Normen
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsumfang
B-VG Art139 Abs3 dritter Satz
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz litc
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
ApothekenG §8
Verordnung der BH Innsbruck vom 27.09.78 über die Offenhaltezeit und die Dienstbereitschaft der öffentlichen Apotheke in Steinach am Brenner
VfGG §61a
VfGG §65a
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsumfang
B-VG Art139 Abs3 dritter Satz
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz litc
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
ApothekenG §8
Verordnung der BH Innsbruck vom 27.09.78 über die Offenhaltezeit und die Dienstbereitschaft der öffentlichen Apotheke in Steinach am Brenner
VfGG §61a
VfGG §65a
Spruch:
I. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 27.9.1978, Zl. 7-21880/78, über die Offenhaltezeit und die Dienstbereitschaft der öffentlichen Apotheke in Steinach am Brenner wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs verpflichtet.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) ist schuldig, dem Antragsteller zu Handen seiner Rechtsvertreter die mit S 14.750,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
II. Der Antrag auf Aufhebung des §8 Abs3, in eventu Abs2 und Abs5, Apothekengesetz, RGBl. Nr. 5/1907 idgF, wird zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Antragsteller betreibt eine öffentliche Apotheke in Matrei am Brenner. Mit auf Art139 Abs1 und Art140 Abs1 B-VG gestützten Anträgen begehrt er die Aufhebung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 27.9.1978, Zl. 7-21880/78, mit der die Offenhaltezeit und die Dienstbereitschaft der öffentlichen Apotheke in Steinach am Brenner geregelt werden, als gesetzwidrig, sowie des §8 Abs3 Apothekengesetz, RGBl. 5/1907 idgF, in eventu des §8 Abs2 und des §8 Abs5 leg. cit., als verfassungswidrig.
2.1. Der Antragsteller erachtet sich sowohl durch die angefochtene Verordnung als auch durch die bekämpfte Gesetzesstelle unmittelbar betroffen. Es stehe ihm auch kein anderer Weg zur Verfügung, um diese Bestimmungen zu bekämpfen. Im Falle des Zuwiderhandelns müsse er gemäß §41 ApothekenG mit einer Verwaltungsstrafe rechnen, was ihm nicht zumutbar sei.
2.2. Durch die in den bekämpften Rechtsvorschriften getroffenen Regelungen über die Bereitschaftsdienste von öffentlichen Apotheken werde er in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Freiheit der Erwerbsausübung sowie auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt. Dadurch, daß er die einzige öffentliche Apotheke in seinem Ort betreibe, werde er durch die Bereitschaftsdienste wesentlich stärker belastet als andere Apotheker. Die angefochtene Verordnung sei überdies nicht ausreichend kundgemacht worden.
3.1. Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck gab zum Verordnungsprüfungsantrag eine Stellungnahme ab, in der sie den Bedenken des Antragstellers entgegentritt und die Abweisung des Antrags begehrt.
3.2. Zum Gesetzesprüfungsantrag erstattete die Bundesregierung eine Äußerung, in der die Zurückweisung des Antrags, in eventu dessen Abweisung, beantragt wird.
4. Zur Rechtslage:
4.1. Die bekämpfte Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 27.9.1978 hat folgenden Wortlaut:
"Gemäß §8 Apothekengesetz, RGBl. Nr. 5/1907 i.d.g.F., wird nach Anhörung der Österreichischen Apothekerkammer, Landesgeschäftsstelle Tirol, und der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Tirol, die Offenhaltezeit der öffentlichen Apotheke in Steinach a.Br., 'Marien-Apotheke', wie folgt festgesetzt:
Montag bis Freitag von 8,00 bis 12,00 Uhr
und von 15,00 bis 18,00 Uhr
Samstag von 8,00 bis 13,00 Uhr
Die Versehung der Nachtdienste und die Dienstbereitschaft an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen hat wochenweise wechselnd, jeweils ab Samstag 13,00 Uhr, mit der öffentlichen Apotheke in Matrei a.Br. zu erfolgen."
4.2. §8 ApothekenG idF BGBl. 502/1984 lautet auszugsweise:
"Betriebszeiten und Bereitschaftsdienst
§8. (1) Die Zeiten, während derer die öffentlichen Apotheken für den Kundenverkehr an Werktagen offen zu halten haben (Betriebszeiten), sind von der Bezirksverwaltungsbehörde unter Bedachtnahme auf die örtlichen Verhältnisse so festzusetzen, daß die wöchentliche Betriebszeit 48 Stunden nicht überschreitet und eine tägliche Mittagssperre von ungefähr zwei Stunden eingehalten wird. Befinden sich in einem Ort mehrere öffentliche Apotheken, so sind für sie gleiche Betriebszeiten festzulegen.
(2) Für die Versehung eines Bereitschaftsdienstes während der Sperrzeiten ist in Orten mit mehreren öffentlichen Apotheken von der Bezirksverwaltungsbehörde eine Reihenfolge festzusetzen, wobei die Zahl und Auswahl der Apotheken, die gleichzeitig Bereitschaftsdienst zu versehen haben, dem Bedarf der Bevölkerung anzupassen ist. Die Bereitschaftsdienst haltenden Apotheken haben außerhalb der gemäß Abs1 festgesetzten Betriebszeiten ständig dienstbereit zu sein; ein Offenhalten während dieser Zeiten kann von der Bezirksverwaltungsbehörde bewilligt werden, wenn hiefür ein Bedarf gegeben ist.
(3) In Orten mit nur einer öffentlichen Apotheke muß der Apothekenleiter oder ein anderer vertretungsberechtigter Apotheker auch außerhalb der gemäß Abs1 festgesetzten Betriebszeiten zur Abgabe von Arzneimitteln in dringenden Fällen rasch erreichbar sein oder dafür sorgen, daß den Ärzten des Standortes in solchen Fällen die erforderlichen gebrauchsfertigen Arzneimittel zugänglich sind.
(4) An Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen sowie an jenen Tagen, die im betreffenden Bundesland wie Feiertage behandelt werden, haben in Orten mit mehreren öffentlichen Apotheken jene Apotheken bis 12 Uhr für den Kundenverkehr offenzuhalten, die in der folgenden Nacht Bereitschaftsdienst versehen. Die Bezirksverwaltungsbehörde kann anstelle des Offenhaltens einen Bereitschaftsdienst bewilligen, wenn dies die Bedarfslage gestattet. Nach 12 Uhr müssen diese Apotheken für dringende Fälle dienstbereit sein, doch kann die Bezirksverwaltungsbehörde auch ein Offenhalten bis längstens 18 Uhr bewilligen, wenn hiefür ein Bedarf gegeben ist. In Orten mit nur einer öffentlichen Apotheke kann die Bezirksverwaltungsbehörde unter Bedachtnahme auf die nach Abs1 zulässige wöchentliche Betriebszeit das Offenhalten der Apotheke an Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen sowie an jenen Tagen, die im betreffenden Bundesland wie Feiertage behandelt werden, bis längstens 12 Uhr bewilligen, wenn dies die vrtlichen Verkehrsgepflogenheiten erfordern.
(5) Die Bezirksverwaltungsbehörde kann hinsichtlich des Bereitschaftsdienstes öffentlicher Apotheken über die Bestimmungen der Abs2 bis 4 hinausgehend einen Dienstturnus von Orten mit nur einer öffentlichen Apotheke untereinander oder mit Orten mit mehreren öffentlichen Apotheken zusammen festsetzen, wenn dies für die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung zumutbar ist. In solchen Fällen muß der Apothekenleiter oder ein anderer vertretungsberechtigter Apotheker während des Bereitschaftsdienstes zur Abgabe von Arzneimitteln anwesend sein.
(6) ..."
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß Art139 B-VG (Art140 B-VG) erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit (Verfassungswidrigkeit) von Verordnungen (Gesetzen) auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit (Verfassungswidrigkeit) in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung (das Gesetz) ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß die Verordnung (das Gesetz) in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit (Verfassungswidrigkeit) - verletzt.
2. Zum Individualantrag nach Art139 B-VG:
2.1. Es ist offenkundig, daß der Antragsteller vom letzten Absatz der angefochtenen Verordnung - in dem u.a. die Dienstbereitschaft der vom Antragsteller betriebenen Apotheke in Matrei a. Br. geregelt wird - unmittelbar betroffen ist und ihm kein anderer zumutbarer Weg offensteht, seine Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Der Antrag ist daher in diesem Umfang zulässig.
Hinsichtlich der ersten beiden Absätze der Verordnung, die ausschließlich die Offenhaltezeit der öffentlichen Apotheke in Steinach a. Br. regeln, bringt der Antragsteller eine unmittelbare Betroffenheit nicht vor und ist eine solche auch nicht ersichtlich. Der Antrag ist insoweit unzulässig.
2.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind Verordnungen - soweit besondere Kundmachungsvorschriften im Gesetz nicht enthalten sind - "gehörig" kundzumachen (vgl. zB VfSlg. 15.549/1999). Nicht kundgemachte Verordnungen sind als solche nicht rechtlich existent. Der Verfassungsgerichtshof hat allerdings wiederholt ausgesprochen, daß für die Entstehung einer Verordnung ein Mindestmaß an Publizität genügt (vgl. zB VfSlg. 8351/1978, 9247/1981, 11.624/1988).
