere eine Stundung, bewilligt werden können, 'wenn die sofortige oder die sofortige volle Entrichtung der Abgaben für den Abgabepflichtigen mit erheblichen Härten verbunden wäre und die Einbringlichkeit der Abgaben durch den Aufschub nicht gefährdet wird'), so ist es evident, daß diese Vorschrift nicht genügt, die extremen Auswirkungen des §254 BAO auszugleichen.'

Aus der Sicht der Rechtsschutzgestaltung könne es nämlich nicht (bloß) darum gehen, ob die durch den Abgabenbescheid für den Abgabepflichtigen geschaffene Zahlungsverpflichtung eine 'erhebliche Härte' bedeute. Es komme im gegebenen Zusammenhang vielmehr entscheidend darauf an, ob es im Hinblick auf die Prämissen der von der Abgabenbehörde angenommenen Abgabepflicht (etwa unter Bedachtnahme auf die oben genannten Kriterien: gesicherte Erfahrungstatsachen, längerwährend unbeanstandet geübte Verwaltungspraxis, Klärung von Rechtsfragen durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) überhaupt als begründbar angesehen werden könne, die alsbaldige Bezahlung der streitverfangenen Geldleistung zu verlangen. Dazu komme noch einerseits, daß eine erwirkte Stundung nach Maßgabe des §212 Abs2 BAO zu einer Zinsenbelastung führe, sowie andererseits, daß das in §212 Abs1 BAO kumulativ festgelegte Tatbestandsmerkmal der Einbringlichkeitsgefährdung mit den vorhin dargelegten Anforderungen schlechthin unvereinbar sei.

Wenn nun §113 Vbg. Abgabenverfahrensgesetz der Berufung generell die aufschiebende Wirkung versagt, so scheinen gegen diese Bestimmung, betrachtet man sie isoliert, dieselben Bedenken zu bestehen, die den Gerichtshof im hg. Erkenntnis VfSlg. 11.196/1986 zur Aufhebung des §254 BAO veranlaßt hatten. Die entscheidende Frage dürfte daher sein, ob sich an diesem Befund deswegen etwas ändert, weil der Vorarlberger Landesgesetzgeber in Reaktion auf das eben zitierte Erkenntnis in das Vbg. Abgabenverfahrensgesetz §86a eingefügt hat. Der Gerichtshof geht davon aus, daß dem Abgabepflichtigen durch das dort vorgesehene Zinsenausgleichsystem im Ergebnis bei Obsiegen in einem Rechtsmittelverfahren ein Anspruch auf Ersatz des durch die vorläufige Entrichtung der Abgabe entstandenen Schadens eingeräumt wird, daß dies unabhängig von der ursprünglichen Beurteilung der Erfolgschancen des Rechtsmittels geschieht und daß die vorgesehene Zinsenhöhe - zumindest nach den derzeit gegebenen Verhältnissen - im allgemeinen geeignet sein dürfte, auch die Kosten einer allenfalls notwendigen Fremdfinanzierung der Abgabenentrichtung abzudecken. Ein solches Instrument führt aber doch nur zu einem Schadensausgleich ex post, dürfte hingegen - so scheint es vorläufig - nicht verhindern, daß der Rechtsschutzsuchende (zunächst) mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung solange belastet wird, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist. Gerade der Umstand aber, daß durch die seinerzeitigen Vorschriften der BAO das Rechtsschutzrisiko bis zur endgültigen Rechtsschutzgewährung vorbehaltlos dem Rechtsunterworfenen aufgelastet war, hat den Gerichtshof in der zitierten Entscheidung VfSlg. 11.196/1986 zur Aufhebung der Vorschrift des §254 BAO veranlaßt.

