VfGH G256/98

VfGHG256/9825.6.1999

Verfassungswidrigkeit des Nö NaturschutzG mangels verfassungsrechtlich gebotener Berücksichtigung der öffentlichen Interessen an der Errichtung von Bauten für Eisenbahnzwecke (Semmering-Basistunnel); Kompetenz des Landes zur Regelung der Materie unter naturschutzrechtlichen Gesichtspunkten; rechtspolitischer Gestaltungsspielraum des Landesgesetzgebers eingeschränkt angesichts der notwendigen Vermeidung eines Unterlaufens der Kompetenzausübung des Bundes auf dem Gebiet des Verkehrswesens bezüglich der Eisenbahnen; verfassungsrechtlich gebotene Interessenabwägung seit der Novelle zum Nö NaturschutzG nicht mehr zulässig; Wiederinkrafttreten der früheren Fassung nach Aufhebung der die gebotene Interessenabwägung nicht zulassenden Bestimmung der Novelle LGBl 5500-5

Normen

B-VG Art10 Abs1 Z9
B-VG Art15 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs6
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
Nö NaturschutzG §2
Nö NaturschutzG §5 Abs3
Nö NaturschutzG §6 Abs4
B-VG Art10 Abs1 Z9
B-VG Art15 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs6
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
Nö NaturschutzG §2
Nö NaturschutzG §5 Abs3
Nö NaturschutzG §6 Abs4

 

Spruch:

§2 des NÖ Naturschutzgesetzes, LGBl. 5500-5, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

§2 des NÖ Naturschutzgesetzes in der Fassung vor der Novelle LGBl. 5500-5 tritt wieder in Kraft.

Der Landeshauptmann von Niederösterreich ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Im übrigen wird das Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1287/98 ein Beschwerdeverfahren gegen einen Berufungsbescheid der Niederösterreichischen Landesregierung anhängig, mit welchem der Antrag der Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG vom 19. Dezember 1994 um Erteilung der naturschutzbehördlichen Bewilligung zur Errichtung der Hochleistungsstrecke Gloggnitz-Mürzzuschlag abgewiesen und das Vorhaben aufgrund der gemäß §5 des NÖ Naturschutzgesetzes erstatteten Anzeige vom 29. Dezember 1995 untersagt wurde.

Aus Anlaß der Behandlung dieser Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der §§2, 5 Abs3 und 6 Abs4 des NÖ Naturschutzgesetzes, LGBl. 5500-5, entstanden.

2. Diese Bestimmungen stehen in folgendem rechtlichen Umfeld:

2.1. §2 NÖ Naturschutzgesetz, in der Fassung vor der Novelle LGBl. 5500-5, lautete:

"§2

Anwendungsbereich

(1) Durch die Bestimmungen dieses Gesetzes werden Zuständigkeiten des Bundes nicht berührt, dies gilt insbesondere für Maßnahmen

  1. 1. in militärischen Angelegenheiten gemäß Art10 Abs1

    Z. 15 B-VG;

  1. 2. in Angelegenheiten des Berg- und Forstwesens sowie des Wasserrechtes gemäß Art10 Abs1 Z. 10 B-VG und

  1. 3. zur Bekämpfung von Tierseuchen soweit diese zu den Angelegenheiten des Art10 Abs1 Z. 12 B-VG zählen.

(2) Diesem Gesetz unterliegen nicht

  1. 1. Maßnahmen nach dem Katastrophenhilfegesetz, LGBl. 4450;

  1. 2. Maßnahmen gemäß §2 Abs1 und §3 Abs1 des NÖ Feuer-, Gefahrenpolizei- und Feuerwehrgesetzes, LGBl. 4400;

  1. 3. die Ausübung der Jagd nach dem NÖ Jagdgesetz, LGBl. 6500, und der Fischerei nach dem NÖ Fischereigesetz, LGBl. 6550, soweit sie nicht den Bestimmungen der §§9, 10 Abs1 bis 3 sowie 6 und 7 und §11

    Abs1 sowie 3 bis 7 entgegensteht;

  1. 4. Maßnahmen nach dem Flurverfassungsgesetz, LGBl. 6650, mit Ausnahme der Durchführung gemeinsamer Maßnahmen und Anlagen in Natur- und Landschaftsschutzgebieten.

(3) Flächen und bestehende Anlagen, die ausschließlich oder vorwiegend Zwecken des Bundesheeres, des Bergbaues oder des Eisenbahn-, Straßen- und Luftverkehrs dienen, dürfen durch den Naturschutz in ihrer Benützung nicht beeinträchtigt werden.

(4) Die Nutzung von Flächen, die nach Maßgabe der Bestimmungen des NÖ Raumordnungsgesetzes, LGBl. 8000, als Bauland oder als Verkehrsflächen gewidmet sind, wird, soweit nicht §9 entgegensteht, durch naturschutzbehördliche Maßnahmen nach diesem Gesetz nicht berührt.

(5) Die in anderen gesetzlichen Vorschriften enthaltenen Bewilligungs-, Genehmigungs- und Anzeigepflichten werden durch dieses Gesetz nicht berührt."

2.2. Durch ArtI der Novelle LGBl. 5500-5 (in Kraft getreten am 20. Februar 1998) wurde §2 neu gefaßt und lautet nunmehr:

"§2

Anwendungsbereich

(1) Diesem Gesetz unterliegen nicht:

  1. 1. Maßnahmen nach dem NÖ Katastrophenhilfegesetz, LGBl. 4450;

  1. 2. Maßnahmen gemäß §2 Abs1 und §3 Abs1 des NÖ Feuer-, Gefahrenpolizei- und Feuerwehrgesetzes, LGBl. 4400;

  1. 3. Maßnahmen im Rahmen eines Einsatzes von Organen der öffentlichen Sicherheit oder von Rettungsorganisationen oder sonstigen Organen der öffentliche Aufsicht einschließlich der dafür nötigen Vorbereitungsmaßnahmen, jeweils im hiefür unbedingt notwendigen Ausmaß;

  1. 4. Maßnahmen im Rahmen eines Einsatzes des Bundesheeres in den Fällen des §2 Abs1 des Wehrgesetzes 1990, BGBl. Nr. 305, i.d.F. BGBl. Nr. 788/1996 einschließlich der Maßnahmen zur Vorbereitung eines solchen Einsatzes;

  1. 5. Die Ausübung der Jagd nach dem NÖ Jagdgesetz, LGBl. 6500, und der Fischerei nach dem NÖ Fischereigesetz, LGBl. 6550, soweit sie nicht den Bestimmungen der §§9, 10 und 11 entgegenstehen;

  1. 6. Maßnahmen zur Ausführung behördlicher Aufträge gemäß dem Wasserrechtsgesetz 1959, BGBl. Nr. 215/1959 i.d.F. BGBl. I Nr. 85/1997;

  1. 7. Maßnahmen nach dem Altlastensanierungsgesetz, BGBl. Nr. 299/1989 i.d.F. BGBl. I Nr. 96/1997;

  1. 8. Maßnahmen nach dem Flurverfassungs-Landesgesetz 1975, LGBl. 6650, mit Ausnahme der Durchführung gemeinsamer Maßnahmen und Anlagen in Natur- und Landschaftsschutzgebieten.

(2) Die Nutzung von Flächen, die nach Maßgabe der Bestimmungen des NÖ Raumordnungsgesetzes, LGBl. 8000, als Bauland oder als Verkehrsflächen gewidmet sind, wird, soweit nicht §9 entgegensteht, durch naturschutzbehördliche Maßnahmen nach diesem Gesetz nicht berührt."

ArtII Abs2 der Novelle zum NÖ Naturschutzgesetz bestimmt:

"Die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes anhängigen Verfahren sind nach den Bestimmungen dieses Gesetzes weiterzuführen."

2.3. Eine dem §2 Abs3 NÖ Naturschutzgesetz in der Fassung vor der Novelle LGBl. 5500-5 vergleichbare Regelung, wonach Flächen und bestehende Anlagen, die u.a. auch Zwecken des Eisenbahnverkehrs dienen, durch den Naturschutz in ihrer Benützung nicht beeinträchtigt werden dürfen, enthält §2 in der neuen Fassung somit nicht mehr.

2.4.1. Das NÖ Naturschutzgesetz unterscheidet - soweit für den vorliegenden Fall von Bedeutung - zwischen Maßnahmen, die der Bewilligungspflicht unterliegen (§4 leg. cit.), und Maßnahmen, die anzeigepflichtig sind (§5 leg. cit.). Maßnahmen, die ansonsten gemäß §5 Abs1 Z1 leg. cit. bloß anzeigepflichtig sind, sind in Landschaftsschutzgebieten gemäß §6 Abs2 Z3 leg. cit. ebenfalls bewilligungspflichtig.

2.4.2. Die jeweils die Untersagung des Vorhabens bzw. die Versagung der Bewilligung tragenden Bestimmungen lauten:

§5 Abs3 NÖ Naturschutzgesetz:

"Die Behörde hat das Vorhaben zu untersagen, wenn eine Schädigung des inneren Gefüges des Landschaftshaushaltes (Klima, Bodenbildung, Grundwasserführung, Pflanzenkleid, Tierleben) oder eine Beeinträchtigung des Erholungswertes trotz Vorschreibung von Vorkehrungen nicht weitgehend ausgeschlossen werden kann. An Vorkehrungen bei Maßnahmen gemäß Abs1 Z. 1 und 2 kommen insbesondere die Anlage von Bermen, die Verminderung von Böschungsneigungen, die Anlage von Mutterboden- und Humusdeponien für spätere Rekultivierungen, Besämungen, die Anpflanzung von Bäumen und Sträuchern, die Errichtung von Einzäunungen und die Vornahme von Überschüttungen in Betracht. Vorhaben gemäß Abs1 Z. 1 bis 5 sind auch zu untersagen, wenn sie im Landschaftsschutzgebiet gelegen sind und einer der Versagungsgründe des §6 Abs4 vorliegt."

