VfGH B2300/97

VfGHB2300/9723.2.1998

Quasianlaßfälle; Anlaßfallwirkung der Aufhebung der Geschäftsverteilung 1997 UVS Wien mit E v 10.10.97, V17/97 ua.

Normen

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

 

Spruch:

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden des Beschwerdevertreters die mit S 20.500,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin wurde am 30. November 1996 als Teilnehmerin einer Demonstration im Bereich U-Bahn-Station Volkstheater von Organen der Bundespolizeidirektion Wien festgenommen. In der Folge wurde die Beschwerdeführerin perlustriert, wobei sie sich entkleiden mußte und ihre Kleidung durchsucht wurde.

Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates (UVS) Wien vom 21. Juli 1997 wurde die Beschwerde gegen diese Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in allen Punkten als unbegründet abgewiesen.

2. Mit einem, beim Verfassungsgerichtshof am 5. September 1997 eingelangten Schriftsatz beantragte die Beschwerdeführerin, ihr zur Erhebung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde gegen den erwähnten Bescheid des UVS Wien Verfahrenshilfe zu gewähren. Diesem Ersuchen wurde stattgegeben und in der Folge vom Verfahrenshelfer die mit 4. Dezember 1997 datierte, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde (innerhalb der vom Verfassungsgerichtshof gesetzten Frist) eingebracht.

3. Der UVS als belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

4. Mit Erkenntnis vom 10. Oktober 1997, V17/97 ua., hob der Verfassungsgerichtshof die vom Präsidenten des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien erlassene Geschäftsverteilung für das Jahr 1997, UVS - GV/5/96, als gesetzwidrig auf, da sie von einem unzuständigen Organ erlassen worden war.

II. 1. Gemäß Art139 Abs6 B-VG wirkt die Aufhebung einer Verordnung auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als gesetzwidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundeliegenden Tatbestands nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art139 Abs6 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Verordnungsprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Fälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Verordnungsprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg. 10616/1985, 10736/1985, 10954/1986, 11711/1988).

Die nichtöffentliche Beratung im Verordnungsprüfungsverfahren zu V17/97 ua. begann am 2. Oktober 1997. Der Verfahrenshilfeantrag der Beschwerdeführerin ist beim Verfassungsgerichtshof am 5. September 1997 eingelangt. Die in der Folge (durch einen Rechtsanwalt) eingebrachte Beschwerde galt den §§73 Abs2 und 464 Abs3 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG zufolge als zum Zeitpunkt der Einbringung des Verfahrenshilfeantrages, somit als noch vor der nichtöffentlichen Beratung im Verordnungsprüfungsverfahren erhoben und damit beim Verfassungsgerichtshof anhängig.

Nach dem Gesagten ist der Fall somit einem Anlaßfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als gesetzwidrig befundene Vorschrift an. Es ist nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß die Anwendung der Verordnung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Partei nachteilig war.

Es ist daher auszusprechen, daß die beschwerdeführende Partei durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt wurde, sowie daß der Bescheid aufgehoben wird (vgl. etwa VfSlg. 10736/1985, 10954/1986, VfGH 14.6.1994, B376/94, VfGH 27.11.1995, B314/95).

2. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG abgesehen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-- sowie die gemäß §17a VerfGG vorgesehenen Gebühren von S 2.500,-- enthalten.

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