VfGH B362/92

VfGHB362/9227.9.1994

Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Festlegung eines Schadenersatzes für Wildschaden aufgrund subjektiver Schadensberechnung im Gegensatz zur gesetzlich geforderten objektiven Schadensberechnung

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
Nö JagdV §50
Nö JagdG 1974 §106
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
Nö JagdV §50
Nö JagdG 1974 §106

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Niederösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden des Beschwerdevertreters die mit 15.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Vorweg ist festzuhalten, daß die aufgrund von Bestimmungen des NÖ Jagdgesetzes 1974, LGBl. 6500-9, erlassene NÖ Jagdverordnung, LGBl. 6500/1-23, im Rahmen der Regelung des Ersatzes forstlicher Wildschäden ("Wildschäden im Walde") Vorschriften über die sogenannte betriebswirtschaftliche Schädigung enthält. Die in dieser Beziehung maßgebenden §§50 Abs3 und 51 Abs1 und 5 haben - in ihrem Zusammenhang wiedergegeben - folgenden Wortlaut:

"§50

(1) Festzustellen ist zunächst, ob Verbiß-, Fege- oder Schälschäden vorliegen und ob Einzelstammschädigungen, Bestandesschädigungen oder betriebswirtschaftliche Schädigungen eingetreten sind.

(2) Eine Bestandesschädigung liegt vor, wenn eine Verminderung der Bestandesstabilität wie durch Ausfall von Mischbaumarten oder eine Verminderung des Bestockungsgrades unterhalb 0,7 der Normalbestockung zu erwarten ist und nicht durch als Teil der Wildschadensentschädigung bewertete waldbauliche Maßnahmen verhindert werden kann.

(3) Eine betriebswirtschaftliche Schädigung liegt vor, wenn bereits 50 % des Bewuchses einer 10jährigen Altersklasse Schäden aufweisen und der Anteil des unbeschädigten Bewuchses dieser Altersklasse durch den Wildschaden noch weiter vermindert wird und wenn diese Verminderung nicht durch als Teil der Wildschadensentschädigung bewertete waldbauliche Maßnahmen behoben werden kann.

...

§51

(1) Sind der Bewertung von Wildschäden nach dieser Verordnung die Entgelte für Lieferungen (z.B. Preise für Forstpflanzen oder Holz) oder sonstige Leistungen (z.B. Fremdarbeiten) zugrundezulegen, ist die auf das Entgelt entfallende Umsatzsteuer

1. unberücksichtigt zu lassen, wenn der Geschädigte mit dem betroffenen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb umsatzsteuerrechtlich der Regelbesteuerung unterliegt,

2. und in allen übrigen Fällen, insbesondere bei land- und forstwirtschaftlicher Umsatzsteuerpauschalierung, als Bestandteil des Entgeltes mitzuberücksichtigen.

...

(4) Bei Bestandesschädigung ist zu dem nach Abs1 ermittelten Schaden ein Zuschlag von 40 % zuzurechnen.

(5) Bei betriebswirtschaftlichen Schädigungen ist zu dem nach Abs1 ermittelten Schaden ein Zuschlag in Höhe von 60 % zuzurechnen."

2. Der Beschwerdeführer machte als Eigentümer zweier Waldgrundstücke der KG Röhrawiesen beim Beteiligten H K als Jagdausübungsberechtigten einen im Jahr 1988 entstandenen Wildschaden geltend, dessen Höhe er mit 12.420 S angab. Die Oberkommission für Jagd- und Wildschäden am Sitze der Bezirkshauptmannschaft Horn entschied über diesen Anspruch auf Schadenersatz nach Einholung eines Amtssachverständigengutachtens mit dem im Instanzenzug erlassenen Bescheid vom 3. August 1990 dahin, daß sie den genannten Jagdausübungsberechtigten zur Zahlung von 2.075 S verpflichtete und das Mehrbegehren abwies.