§6 Abs4 NÖ Naturschutzgesetz:

"Die Bewilligung ist zu versagen, wenn durch Maßnahmen oder Vorhaben gemäß Abs2

  1. 1. das Landschaftsbild,
  2. 2. die Landschaft in ihrer Schönheit und Eigenart oder
  3. 3. der Erholungswert der Landschaft für die Bevölkerung und den Fremdenverkehr

dauernd und maßgeblich beeinträchtigt wird und nicht durch Vorschreibung von Vorkehrungen die Beeinträchtigung weitgehend ausgeschlossen werden kann. Dabei ist auf die Erfordernisse einer zeitgemäßen land- und forstwirtschaftlichen Nutzung soweit wie möglich Bedacht zu nehmen."

3. Seine Bedenken hat der Gerichtshof im Prüfungsbeschluß ausgehend von einer Darstellung der im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenzartikel des B-VG am 1.10.1925 auf dem Gebiete des Eisenbahnrechtes, im besonderen der öffentlichen Eisenbahnen zur Beförderung von Personen oder Gütern, maßgeblichen Rechtslage, wie folgt umschrieben:

"...

... Der Stand und die Systematik der Rechtsordnung zum Versteinerungszeitpunkt dürften somit zwar erkennen lassen, daß damals in den Bewilligungsverfahren über die Errichtung einer öffentlichen Eisenbahn für den Personen- und Güterverkehr nach umfassender Prüfung aller hierfür maßgebende Belange entschieden werden sollte (in diesem Sinne auch Morscher, aaO (FS Schambeck), 538 unter Hinweis auf ältere eisenbahnrechtliche Literatur in FN 68); dessenungeachtet dürfte in der Tat der Naturschutz, wie er bereits zum Versteinerungszeitpunkt zB in den Naturschutzgesetzen der Länder Tirol (Landes-Gesetz- und Verordnungsblatt für Tirol Nr. 7/1925) und Niederösterreich (Landesgesetzblatt für das Land Niederösterreich Nr. 130/1924) geregelt war, in den zu diesem Zeitpunkt in Geltung gestandenen eisenbahnrechtlichen Vorschriften weder ausdrücklich noch der Sache nach angesprochen worden sein, sodaß insoweit Raum für eine Regelung unter naturschutzrechtlichen Gesichtspunkten, wie sie in die Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenz der Länder gemäß Art15 Abs1 B-VG fällt (VfSlg. 4908/1965), bleiben dürfte.

... Diese Auffassung stünde auch im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 4237/1962 - naturschutzrechtliches Verbot des Befahrens des Neusiedler Sees trotz der Bundeskompetenz auf dem Gebiet der Schiffahrt zulässig; VfSlg. 7516/1975 - naturschutzrechtliche Beschränkungen der Luftfahrt im Falle eines Fesselballons; VfSlg. 14178/1995 - Überflugverbot im Nationalpark).

... Wie der Verfassungsgerichtshof jedoch in VfSlg. 10292/1984 (unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung) ausgesprochen hat, verbietet die der Bundesverfassung innewohnende Rücksichtnahmepflicht "dem Gesetzgeber der einen Gebietskörperschaft, die vom Gesetzgeber der anderen Gebietskörperschaft wahrgenommenen Interessen zu negieren und dessen gesetzliche Regelungen damit zu unterlaufen". Der den Bundesstaat konstituierenden Bundesverfassung muß nämlich unterstellt werden, die Grundlage einer harmonisierten Rechtsordnung zu sein, in der (allenfalls divergierende) Interessen von Bund und Ländern, auch soweit diese in Akten der Gesetzgebung ihren Niederschlag finden, aufeinander abgestimmt sind. Der rechtspolitische Gestaltungsfreiraum des Bundesgesetzgebers ist deshalb insoweit eingeschränkt, als es ihm verwehrt ist, Regelungen zu treffen, die sich als sachlich nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung der Effektivität landesgesetzlicher Regelungen darstellen; dasselbe gilt umgekehrt im Verhältnis des Landesgesetzgebers zum Bundesgesetzgeber (VfSlg. 10292/1984, S 763). Eine Regelung, welche dieses Rücksichtnahmegebot mißachtet, wäre verfassungswidrig (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 5.10.1998, G117/98 mit weiteren Hinweisen auf die Vorjudikatur).

... In Fortführung dieser Rechtsprechung ist der Verfassungsgerichtshof vorläufig der Auffassung, daß das Gebot der Rücksichtnahme auf Interessen des gegenbeteiligten Gesetzgebers im Besonderen in jenen Bereichen zu beachten sein dürfte, in denen es um die Regelung ein und desselben Sachverhaltes durch verschiedene Gesetzgeber unter je verschiedenen Gesichtspunkten geht. Wenn nämlich in solchen Fällen die - je nach Art und Gewicht der von den Gesetzgebern verfolgten Interessen unterschiedlich zu ziehende - Grenze zulässiger Kompetenzausübung nicht beachtet würde, wäre die Erreichung der jeweils verfolgten Ziele nicht mehr möglich und das durch die Kompetenztrennung letztlich gewährleistete Funktionieren des Bundesstaates auf diesem Wege wieder gefährdet.

... Es dürfte dem Landesgesetzgeber daher verwehrt sein, Naturschutzinteressen ohne Rücksicht auf das Gewicht der gegenbeteiligten öffentlichen Interessen zur Geltung zu bringen (vgl. etwa die Bedeutung des hier in Rede stehenden Hochleistungsstreckenprojektes im Verhältnis zu den Sachverhalten der vorerwähnten Erkenntnisse VfSlg. 4237/1962, 7516/1975, sowie der Konstellation des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Juni 1995, SlgNr. 14274/A - Parkplatz bei Talstation einer Bergbahn). Jedenfalls bei Vorhaben entsprechenden Gewichts dürfte es dem Landesgesetzgeber daher nicht erlaubt sein, solche Vorhaben jedwedem Naturschutzinteresse unterzuordnen und sie entweder im Wege der Untersagung oder durch die Erteilung wirtschaftlich unzumutbarer Auflagen im Ergebnis unmöglich zu machen.

Dabei dürfte auch in Rechnung zu stellen sein, daß etwa Eisenbahnanlagen, wie sie hier in Rede stehen, ihrer Natur nach mit der Errichtung von Kunstbauten und anderen Natureingriffen zwangsläufig verbunden sind und insoweit regelmäßig bestimmten Kriterien des Naturschutzes (wie sie etwa an nicht im öffentlichen Interesse liegende Baulichkeiten anzulegen sind) von vornherein nicht entsprechen können.

... Vor diesem kompetenzrechtlichen Hintergrund dürfte - wie der Verfassungsgerichtshof vorläufig annimmt - das NÖ Naturschutzgesetz insoweit mit Verfassungswidrigkeit belastet sein, als es eine Berücksichtigung der genannten wichtigen Interessen des Bundes ausschließt.

Der Verfassungsgerichtshof hält es vorerst für entbehrlich, auch in eine Prüfung eisenbahnrechtlicher Vorschriften unter dem Gesichtspunkt des Berücksichtigungsgebotes einzutreten, da er vorläufig davon ausgeht, daß - wie auch die Ausführungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung ergeben haben - das Auflage- und Anhörungsverfahren mit Ländern und Gemeinden, wie es in §4 des Hochleistungsstreckengesetzes vorgesehen ist, die Berücksichtigung naturschutzrechtlicher Gesichtspunkte im Verfahren zur Erlassung der Trassenverordnung bzw. im eisenbahnrechtlichen Bewilligungsverfahren ermöglicht (vgl. auch §3 Abs1 HLG). Ein "Eisenbahngesetz, das keine Naturschutzklausel" enthält, scheint daher entgegen der Auffassung der belangten Behörde gar nicht vorzuliegen.

... Der Sitz der möglichen Verfassungswidrigkeit dürfte zum einen in der Novelle zum NÖ Naturschutzgesetz, LGBl. Nr. 5500-5, vom 19. Februar 1998, gelegen sein, durch welche nicht nur die "salvatorische Klausel" der früheren Fassung des §2 Abs1, sondern auch das "Beeinträchtigungsverbot" des §2 Abs3 gestrichen wurde.

... Die auch im übrigen inhaltlich veränderte Fassung des §2 durch die genannte Novelle deutet darauf hin, daß der Gesetzgeber an die Stelle des bis dahin in Geltung gestandenen "Systems" ein neues setzen wollte, sodaß die Bestimmungen sowohl bis zur Novelle, als auch seither insoweit in einem untrennbaren Zusammenhang stehen dürften, sodaß nur entweder die frühere oder die derzeitige Bestimmung in Geltung stehen sollte, nicht aber eine Mischung aus beiden oder bloß ein Fragment. Der Verfassungsgerichtshof nimmt daher vorläufig an, daß insoweit eine verfassungskonforme Lösung nur durch das Wiederinkrafttreten der früheren Fassung - unbeschadet einer allfälligen Neuregelung durch den Landesgesetzgeber - möglich sein dürfte.