Der Gerichtshof übersieht dabei nicht, daß nach den Gründen der zitierten Entscheidung nicht nur die Position des Rechtsschutzsuchenden, sondern auch die Interessen Dritter sowie das öffentliche Interesse zu berücksichtigen ist, daß daher der Gesetzgeber eine Interessenabwägung vornehmen darf, die (auch) das Interesse der Gebietskörperschaften an regelmäßig fließenden Einnahmen gebührend berücksichtigt, und daß die zitierte Entscheidung es in das rechtspolitische Ermessen des Gesetzgebers gestellt hat, wie das geforderte System im einzelnen rechtstechnisch ausgestaltet wird."

Es werde daher im Gesetzesprüfungsverfahren auch zu untersuchen sein, ob allenfalls - wie die (oben wiedergegebenen) Materialien andeuten - die in §86 Vbg. AbgVG generell vorgesehene Möglichkeit, im Fall von Liquiditätsschwierigkeiten Zahlungsaufschub zu erlangen, bzw. die ebenfalls von den Materialien erwähnte Möglichkeit, im Fall strittiger Rechtsfragen vorderhand auf die Einbringung zu verzichten, (somit Instrumente, die schon vor der endgültigen Erledigung des Rechtsmittels greifen) in Verbindung mit der Zinsenausgleichsregelung rechtlich und faktisch geeignet seien, das vom Gerichtshof seinerzeit beanstandete Ergebnis zu vermeiden. In diesem Zusammenhang werde auch zu prüfen sein, ob und allenfalls welche Bedeutung dem von den Materialien hervorgehobenen Gesichtspunkt der leichteren Handhabbarkeit dieser Regelungen (im Vergleich mit einer Aussetzung der Einhebung) beizumessen sei.

5. Die Vorarlberger Landesregierung erstattete im Gesetzesprüfungsverfahren auf Grund ihres Beschlusses vom 5. März 2003 eine Äußerung, in der sie beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge beschließen, daß §113 Vbg. AbgVG nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird.

5.1. Zunächst untersucht die Vorarlberger Landesregierung, ob das vom Vorarlberger Landesgesetzgeber gewählte Rechtsschutzsystem geeignet sei, die Rechtsschutzwerber faktisch vor Schäden zu schützen. Wenn die Abgabepflichtigen trotz Erhebung der Berufung gemäß §113 Vbg. AbgVG zur vorläufigen Entrichtung der Abgaben verpflichtet seien, erwüchsen ihnen entweder Kosten für die Fremdfinanzierung, sofern die Abgabenschulden mit Kredit finanziert würden, oder es entginge ihnen der Ertrag aus der Veranlagung, wenn die Abgabenschulden aus Eigenmitteln finanziert würden. Gemäß §86a Abs1 Vbg. AbgVG liege der Zinssatz für jene entrichteten Abgabenschulden, die auf Grund einer Berufung herabgesetzt würden, 3 vH über dem geltenden Basiszinssatz gemäß §1 Abs1 des 1. Euro-Justiz-Begleitgesetzes iVm §1 der Basis- und Referenzzinssatzverordnung. Zum Vergleich betrügen die gesetzlichen Zinsen nach dem Zinsenrechts-Änderungsgesetz, BGBl. I 118/2002, in der Regel 4 vH jährlich.

Im vorliegenden Fall betrüge die Vorschreibung der Kommunalsteuer insgesamt S 64.609,-- (€ 4.695,32). Hätte die beschwerdeführende Gesellschaft diesen Betrag als Kredit aufnehmen müssen, wären bis zur Erlassung des Berufungsbescheides Zinsen iHv S 4.446,-- (€ 323,10) angefallen. Hätte die beschwerdeführende Gesellschaft dieses Geld anstelle der Entrichtung der Kommunalsteuer aus Eigenmitteln veranlagt, wären bei Annahme eines durchschnittlichen Einlagezinssatzes von netto 3 vH Vermögenszinsen iHv S 2.555,-- (€ 185,68) angefallen. Bis zur Erlassung des Berufungsbescheides wären demgegenüber gemäß §86a Vbg. AbgVG Ausgleichszinsen iHv S 5.998,-- (€ 435,89) entstanden; dieser Betrag übersteige sowohl jenen, den die beschwerdeführende Gesellschaft für Kreditzinsen bezahlt hätte, als auch jenen, den sie durch Veranlagung erwirtschaftet hätte. Das Zinsenausgleichssystem schütze somit den Rechtsschutzsuchenden ab dem Zeitpunkt der Bezahlung der Abgabenschulden faktisch vor Nachteilen.

