VfGH B835/97

VfGHB835/9713.6.2000

Zurückweisung der Beschwerde der zweitbeschwerdeführenden Stadtgemeinde gegen die Entscheidung in einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren mangels Legitimation; Verletzung des Rechts auf Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche durch ein unabhängiges Tribunal infolge Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Mitglieder des Tir Vergabeamtes

Normen

B-VG Art133 Z4
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
Tir VergabeG §12 Abs2
B-VG Art133 Z4
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
Tir VergabeG §12 Abs2

 

Spruch:

I. Die erstbeschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem durch Art6 EMRK verfassungs-gesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Tirol ist verpflichtet, der erstbeschwerde-führenden Gesellschaft zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu bezahlen.

II. Hingegen wird die Beschwerde, soweit sie von der zweitbeschwerdeführenden Gemeinde erhoben wird, mangels Beschwerdelegitimation zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. a) Aufgrund einer im offenen Verfahren durchgeführten Ausschreibung des Bauvorhabens "Projekt: Garagen-, Schul- und Sportanlage, Untere Stadt, Hall i. T., Gewerk Baumeisterarbeiten" erteilte die Stadtwerke Hall in Tirol GmbH einer Bietergemeinschaft den Zuschlag.

Eine ausgeschiedene Bietergemeinschaft leitete daraufhin ein Nachprüfungsverfahren beim Landesvergabeamt beim Amt der Tiroler Landesregierung (in der Folge: TVA) ein. Mit Bescheid vom 25. Februar 1997 stellte das Landesvergabeamt fest, daß der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde, und wies den Antrag des Auftraggebers auf Feststellung, daß der antragstellenden Bietergemeinschaft auch bei Einhaltung des TVergG oder einer Verordnung aufgrund dieses Gesetzes der Zuschlag nicht erteilt worden wäre, ab.

b) Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungs-gesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentrat und die Abweisung der Beschwerde begehrte.

II. a) Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit der Beschwerde erwogen:

Im durchgeführten Nachprüfungsverfahren hat sich zweifelsfrei ergeben, daß im gegenständlichen Vergabeverfahren die Stadtwerke Hall in Tirol GmbH Auftraggeber im zivilrecht-lichen und vergaberechtlichen Sinne ist. Dies belegen auch die vorgelegten Verwaltungsakten: Zwar wurde die Durchführung des gegenständlichen Bauvorhabens ursprünglich von der Stadtgemeinde Hall in Tirol im Gemeinderat beschlossen und es wurde den - zu diesem Zeitpunkt noch nicht als GmbH organisierten - Stadtwerken aufgetragen, das Bauvorhaben auf deren Rechnung abzuwickeln; die Betriebe der Stadtwerke wurden in der Folge aber als Sacheinlage in die neugegründete Stadtwerke Hall in Tirol GmbH eingebracht, die die Ausschreibung besorgte und das Bauvorhaben im eigenen Namen und auf eigene Rechnung durchführte. Auch das Tiroler Landesvergabeamt stellte in seinem - hier angefochtenen - Bescheid die alleinige Auftraggebereigenschaft der Stadtwerke Hall in Tirol GmbH fest (was in der Beschwerde unwidersprochen blieb) und begründete eine nicht erfolgte "gesonderte Zurückweisung des (auch) gegen die Stadtgemeinde Hall i.T. gerichteten Antrages" als deshalb "nicht erforderlich", da sich die Kompetenz des TVA gem. §12 Abs2 TVergG ohnehin nur auf die Feststellung, ob der Zuschlag dem Bestbieter erteilt worden wäre, beschränken würde. Da es der zweitbeschwerdeführenden Stadtgemeinde Hall i.T. sohin an der Beschwerdelegitimation mangelt, war die von ihr erhobene Beschwerde zurückzuweisen.

Demgegenüber erweist sich die Beschwerde, wie sie von der erstbeschwerdeführenden Gesellschaft erhoben wird - da auch alle anderen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind - als zulässig (vgl. zB VfSlg. 14.499/1996).

b) In der Sache hat der Verfassungsgerichtshof über die Beschwerde der erstbeschwerdeführenden Gesellschaft erwogen:

1. Art6 EMRK verlangt, daß in Angelegenheiten, die als civil rights zu qualifizieren sind, ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal tätig wird. Der Verfassungsgerichtshof hat dazu in Kongruenz mit der Judikatur des EGMR mehrfach ausgesprochen, daß ein Tribunal derart zusammengesetzt sein muß, daß keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Mitglieder entstehen; bei dieser Beurteilung ist auch der äußere Anschein von Bedeutung (vgl. etwa VfSlg. 10.701/1985, 11.131/1986, 12.074/1989, 14.565/1996, alle auch mit entsprechenden Hinweisen auf die Judikatur des EGMR).

In seiner Entscheidung vom 1. Dezember 1999, B2835/96, hat der Verfassungsgerichtshof näher dargelegt, daß und warum das TVA diesen Anforderungen nicht genügte; die dort angestellten Erwägungen treffen auch im vorliegenden Fall zu:

Zwar stellt der Umstand, daß ein Mitglied einer kollegialen Verwaltungsbehörde im Sinne des Art133 Z4 B-VG Verwaltungsbeamter ist und als solcher in seiner sonstigen Tätigkeit weisungsgebunden ist, für sich allein noch keinen Grund dafür dar, an der Unabhängigkeit des Kontrollorgans zu zweifeln.

Dem äußeren Anschein der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Tribunals widerstreitet es aber, wenn sich der konkrete Aufgabenbereich eines Mitgliedes eines gemäß Art133 Z4 B-VG eingerichteten Organs mit seinem konkreten Aufgabenbereich als weisungsgebundener Organwalter des Landes derart überschneidet, wie dies beim TVA sowohl hinsichtlich des Vorsitzenden als auch hinsichtlich des Berichterstatters der Fall ist, die weisungsgebunden gerade in Vergabesachen tätig werden:

Der Vorsitzende und das als Berichterstatter tätig gewordene Mitglied des TVA sind in der Präsidialabteilung IV des Amtes der Tiroler Landesregierung tätig, in deren Kompetenz u.a. Aufgaben des Vergabewesens fallen. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem oben zitierten Erkenntnis festgestellt hat, ist es einerseits nicht ausgeschlossen, daß Mitarbeiter dieser Abteilung mit vergaberechtlichen Rechtsfragen auch in Angelegenheiten insbesondere der Landes- und Gemeindeverwaltung befaßt werden, die zu einer Befassung des TVA führen können, und andererseits wird der Anschein erweckt, als ob das TVA geradezu als Teil der Präsidialabteilung IV des Amtes der Landesregierung geführt wird.

Angesichts dieser Umstände konnten vom äußeren Anschein her Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Mitglieder des TVA entstehen. Die Zusammensetzung des im vorliegenden Fall tätig gewordenen Organs entspricht daher nicht den Anforderungen des Art6 EMRK. Da die Fragen, über die das TVA abzusprechen hatte, civil rights betreffen, ist dieser Mangel verfassungsrechtlich relevant.

Der Bescheid war daher bereits aus den genannten Gründen aufzuheben, ohne daß geprüft zu werden brauchte, ob er auch aus anderen Gründen mit Verfassungswidrigkeit behaftet ist.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG, vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen S 3.000,-- auf die Umsatzsteuer.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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