... Es dürften - wie der Verfassungsgerichtshof weiters vorläufig annimmt - aber möglicherweise auch die Bestimmungen über die Untersagungs- bzw. Versagungsvoraussetzungen der §§5 Abs3 und 6 Abs4 NÖ Naturschutzgesetz in der Fassung LGBl. Nr. 5500-3 einer verfassungskonformen Gesetzesanwendung insoweit im Wege stehen, als sie eine Abwägung der Interessen des Naturschutzes mit anderen Interessen nicht zuzulassen scheinen, sondern anscheinend an jede Schädigung des inneren Gefüges des Landschaftshaushaltes, an eine Beeinträchtigung des Erholungswertes, bzw. eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes oder des "Erholungswertes der Landschaft für die Bevölkerung und den Fremdenverkehr", welche "nicht weitgehend ausgeschlossen werden kann", zwingend die Rechtsfolge der Untersagung bzw. der Versagung der Bewilligung knüpfen."

4. Im Gesetzesprüfungsverfahren haben die Niederösterreichische Landesregierung und die Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG, sowie über Ersuchen des Verfassungsgerichtshofes alle Ämter der Landesregierungen der übrigen Bundesländer mit Ausnahme Wiens, und das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst Stellungnahmen abgegeben. Die Niederösterreichische Landesregierung hat sich wie auch schon im Bescheidbeschwerdeverfahren neuerlich eingehend mit Fragen der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Vorschriften befaßt (siehe dazu unten III.A.1).

4.1. Die NÖ Landesregierung beantragt die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des NÖ Naturschutzgesetzes, LGBl. 5500-5, nicht als verfassungswidrig aufzuheben; im Fall einer Aufhebung dieser Bestimmungen jedoch eine ausreichende Frist im Sinn des Art140 Abs5 B-VG zu bestimmen, sowie nichts anderes im Sinn des Art140 Abs6 B-VG auszusprechen.

In der Kompetenzfrage teilt die NÖ Landesregierung die im Prüfungsbeschluß vorläufig zum Ausdruck kommende Auffassung des Verfassungsgerichtshofes, daß betreffend Eisenbahnanlagen unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes Regelungen eines Landes getroffen werden können; sie zieht jedoch in Zweifel, ob die Voraussetzungen vorliegen, um vom Bestehen einer Rücksichtnahmepflicht sprechen zu können. Sie führt dazu aus:

"... Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Grundsatzerkenntnis VfSlg. 10292/1984 festgestellt, daß das 'eigentliche verfassungsrechtliche Problem' der Rücksichtnahmepflicht nur im 'Fall des Zusammentreffens gegensätzlicher, jedoch in kompetenzrechtlicher Hinsicht verfassungsrechtlich unbedenklich erlassener Vorschriften des Bundes und der Länder zu lösen ist.' Diesen Aspekt der Rücksichtnahmepflicht als 'Konfliktlösungsmechanismus' hat der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 14178/1995 angesprochen als er die Normen des §2 des Luftfahrtgesetzes und des §6 des Salzburger Nationalparkgesetzes und des §3 Abs3 litn der Piffkar-Sonderschutzgebietsverordnung untersuchte und diese als nicht in Widerspruch stehend erkannte, 'so daß sich hier - anders als etwa in den mit Erkenntnis VfSlg. 10292/1984 behandelten Fall - das Problem der Rücksichtnahmepflicht nicht stellt.'

... Auch in der Lehre wird die Rücksichtnahmepflicht grundsätzlich als Konfliktlösungsmechanismus gesehen."

Im Falle eines "Nebeneinander" von mehreren Bewilligungsverfahren liege kein Normenkonflikt vor, sondern Normenkonkurrenz. Jeder Materiengesetzgeber könne für sich bestimmen, unter welchen Voraussetzungen einem Projekt die Zustimmung zu erteilen sei. Der Projektwerber habe sich um alle Zustimmungen zu bemühen, die einzelnen gesetzlichen Regelungen seien nebeneinander anzuwenden; dies wird in der Stellungnahme der NÖ Landesregierung näher begründet.

Das Vorliegen der Rücksichtnahmepflicht will die NÖ Landesregierung nur dann und insoweit bejahen, als die Gesetze der gegenbeteiligten Gebietskörperschaften ihrerseits die Rücksichtnahmepflicht nicht verletzten. Eine allgemeine Regel, die den Maßstab für die Bewertung von Vorhaben (etwa des Verkehrsanlagenbaues und des Natur- und Landschaftsschutzes) bilde, sei dem Bundesverfassungsrecht nicht zu entnehmen, so daß eine a priori Rangordnung der Interessen (zugunsten des Bundes) dem Grundsatz der baugesetzkonformen Interpretation widerspreche und zudem einen Bruch mit der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darstellen würde, da gerade VfSlg. 10292/1984 auf dem Gedanken der Gleichwertigkeit von Bundes- und Landesrecht aufbaue. Das Fehlen einer der Bundesverfassung entnehmbaren Rangordnung zwischen den Interessenlagen auf der einfachgesetzlichen Ebene führe somit aber zur Notwendigkeit einer Abwägung in jedem Einzelfall:

"... Die Abwägung ist vielmehr im konkreten Fall und in bezug auf bestimmte Maßnahmen und deren Ziele und Wirkungen vorzunehmen. Dabei sind die Vor- und Nachteile im Sinne der folgenden komparativen Formel in eine Relation zu setzen: Je stärker die Beeinträchtigung von Interessen der einen Seite ausfällt, desto größer muß der Vorteil für die Interessenverwirklichung auf der anderen Seite sein. Wenn z.B. für ein verkehrspolitisch dringend nötiges Vorhaben ein Trockenrasen zu opfern wäre, dessen Fehlen das ökologische System nicht nachhaltig berührt, so ist das Gewicht der Interessen des Naturschutzes im Vergleich zu denen der Verkehrspolitik ein anderes, als wenn damit zu rechnen wäre, daß durch die Verwirklichung des Vorhabens eine großflächige und tiefgreifende Beeinträchtigung oder gar Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlagen einer Region stattfindet. Im ersten Fall wäre die Blockierung des Verkehrsbauvorhabens aus Gründen des Naturschutzes, im zweiten Fall die Ausführung des Vorhabens ohne Rücksicht auf die ökologischen Wirkungen ein Vorgehen, welches - gemessen an den gegenbeteiligten Interessen - unverhältnismäßig wäre."

Die Gewichtung habe nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu erfolgen. Dieser Maßstab sei nicht in abstracto auf die in den Kompetenztatbeständen enthaltenen Interessenlagen anzuwenden, sondern für den konkreten Fall unter Berücksichtigung der Ziel-Mittel-Wirkungsverhältnisse handzuhaben. Nicht die Interessen oder Projekte seien gegeneinander abzuwägen, sondern die Folgen konkreter Maßnahmen für den einen und den anderen Kompetenzbereich. Für die Sachmaterien selbst gelte stets der Grundsatz der Parität.

Woraus sich für die NÖ Landesregierung ergibt:

"Das bedeutet, daß die Anwendung naturschutzrechtlicher Vorschriften zur Folge haben kann, daß ein Eisenbahnbauvorhaben trotz großer verkehrspolitischer Sinnhaftigkeit und Dringlichkeit zu unterbleiben hat. Dies ergibt sich jedoch nicht aus einer apriorischen Präferenzstruktur der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung, sondern allenfalls aus einem Vergleich der Vor- und Nachteilswirkungen eines bestimmten Projektes in bezug auf die Anliegen und Erfordernisse des Schutzes der Natur und der Umwelt."

Die NÖ Landesregierung ist weiters der Ansicht, daß das Gebot der Berücksichtigung und Abwägung von gegenbeteiligten öffentlichen Interessen ein der Verfassung immanenter allgemeiner Rechtsgrundsatz sei und daher keiner ausdrücklichen gesetzlichen Positivierung bedürfe. Aus diesem Grund sei das Fehlen von ausdrücklichen gesetzlichen Kompetenzabgrenzungsklauseln, Berücksichtigungspflichten und Abwägungsgeboten aus verfassungsrechtlicher Sicht unschädlich, es dürfe aber bei verfassungskonformer Auslegung und Vollziehung weder Eingriffe in fremde Kompetenzen noch eine unterlassene Berücksichtigung oder Abwägung geben. Dem Gesetzgeber sei es zwar nicht verwehrt, die genannten Grundsätze und Regeln ausdrücklich vorzusehen und überdies auch institutionelle und prozedurale Vorkehrungen für deren Umsetzung zu treffen, er dürfe allerdings keine Regelungen vorsehen, durch die die gebotene Berücksichtigung und Abwägung ausdrücklich ausgeschlossen oder im Ergebnis unmöglich gemacht werde. All dies gelte, so die NÖ Landesregierung, sowohl für den Bund als auch für die Länder. Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen seien insofern unbedenklich, als sie nicht auf das Projekt des Ausgangsverfahrens zugeschnitten seien und solche Projekte nicht "an sich" einschränkten oder untersagten. Die NÖ Landesregierung setzt fort:

"... §2 iVm §5 Abs3 und §6 Abs4 ermöglichen und fordern eine naturschutzbehördliche Entscheidung, die im Einzelfall auf die zu erwartenden Wirkungen des konkreten Projektes abstellt. Die genannten Regelungen sind in ihrem Wortlaut und in ihrem Zusammenhang in verfassungskonformer Weise so interpretierbar und daher zu interpretieren, daß der Behörde bei der Anwendung des Gesetzes eine differenzierende, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte Abwägung zwischen den Interessen des Naturschutzes und der Verkehrspolitik ermöglicht und aufgetragen wird."

Dieses Abwägungsgebot wird aus der (einschränkend interpretierten) Wendung "weitgehend ausgeschlossen" in §5 Abs3 bzw §6 Abs4 NÖ Naturschutzgesetz abgeleitet.

