VfGH B286/95,B274/95

VfGHB286/95,B274/95B286/95,B274/9511.10.1995

Keine Stattgabe eines Antrags auf Ausschließung bestimmter Teile des Aktes betreffs Erlassung einer Hochleistungsstreckenverordnung im Bereich des Semmering-Basistunnels von der Akteneinsicht

Normen

ZPO §219
VfGG §20 Abs3
ZPO §219
VfGG §20 Abs3

 

Spruch:

Die Akteneinsicht in den vom Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vorgelegten "Verordnungsakt Zl. 211.601" wird "mit Ausnahme der handschriftlichen behördeninternen Besprechungsnotizen Aktenseite 271 - 294" gewährt.

Die Akteneinsicht in die von der Bundesregierung vorgelegten Verordnungsakten wird mit Ausnahme der Seiten 18 und 19 in Band I sowie der Seiten 8 bis 13 und 65 in Band II des Aktes des Bundesministeriums für öffentliche Wirtschaft und Verkehr Z210.788 gewährt.

Begründung

Begründung

I. 1. Der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr legte auf Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes vom 29. Juni 1995 den Verordnungsakt "Zl. 211.601" sowie die zugehörigen Entwurfsunterlagen "Einreichprojekt für das Anhörungsverfahren im Juli 1990" vor und stellte fest, "daß mit Ausnahme der handschriftlichen behördeninternen Besprechungsnotizen Aktenseite 271 - 294 keine Aktenteile von der Akteneinsicht auszunehmen wären. Allerdings meint das ho. Bundesministerium, daß die legistische Aktengebarung (Verfahren zur Erstellung von Gesetzen und Verordnungen) schon von vornherein nicht unter die Akteneinsichtsbestimmungen des AVG - und des VfGG - fallen; demnach wäre der Trassenverordnungsakt hs. Erachtens von der Akteneinsicht überhaupt ausgenommen."

Ebenfalls legte die Bundesregierung auf Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes vom 29. Juni 1995 die bezughabenden Verordnungsakten vor und führte aus, daß der Akt der Bundesregierung lediglich die Einbringung der Verordnung in den Ministerrat betreffe. Der Vollständigkeit halber werde auch der bezughabende Akt des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr Z210.788 vorgelegt. Zur Frage der Einsicht in den Akt des Bundesministeriums für öffentliche Wirtschaft und Verkehr sei zu bemerken, "daß die auf Z5 und die anderen Ziffern der ersten Hochleistungsstreckenverordnung bezughabenden legistischen Akten im öffentlichen Interesse nicht der Akteneinsicht durch die Beschwerdeführer unterliegen sollten, da sie ausschließlich die interne Entscheidungsvorbereitung für den Verordnungsakt der Bundesregierung betreffen. Sollte der generelle Ausschluß der Akteneinsicht nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes nicht in Betracht kommen, so wird darum ersucht, in Band I die Seiten 18 und 19 sowie in Band II die Seiten 2 bis 28 und 65 bis 74 von der Akteneinsicht auszunehmen, da es sich hier um Aktenvermerke handelt, deren Gegenstand die weitere politische Vorgangsweise sowie die Wiedergabe von Koalitionsvereinbarungen sind."

2. Der Referent des Verfassungsgerichtshofes teilte der Bundesregierung sowie dem Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr mit Schreiben vom 14. September 1995 mit, daß er das Bedenken hegt, daß der von den genannten Behörden begehrten umfassenden Ausschließung der Verordnungsakten im Hinblick auf die ständige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes keine Berechtigung zukommt.

3. In der Stellungnahme vom 22. September 1995 führt der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr aus, daß den bisherigen Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes nicht zu entnehmen sei, ob die legistische Aktengebarung überhaupt unter die Akteneinsicht fallen könne. Wenn auch ein vorgelegter Akt zum Bestandteil der verfassungsgerichtlichen Prozeßakten werde, so ändere dies nicht den generellen Charakter des vorgelegten "Trassenverordnungsaktes Zl. 211.601, auf den sich schon seit seiner Anlegung wohl nicht die für konkrete Verfahren geltende Akteneinsichtsbestimmung des §17 AVG bezieht". Vergleichsweise beziehe sich auch der hier subsidiär geltende §219 ZPO lediglich auf konkrete Parteiprozesse. Demnach läge es im öffentlichen Interesse iSd. §20 Abs3 VerfGG, daß Verordnungsakten, die von der Verwaltungsbehörde stets unter dem maßgeblichen Gesichtspunkt geführt worden sind, von vornherein von einer Akteneinsicht ausgenommen zu sein, weiterhin auch dann von der Akteneinsicht ausgeschlossen bleiben, wenn sie zum Bestandteil verfassungsgerichtlicher Prozeßakten werden.

Die Bundesregierung führte in ihrer Stellungnahme vom 10. Oktober 1995 aus, daß ihr Ersuchen vom 22. August 1995, welches lautete "Sollte der generelle Ausschluß der Akteneinsicht nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes nicht in Betracht kommen, so wird darum ersucht, im Bd. I die S. 18 und 19 sowie im Bd. II die S. 2 bis 28 und 65 bis 74 von der Akteneinsicht auszunehmen ..." dahingehend eingeschränkt wird, daß nunmehr im öffentlichen Interesse im "Bd. I die S. 18 und 19 sowie im Bd. II die S. 8 bis 13 und 65" von der Akteneinsicht auszunehmen seien.

Begründend hebt die Bundesregierung hervor, daß die "vom Ausschluß der Einsichtnahme betroffenen Aktenteile ... großteils zukünftige konkrete wirtschaftspolitische Maßnahmen (Akten Band I, S. 18 und 19) und damit zusammenhängende Überlegungen der politischen Durchsetzbarkeit (Akten Band II, S. 8 bis 13 und 65)" beinhalten.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß §20 Abs3 VerfGG können die Behörden bei Vorlage von Akten an den Verfassungsgerichtshof bekanntgeben, ob und welche Akten oder Aktenteile im öffentlichen Interesse von der sonst den Beteiligten zustehenden Einsicht auszuschließen sind. Erachtet der Referent, daß die von der Behörde mitgeteilte Ausschließung von Akten oder Aktenteilen zu weit geht, so hat er die Behörde über seine Bedenken einzuvernehmen und kann allenfalls einen in nichtöffentlicher Sitzung zu fassenden Beschluß des Gerichtshofes darüber einholen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes wird ein dem Verfassungsgerichtshof vorgelegter Akt, soweit er die anhängige Rechtssache betrifft, zum Bestandteil der verfassungsgerichtlichen Prozeßakten (vgl. VfSlg. 7455/1974, 8941/1980).

Aus §20 Abs3 VerfGG sowie aus §35 Abs1 VerfGG iVm §219 ZPO ergibt sich, daß der Gesetzgeber grundsätzlich vom Recht der Verfahrensparteien zur Einsichtnahme in die verfassungsgerichtlichen Prozeßakten ausgegangen ist. Ausnahmen vom Prinzip der Akteneinsicht sind demnach nur beschränkt zulässig, soweit ein besonders zu begründendes öffentliches Interesse davon besteht, Akten oder Aktenteile von der Einsichtnahme durch Verfahrensbeteiligte auszuschließen.

Von dieser grundsätzlichen Zulässigkeit einer Akteneinsicht sind auch Akten im Zuge der legistischen Aktengebarung, soweit sie Bestandteile der Prozeßakten vor dem Verfassungsgerichtshof werden, nicht ausgeschlossen.

Aus diesen Erwägungen war der vom Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr begehrten Ausschließung der Akten, soweit sie über die "handschriftlichen behördeninternen Besprechungsnotizen Aktenseite 271 - 294" hinausgeht, sowie der von der Bundesregierung begehrten Ausschließung der Akten, soweit sie über Band I die Seiten 18 und 19 sowie Band II die Seiten 8 bis 13 und 65 hinausgeht, nicht stattzugeben.

2. Dieser Beschluß konnte gemäß §20 Abs3 VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

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