3. Gegen diesen Bescheid der Oberkommission erhob der Beschwerdeführer Berufung an die Landeskommission für Jagd- und Wildschäden beim Amt der NÖ Landesregierung, in welcher er auch ausführte, daß eine betriebswirtschaftliche Schädigung eingetreten sei.

Die Landeskommission zog im Rechtsmittelverfahren einen Amtssachverständigen heran, der zur behaupteten betriebswirtschaftlichen Schädigung in einem schriftlichen Gutachten vom 24. Mai 1991 folgendes darlegte:

"Hinsichtlich der in der Berufung angeführten betriebswirtschaftlichen Schädigung wird festgestellt, daß sich nach Meinung des Gefertigten die Frage der betriebswirtschaftlichen Schädigung immer nur auf den jeweiligen Eigentümer und dessen Eigentum beziehen kann, nicht jedoch auf einzelne Jagdgebiete. Die Abgeltung für einen betriebswirtschaftlichen Schaden soll ja die Nachteile ausgleichen, die der Eigentümer hat, wenn ihm ein Großteil einer Altersklasse ausfällt und er dadurch gezwungen ist, in seinem Gesamtbetrieb umfangreiche Umstellungen hinsichtlich Nutzung, Betriebsziel etc. durchzuführen. Dies ist im gg. Fall jedoch nicht nötig, da es sich eben nur um einen geringen Teil des Betriebes handelt."

Der Beschwerdeführer äußerte sich zum Gutachten und blieb (nach Vorlage einer selbstverfaßten, gebietsweise gegliederten Aufstellung über Zahl und Hundertsatz der geschädigten Pflanzen einer Altersklasse) auf seinem Standpunkt, daß eine betriebswirtschaftliche Schädigung eingetreten sei.

Die Landeskommission wies mit Bescheid vom 27. Jänner 1992 die Berufung des Beschwerdeführers ab und bestätigte den Bescheid der Vorinstanz. Sie führte zur Begründung nach einer umfassenden Wiedergabe des Sachverständigengutachtens im wesentlichen an, daß das Gutachten schlüssig sei; es ergebe sich daraus, daß bei Betrachtung des Gesamtbetriebes kein betriebswirtschaftlicher Schaden vorliege. §51 Abs5 NÖ JagdV ziele darauf ab, dem Besitzer eines forstlichen Betriebes jenen Schaden zu ersetzen, der dadurch entsteht, daß der Ertrag aus einer Altersklasse um mehr als 50 % gemindert wäre. Es sei jedoch nicht nur auf die Fläche innerhalb eines Jagdgebietes abzustellen, sondern auf jene des Gesamtbetriebes. Um von einem Gesamtbetrieb zu sprechen, müsse nicht nur die Grundeigentümerschaft, wie sie auch das Forstgesetz vorsehe, sondern darüber hinaus eine wirtschaftliche, organisatorische Verbindung zwischen den Grundstücken gegeben sein.

4. Gegen den Bescheid der Landeskommission richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums sowie der Sache nach, nämlich durch den Vorwurf willkürlicher Gesetzeshandhabung, auch des Gleichheitsrechtes geltend macht und die Bescheidaufhebung begehrt.

Die belangte Landeskommission legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde.