Die Behörde habe bei verfassungskonformer Handhabung des Gesetzes die Verpflichtung, eine der Berücksichtigungs- und Gewichtungsregel entsprechende Entscheidung zu treffen, die sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientiere. Die bestehende Gesetzeslage, speziell auch die in Prüfung gezogenen Vorschriften, schlössen ein solches Vorgehen der Vollziehung nicht nur nicht aus, sondern verlangten es sogar. Die naturschutzbehördliche Bewilligung des Projektes sei von Gesetzes wegen nur dann zu untersagen, wenn die in §5 Abs3 und §6 Abs4 beschriebenen schwerwiegenden Schäden für die Ökologie und die Landschaft auch durch Vorschreibungen nicht weitgehend ausgeschlossen werden könnten. Dies sei aus verfassungsrechtlicher Sicht angesichts der Parität der Staatsfunktionen des Bundes und der Länder nicht zu beanstanden. Zu einer solchen, als verfassungskonform bezeichneten Interpretation werden von der NÖ Landesregierung sodann noch weitere Argumente ausgebreitet. Schließlich behauptet die NÖ Landesregierung mit näherer Begründung eine Verletzung der Rücksichtnahmepflicht (im Sinne einer als nicht ausreichend erachteten Beteiligung des Landes im Projektgenehmigungsverfahren) durch den Bundesgesetzgeber und erachtet insbesondere auch das Auflage- und Anhörungsverfahren nach dem Hochleistungsstreckengesetz als nicht ausreichend.

Zum Sitz der Verfassungswidrigkeit und den Folgen einer allfälligen Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen führt die NÖ Landesregierung u.a. aus, daß

"eine ersatzlose Aufhebung der maßgeblichen Untersagungs- bzw. Bewilligungskriterien des §5 Abs3 bzw. §6 Abs4 das Anliegen des Naturschutzes vor schwerwiegendste Probleme stellen würde."

4.2. Die Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG teilt nicht die im Prüfungsbeschluß zur Kompetenzfrage vom Verfassungsgerichtshof vorläufig vertretene Auffassung; sie knüpft in ihrer Äußerung vom 3. Februar 1999 zunächst am "Versteinerungsmaterial" an und verweist auf §6 des Eisenbahnkonzessionsgesetzes 1854, aus welchem sich eine bloß beispielsweise Aufzählung einer Vielzahl von zu berücksichtigenden Interessen ergebe. Auch die nach §16 der Verordnung des Handelsministeriums vom 25. Jänner 1879, RGBl. Nr. 19, zu berücksichtigenden öffentlichen Interessen hätten eine umfassende Prüfung auch natur- und landschaftsschutzrechtlicher Belange eingeschlossen. Nach Hinweisen auf die Verfassungsentwicklung, insbesondere das Reichsdiplom vom 20. Oktober 1860, RGBl. Nr. 226 und das Staatsgrundgesetz über die Reichsvertretung, RGBl. Nr. 141/1867, sowie das Organisationsstatut für die staatliche Eisenbahnverwaltung in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern, RGBl. Nr. 16/1896, vertritt die Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG die Auffassung, es sei

"aus den zitierten Bestimmungen ... der Schluß zu ziehen, daß auch nach dem Organisationsstatut eine umfassende Zuständigkeit der Eisenbahnbehörde bestanden hat und den Ländern in diesen Angelegenheiten keine Kompetenz zukam."

Dies ergebe sich auch aus der Bestimmung des §42 Abs3 lita, BGBl. 1920/2, wonach auf dem Gebiet der Gesetzgebung und Vollziehung die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern gegenüber der bestehenden zwischen Staat und Ländern nicht geändert werden sollte. Dadurch, daß die Kompetenzbestimmungen am 1.10.1925 gegenüber den seinerzeitigen Kompetenzbestimmungen nach dem Staatsgrundgesetz über die Reichsvertretung, RGBl. Nr. 141/1867, bezüglich des Eisenbahnwesens unverändert in die Bundesverfassung übernommen worden seien, sei klargestellt, daß der Bund die gleichen Kompetenzbefugnisse erhalten habe, wie sie die Eisenbahnbehörde in der vormaligen Monarchie hatte. Die Kompetenz des Bundes bezüglich des Eisenbahnwesens sei hinsichtlich Gesetzgebung und Vollziehung eine umfassende und eine die Kompetenz der Länder ausschließende.

Als Beleg, daß dies seinerzeit auch von den Behörden so verstanden und vollzogen worden sei, legte die Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG ihrem Schriftsatz eine Kopie des Aktes des K.K. Handelsministeriums aus dem Jahre 1881 zur H.Z. 26485 über das Verfahren zur Errichtung der Arlbergbahn bei. Aus dem Kommissions-Protokoll über die politische Begehung der Teilstrecke Innsbruck (Wilten) - Landeck ergebe sich die Erörterung eines naturschutzrechtlichen Gesichtspunktes im eisenbahnrechtlichen Genehmigungsverfahren.

In weiterer Folge setzt sich die Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG mit der Entstehungsgeschichte der Novelle zum NÖ Naturschutzgesetz, LGBl. 5500-5, auseinander, die sie als eine Maßnahmegesetzgebung gegen das Projekt des "Semmeringbasistunnels" erachtet (einer Auffassung, der die NÖ Landesregierung in einer Replik entgegengetreten ist, worauf die Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG mit einer weiteren Stellungnahme auf ihrer Auffassung beharrte).

Den Bedenken des Prüfungsbeschlusses tritt die Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG schließlich - als weitere Argumentationslinie in eventu - bei und meint, daß eine Kompetenz der Länder in Angelegenheiten des 'Verkehrswesens bezüglich der Eisenbahnen' nicht so weit gehen könne, daß zusätzlich zur eisenbahnrechtlichen Genehmigung als Voraussetzung für den Bau bzw. Baubeginn die naturschutzrechtliche Bewilligung hinzuzutreten hätte.

5. In den über Einladung des Verfassungsgerichtshofes erstatteten Äußerungen der Ämter der Landesregierungen werden zusammengefaßt folgende Auffassungen vertreten:

Nach Ansicht des Amtes der Vorarlberger Landesregierung seien die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des NÖ Naturschutzgesetzes nicht verfassungswidrig.

Diese Auffassung vertreten der Sache nach auch das Amt der Oberösterreichischen Landesregierung im Hinblick auf eine seiner Meinung nach mögliche verfassungskonforme Interpretation des in Prüfung gezogenen §2 NÖ Naturschutzgesetz, und das Amt der Burgenländischen Landesregierung, nach dessen Auffassung das Fehlen einer die Interessenabwägung anordnenden Bestimmung im Gesetz noch nicht zu einer Verfassungswidrigkeit im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Rücksichtnahmepflicht führen könne.

Die Ämter der Salzburger sowie der Tiroler Landesregierung bringen allgemein zum Ausdruck, daß die Nichtberücksichtigung anderer öffentlicher Interessen im Hinblick darauf, daß die geplante Hochleistungsstrecke teilweise durch ein Landschaftsschutzgebiet führe, mit dem überwiegenden Interesse an der Erhaltung einer einmaligen Naturlandschaft begründet werden bzw. nicht von vornherein angenommen werden könne, daß der Landesgesetzgeber die Rücksichtnahmepflicht im Sinn einer adäquaten Auseinandersetzung mit den im Bundesbereich liegenden Interessen schon deswegen verletzt habe, weil eine Interessenabwägung nicht vorgesehen sei.

Das Amt der Kärntner Landesregierung meint, die Regelungen des NÖ Naturschutzgesetzes verstießen dann gegen das verfassungsrechtlich verpönte "Torpedierungsverbot", wenn sie zur Folge hätten, daß Eisenbahnprojekte in Tunnelbauweise in Niederösterreich generell naturschutzrechtlich nicht genehmigungsfähig wären.

Das Amt der Steiermärkischen Landesregierung sowie das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst vertreten die Auffassung, daß die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des NÖ Naturschutzgesetzes verfassungswidrig sind.

Das Amt der Wiener Landesregierung erstattete keine Äußerung.

Im einzelnen sind den Äußerungen folgende wesentliche Begründungslinien zu entnehmen:

5.1. Die Vorarlberger Landesregierung knüpft an dem Begriff der Landeskultur an und deutet §6 des Eisenbahn-Konzessionsgesetzes als Gebot zur Berücksichtigung kompetenzfremder Interessen, analog zu §9 des Elektrizitätswesengesetzes, BGBl. Nr. 348/1922. Das Rücksichtnahmegebot verwehre es nicht dem Landesgesetzgeber in bestimmten Bereichen, wie etwa konkreten, durch Verordnung festgelegten besonderen Schutzgebieten, absolute Verbote zu schaffen bzw. keine Interessenabwägung zuzulassen. Wenn überhaupt, könne nur den §§5 Abs3 und 6 Abs4 des NÖ Naturschutzgesetzes eine Verfassungswidrigkeit anhaften, wobei die Vorarlberger Landesregierung die Auffassung vertritt, daß es sich im konkreten Fall um Vorschriften handelt, bei denen nicht von einer exzessiven Bevorrangung der Interessen des Naturschutzes gegenüber gegenbeteiligten Interessen gesprochen werden könne. Zu beachten sei, daß §§5 Abs3 und 6 Abs4 leg. cit. an die Untersagung bzw. Versagung der Bewilligung doch enge Voraussetzungen knüpften, die nicht als unsachliche Bevorrangung der Interessen des Naturschutzes gegenüber den Interessen des Verkehrswesens bezüglich der Eisenbahnen angesehen werden könnten.