5.2. Der Verfassungsgerichtshof habe in seinem Prüfungsbeschluß (B910/02) zum Ausdruck gebracht, daß ein Schadensausgleich ex post unzulänglich sei. Nach Auffassung der Vorarlberger Landesregierung leite der Gerichtshof diesen Schluß aus der bisherigen Rechtsprechung ab, wonach sich aus dem Begriff "Schutz" als Teilaspekt des Ausdruckes "Rechtsschutz" ergebe, daß die faktische Position des Rechtsschutzsuchenden "rechtzeitig" gewahrt und gewährleistet werden müsse. Ob dies der Fall sei, hängt nach Auffassung der Vorarlberger Landesregierung davon ab, welches Rechtsgut beeinträchtigt würde, welche Schäden dem Rechtsschutzsuchenden drohten und ob diese im nachhinein so ausgeglichen werden könnten, daß der Rechtsschutzsuchende im wesentlichen so gestellt werden könne, als wären ihm von vornherein nie Nachteile entstanden. Es könne auch ein Schadensausgleich ex post rechtzeitig sein, wenn alle - vorläufigen - Nachteile des Rechtsschutzsuchenden - nachträglich - kompensiert würden.

Bei Vermögensschäden sei nach der Auffassung der Vorarlberger Landesregierung regelmäßig ein Schadensausgleich im nachhinein so möglich, daß die vorläufigen Nachteile des Rechtsschutzsuchenden, die ihm durch die behördliche Maßnahme zugefügt worden seien, voll kompensiert würden. Der Rechtsschutzsuchende könne vermögensmäßig so gestellt werden, als hätte der behördliche Eingriff nie stattgefunden. "Zusammenfassend ergibt sich somit, dass das Zinsenausgleichssystem gemäß §86a AbgVG dem Rechtsschutzsuchenden sowohl die Kredit- als auch die Veranlagungszinsen faktisch ersetzt und dieser bei einer Gesamtbetrachtung ab dem Zeitpunkt der Entrichtung der Abgabe eine faktische Position erhält, die jener entspricht, als hätte der behördliche Eingriff, nämlich die rechtswidrige Vorschreibung einer (zu hohen) Abgabe, nicht stattgefunden."

5.3. Die Vorarlberger Landesregierung geht auch auf den Sonderfall ein, daß der Abgabepflichtige Liquiditätsschwierigkeiten hat und von Kreditunternehmen für die Bezahlung der Abgabenschulden vorübergehend keinen Kredit erhält. Hier biete das Vbg. AbgVG nach Ansicht der Vorarlberger Landesregierung mehrere Möglichkeiten: Gemäß §86 Abs1 Vbg. AbgVG könne dem Abgabepflichtigen die Entrichtung der Abgaben gestundet oder die Entrichtung in Raten bewilligt werden, wenn die sofortige volle Entrichtung der Abgaben für den Abgabepflichtigen mit erheblichen Härten verbunden wäre und die Einbringlichkeit der Abgaben durch den Aufschub nicht gefährdet würde.

Die Vorarlberger Landesregierung führt sodann wörtlich aus:

"Nach der stRsp des VwGH zu §212 BAO liegt eine erhebliche Härte bei einer wirtschaftlichen Notlage oder einer finanziellen Bedrängnis vor. Zwar begründet die Einbringung eines Rechtsmittels nach der stRsp des VwGH noch keine erhebliche Härte, allerdings ist eine solche anzunehmen, wenn der angefochtene Bescheid offenkundige, klare Fehler enthält, deren Beseitigung im Rechtsweg zu gewärtigen ist und die Einziehung zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten führt (s Ritz, BAO-Kommentar2, 484).

