VfGH V62/96

VfGHV62/967.10.1998

Gesetzwidrigkeit einer Fahrverbotsverordnung mangels Anhörung der durch diese Verordnung betroffenen Interessenvertretungen; Anhörung auch bei unveränderter Neuerlassung einer Verordnung geboten

Normen

B-VG Art18 Abs2
FahrverbotsV der BH Deutschlandsberg vom 28.03.85 betr LKW über 16 t
StVO §94f
B-VG Art18 Abs2
FahrverbotsV der BH Deutschlandsberg vom 28.03.85 betr LKW über 16 t
StVO §94f

 

Spruch:

§1 der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 28. März 1985, Z11.0 La 20/1984, betreffend eine "Gesamtverordnung von Bundes- und Landesstraßen; L 646", mit dem für den gesamten Straßenzug ein Fahrverbot für Fahrzeuge mit über 16 t Gesamtgewicht und auch eine gleichartige Gewichtsbeschränkung für die Laßnitzbrücke bei km 0.901 verordnet wird, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. Juni 1999 in Kraft.

Die Steiermärkische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist unter der Zahl A17/96 eine Beschwerde des F H gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 25. Jänner 1995, Z UVS 30.3-141/94-5, anhängig. Mit diesem im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer wegen der Verwaltungsübertretung nach §52 lita Z9c StVO 1960 bestraft, weil er am 11. August 1992 um 9.40 Uhr

"in Osterwitz auf der L 646 bei Km 1,0 aus Richtung

Hebalm-Landesstraße (L 606) kommend als Lenker des unter dem

Kennzeichen ... zum Verkehr zugelassenen LKW ..., mit welchem der

Anhänger ..., Kennzeichen ... gezogen worden ist, das für die

L 646 geltende Verbotszeichen 'Fahrverbot für Fahrzeuge mit über

16 t Gesamtgewicht' durch Befahren des genannten

Landesstraßenzuges mit dem schwereren LKW und dem schwereren

Sattelanhänger nicht beachtet"

habe.

2. Aus Anlaß dieser Beschwerde stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 20. März 1996 gemäß Art139 Abs1 B-VG den Antrag, §1 der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 28. März 1985, Z11.0 La 20/1984, als gesetzwidrig aufzuheben.

Nach der Darlegung, daß die bekämpfte Bestimmung der Verordnung vom 28. März 1985 zur Entscheidung des Falles von ihm anzuwenden sei und dem Hinweis, daß der Beschwerdeführer in der Beschwerde unter anderem vorgebracht habe, daß hinsichtlich dieser Verordnung kein dem Gesetz entsprechendes Anhörungsverfahren durchgeführt und die gesetzlichen Interessenvertretungen nicht zur Stellungnahme aufgefordert worden seien, begründet der Verwaltungsgerichtshof den Antrag folgendermaßen:

Die Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg habe mit Schreiben vom 1. Dezember 1995 dem Verwaltungsgerichtshof folgendes mitgeteilt:

"Unter Bedachtnahme auf die o.a. Verfügung wird in der Anlage der Verwaltungsakt 11.0 La 23/77 vorgelegt. Damals wurden die Landesstraßen mit neuen Kennummern versehen, weshalb sowohl seitens der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz als auch seitens der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg Verordnungen erlassen worden sind. Was die L 646 anlangt, darf auf Aktenseite 9 des vorgelegten Aktes verwiesen werden.

Die dieser Verordnung vorangegangene Verordnung - nach der alten Kennummer der Osterwitzer-Landesstraße - liegt derzeit nicht vor, es wird versucht, allenfalls beim Landesarchiv diesen Akt noch auszuheben.

Wie sich aus der Anfrage AS 21 ergibt, wird seitens der Bezirksverwaltungsbehörde bei vorgesehener Abänderung von Gewichtsbeschränkungen eine Anfrage an die auf Seite 21 ersichtlichen Interessenvertretungen gerichtet.

Ebenfalls angeschlossen ist eine Fotokopie der Gesamtverordnung der L 646. Im Jahre 1985 wurden nämlich Gesamtverordnung(en) für jeden Straßenzug neu erlassen, weil sich hinsichtlich der früheren Verordnung keine Änderungen ergeben haben und die Neufassung bloß aus Gründen einer leichteren Protokollierung und Auffindung von Verordnungsakten erfolgt ist, wurden diesfalls die Interessenvertretungen nicht angehört."

Weiters habe die Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg mit Schreiben vom 20. Februar 1996 bekanntgegeben, daß die der Verordnung vom 14. Dezember 1977 vorangehende Verordnung nicht vorgelegt werden könne, weil der bezughabende Akt nicht aufgefunden hätte werden können.