5.2. Das Amt der Oberösterreichischen Landesregierung schließt sich der im Prüfungsbeschluß zum Ausdruck kommenden vorläufigen Auffassung des Verfassungsgerichtshofes, wonach den Ländern auch in bezug auf Eisenbahnanlagen eine naturschutzrechtliche Kompetenz zukomme, ausdrücklich an und bezeichnet diese als mit der "umfangreichen und nahezu unstrittigen Judikatur" in Einklang stehend. Die Rücksichtnahmepflicht sei ein verfassungsrechtliches Gebot, das keiner zusätzlichen einfachgesetzlichen Bekräftigung mehr bedürfe. Einfache Gesetze verstießen nur dann gegen die Rücksichtnahmepflicht, wenn sie eine Berücksichtigung kompetenzfremder Interessen ausschlössen. Eine derartige Mißachtung der Rücksichtnahmepflicht wäre aber aus der Novelle LGBl. 5500-5 nicht ableitbar: Durch die frühere Fassung des §2 Abs3 NÖ Naturschutzgesetz hätte der Landesgesetzgeber das Rücksichtnahmegebot "gleichsam übererfüllt". Durch die Novelle LGBl. 5500-5 sei lediglich die vorbehaltlose Privilegierung bestimmter kompetenzfremder Interessen beseitigt worden, was aber nicht "jede Abwägung unterschiedlicher Interessen generell unzulässig" machen würde.

5.3. Nach Ansicht des Amtes der Burgenländischen Landesregierung führe das Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung, wonach im Vollzug die Rücksichtnahmepflicht zu beachten sei, nicht zur Verfassungswidrigkeit der betreffenden Normen. Andernfalls wäre zum einen "das Gebot der Rücksichtnahme inhaltsleer"; zum anderen wären auch eine Vielzahl von Bundesgesetzen verfassungswidrig, die keine ausdrückliche Berücksichtigung von Interessen, deren Regelung in die Zuständigkeit der Länder fällt, vorsehen, was aber vertretbarerweise nicht angenommen werden könne.

5.4. Das Amt der Salzburger Landesregierung begrüßt ganz allgemein die im Prüfungsbeschluß zum Berücksichtigungsgebot vorläufig vertretene Auffassung des Verfassungsgerichtshofes. Nur Projekte mit einer entsprechenden nationalen Gewichtigkeit könnten im Einzelfall die Naturschutzanliegen überwiegen, bei besonders erhaltenswerten Naturerscheinungen müßten hingegen andere öffentliche Interessen zugunsten des Naturschutzes zurücktreten. Als Beispiele werden vom Amt der Salzburger Landesregierung eine Autobahn durch den Park des Schlosses Kleßheim oder eine oberirdische Eisenbahntrasse durch den Schönbrunnerpark oder den Lainzer Tiergarten bzw. ein Kraftwerk Hainburg in den Donauauen genannt. Im konkreten Fall liege die geplante Streckenführung teilweise in einem Landschaftsschutzgebiet, weshalb ganz allgemein im Hinblick auf das Vorliegen eines besonders schützenswerten Gebietes daher die Nichtberücksichtigung anderer öffentlicher Interessen mit dem überwiegenden Interesse an der Erhaltung einer einmaligen Naturlandschaft begründet werden könnte.

5.5. Nach Ansicht des Amtes der Tiroler Landesregierung sei der Prüfungsbeschluß überschießend. Es erschiene eher angebracht, nur die Worte "die Errichtung von Baulichkeiten sowie" im §5 Abs1 Z1 und das Zitat "und §5 Abs1 Z1" im §6 Abs2 Z3 als präjudiziell anzusehen. Eine Prüfung des §2 NÖ Naturschutzgesetz sei im wesentlichen deshalb nicht gerechtfertigt, weil auch der Verfassungsgerichtshof vom grundsätzlichen Bestehen einer Naturschutzkompetenz der Länder bezüglich der Eisenbahnen ausginge und daher der Landesgesetzgeber nicht verhalten sei, eisenbahnrechtlich relevante Vorhaben vom Geltungsbereich des Naturschutzgesetzes auszunehmen, während es sich freilich im Verhältnis zur Raumordnung aufgrund des Kompetenzfeststellungserkenntnisses VfSlg. 2647/1954 anders verhielte. Mit der Aufhebung des gesamten §2 des NÖ Naturschutzgesetzes würde viel mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden, als zur Beurteilung "der Rechtmäßigkeit des Anlaßverfahrens" notwendig sei.

In der Sache teilt das Amt der Tiroler Landesregierung zunächst die im Prüfungsbeschluß (vorläufig) vertretene Auffassung des Verfassungsgerichtshofes, daß auch in Angelegenheiten des Verkehrswesens bezüglich der Eisenbahnen grundsätzlich Raum für naturschutzrechtliche Regelungen bleibe. Die im Eisenbahnkonzessionsgesetz 1854 vorgesehene Prüfung des Projektes auf seine Übereinstimmung mit den öffentlichen Rücksichten spreche nicht für die Schaffung einer umfassenden Bundeskompetenz, weil unter historischen Gesichtspunkten als typische öffentliche Interessen und Rücksichten primär öffentliche Verkehrsinteressen, militärische Interessen, Interessen der öffentlichen Straßen und Wege sowie der Feuerpolizei und nicht auch Interessen des Naturschutzes zu verstehen gewesen seien. Spezifisch dem Natur- und Landschaftsschutz dienende Regelungen ließen sich weder dem Eisenbahnkonzessionsgesetz 1854 noch der Verordnung RGBl. Nr. 19/1879, noch den Bestimmungen des Berggesetzes oder des Forstgesetzes entnehmen (dies unter Hinweis auf Morscher in FS Schambeck 1994 und Krasny, Eisenbahnbaurecht, in Mischler/Ulbrich (Hg.), Staatswörterbuch I, S 751 ff.). Zur Rücksichtnahmepflicht vertritt das Amt der Tiroler Landesregierung unter ausführlicher Darstellung der in der Literatur dazu vertretenen Auffassungen die Meinung, daß es dem Landesgesetzgeber tatsächlich verwehrt sein dürfte, Naturschutzinteressen ohne Rücksicht auf das Gewicht der gegenbeteiligten öffentlichen Interessen zur Geltung zu bringen und Vorhaben entsprechenden Gewichts jedwedem Naturschutzinteresse unterzuordnen. Jedoch werde damit nur ein Mindestgrundsatz formuliert, der keinerlei konkrete Anhaltspunkte für den zweckmäßigerweise positiv zu umschreibenden Umfang der Naturschutzkompetenz der Länder zuließe. Es müsse daher dem Naturschutzgesetzgeber unbenommen bleiben, auch für gewichtige gegenbeteiligte Vorhaben Regelungen zu treffen, die nach sorgsamer Abwägung aller in Betracht kommenden Interessen in eine Bewilligungspflicht (auch mit der Möglichkeit der Verweigerung des Konsenses) oder letztlich sogar in ein generelles Verbot münden könnten, soweit die gegenbeteiligten Interessen geeignet seien, in den Kernbereich des Naturschutzes einzugreifen, also ihrerseits die Landesinteressen zu negieren oder zu unterlaufen vermöchten. So gesehen wäre eine Aushöhlung der Naturschutzinteressen der Länder dann denkbar, wenn durch Verordnung einer Bundesbehörde eine Trasse (zB für eine Hochleistungsstrecke oder eine Bundesstraße) durch ein sensibles und nach den naturschutzrechtlichen Bestimmungen bereits besonders ausgewiesenes Gebiet gelegt werde. Soweit also die geplante Hochleistungsstrecke durch das Landschaftsschutzgebiet Rax-Schneeberg führe, könne nicht von vornherein angenommen werden, daß der Landesgesetzgeber seine aus dem Berücksichtigungsgebot erfließenden Verpflichtungen zur adäquaten Auseinandersetzung mit den im Bundesbereich liegenden Interessen schon deshalb verletzt habe, weil eine Interessenabwägung nicht vorgesehen sei.

5.6. Das Amt der Kärntner Landesregierung weist unter Bezugnahme auf den Motivenbericht zur Novelle zum NÖ Naturschutzgesetz, LGBl. 5500-5, mit der das sog. Beeinträchtigungsverbot entfallen sei, auf die Absicht des Gesetzgebers hin, an die Vollziehung den Auftrag zu erteilen, dem verfassungsrechtlich vorgegebenen "Torpedierungsverbot" durch verfassungskonforme Interpretation der Bestimmungen des Naturschutzgesetzes Rechnung zu tragen. Die in den §§5 Abs3 und 6 Abs4 des NÖ Naturschutzgesetzes verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe "nicht weitgehend ausgeschlossen werden kann" bzw. "dauernd und maßgeblich beeinträchtigt" seien aber letztlich derart restriktive Vorgaben, daß sie einer verfassungskonformen Interpretation im Sinn des vom NÖ Landesgesetzgeber intendierten Vermeidens eines Eingriffes in die Bundeskompetenz nicht zugänglich seien; es sei daher eine Grundlage für eine Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohlvorteiles zu vermissen. Das Berücksichtigungsgebot bedeute nicht, daß ein nach Bundesregelungen genehmigungsfähiges Projekt zwingend auch die Genehmigungsfähigkeit nach landesrechtlichen Normen zur Folge haben müsse. Somit wäre es der Landesgesetzgebung keineswegs aufgetragen, ihr kompetenzmäßig umrissenes Schutzinteresse bundesrechtlich determinierten Vorgaben nachzuordnen; von einem Unterlaufen der vom gegenbeteiligten Gesetzgeber verfolgten Absichten könne nur dann gesprochen werden, wenn bei einer am Gesamtstaatsinteresse orientierten Interessengewichtung ein Mißverhältnis zwischen den von den jeweiligen gesetzlichen Regelungen ausgelösten Konsequenzen zutagetrete.