Der VfGH hat in VfSlg. 11.196/1986 zwar die Auffassung vertreten, die Möglichkeit zur Stundungsgewährung (allein) reiche nicht aus, die extremen Auswirkungen des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung im Rechtsmittelverfahren auszugleichen, insbesondere könne es bei der Rechtsschutzgestaltung nicht bloß darum gehen, ob die Abgabenzahlungsverpflichtung eine 'erhebliche Härte' bedeutet. Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass für jene Fälle, in denen die Abgabenentrichtung keine 'erhebliche Härte' darstellt, ohnehin mit dem Zinsenausgleichssystem gemäß §86a AbgVG eine - nach Auffassung der Vorarlberger Landesregierung - verfassungskonforme Lösung gefunden wurde. Lediglich für jene Fälle, in denen der Abgabepflichtige Liquiditätsschwierigkeiten hat, könnte die Meinung vertreten werden, dass §86a AbgVG allein nicht ausreicht, um dem Rechtsschutzsuchenden 'rechtzeitig' seine faktische Position zu sichern. Da Abgabepflichtige, die Liquidationsschwierigkeiten haben, sich jedoch in einer - nach der stRsp des VwGH für die Gewährung der Stundung erforderlichen - 'wirtschaftlichen Notlage' bzw. 'finanziellen Bedrängnis' befinden, können die Stundungsregelungen (ergänzend zu §86a AbgVG) sehr wohl dazu beitragen, die faktische Effizienz eines Rechtsmittels zu garantieren."

Sodann führt die Vorarlberger Landesregierung aus, daß der Verfassungsgerichtshof in dem hg. Erkenntnis VfSlg. 11.196/1986 argumentiert habe, daß eine erwirkte Stundung gemäß §212 Abs2 BAO zu einer Zinsenbelastung führe sowie daß das Tatbestandsmerkmal der Einbringlichkeitsgefährdung gemäß §212 Abs1 BAO mit den Anforderungen eines effektiven Rechtsschutzsystems nicht vereinbar sei. Die Vorarlberger Landesregierung weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß es gemäß §86 Abs2 Vbg. AbgVG dem Ermessen der Behörde überlassen sei, ob überhaupt Stundungszinsen eingehoben werden sollten.

Gemäß §86 Vbg. AbgVG dürfe - im Gegensatz zu §212a BAO - eine Stundung in jenen Fällen nicht bewilligt werden, in denen zwar die Einbringlichkeit der Abgaben gefährdet sei, ein Gefährdungsverhalten des Abgabepflichtigen jedoch nicht vorliege. Für diese Fälle sei jedoch §102 Vbg. AbgVG (Nachsicht fälliger Abgabenschuldigkeiten) relevant.

Hiezu führt die Vorarlberger Landesregierung wörtlich folgendes aus:

"Auch in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage, Blg. 45/1988 24.LT, wird darauf hingewiesen, dass - ergänzend zum Zinsenausgleich gemäß §86a AbgVG - bis zur endgültigen Entscheidung der Abgabenberufungsbehörde nicht nur die Stundung, sondern auch der Verzicht auf die Einbringung der Abgaben offen steht. Eine Nachsicht fälliger Abgabenschuldigkeiten ist nach der stRsp des VwGH jedenfalls zulässig, wenn die Einbringung die Existenz des Abgabepflichtigen gefährden würde oder er sich in besonderen finanziellen Schwierigkeiten befindet, aber auch dann, wenn die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind.