Aus den dem Verwaltungsgerichtshof von der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vorgelegten Akten gehe jedoch nicht hervor, daß die in §94f Abs1 lita Z1 und 3 StVO 1960 normierten Anhörungspflichten vor Erlassung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 28. März 1985 oder der dieser Verordnung vorausgehenden Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 14. Dezember 1977, Z11 La 23/77, in deren Punkt 1. bereits unter anderem für die L 646 Osterwitzer-Straße "von der Abzweigung L 606 bis Ende" eine Gewichtsbeschränkung (Fahrverbot für Fahrzeuge mit über 16 t Gesamtgewicht) gemäß §52 (lita) Z9c StVO 1960 verfügt worden sei, eingehalten worden wären. Die verfügte Gewichtsbeschränkung berühre jedenfalls Interessen der Berufsgruppen der Transportunternehmer und wäre daher - neben der betroffenen Gemeinde - zumindest auch deren gesetzliche Interessenvertretung anzuhören gewesen.

3. Die Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg legte die Verwaltungsakten vor, verwies in ihrer Äußerung auf das bisherige Vorbringen und führte zum Antrag des Verwaltungsgerichtshofes aus, "daß anläßlich der Erlassung der Gesamtverordnungen - im konkreten Fall hinsichtlich der L 646 - Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe deshalb nicht berührt werden konnten, weil die vorangegangene Verordnung bereits dem Rechtsbestand angehörte, die Gewichtsbeschränkung nicht abgeändert und somit insgesamt lediglich eine Kompilation vorgenommen" worden sei. Die Erlassung von Gesamtverordnungen unter den Ordnungskriterien "Gemeinden sowie Bundes- und Landesstraßenzüge" erfolge bezirksweit. Würden durch Änderungen von Gesamtverordnungen Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe berührt, würde der entsprechenden Interessenvertretung Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Weiters teilte die Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg mit, daß trotz intensiver Nachsuche (beim Landesarchiv, im Archiv der Behörde, bei der Gemeinde Osterwitz und in der Baubezirksleitung Leibnitz) der bezughabende Vorakt leider nicht aufgefunden habe werden können. Bei Durchsicht des Verwaltungsaktes 16 Oa 21/70 (Gemeinde Osterwitz) habe jedoch festgestellt werden können, daß bereits zu einem Zeitpunkt vor Inkrafttreten der StVO 1960 anläßlich der beabsichtigten Verfügung einer Gewichtsbeschränkung eine Anhörung der Kammer der gewerblichen Wirtschaft und der Kammer für Land- und Forstwirtschaft vorgenommen worden sei. Auch nach Inkrafttreten der StVO 1960 sei von der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für die Steiermark, Bezirksstelle Deutschlandsberg, am 4. Mai 1965 eine Stellungnahme abgegeben worden. Mit dem Hinweis, daß die Bestimmungen über die Anhörungsrechte erst im Jahre 1969 in die StVO, BGBl. Nr. 209/1969, aufgenommen worden seien, verteidigte die Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg die angefochtene Verordnungsbestimmung.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Angesichts der vom Verwaltungsgerichtshof zu beurteilenden Rechtsfrage besteht kein Zweifel, daß die von ihm bekämpfte Verordnungsbestimmung für sein Verfahren präjudiziell ist. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag zulässig.

2. §1 der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 28. März 1985, Z11.8 La 20/1984, betreffend eine "Gesamtverordnung von Bundes- und Landesstraßen; L 646", womit "(a)ufgrund des §43 (1) litb in Verbindung mit §94 b der StVO 1960 in der geltenden Fassung" "dauernde Verkehrsbeschränkungen bzw. Verkehrsverbote verfügt werden", lautet:

"§1

Für den gesamten Straßenzug wird ein Fahrverbot für Fahrzeuge mit über 16 t Gesamtgewicht verfügt.

Eine gleichartige Gewichtsbeschränkung wird auch für die Laßnitzbrücke bei Km 0.901 verordnet.

Die Kundmachung dieser Verordnung erfolgt durch die Anbringung von Straßenverkehrszeichen gemäß §52 lita Ziffer 9 c 'Fahrverbot für Fahrzeuge mit über 16 t Gesamtgewicht'."

Gemäß §94f Abs1 lita Z1 und 3 StVO 1960 sind von der Bezirksverwaltungsbehörde vor Erlassung einer Verordnung, außer bei Gefahr im Verzuge, die betroffene Gemeinde und, wenn Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe berührt werden, die gesetzliche Interessenvertretung dieser Berufsgruppe anzuhören. Es ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zutreffend ausführt - davon auszugehen, daß ein Fahrverbot für Fahrzeuge mit über 16 t Gesamtgewicht jedenfalls die Interessen der Berufsgruppe der Transportunternehmer berührt. Es ist weiters davon auszugehen, daß auch die Interessen der Gemeinde(n), durch die der Straßenzug der L 646 führt, von der genannten Verordnung betroffen sind.

Dem Vorbringen der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg, wonach bereits zu einem Zeitpunkt vor Inkrafttreten der StVO 1960 anläßlich der beabsichtigten Verfügung einer Gewichtsbeschränkung eine Anhörung der Kammer der gewerblichen Wirtschaft und der Kammer für Land- und Forstwirtschaft erfolgt sei und nach Inkrafttreten der StVO 1960 die Kammer der gewerblichen Wirtschaft für die Steiermark, Bezirksstelle Deutschlandsberg, am 4. Mai 1965 eine Stellungnahme abgegeben habe, ist entgegenzuhalten, daß eine Anhörung - wie sich aus der auf Aktenseite 21 befindlichen Aufforderung zur Abgabe einer Stellungnahme, gerichtet an die Kammer für Arbeiter und Angestellte, an die Kammer der gewerblichen Wirtschaft und an die Kammer für Land- und Forstwirtschaft, ergibt - nur im Verfahren zur Verfügung einer "Gewichtsbeschränkung L 606" (dh. der von der verfahrensgegenständlichen Verordnung umfaßte Straßenzug der Landesstraße L 646 wird davon nicht betroffen) stattgefunden hat. Die von der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg genannte Stellungnahme der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für die Steiermark, Bezirksstelle Deutschlandsberg, vom 4. Mai 1965 bezieht sich entgegen der Äußerung der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg lediglich auf eine die Steinbauermühlbrücke in Osterwitz betreffende Gewichtsbeschränkung. Die damals geplante Verordnung sollte - nach dem Wortlaut - jedoch eine Gewichtsbeschränkung für Fahrzeuge über 2 t verordnen, weil sich die genannte Brücke zu dieser Zeit - wie sich aus der Aktenlage ergibt - noch im Stadium vor ihrem Ausbau befunden hat.

Dem Vorbringen der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg ist weiters entgegenzuhalten, daß - wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 14053/1995 aussprach - es gemäß §94f Abs1 lita Z3 StVO 1960 der gesetzlichen Interessenvertretung anheimgestellt ist, die Interessen der von ihr repräsentierten Mitglieder in jedes Verfahren zur Erlassung einer straßenpolizeilichen Verordnung einzubringen, wenn diese Interessen durch die geplante Verordnung berührt werden. Der für die Erlassung der straßenpolizeilichen Verordnung zuständigen Behörde ist es nach dem zitierten Erkenntnis verwehrt, diese Interessensartikulation im Hinblick auf früher und in anderem (wenn auch ähnlichem) Zusammenhang abgegebene Äußerungen der zuständigen gesetzlichen Interessenvertretungen gleichsam zu antizipieren. Denn selbst bei Aufhebung einer straßenpolizeilichen Verordnung und ihrer darauffolgenden unveränderten Neuerlassung ist es nämlich möglich, daß aufgrund der Erfahrungen, welche Mitglieder einer gesetzlichen Interessenvertretung mit einer derartigen Verordnung gemacht haben, von der gesetzlichen Interessenvertretung im Zuge der Neuerlassung ein von ihrer früheren Stellungnahme abweichender Standpunkt vertreten wird.

Die Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg hätte daher vor Erlassung der "Gesamtverordnung", auch wenn es sich dabei - wie diese vorbringt - lediglich um eine Neuerlassung einer bestehenden, dem Rechtsbestand bereits angehörenden Verordnung mit gleichem Regelungsinhalt und -umfang gehandelt hat, den beruflichen Interessenvertretungen der betroffenen Berufsgruppen - hier zumindest die Berufsgruppe der Transportunternehmer - und betroffenen Gemeinde(n) die Möglichkeit der Stellungnahme einräumen müssen.

Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 28. März 1985, Z11.a La 20/1984, wurde daher jedenfalls mangels Anhörung jener gesetzlichen Interessenvertretungen der Berufsgruppen, deren Interessen durch die Errichtung eines Fahrverbotes für Fahrzeuge mit über 16 t Gesamtgewicht für den gesamten genannten Straßenzug berührt wurden, in Widerspruch zu §94f StVO 1960 erlassen. Sie ist daher gesetzwidrig.

3. Diese Feststellung führt zur Aufhebung der vom Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bestimmung des §1 der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 28. März 1985, Z11.a La 20/1984.

4. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmung und die Verpflichtung zur Kundmachung der Aufhebung ergibt sich aus Art139 Abs5 B-VG.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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