5.7. Nach Ansicht des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung sei die Änderung des NÖ Naturschutzgesetzes augenscheinlich nur deswegen erfolgt, um eisenbahnrechtliche Kompetenzen des Bundes zu unterlaufen. Aufgrund der bewußten Mißachtung des Rücksichtnahmegebotes seien die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des NÖ Naturschutzgesetzes verfassungswidrig.

5.8. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst vertritt zum Prüfungsumfang die Auffassung, daß entweder §2 unter gleichzeitigem Ausspruch des Wiederinkrafttretens seiner früheren Fassung oder die übrigen in Prüfung gezogenen Bestimmungen aufgehoben werden sollten. Im Fall der Aufhebung des §6 Abs4 leg. cit. wäre allerdings weiterhin eine Anzeige- bzw. Bewilligungspflicht für Eisenbahnvorhaben nach dem NÖ Naturschutzgesetz gegeben, was nach Auffassung des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst mit der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung nicht vereinbar sei.

In der Sache meint das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst unter näherer Darstellung des Versteinerungsmaterials sowie unter Hinweis auf Mayer (ÖJZ 1996, 292) und Werner (Die Eisenbahnhoheit, 1947), daß im Versteinerungszeitpunkt die durch Bundesrecht geregelte Bewilligung zum Bau einer Eisenbahn auch die Interessen des Naturschutzes mitumfaßt habe und somit eine Kompetenz des Landesgesetzgebers, den Bau von Eisenbahnen naturschutzrechtlichen Regelungen zu unterwerfen, zu verneinen sei.

Im wesentlichen wird dies wie folgt begründet: Aus §6 des Eisenbahnkonzessionsgesetzes 1854 ergebe sich, daß der Erteilung einer Genehmigung für den Bau einer Eisenbahn eine umfassende Prüfung auf Vereinbarkeit mit öffentlichen Interessen voranzugehen hatte und weiters, daß die endgültige Entscheidung über den Bau einer Eisenbahn dem Kaiser vorbehalten war und eine Verhinderung eines vom Kaiser genehmigten Projektes durch eine Verwaltungsbehörde nicht in Betracht komme. Weiters lege auch die Verordnung RGBl. Nr. 19/1879 den Schluß nahe, daß zum Versteinerungszeitpunkt die Bestimmungen bezüglich der Festlegung der Trassen von Eisenbahnen abschließend geregelt waren, weil das Projekt danach von der politischen Landesbehörde vom Standpunkt der Landesbauordnung und der Lokalinteressen begutachtet und schließlich vom Handelsministerium genehmigt worden sei, wodurch die Zuständigkeit der Landesbehörde auf Begutachtungsrechte beschränkt gewesen sei. Schließlich seien auch die bestehenden Naturschutzgesetze der Länder auf Angelegenheiten der Landesgesetzgebung beschränkt gewesen; es habe sich dabei im wesentlichen um verwaltungspolizeiliche Regelungen gehandelt, die auf eine Abwehr von Gefahren abzielten. Es treffe auch zu, daß sich das Naturschutzrecht aus dem Baurecht entwickelt habe (unter Hinweis auf Zeleny, Eisenbahnplanungs- und Baurecht 1994, 90; Adamovich, Grundriß des österreichischen Staatsrechts 1927, 614, und Mayer, ÖJZ 1996, 292) und auch Bausachen der Eisenbahnen eindeutig dem Gebiet des Verkehrswesens bezüglich der Eisenbahnen zuzuordnen seien. Das Bundeskanzleramt vermöge nicht einzusehen, warum gerade die Aspekte des Naturschutzes nicht unter dem Begriff der öffentlichen Rücksichten im Sinn des §6 Eisenbahnkonzessionsgesetz 1854 zu subsumieren wären, da es nicht darauf ankommen könne, ob der Naturschutz in den eisenbahnrechtlichen Vorschriften ausdrücklich angesprochen werde, wenn er jedenfalls der Sache nach in diesen Vorschriften erfaßt gewesen sei. Das Bundeskanzleramt kritisiert ferner die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes in seinem Prüfungsbeschluß, wonach es die verfassungsmäßige Einrichtung Österreichs als Bundesstaat und das Inkrafttreten der Kompetenzartikel am 1.10.1925 nicht zulasse, das aus einem früheren Jahrhundert stammende Versteinerungsmaterial in jenem Geist zu lesen, in welchem es geschaffen wurde, sondern daß es geboten sei, die eingetretenen staatsorganisatorischen

Veränderungen zu berücksichtigen: Das Inkrafttreten der Kompetenzartikel könne insbesondere den Gehalt des Versteinerungsmaterials nicht ändern. Somit könne die geforderte Berücksichtigung der staatsorganisatorischen Veränderungen jedenfalls nicht ausschließen, daß die konsequente Anwendung der Versteinerungstheorie in manchen Fällen zu dem Ergebnis führe, daß die Zuständigkeit zur Umsetzung eines legislativen Vorhabens ausschließlich beim Bund liege.

Zum Verhältnis der Versteinerungstheorie zur Gesichtspunktetheorie vertritt das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst die Auffassung, es sei weder das Versteinerungsmaterial im Geist der Gesichtspunktetheorie zu lesen, noch bilde die Gesichtspunktetheorie eine Auslegungsmaxime höheren Ranges, der gegenüber die mittels der Versteinerungstheorie erzielten Ergebnisse zurückzutreten hätten. Die Gesichtspunktetheorie könne dort, wo zufolge der Versteinerungstheorie alle in Betracht kommenden Gesichtspunkte der Gesetzgebungskompetenz des Bundes zugeordnet seien, zu keinem anderen Ergebnis führen. Wenn also die Versteinerungstheorie zu dem Ergebnis führe, daß ein Gesetzgeber zur Regelung einer Materie unter allen Gesichtspunkten kompetent sei, so könne die Gesichtspunktetheorie an diesem Ergebnis nichts ändern. Dazu stellt das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst die Erk. VfSlg. 2977/1956, 4348/1963 sowie 7582/1975 dar, in denen der Verfassungsgerichtshof sehr wohl darauf Bedacht genommen habe, ob sich aus dem Versteinerungsmaterial selbst eine Beschränkung der Bundeskompetenz derart ergebe, daß bestimmte Gesichtspunkte im Versteinerungszeitpunkt von dieser ausgenommen gewesen seien.

Auch habe sich der Verfassungsgerichtshof in keinem der Fälle, in denen er Kompetenzfragen unter Anwendung der Gesichtspunktetheorie gelöst habe, (bewußt) über die Versteinerungstheorie hinweggesetzt. Vielmehr sei er zu dem Ergebnis, daß bestimmte Lebenssachverhalte nach unterschiedlichen Gesichtspunkten teils in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes, teils in jene der Länder fielen, jeweils unter mehr oder minder deutlicher Berufung auf die im Versteinerungszeitpunkt gegebene unterverfassungsgesetzliche Rechtslage gelangt (vgl. etwa auch VfSlg. 6262/1970 (Baulärm)).

Einer "umfassenden Bundeszuständigkeit in bezug auf Eisenbahnanlagen" könne "auch nicht entgegengehalten" werden, daß Angelegenheiten des Naturschutzes aufgrund des Art15 Abs1 B-VG in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fielen, weil es dem Bundesverfassungsgesetzgeber freistehe, hinsichtlich bestimmter naturschutzrechtlicher Angelegenheiten eine ausschließliche Bundeskompetenz vorzusehen. Ob der Bundesverfassungsgesetzgeber davon bei Schaffung des Kompetenztatbestandes "Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen" Gebrauch gemacht habe, könne nur im Wege der Auslegung dieses Kompetenztatbestandes unter Anwendung der Versteinerungstheorie ermittelt werden.

Für den Fall, daß der Verfassungsgerichtshof zu dem Ergebnis kommen sollte, daß eine Kompetenz des Landesgesetzgebers zur Regelung naturschutzrechtlicher Aspekte auch bezüglich Eisenbahnen bestehe, werde die Auffassung vertreten, daß der NÖ Landesgesetzgeber die Rücksichtnahmepflicht verletzt habe; insoweit stimme das Bundeskanzleramt den unter 5.3.1. und 5.3.2. des Prüfungsbeschlusses enthaltenen Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes ausdrücklich zu.