Nach Rechtsauffassung der Vorarlberger Landesregierung läge ein solcher Fall der Unbilligkeit der Einhebung gemäß §102 AbgVG vor und wären die Abgabenschulden nachzusehen, wenn

Auch nach Stoll, BAO-Kommentar, Wien 1994, 2417 (mHa VwGH 14.6.1957, 782/55), ist für die Nachsicht von Abgabenschulden die Rechtskraft der Vorschreibung keine Voraussetzung. Die Nachsicht der Einhebung gemäß §102 AbgVG trägt somit in jenen Fällen zur Gewährleistung eines vorläufigen effektiven Rechtsschutzes bei, in denen mit dem Zinsenausgleichssystem gemäß §86a AbgVG und der Stundung gemäß §86 AbgVG kein Auslangen gefunden werden kann."

Die Vorarlberger Landesregierung weist schließlich noch auf die Möglichkeit der Aussetzung der Vollstreckung fälliger Abgaben gemäß §98 Vbg. AbgVG hin und bringt überdies vor, daß es weder bei Landes- noch bei Gemeindeabgaben um hohe Abgabenbeträge gehe.

5.4. Zu den verwaltungsökonomischen Aspekten bemerkt die Vorarlberger Landesregierung, daß sich der Vorarlberger Landesgesetzgeber insbesondere deshalb für den Zinsenausgleich gemäß §86a iVm §§86 und 102 Vbg. AbgVG entschieden habe, da dieses System verwaltungsökonomischer sei als die Aussetzung der Einhebung nach dem Vorbild des §212a BAO.

Wörtlich bringt die Vorarlberger Landesregierung dazu folgendes vor:

"Während etwa beim Zinsenausgleichssystem gemäß §86a AbgVG die Behörde im Rahmen der Rückzahlung bzw Umbuchung oder Überrechnung des Guthabens von Amts wegen die Ausgleichszinsen zu berücksichtigen hat, sind bei der Aussetzung der Einhebung mehrere Bescheide zu erlassen. Nach §212a BAO hat die Behörde auf Antrag darüber zu entscheiden, ob eine Aussetzung bewilligt wird oder nicht, und anläßlich des Ergehens der Berufungs(vor)entscheidung bescheidmäßig den Ablauf der Aussetzung zu verfügen. Steht gegen eine Berufungsvorentscheidung der ersten Instanz nochmals das Rechtsmittel der Berufung ('Vorlageantrag') zu, kann nochmals eine Aussetzung der Einhebung beantragt werden (so Urtz, Die aufschiebende Wirkung im verfassungsgerichtlichen Verfahren in Steuersachen, in Holoubek/Lang,

Das verfassungsgerichtliche Verfahren in Steuersachen, Wien 1998, 47 ff (52)). Oftmals erscheint es deshalb zweckmäßiger, gleich über die Berufung abzusprechen, um größeren Verwaltungsaufwand zu vermeiden (Ritz, Verwaltungsökonomie als Ermessenskriterium, ÖStZ 1996, 70, empfiehlt, der Berufung mit Berufungsvorentscheidung sofort stattzugeben und den Antrag auf Aussetzung abzuweisen, wenn die Voraussetzungen für die unverzügliche Stattgabe einer Berufung gegeben sind).

Außerdem ist die Entscheidung über die Aussetzung der Einhebung sowohl für die Abgabenbehörde als auch für den Rechtsschutzsuchenden mit nicht unerheblichem Aufwand verbunden. Hervorzuheben ist insbesondere, dass die Behörde eine Prognoseentscheidung zu treffen hat, ob 'die Berufung nach Lage des Falles wenig erfolgversprechend erscheint' (§212a Abs2 lita BAO); weil dieser Tatbestand nicht mit 'offenkundiger Erfolglosigkeit' der Berufung gleichzusetzen ist (Ritz, BAO-Kommentar2, 495), kann hier die Behörde zu zeitaufwändigen rechtlichen Beurteilungen gezwungen sein. Für die Rechtsschutzsuchenden hingegen ist 'die (rechnerische) Darstellung der Ermittlung des gemäß Abs1 für die Aussetzung in Betracht kommenden Abgabenbetrages' als notwendiger Inhalt des Aussetzungsantrages (§212a Abs3 BAO) eine nicht zu unterschätzende Hürde ..."