II. Die Beschwerde ist im Ergebnis gerechtfertigt.

1.a) Die Regelungen des NÖ JagdG über den Ersatz von Jagd- und Wildschäden sind vom Grundsatz der objektiven Schadensberechnung beherrscht. So bestimmt der unter der Rubrik "Schadensermittlung" stehende §106 NÖ JagdG im Abs1, daß der Schadensberechnung der ortsübliche Marktpreis der beschädigten oder vernichteten Erzeugnisse zugrundezulegen ist und erwähnt im Abs4 - als objektive Maßstäbe - die ordentliche Wirtschaftsführung sowie Vorkehrungen eines ordentlichen Landwirts. Der erwähnte Grundsatz gilt insbesondere für den im Abs5 geregelten - und durch die NÖ JagdV näher bestimmten - Ersatz der "Wildschäden im Walde"; diese sind nach forstwirtschaftlichen Grundsätzen zu bewerten und es ist hiebei "zu berücksichtigen, ob nur Einzelstammschädigung oder bereits Bestandesschädigung oder betriebswirtschaftliche Schädigung eingetreten ist". Auch der - eingangs wiedergegebene - §50 Abs3 der NÖ JagdV, welcher die betriebswirtschaftliche Schädigung umschreibt, bietet keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß eine andere Methode als die der objektiven Schadensberechnung anzuwenden wäre. Wenn die belangte Behörde hingegen auf jenen Nachteil abstellt, welcher sich in Ansehung des forstwirtschaftlichen Betriebes des Beschwerdeführers insgesamt ergab, so bediente sie sich im Ergebnis nicht nur einer dem Gesetz völlig fremden Art der subjektiven Schadensberechnung, sondern verstieß auch gegen den dem NÖ JagdG immanenten (schon aus der Schadenersatzpflicht des Jagdausübungsberechtigten für den Schaden "in seinem Jagdgebiet" (§101 Abs1) abzuleitenden) Grundsatz, daß bei der Schadensermittlung ausschließlich auf die Verhältnisse im konkreten Jagdgebiet abzustellen ist. Dazu kommt, daß sich die Landeskommission bei diesem Vorgehen offenkundig vom eingeholten Sachverständigengutachten leiten ließ, also die Beurteilung einer von ihr zu lösenden Rechtsfrage vollständig dem Sachverständigen überantwortete. Schließlich fällt in diesem Zusammenhang der (von der Beschwerde zwar nicht geltend gemachte, dem Gerichtshof aber aufgrund des Beschwerdeverfahrens B225/91 bekannte) Umstand ins Gewicht, daß die Landeskommission in einem denselben Beschwerdeführer, denselben Beteiligten und dieselben Grundstücke betreffenden Wildschadensfall (nämlich in der Begründung ihres mit 11. Jänner 1991 datierten, den damaligen Beschwerdegegenstand bildenden Bescheides) den (zutreffenden) gegenteiligen Rechtsstandpunkt einnahm und ihn wie folgt begründete:

"Bei der Bemessung dieses Schadens sind dabei jene Flächen zu berücksichtigen, die im Bereich eines Jagdgebietes liegen. Es ist daher nicht vom gesamten im Besitz des Geschädigten befindlichen Wirtschaftsbetrieb auszugehen, sondern von jenen Flächen, auf denen im Bereich des Jagdgebietes die Forstwirtschaft betrieben wird. Dies ergibt sich daraus, daß gemäß der NÖ Jagdverordnung die Bewertung des Schadens im Bereich eines Jagdgebietes geregelt wurde. Die Heranziehung von Waldflächen, die nicht zum betreffenden Jagdgebiet gehören, ist daher nicht möglich."

b) Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß ein als Verletzung des Gleichheitsrechtes zu wertendes willkürliches Verhalten der Behörde nicht nur bei beabsichtigtem Zufügen von Unrecht, sondern auch dann gegeben ist, wenn ihr Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maß mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht oder wenn die Behörde ihre Entscheidung leichtfertig gefällt hat (s. zB VfSlg. 8737/1980). Unterzieht man das vorhin näher geschilderte Vorgehen der Landeskommission in materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Hinsicht einer zusammenschauenden Wertung, so ergibt sich, daß der belangten Behörde Willkür im eben dargestellten Sinn anzulasten ist. Ihr Bescheid ist daher wegen der Verletzung des Beschwerdeführers im Gleichheitsrecht aufzuheben.

Demnach erübrigte es sich, auf das sonstige Beschwerdevorbringen einzugehen.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 2.500 S auf die Umsatzsteuer.

III. Dieses Erkenntnis wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefällt.

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