Zum Zeitpunkt der Erlassung der bekämpften Verordnung bestand keine gesetzliche Vorschrift, die die Kundmachung von Verordnungen nach dem ApothekenG im allgemeinen bzw. von solchen nach §8 leg. cit. im besonderen regelte.
Der Text der angefochtenen Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck wurde - wie aus der Zustellverfügung dieser Verordnung hervorgeht - Frau Mag. pharm. M. P. (der damaligen Inhaberin der öffentlichen Apotheke in Steinach a. Br.), der Österreichischen Apothekerkammer, der Kammer für Arbeiter und Angestellte, der Gesundheitsabteilung der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck und dem Amt der Tiroler Landesregierung zugestellt. Eine Zustellung an den damaligen Inhaber der öffentlichen Apotheke in Matrei a. Br. (die nunmehr vom Antragsteller betrieben wird) ist ebensowenig erfolgt wie eine über diese individuelle Versendung hinausgehende, allgemeine Kundmachung.
Der Verfassungsgerichtshof ist der Ansicht, daß diese Vorgangsweise zwar dazu führt, daß die Verordnung in rechtliche Existenz getreten ist (vgl. zB VfSlg. 10.602/1985, 12.744/1991), jedoch den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine gehörige Kundmachung nicht entspricht. Die individuelle Übermittlung des Verordnungstexts an ausgewählte Empfänger ist mit dem Wesen der Kundmachung einer generellen Norm nicht vereinbar (vgl. VfSlg. 10.602/1985), zumal die im vorliegenden Fall gewählte Vorgangsweise auch nicht geeignet war, alle Normadressaten vom Inhalt der Verordnung in Kenntnis zu setzen.
2.3. Dieser Kundmachungsmangel trifft nicht nur die im vorliegenden Verfahren präjudiziellen Bestimmungen, sondern vielmehr die ganze Verordnung. Da kein Fall des Art139 Abs3 letzter Satz B-VG vorliegt, ist daher die gesamte Verordnung aufzuheben.
3. Zum Individualantrag nach Art140 B-VG:
3.1. Gemäß §62 Abs1 VerfGG 1953 sind in einem Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes als verfassungswidrig die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im einzelnen darzulegen. Wird ein solcher Antrag von einer Person gestellt, die unmittelbar durch die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, so ist auch darzutun, inwieweit das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für sie wirksam geworden ist.
3.2. Diese Prozeßvoraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Der Antragsteller hat nicht dargetan, inwieweit die bekämpften Gesetzesstellen in seine Rechtssphäre unmittelbar eingreifen.
Der Antragsteller bringt zwar vor, daß er durch die Regelung des §8 Abs3 ApothekenG gezwungen sei, rund um die Uhr rasch erreichbar zu sein und dadurch entweder ein seine Gesundheit beeinträchtigendes Ausmaß an Arbeit auf sich nehmen oder - im Falle der Verrichtung des Bereitschaftsdienstes durch Angestellte - einen Verlust erwirtschaften müsse, wodurch er auch gegenüber Apothekern in Orten mit mehreren öffentlichen Apotheken benachteiligt werde.
Da es ihm durch §8 Abs3 ApothekenG aber freigestellt wird, in dringenden Fällen entweder selbst rasch erreichbar zu sein oder dafür zu sorgen, daß den Ärzten des Standortes die erforderlichen gebrauchsfertigen Arzneimittel zugänglich sind, geht dieses Vorbringen insofern ins Leere, als der Antragsteller nicht einmal behauptet, auch durch die zweite Alternative unmittelbar in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen zu sein.
3.3. Der Antragsteller hat auch nicht dargetan, inwieweit durch die in eventu angefochtenen Gesetzesbestimmungen - die Regelung über die Bereitschaftsdienste in Orten mit mehreren öffentlichen Apotheken in §8 Abs2 ApothekenG und die Verordnungsermächtigung des §8 Abs5 leg. cit. - unmittelbar in seine Rechte eingegriffen werde.
3.4. Der Antrag ist daher zurückzuweisen.
III. 1. Die Verpflichtung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung ergibt sich aus Art139 Abs5 B-VG.
2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §61a und §65a VerfGG. Da der Antragsteller unter einem sowohl einen auf Art139 B-VG als auch einen auf Art140 B-VG gestützten Antrag gestellt hat, jedoch nur mit ersterem erfolgreich war, war ihm als Aufwandersatz bloß die Hälfte der Normalkosten zuzusprechen. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von S 2.250,-- enthalten.
3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
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