Nach Ansicht des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst könnte diese Verfassungswidrigkeit aber offenbar nicht nur durch Aufhebung der §§5 Abs3 und 6 Abs4, sondern vor allem auch stattdessen durch Aufhebung des §2 leg. cit. beseitigt werden.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

A. Zu den Prozeßvoraussetzungen:

1. In ihrer Äußerung vom 9. Februar 1999 behauptet die NÖ Landesregierung die Unzulässigkeit der Beschwerde des Anlaßverfahrens und leitet daraus die Unzulässigkeit des gegenständlichen Gesetzesprüfungsverfahrens ab. So beantragt die NÖ Landesregierung - wie schon in der mündlichen Verhandlung im Bescheidprüfungsverfahren - neuerlich, die Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom 19. Juli 1989 über die Übertragung der Planung und des Baues von Hochleistungsstrecken oder von Teilen derselben an die Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG, BGBl. Nr. 405/1989, gemäß Art139 B-VG von Amts wegen zu prüfen und aufgrund dieser Prüfung die Beschwerde der Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG, protokolliert zu B1287/98, als unzulässig zurückzuweisen. Die NÖ Landesregierung hält die Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr, BGBl. Nr. 405/1989, mit der der Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG unter anderem die Planung und der Bau des sogenannten Semmeringtunnels übertragen worden ist, für gesetzwidrig, und zwar im wesentlichen deshalb, weil sie die für eine Übertragung nach §8 des Hochleistungsstreckengesetzes, BGBl. Nr. 135/1989, zwingende Voraussetzung des Interesses an einer wirtschaftlichen und zügigen Durchführung des Projektes für nicht erwiesen erachtet. Die vom Gesetz als Voraussetzung für eine Übertragung geforderte Wirtschaftlichkeitsprüfung fehle, wie nach Auffassung der NÖ Landesregierung aus einem Sonderbericht des Rechnungshofes zum Semmeringbasistunnel hervorgehe. Die NÖ Landesregierung hält die Übertragungsverordnung für die Prüfung der Zulässigkeit der Beschwerde im wesentlichen deshalb für präjudiziell, weil nach dem Hochleistungsstreckengesetz eine Antragstellung durch die beschwerdeführende Hochleistungsstrecken-AG selbst nach den §5 Abs1 und 6 Abs2 NÖ Naturschutzgesetz zur Erlangung einer "sonst für die Ausführung des Bauvorhabens notwendigen Bewilligung" nur nach einer Übertragung der Planung eben im Wege der Übertragungsverordnung überhaupt zulässig sei. Im Fall der Aufhebung der Übertragungsverordnung sei die Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG nämlich als Kapitalgesellschaft von der Untersagung bzw. Nichterteilung einer naturschutzrechtlichen Bewilligung in ihrer Rechtsstellung nicht berührt, weil in diesem Fall die Gesellschaft die Planung und den Bau nicht durchführen müßte.

2. Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner im Prüfungsbeschluß zum Ausdruck kommenden Auffassung, daß selbst im Fall einer Aufhebung der Verordung BGBl. Nr. 405/1989 durch den Verfassungsgerichtshof die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin allein durch den zu B1287/98 angefochtenen Bescheid gestaltet wird und sie sich durch die (mögliche) Verfassungswidrigkeit der diesem Bescheid zugrundeliegenden und vom Verfassungsgerichtshof bei Prüfung dieses Bescheides daher anzuwendenden Rechtsvorschriften als verletzt erachten kann. Die Beschwerdeführerin ist Adressatin des Berufungsbescheides und damit sowohl von der Versagung einer Bewilligung, als auch von einer im Bescheid enthaltenen Verbotsnorm betroffen. Selbst wenn die Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG von den Verwaltungsbehörden zu Unrecht als Antragstellerin und damit Partei im naturschutzbehördlichen Verfahren angesehen worden wäre (was überdies die Verletzung des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter zur Folge haben könnte), so wäre die behauptete Rechtsverletzung durch den angefochtenen Bescheid jedenfalls möglich. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Verordnung BGBl. Nr. 405/1989 als für die Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens bedeutungslos, weshalb auf die Frage ihrer Gesetzmäßigkeit nicht weiter einzugehen ist.

Da auch sonst keine Verfahrenshindernisse hervorgekommen sind, ist das Gesetzesprüfungsverfahren somit zulässig.

B. In der Sache:

1. Nach dem bundesverfassungsrechtlichen System der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung liegt die Generalkompetenz zur Gesetzgebung gem. Art15 Abs1 B-VG bei den Ländern. Von der Zuständigkeit der Bundesländer sind nur diejenigen Angelegenheiten ausgenommen, welche ausdrücklich in die Zuständigkeit des Bundes verwiesen sind. Die Regelung des Naturschutzes fällt - in Ermangelung einer anderen Kompetenzzuweisung - daher auf Grund der Generalkompetenz des Art15 Abs1 B-VG grundsätzlich in die Kompetenz der Länder (vgl. VfSlg. 2178/1951; 2574/1953; 3818/1960; 4237/1962).

1.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind Begriffe, die in der Verfassung selbst nicht näher umschrieben sind, in dem Sinn zu verstehen, der ihnen nach dem Stand und der Systematik der Rechtsordnung zum Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens, hinsichtlich der Kompetenzartikel daher in der Regel zum 1.10.1925, zugekommen ist (vgl. VfSlg. 2721/1954; 4680/1964; 5019/1965; 7074/1973; 10831/1986; 11777/1988; 12996/1992; 13234/1992; 13237/1992; 14266/1995 u. v.a.). Dieser Zeitpunkt ist auch hinsichtlich des Kompetenztatbestandes des "Verkehrswesens bezüglich der Eisenbahnen" ungeachtet einer im Zusammenhang mit einem anderen Kompetenztatbestand erfolgten Neufassung des Art10 Abs1 Z9 B-VG durch die B-VG-Novelle 1974, BGBl. Nr. 444 maßgeblich (so auch Morscher, FS Schambeck 1994, 531).

1.2. Da die Bundesverfassung konkurrierende Gesetzgebungskompetenzen nicht vorsieht, kann ein und dieselbe Materie nur einem einzigen Kompetenztatbestand zugeordnet werden (Prinzip der Exklusivität der Kompetenzbereiche, vgl. Funk, Die grundlegenden Ordnungsprobleme im System der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung, JBl 1976, 449 ff (450)); es ist also vom System der Kompetenzverteilung her ausgeschlossen, daß Bund und Länder verfassungsmäßigerweise Regelungen für idente Lebenssachverhalte erlassen (vgl. Funk, aaO, 456 ff). Damit wird jedoch nicht ausgeschlossen, daß bestimmte Sachverhalte nach verschiedenen Gesichtspunkten geregelt werden können (vgl. zB VfSlg. 7169/1973 mwH; 7792/1976)

1.3. Zu der hier zu untersuchenden Frage hat der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung (vgl. das grundlegende Erkenntnis VfSlg. 2905/1955 sowie die Erkenntnisse VfSlg. 3504/1959; 5019/1965; 5578/1967 u.a.) die Auffassung vertreten, es sei "unter dem 'Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen' im Sinne des Art10 Abs1 Z9 B-VG das Eisenbahnwesen überhaupt zu verstehen ...". Diese weitreichende, alle Aspekte des Eisenbahnwesens umfassende Bundeskompetenz schließt aber dennoch Regelungen der Länder, zu welchen diese gem. Art15 Abs1 B-VG berufen sind und die auch Eisenbahnen betreffen, nicht von vornherein aus:

1.3.1. Für die Abgrenzung der hier in Rede stehenden Kompetenz des Bundes vom Zuständigkeitsbereich der Länder im Sinne des Art15 Abs1 B-VG ist der Inhalt der eisenbahnrechtlichen Regelungen zum Versteinerungszeitpunkt maßgeblich; es ist nur für den Fall, daß ein bestimmter Gesichtspunkt eine ausdrückliche Regelung im Versteinerungsmaterial gefunden hat, auch insoweit eine Bundeskompetenz anzunehmen (vgl. zB VfSlg. 2685/1954;

5019/1965; 5578/1967 (Baubewilligung für Eisenbahnzwecke);

VfSlg. 8984/1980 (Abgrenzung zu straßenpolizeilichen Regelungen)).

1.3.2. Der Naturschutz ist - kompetenzrechtlich gesehen - weder eine Querschnittsmaterie, noch eine Annexmaterie, welche der jeweils zuständige Gesetzgeber mitzuregeln befugt wäre. Der Naturschutz ist vielmehr im allgemeinen der Kompetenz der Länder in Gesetzgebung und Vollziehung zugeordnet (VfSlg. 2574/1953; 3818/1960; 4237/1962; 7169/1973 u.a.; zur Zulässigkeit einer naturschutzrechtlichen Regelung bezügl. Straßenbeleuchtung vgl. VfSlg. 4349/1963), soweit nicht der Schutz der Natur in Teilbereichen Inhalt einer Bundeskompetenz ist, wie etwa im Forstwesen oder auf dem Gebiet des Wasserrechts.

1.3.3. Das Gesetzesprüfungsverfahren hat bestätigt, daß sich im Versteinerungsmaterial, welches für den hier zu untersuchenden Kompetenztatbestand maßgebend ist, explizite naturschutzrechtliche Regelungen nicht finden. Entgegen dem diesbezüglichen Vorbringen der Beschwerdeführerin des Anlaßverfahrens im Gesetzesprüfungsverfahren vermöchte auch die tatsächliche Berücksichtigung naturschutzrechtlicher Gesichtspunkte in eisenbahnrechtlichen Bewilligungsverfahren aus der Zeit vor dem 1.10.1925, wie sie aus einem von ihr vorgelegten Begehungsprotokoll betreffend die Arlbergbahn hervorzugehen scheint, daran nichts zu ändern, weil eine Berücksichtigung öffentlicher Interessen schlechthin in §6 des Eisenbahnkonzessionsgesetzes 1854 angeordnet gewesen ist, jedoch diese Berücksichtigung von Interessen von der Inanspruchnahme einer Regelungskompetenz unterschieden werden muß.

1.3.4. Eine Fortentwicklung des Rechts innerhalb des Begriffsinhaltes des Verkehrswesens bezüglich der Eisenbahnen wäre damit allerdings noch nicht ausgeschlossen: Es sind aber auch Neuregelungen (selbst wenn man den Naturschutz im Hinblick auf seine Entwicklung, welche er nach 1925 genommen hat, als eine solche ansehen wollte) nur dann unter einen bestimmten Kompetenztatbestand zu subsumieren, wenn sie nach ihrem (wesentlichen) Inhalt systematisch dem Kompetenzgrund angehören (VfSlg. 2658/1954; 3670/1960; vgl. aus jüngerer Zeit VfSlg. 13299/1992). Diese Voraussetzung trifft auf das Naturschutzrecht im Verhältnis zum Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen vor dem Hintergrund des erwähnten Versteinerungsmaterials nicht zu, sodaß eine intrasystematische Weiterentwicklung dieses Kompetenztatbestandes insoweit nicht anzunehmen ist, sondern Raum für eine Kompetenz im Sinne des Art15 Abs1 B-VG und damit für eine landesgesetzliche Regelung unter naturschutzrechtlichen Gesichtspunkten verbleibt.