5.5. Abschließend weist die Vorarlberger Landesregierung noch auf einen - aus ihrer Sicht - weiteren Vorteil des Zinsenausgleichssystems hin. Da den Anträgen der Abgabenschuldner bei Erhebung von Beschwerden an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts nur in seltenen Fällen die aufschiebende Wirkung zugesprochen werde, seien die Abgabenschuldner im Falle der Aussetzung der Einhebung gemäß §212a BAO verpflichtet, spätestens nach Rechtskraft des letztinstanzlichen Bescheides die Abgaben zu entrichten. Das Zinsenausgleichssystem gemäß §86a Vbg. AbgVG decke hingegen dem Abgabepflichtigen sämtliche Zinsenverluste während anhängiger Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts - oder bei Vorabentscheidungsersuchen vor dem Europäischen Gerichtshof - ab. Werde ein Bescheid vom Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof aufgehoben, seien dem Abgabepflichtigen die Ausgleichszinsen bis zum Ergehen des Ersatzbescheides durch die Abgabenberufungsbehörde zu ersetzen. Schließlich seien die Abgabepflichtigen durch das Zinsenausgleichssystem auch bei Gemeindeabgaben über das Berufungsverfahren hinaus während des gesamten Vorstellungsverfahrens vor Nachteilen geschützt, während dies beim System der Aussetzung der Einhebung nicht der Fall sei.

6. Die Burgenländische Landesregierung erstattete über Einladung durch den Verfassungsgerichtshof auf Grund ihres Beschlusses vom 25. Februar 2003 eine Stellungnahme, in der sie die Meinung vertritt, daß die vom Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluß (B910/02) dargelegten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §113 Vbg. AbgVG nicht zutreffen.

Das Vbg. AbgVG strebe einen Interessenausgleich zwischen den Positionen des Landes und des Rechtsunterworfenen in der Weise an, daß im Falle einer Herabsetzung der Abgabenschuld auf Grund einer Berufung für den zu viel entrichteten Betrag Zinsen gewährt würden, weiters gegebenenfalls Zahlungserleichterungen eingeräumt werden könnten oder auch die Möglichkeit bestünde, den Zeitpunkt der Entrichtung der Abgabe hinauszuschieben, wenn die sofortige oder volle Entrichtung der Abgabe für den Abgabepflichtigen mit erheblichen Härten verbunden wäre und die Einbringlichkeit der Abgabe durch den Aufschub nicht gefährdet werde. Damit habe der Vorarlberger Landesgesetzgeber insgesamt ein System in einer Ausgestaltung geschaffen, die im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liege. Insbesondere habe der Gesetzgeber dabei darauf Bedacht genommen, eine im Hinblick auf den Verfahrensablauf möglichst einfache Regelung zu treffen, um für den Rechtsunterworfenen nicht durch zu komplizierte Regelungsmechanismen die tatsächliche Effektivität der Einbringung eines Rechtsmittels in sachlich nicht gerechtfertigter Weise zu beschränken. Der Vorarlberger Landesgesetzgeber habe ein bei einer Gesamtbetrachtung sachlich ausgewogenes Rechtsschutzsystem geschaffen.

Abschließend weist die Burgenländische Landesregierung darauf hin, daß die Bestimmungen der Burgenländischen Landesabgabenordnung weitestgehend der Vorarlberger Regelung entsprächen, wobei der dem Berufungswerber gegebenenfalls zu gewährende Zinssatz mit 6 vH deutlich höher sei als der im §86a Vbg. AbgVG vorgesehene Satz iHv 3 vH.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Zulässigkeit:

Das Gesetzesprüfungsverfahren hat nicht ergeben, daß die vorläufige Annahme des Gerichtshofes, er habe die in Prüfung gezogene Bestimmung anzuwenden, unzutreffend wäre. Auch die Vorarlberger Landesregierung ist der Präjudizialitätsannahme des Gerichtshofes nicht entgegengetreten. Da auch sonst keine Prozeßhindernisse hervorgekommen sind, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Das Verfahren hat jedoch die im Prüfungsbeschluß geäußerten Bedenken zerstreut:

2.1. Der Gerichtshof bleibt bei der im Prüfungsbeschluß wiedergegebenen, im wesentlichen mit dem Erkenntnis VfSlg. 11.196/1986 beginnenden Judikatur, wonach Rechtsschutzeinrichtungen ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen und es nicht angeht, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist. Zu berücksichtigen seien in diesem Zusammenhang nicht nur die Position des Rechtsschutzwerbers, sondern auch Zweck und Inhalt der Regelung, ferner die Interessen Dritter sowie das öffentliche Interesse. Der Gesetzgeber habe unter diesen Gegebenheiten einen Ausgleich zu schaffen, wobei aber dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfes der Vorrang zukäme und dessen Einschränkung nur aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen zulässig sei. Der Gerichtshof hat in dem zitierten Erkenntnis, wie ebenfalls im Prüfungsbeschluß wiedergegeben, auch ausgeführt, daß die vom Gesetzgeber vorzunehmende Interessenabwägung es ihm erlaube, ein System zu schaffen, das den regelmäßigen Zufluß der Abgaben sicherstelle, die Abgabenschuldner aber nicht einseitig in Fällen belaste, in denen Tatsachen- oder Rechtsfragen echt strittig sind. In solchen Fällen gehe es nicht an, das Rechtsschutzrisiko im echt fraglichen Bereich dem Rechtsunterworfenen vorbehaltlos aufzulasten. Der Gerichtshof hat allerdings auch festgehalten, daß es im rechtspolitischen Ermessen des Gesetzgebers liege, wie ein System, das einen solchen Zustand bis zur endgültigen Rechtsschutzgewährung vermeidet, im einzelnen beschaffen sein soll.

Der Gerichtshof hat in der Folge diese Grundsätze auf alle Arten behördlicher Verfahren ausgedehnt (VfSlg. 12.683/1991) und Regelungen, die einen Ausschluß der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln - ohne Eröffnung einer anderen Möglichkeit zur Gewährung des erforderlichen Rechtsschutzes - vorsahen, als verfassungswidrig erkannt (vgl. etwa VfSlg. 13.003/1992 und 13.305/1992 zu §412 ASVG; 14.374/1995 zum Fremdengesetz; 14.671/1996 zu §198 Nö. AO; 15.511/1999 zu §56 AlVG).

2.2. Vor dem Hintergrund dieser Judikatur erweist sich die in Prüfung gezogene Regelung - im Zusammenhang betrachtet - nicht als verfassungswidrig.

2.2.1. Zu Recht weist die Vorarlberger Landesregierung zunächst darauf hin, daß das Rechtsschutzrisiko im Abgabenbereich letztlich (nur) einen allfälligen Vermögensschaden betrifft: Ist im Zusammenhang mit der Erlassung eines Abgabenbescheides eine Rechtsfrage echt strittig, so führt der generelle Ausschluß der aufschiebenden Wirkung nach §113 Vbg. AbgVG zwar dazu, daß die strittige Abgabenschuld vorläufig entrichtet und finanziert werden muß. Sollten hiefür Eigenmittel zur Verfügung stehen, führt dies zu einer Vermögensbelastung in Höhe der bei einer Alternativveranlagung erzielbaren Verzinsung; müssen Fremdmittel eingesetzt werden, besteht die Vermögensbelastung im erforderlichen Fremdfinanzierungsaufwand. Derartige Belastungen müssen aber, wenn es hiefür sachliche Gründe gibt, nicht unbedingt ex ante vermieden werden, soweit sie in vollem Umfang auch ex post ausgleichbar sind und ausgeglichen werden. Gerade dies ist aber Zweck und Inhalt der Regelung des §86a Vbg. AbgVG. Dabei bleibt der Gerichtshof bei der schon im Prüfungsbeschluß geäußerten Auffassung, daß die vorgesehene Zinsenhöhe - jedenfalls im Regelfall - geeignet ist, auch den Vermögensschaden bei einer notwendigen Fremdfinanzierung auszugleichen.

