VfGH B2683/94

VfGHB2683/9425.6.1997

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Nachforderung eines zusätzlichen Absatzförderungsbeitrages vom Rechtsnachfolger des Inhabers eines milcherzeugenden Betriebes infolge denkunmöglicher Auslegung einer durch die Novelle 1993 eingeführten Bestimmung des MOG

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
MOG §79 Abs2
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
MOG §79 Abs2

 

Spruch:

I. 1. Die Beschwerde wird, soweit sie sich auf Spruchpunkt II. des bekämpften Bescheides bezieht, zurückgewiesen.

2. Der Antrag, die Beschwerde insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abzutreten, wird abgewiesen.

II. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheides im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbüger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird insoweit aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit S 18.000,- bestimmten Kosten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Bescheid vom 23. November 1994 sprach der Vorstand für den Geschäftsbereich III der Agrarmarkt Austria unter Zugrundelegung der Bestimmungen des §76 Abs2 und des §79 Abs2 des Marktordnungsgesetzes (MOG), BGBl. 210/1985 idF der Novelle BGBl. 969/1993 in einem Spruchpunkt I. aus, daß vom Erstbescheidadressaten (und nunmehrigen Beschwerdeführer) als Rechtsnachfolger (der Beschwerdeführer hat den landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern im Wirtschaftsjahr 1991/92 übernommen) im Wirtschaftsjahr 1988/89 entstandene Schulden an zusätzlichem Absatzförderungsbeitrag und Lieferrücknahmeprämie wegen Verjährung nicht nach- bzw. rückgefordert werden sowie bis einschließlich 1991/92 entstandene Schulden an zusätzlichem Absatzförderungsbeitrag und Lieferrücknahmeprämie nach- bzw. rückgefordert werden. Spruchpunkt II. des Bescheides stellt fest, daß der Zweitbescheidadressatin eine Schuld an zusätzlichem Absatzförderungsbeitrag nicht entstanden ist und führt gleichzeitig ein Guthaben der Zweitbescheidadressatin an.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher sich der Beschwerdeführer in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes verletzt erachtet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.

Nach Ansicht des Beschwerdeführers müßte in §79 Abs2 MOG idF der Novelle 969/1993 neben der Schuldnereigenschaft des Milcherzeugers oder seines Rechtsnachfolgers auch die Gläubigereigenschaft für sich ergebende Gutschriften geregelt sein. Weiters hält der Beschwerdeführer §79 Abs2 erster Halbsatz leg.cit. für nicht ausreichend bestimmt.

3. Die belangte Behörde hat in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Zulässigkeit:

1.1. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen Spruchpunkt II. wendet, nicht zulässig. Spruchpunkt II. stellt fest, daß der Zweitbescheidadressatin eine Schuld an zusätzlichem Absatzförderungsbeitrag in näher bezeichnetem Ausmaß nicht entstanden ist und führt gleichzeitig ein Guthaben für die Zweitbescheidadressatin in gleicher Höhe an.

Spruchpunkt II. richtet sich somit zur Gänze an die nichtbeschwerdeführende Zweitbescheidadressatin. Der Beschwerdeführer ist daher durch diesen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides nicht beschwert, weshalb insoweit die Beschwerde mangels Legitimation zurückzuweisen war.

1.2. Im übrigen ist die Beschwerde zulässig.

2. In der Sache:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides über die Nach- bzw. Rückforderung an zusätzlichem Absatzförderungsbeitrag und Lieferrücknahmeprämie gemeinsam, in sprachlich untrennbarer Weise (vgl. zB den Ausspruch über die Fälligkeit) abgesprochen wird, woraus sich die Unteilbarkeit des Spruchpunktes I. ergibt.

2.2. Die Beschwerde ist in bezug auf die Nachforderung an zusätzlichem Absatzförderungsbeitrag im Ergebnis im Recht. Die gerügte Verfassungswidrigkeit ist nicht dem Gesetz, sondern dem Vollzug anzulasten.

2.3. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann sohin nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985) nur vorliegen, wenn die Behörde der angewandten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

2.4. Ersteres ist dem angefochtenen Bescheid anzulasten. Gemäß §78 Abs1 MOG entsteht die Beitragsschuld mit der Übernahme der Milch und Erzeugnissen aus Milch sowie mit der Veräußerung an eine andere Person. Gemäß §78 Abs2 MOG gilt als Übernahme der Erwerb der Verfügungsmacht durch den Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb oder für dessen Rechnung.

Aus dieser Bestimmung ergibt sich, daß damit der Zeitpunkt der Entstehung der Abgabenschuld eindeutig bestimmt ist. Auch die belangte Behörde geht im bekämpften Bescheid davon aus, daß der Abgabentatbestand in den betreffenden Wirtschaftsjahren vor der Novelle BGBl. 969/1993 verwirklicht worden ist. Eine Nachforderung eines nicht entrichteten zusätzlichen Absatzförderungsbeitrages kann sich daher ebenso nur auf den Zeitpunkt der Übernahme der Milch beziehen.