1.4. Sind - wie in einer solchen Konstellation - für ein Projekt mehrere Genehmigungen nebeneinander erforderlich und diese überdies nach den Rechtsvorschriften verschiedener Kompetenzträger zu erteilen oder zu versagen, so bedeutet dies freilich - wie schon in der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes klargestellt wurde - nicht, daß jeder Kompetenzträger in der Ausgestaltung seiner Gesetzgebungskompetenz auch in dem Sinne völlig frei wäre, in seiner Regelung einen bestimmten Regelungsaspekt absolut zu setzen und damit die Kompetenzen anderer Gebietskörperschaften auszuhöhlen oder zu unterlaufen. Der den Bundesstaat konstituierenden Bundesverfassung muß nämlich unterstellt werden, die Grundlage einer harmonisierenden Rechtsordnung zu sein, in der (allenfalls divergierende) Interessen von Bund und Ländern, auch soweit diese in Akten der Gesetzgebung ihren Niederschlag finden, aufeinander abgestimmt sind. Der rechtspolitische Gestaltungsspielraum des Landes- (ebenso wie jener des Bundes-)gesetzgebers ist deshalb insoweit eingeschränkt, als es ihm verwehrt ist, Regelungen zu treffen, die sich als sachlich nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung der Effektivität von Regelungen der gegenbeteiligten Rechtssetzungsautorität darstellen (VfSlg. 10292/1984, S 763). Dies bedeutet auch, daß die zur Gesetzgebung berufenen Gebietskörperschaften die Interessen, die von der gegenbeteiligten Gebietskörperschaft wahrzunehmen sind, durch den Gesetzgebungsakt nicht unterlaufen dürfen (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 5.10.1998, G117/98). Es ist dem Gesetzgeber ebensowenig erlaubt, Regelungen zu treffen, die auf eine kompetenzwidrige Nachprüfung allenfalls bereits vorliegender Bewilligungsakte oder auf eine kompetenzwidrige Vorwegnahme der Versagung einer solchen Bewilligung hinausliefen (VfSlg. 8984/1980).

1.4.1. Wenn daher der Landesgesetzgeber seine naturschutzrechtlichen Regelungen auf ein Sachgebiet erstreckt, welches im übrigen kompetenzrechtlich in Gesetzgebung und Vollziehung dem Bund zugeordnet ist, dann dürfen diese Regelungen nicht einen Inhalt haben, der eine Beachtung des verfassungsrechtlichen Berücksichtigungsgebotes nicht zuläßt und dadurch ein Unterlaufen der gegenbeteiligten Kompetenz, sei es durch Versagung der Bewilligung, sei es durch die Erteilung unverhältnismäßiger Auflagen ermöglicht. Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß das Gewicht des öffentlichen Interesses an einem den eisenbahnrechtlichen Vorschriften unterliegenden Vorhaben je nachdem ein ganz unterschiedliches sein kann, ob es sich um eine auch in ihrer Bedeutung für den Fernverkehr wichtige Eisenbahnstrecke für den öffentlichen Personen- und Güterverkehr oder ob es sich etwa um eine lokalen Bedürfnissen dienende Seilbahn handelt. Ob und bejahendenfalls welche öffentliche Interessen mit welchem Gewicht jeweils im Spiele sind, kann daher auf das Maß der gebotenen, wechselseitigen Rücksichtnahme auf die Kompetenzausübung der gegenbeteiligten Gebietskörperschaft nicht ohne Einfluß sein.

1.4.2. Ungeachtet der nicht zu bezweifelnden Befugnis des Landesgesetzgebers, vermeidbare Eingriffe in Naturschutzinteressen zu untersagen bzw. durch die Erteilung von Auflagen und Bedingungen für einen entsprechenden Ausgleich zu sorgen, muß daher im Falle von Eingriffen, die nicht vermeidbar sind und deren nachteilige Folgen auch nicht ausgeglichen werden können, zumindest in Form einer Abwägung zwischen den Interessen des Naturschutzes und den anderen, den Eingriff bewirkenden Interessen auch für die gebotene Berücksichtigung kompetenzfremder Interessen Raum sein.

1.5. Eine derartige, aus den genannten Gründen verfassungsrechtlich gebotene Interessenabwägung läßt das NÖ Naturschutzgesetz nicht (mehr) zu:

1.5.1. Es enthält seit der Novelle LGBl. 5500-5 weder ein Verbot der Beeinträchtigung solcher wichtiger Interessen nach der Art des §2 Abs3 leg. cit. in der früheren Fassung, noch sieht es - als einziges Landesgesetz über den Naturschutz - bei den Bewilligungs- bzw. Versagungstatbeständen eine Interessenabwägung vor: Entgegen dem Vorbringen der NÖ Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren kann insbesondere in der Wendung "(wenn die Beeinträchtigung) ... nicht weitgehend ausgeschlossen ... (werden kann)" in den in Prüfung gezogenen Bestimmungen des §5 Abs3 und §6 Abs4 NÖ Naturschutzgesetz die Ermöglichung einer Interessenabwägung nicht erblickt werden. Die genannte Bestimmung läßt nämlich gegenüber der Konsequenz der Versagung der Bewilligung - abgesehen von einer Sonderregelung für die Land- und Forstwirtschaft im letzten Satz des §6 Abs4 leg. cit. - dann keinen Ausweg offen, wenn mit einem Projekt ein nicht vermeidbarer, durch Vorschreibung von (nicht unverhältnismäßigen) Vorkehrungen nicht (weitgehend) ausgleichbarer Eingriff verbunden ist.

1.5.2. Das NÖ Naturschutzgesetz ermöglicht somit die Verhinderung der Errichtung oder des Ausbaus von Verkehrswegen jedweder, somit auch solcher von ganz besonderer gesamtwirtschaftlicher Bedeutung, und zwar ungeachtet des Gewichts der Beeinträchtigung der vom Naturschutzgesetz legitimerweise geschützten Interessen. Denn die erforderliche naturschutzbehördliche Genehmigung ist schon dann zu versagen, wenn die Eingriffe in die Interessen des Naturschutzes nicht weitgehend vermieden werden können. Damit kann aber der Bund an der Erfüllung der ihm kompetenzmäßig übertragenen Sicherstellung eines gesamtwirtschaftlichen Bedürfnissen entsprechenden, leistungsfähigen Eisenbahn- und Straßennetzes auch in Fällen gehindert werden, in denen die vom Land wahrzunehmenden Naturschutzinteressen nicht etwa jene außergewöhnliche Dimension erreichen, die das Amt der Salzburger Landesregierung mit einigen der von ihm genannten Beispiele im Auge hat.

Die niederösterreichische Regelung erweist sich daher als geeignet, die Kompetenzausübung des Bundes völlig zu unterlaufen, und damit als verfassungswidrig.

2. Diese Verfassungswidrigkeit wurde durch die Änderung des §2 leg. cit. mit der eingangs genannten Novelle LGBl. 5500-5 erst bewirkt: Anders als §2 Abs1 und Abs3 leg. cit. in der Fassung vor dieser Novelle läßt die Neufassung des §2 eine - nach der dargelegten Rechtslage erforderliche - verfassungskonforme Interpretation der Versagungstatbestände der §§5 Abs3 und 6 Abs4 leg. cit. nicht mehr zu. Der als Folge der Aufhebung des §2 leg. cit. in der in Prüfung gezogenen Fassung gem. Art140 Abs6 B-VG wieder in Kraft tretende §2 Abs3 in der früheren Fassung erlaubt hingegen die von verfassungswegen gebotene Berücksichtigung der öffentlichen Interessen an der Errichtung von Bauten für Eisenbahnzwecke (so auch die zutreffende Deutung dieser Bestimmung bei Liehr/Stöberl, Kommentar zum NÖ Naturschutzgesetz, Anm. 9 (1. Absatz) zu §2).

Auch hat die NÖ Landesregierung in ihrer im Gesetzesprüfungsverfahren erstatteten schriftlichen Äußerung auf die - denkbaren - weitreichenden Folgen einer Aufhebung der §§5 Abs3 und 6 Abs4 des NÖ Naturschutzgesetzes hingewiesen. Die aus dieser Sicht daher weniger weitgehende, aus dem Blickwinkel des Anlaßfalles eine verfassungskonforme Rechtslage bewirkende Aufhebung des §2 NÖ Naturschutzgesetz in der in Prüfung gezogenen Fassung (die aus den im Prüfungsbeschluß genannten, in der Systematik liegenden Gründen, an denen der Verfassungsgerichtshof festhält, nur zur Gänze möglich ist) reicht daher hin, weshalb es mit der Aufhebung dieser Gesetzesstelle sein Bewenden haben kann.

Im Hinblick auf das durch die Aufhebung des §2 bewirkte Wiederinkrafttreten der früheren Fassung dieser Gesetzesbestimmung gem. Art140 Abs6 B-VG ist eine zur Sicherstellung eines verfassungskonformen Gesetzesvollzuges erforderliche gesetzgeberische Maßnahme und damit eine Fristsetzung für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmung entbehrlich.

3. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Niederösterreich zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.

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