Als sachliche Gründe, die geeignet sind, einen Verzicht auf die vorläufige Vermeidung einer Vermögensbelastung in Streitfällen zu rechtfertigen, sind aber - und darauf weist die Vorarlberger Landesregierung zu Recht hin - einerseits der Umstand anzusehen, daß die landesgesetzliche Regelung - im Vergleich zur Situation im Bereich der Bundesabgaben - typischerweise Fälle von finanziell geringer Bedeutung betrifft, andererseits die einfache Handhabbarkeit des Zinsenausgleichsverfahrens sowohl für die Abgabenbehörde als auch für den Abgabepflichtigen gegenüber einem Verfahren, bei dem ex ante die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels abgeschätzt werden müssen. Dem Gesetzgeber kann nicht entgegengetreten werden, wenn er in einem Bereich, in dem das Rechtsschutzrisiko typischerweise in einer relativ geringfügigen Vermögensbelastung besteht, auf ein kompliziertes Verfahren der ex-ante-Vermeidung des Vermögensschadens verzichtet, wenn er an dessen Stelle einen vollen ex-post-Ausgleich vorsieht.

2.2.2. Ungeachtet dessen bliebe die Regelung freilich bedenklich, wenn sie zur Folge hätte, daß in Fällen der Illiquidität, somit bei Fehlen von Eigenmitteln und Nichtbeschaffbarkeit von Fremdmitteln, ebenfalls nur ein (Zinsen)Ausgleich ex post vorgesehen wäre, weil ein solcher in diesen Fällen offenkundig nicht geeignet wäre, das Rechtsschutzrisiko zu vermeiden. Der Gerichtshof folgt der Vorarlberger Landesregierung, daß für jene Fälle, in denen die sofortige Abgabenentrichtung mit erheblichen Härten verbunden wäre und die Einbringlichkeit der Abgabe durch den Aufschub nicht gefährdet wird, das Instrument der Stundung (als Ergänzung zur Zinsenausgleichsregelung) geeignet ist, diese Bedenken zu zerstreuen, zumal - worauf die Vorarlberger Landesregierung zu Recht hinweist - nach §86 Abs2 Vbg. AbgVG die Vorschreibung von Stundungszinsen im Ermessen der Behörde steht.

Für jene Fallgruppe hingegen, bei der durch die Illiquidität bereits die Einbringlichkeit der Abgabe gefährdet ist (und daher eine Stundung nicht in Betracht kommt) und es (trotzdem) nicht gerechtfertigt erscheint, den Abgabgepflichtigen mit dem Rechtsschutzrisiko zu belasten, kann im Einzelfall - wie die Vorarlberger Landesregierung zutreffend ausführt - mit dem Instrument der Nachsicht (§102 Vbg. AbgVG) abgeholfen werden. Der Gerichtshof geht dabei davon aus, daß §102 leg.cit. jedenfalls in verfassungskonformer Weise so ausgelegt werden kann, daß die (nach §124a leg.cit. widerrufbare) Nachsicht in sachgerechter Ermessensausübung zu gewähren ist, wenn der Abgabepflichtige sich in besonderen finanziellen Schwierigkeiten befindet oder die sofortige Entrichtung der Abgabe mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre. Damit werden aber in den angesprochenen Grenzfällen hinreichende andere Möglichkeiten zur Gewährung des erforderlichen Rechtsschutzes zur Verfügung gestellt.

Da sohin die im Prüfungsbeschluß geäußerten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes im Prüfungsverfahren zerstreut werden konnten, war auszusprechen, daß §113 Vbg. AbgVG nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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