Beitragsschuldner für zusätzliche Absatzförderungsbeiträge war bis zur Novelle BGBl. 969/1993 gemäß §79 MOG für Milch und Erzeugnisse aus Milch, die ein Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb übernimmt oder die von diesem gemäß §16 MOG verrechnet werden, derjenige, für dessen Rechnung der Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb geführt wird, sohin der Betriebsinhaber. In §80 Abs6 MOG wurde der Beitragsschuldner zur Überwälzung solcher Beiträge auf die einzelnen Milcherzeuger ermächtigt.

Durch die Novelle BGBl. 969/1993 wurde §79 MOG durch Beifügung eines Absatzes 2 erweitert. Dieser hat folgenden Wortlaut:

"Sofern die Nachforderung oder Rückforderung nicht zumindest teilweise auch auf eine Mitbeteiligung des Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebs zurückzuführen ist, ist nach einer Veranlagung gemäß §80 Abs5 abweichend von Abs1 bei einer Nachforderung des allgemeinen oder zusätzlichen Absatzförderungsbeitrags oder bei einer Rückforderung von Lieferrücknahmeprämien der Milcherzeuger oder sein Rechtsnachfolger Schuldner des Nachforderungs- oder Rückforderungsbetrags. Sind dies mehrere Personen, so sind sie Gesamtschuldner. An jenen Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb oder an jene Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebe, die während des Zeitraums, auf den sich die Nachforderung oder Rückforderung bezieht, hinsichtlich des Milcherzeugers der zuständige Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb war, hat eine Abschrift des Bescheids über die Nachforderung oder Rückforderung zu ergehen."

Die Neuerungen des §79 MOG, die sich für den Beschwerdeführer somit aus der Novelle BGBl. 969/1993 ergeben, liegen darin, daß nunmehr bei Nachforderung eines zusätzlichen Absatzförderungsbeitrages unter der Voraussetzung, daß die Nachforderung nicht zumindest teilweise auch auf eine Mitbeteiligung des Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebes zurückzuführen ist, nicht nur direkt auf den Milcherzeuger als Beitragsschuldner gegriffen werden kann, sondern auch der Rechtsnachfolger (anders als hinsichtlich der Rückforderung von Lieferrücknahmeprämie, wo eine Überwälzung der Beitragsschuld des Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebes auf den Rechtsnachfolger gemäß §73 Abs11 MOG schon vor der Novelle 969/1993 möglich war) als Beitragsschuldner des Nachforderungsbetrages herangezogen werden kann.

Eine Regelung diesen Inhaltes ist an sich verfassungsrechtlich unbedenklich (zur Frage der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des Überganges von Abgabenforderungen vom Rechtsvorgänger auf den Rechtsnachfolger eines Betriebes s. zB VfSlg. 5369/1966).

Der Beschwerdeführer hat jedoch den milcherzeugenden Betrieb vor Inkrafttreten der Bestimmung des §79 Abs2 MOG (nämlich laut Aktenlage während des Wirtschaftsjahres 1991/92) von seinem Rechtsvorgänger übernommen. Erst diese Bestimmung hat die gesetzliche Möglichkeit geschaffen, auch vom Rechtsnachfolger den zusätzlichen Absatzförderungsbeitrag nachzufordern. Der Gesetzgeber hat aber nicht angeordnet, daß diese Bestimmung auch auf Rechtsnachfolger in einem milcherzeugenden Betrieb, die dies vor Inkrafttreten der Novelle BGBl. 969/1993 wurden, anzuwenden ist.

In Hinblick auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zur Gleichheitswidrigkeit rückwirkender Steuergesetze, aber auch zur Rückwirkung in anderen Bereichen der finanziellen Belastung von Normunterworfenen (so zB VfSlg. 12186/1989, 12688/1991, 13020/1992) bedarf es nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes keiner näheren Erläuterung, daß die Belastung des Beschwerdeführers mit der bescheidmäßigen Nachforderung des zusätzlichen Absatzförderungsbeitrages bei Übernahme des milcherzeugenden Betriebes für diesen nicht vorhersehbar war und sohin einen Eingriff von erheblichem Gewicht in seine Rechtsposition darstellt. Da keine besonderen Umstände zu finden sind, die einen derartigen rückwirkenden Eingriff verlangen, hat die belangte Behörde bei Auslegung dieser Bestimmung dieser einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt und somit den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

Der Bescheid war daher hinsichtlich des Spruchpunktes I. aufzuheben.

3. Im Umfang der Zurückweisung war der Antrag, die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten, abzuweisen, weil eine solche Abtretung nur im - hier nicht gegebenen - Fall einer abweisenden Sachentscheidung oder Ablehnung der Behandlung der Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof in Betracht kommt.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite bzw. §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-

enthalten. Barauslagen werden nicht zugesprochen, weil diese bereits im Pauschalsatz enthalten sind.

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