VfGH B2000/98 - B1579/99

VfGHB2000/98 - B1579/9915.3.2000

Anlaßfallwirkung der Aufhebung der Einkaufszentren-V, BGBl II 69/1998, mit E v 02.12.99, G96/99, V50/99 ua.

Normen

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

 

Spruch:

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 29.500,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Bescheid vom 20. August 1998 wies die Bezirkshauptmannschaft Mödling den Antrag der M Gesellschaft m.b.H. auf Genehmigung der Abänderung der gewerbebehördlich genehmigten Betriebsanlage, wodurch 1.100 m² Verkaufsfläche neu geschaffen werden sollten, aufgrund einer zu erwartenden Gefährdung der Nahversorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern und Dienstleistungen im Einzugsgebiet gemäß §§81 Abs1, 77 Abs5 und 6 Gewerbeordnung in Verbindung mit den Bestimmungen der Einkaufszentren-Verordnung, BGBl. II Nr. 69/1998, ab. Die Gewerbebehörde errechnete durch Multiplikation der gesamten Verkaufsfläche von 5.224 m² mit dem durchschnittlichen Quadratmeterumsatz für die Handelsbranche "großer Elektroeinzelhandel" gemäß der Anlage 2 der Einkaufszentren-Verordnung von S 126.000.- einen prognostizierten Umsatz von S 658.244.000.-. Sie ging vom Einzugsgebiet Verwaltungsbezirk Mödling, Gebiet der Stadtgemeinde Traiskirchen und Teilen der südlichen und östlichen Wiener Gemeindebezirke 10, 12 und 23 mit einer Bevölkerungszahl von ca. 300.000 Einwohnern aus. Aus einer Multiplikation der Einwohnerzahl des Einzugsbereiches mit den durchschnittlichen einzelhandelsrelevanten Bruttoumsätzen je Einwohner in Schilling gemäß der Anlage 3 der Einkaufszentren-Verordnung von S 2.528.- für elektrotechnische Erzeugnisse errechnete sie das einzelhandelsrelevante Umsatzpotential mit S 1.011.200.000.- (richtig wohl 758.400.000.-). Der prognostizierte Umsatz der Betriebsanlage betrage daher mit seiner durch die Erweiterung auf 5.224 m² gestiegene Verkaufsfläche 8,7% (richtig wohl 86,79 %) des einzelhandelsrelevanten Umsatzpotentials im Einzugsgebiet des Projektes. Die Begründung des Bescheides hielt fest, dass unter Berücksichtigung der laut Einkaufszentren-Verordnung feststehenden Berechnungsgrößen das Einzugsgebiet tatsächlich eine Einwohnerzahl von ca. 5.207.500 Personen aufweisen müsste, um die zulässige Abschöpfungsquote von 5 % nicht zu überschreiten.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies der Landeshauptmann von Niederösterreich die dagegen erhobene Berufung ab. Er bejahte zunächst die Bewilligungspflicht der Anlage gemäß §74 Abs2 Z1 und 4 GewO 1994 und kam zu dem Ergebnis, dass im Genehmigungsverfahren betreffend die Änderung der Betriebsanlage §77 Abs5 bis 7 dann anzuwenden sei, wenn der zu ändernde Betriebsanlagenteil eine Gesamtverkaufsfläche von mehr als 800 m² oder eine Bruttogeschossfläche von mehr als 1.000 m² aufweist. Im Hinblick auf die projektierte Verkaufsflächenerweiterung um 1.100 m² ging der Landeshauptmann von Niederösterreich von der Anwendbarkeit des §77 Abs5 bis 7 GewO 1994 und der Einkaufszentren-Verordnung aus.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG), auf Unverletzlichkeit des Eigentums (Art5 StGG) und auf Freiheit der Erwerbsbetätigung (Art6 StGG) sowie die Verletzung in Rechten durch Anwendung rechtswidriger genereller Normen (in concreto des §77 Abs5 bis 7 GewO 1994 und der Einkaufszentren-Verordnung, BGBl. II Nr. 69/1998) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

4. Der Landeshauptmann von Niederösterreich legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Aus Anlass der gegenständlichen Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen gemäß Art140 Abs1 B-VG mit Beschluss vom 10. Juni 1999 ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Worte "keine Gefährdung der Nahversorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern und Dienstleistungen im Einzugsbereich sowie" im §77 Abs5 Z2 sowie der Abs6 und 8 des §77 GewO 1994 idF BGBl. I Nr. 63/1997 eingeleitet.

Weiters hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Einkaufszentren-Verordnung, BGBl. II Nr. 69/1998, eingeleitet.

In der nichtöffentlichen Sitzung am 2. Dezember 1999, betreffend die zu G96/99, V50/99 u.a. protokollierte Rechtssache, hat der Verfassungsgerichtshof die in Prüfung gezogene Wortfolge in §77 Abs5 Z2 sowie Abs6 GewO 1994, BGBl. 63/1997, nicht als verfassungswidrig aufgehoben, jedoch §77 Abs8 leg. cit. als verfassungswidrig und die in Prüfung gezogene Verordnung zur Gänze als gesetzwidrig aufgehoben.

Die belangte Behörde hat daher bei der Erlassung des angefochtenen Bescheids eine gesetzwidrige Verordnung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass die Anwendung dieser rechtswidrigen generellen Norm für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Gesellschaft nachteilig war. Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt (vgl. VfSlg. 10.404/1985).

Der Bescheid war daher aufzuheben.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 4.500,- und eine Eingabegebühr von S 2.500,- enthalten.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte