Normen
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
Spruch:
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 20. September 1994 wurde die Beschwerdeführerin gemäß §17 Abs2 Z4 und 6 des Fremdengesetzes, BGBl. 838/1992 - die Novellen BGBl. 110/1994, 314/1994 und 505/1994 können hier außer Betracht bleiben - (im folgenden: FrG), ausgewiesen. Zugleich wurde gemäß §17 Abs3 FrG ausgesprochen, daß die Beschwerdeführerin "mit der Erlassung (Zustellung) dieses Bescheides unverzüglich auszureisen" habe. Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 20. September 1994 persönlich übergeben.
Binnen offener Berufungsfrist richtete die Beschwerdeführerin an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich folgende Eingabe:
"Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung
Gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden ... vom 20.09.1994 lege ich hiermit das Rechtsmittel der Berufung ein und begründe dies wie folgt:
Ich bin am 13.09.1994 in Österreich eingereist und stellte am 14.09.1994 einen Antrag auf Gewährung von Asyl, welcher mit Bescheid ... vom 19.09.1994 des Bundesasylamtes Traiskirchen negativ beschieden wurde. Dagegen habe ich fristgerecht Berufung erhoben.
Weiters kann ich sowohl einen ordentlichen Wohnsitz als auch einen gesicherten Lebensunterhalt, der von den Verwandten meines Mannes bestritten wird, nachweisen. Mein Mann hat ebenfalls Aussicht auf eine geregelte Beschäftigung. Für meinen weiteren Aufenthalt müssen daher keine öffentlichen Mittel aufgewendet werden bzw. ist der Schluß nicht zulässig, daß ich durch Begehung strafbarer Handlungen meinen Unterhalt friste.
Ich beantrage daher, mir die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen."
Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich ging davon aus, die Beschwerdeführerin habe ausschließlich einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt und wies diesen Antrag mit Bescheid vom 28. Dezember 1994 zurück.
Begründend wird dazu ausgeführt:
"Von der Erstbehörde wurde die Ausweisung gemäß §17 Abs2 Z4 und 6 erlassen. Diese Umstände wurden von Ihnen nicht dezidiert bekämpft und ist der Bescheid in der Sache in Rechtskraft erwachsen. Sie haben ausschließlich einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eingebracht. §17 Abs3 räumt der Behörde keinen Ermessensbereich ein. Entgegen der gesetzlichen Bestimmung kann Ihnen sohin die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt werden. Eine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist auch im Berufungswege nicht möglich. Ihr Antrag war sohin mangels Statthaftigkeit zurückzuweisen."
2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
3. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich als belangte Behörde dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie den bekämpften Bescheid verteidigt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die belangte Behörde führt im übrigen aus, daß zur behaupteten Anwendung rechtswidriger genereller Normen keine Stellungnahme abgegeben werde.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Aus Anlaß der vorliegenden Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am 28. Juni 1995 beschlossen, gemäß Art140 Abs1 B-VG die Verfassungsmäßigkeit des §17 Abs3 und des zweiten Satzes des §27 Abs3 des FremdenG, BGBl. 838/1992, von Amts wegen zu prüfen.
Mit Erkenntnis vom 1. Dezember 1995, G1306/95, hat der Verfassungsgerichtshof die bezeichneten Gesetzesstellen als verfassungswidrig aufgehoben. Hiebei ging der Gerichtshof davon aus, daß beide Gesetzesstellen präjudiziell seien, da die Beschwerdeführerin in ihrer mit 4. Oktober 1994 datierten Eingabe hinreichend deutlich darlegte, daß sie Berufung gegen die gegen sie ausgesprochene Ausweisung erhebe und damit einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbinde.
2. Die belangte Behörde hat ein verfassungswidriges Gesetz angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, daß seine Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war.
Die Beschwerdeführerin wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10303/1984, 10515/1985).
Der Bescheid war sohin aufzuheben.
3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-
enthalten.
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