VfGH V36/92

VfGHV36/9223.3.1993

Aufhebung von Bestimmungen eines Flächenwidmungsplans betreffs Widmung eines Grundstücks als Sonderfläche im Freiland, Schipiste wegen mehr als zehnjähriger widmungsfremder Verwendung

Normen

B-VG Art18 Abs2
Flächenwidmungsplan der Gemeinde Sölden vom 14.07.81
Tir RaumOG §16 Abs5
B-VG Art18 Abs2
Flächenwidmungsplan der Gemeinde Sölden vom 14.07.81
Tir RaumOG §16 Abs5

 

Spruch:

1. Der Flächenwidmungsplan der Gemeinde Sölden vom 14. Juli 1981, genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 11. November 1981, wird, soweit das Grundstück Nr. 2253/2, KG Sölden, als Sonderfläche im Freiland, Schipiste (FSi), gewidmet ist, als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.

2. Die Gemeinde Sölden ist schuldig, der Antragstellerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 15.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstückes Nr. 2253/2 der KG Sölden. Ein Teil dieses an der Ötztaler Bundesstraße gelegenen Grundstückes wurde in dem am 12. Dezember 1981 in Kraft getretenen Flächenwidmungsplan der Gemeinde Sölden als Sonderfläche im Freiland, Schipiste (FSi), gemäß §16 Abs1 lita des Tiroler Raumordnungsgesetzes, wiederverlautbart als Tiroler Raumordnungsgesetz 1984, LGBl. 4 (TROG), ausgewiesen.

Im Antrag wird vorgebracht, anläßlich der Erlassung des Flächenwidmungsplanes im Jahre 1981 sei für die Festsetzung dieser Widmung maßgebend gewesen, eine Talabfahrt vom Söldener Schigebiet bis zur Ötztaler Bundesstraße zu erschließen. "Zwischenzeitlich" bestünden jedoch zwei - näher bezeichnete - mechanisch beschneite Talabfahrten. Aufgrund dessen sei das Grundstück 2253/2 entgegen der vorgesehenen Widmung bis heute niemals als Schipiste genützt worden, zumal durch die nach Erlassung des Flächenwidmungsplanes 1981 neu errichteten beschneiten Talabfahrten die Benützung dieses Grundstücks als Schipiste völlig überflüssig geworden sei.

Nachdem dieses Grundstück seit Erlassung des Flächenwidmungsplanes im Jahre 1981 bis heute, somit seit über 10 Jahren, nicht im geringsten als Schipiste genutzt und einem solchen Verwendungszweck auch nicht zugeführt worden sei, habe die Antragstellerin am 3. März 1992 neuerlich die Aufhebung der Widmung als Sonderfläche beantragt. Obwohl der Gemeinderat gemäß §16 Abs5 TROG hiezu verpflichtet gewesen wäre, sei die Aufhebung der Sonderwidmung mit Gemeinderatsbeschluß vom 21. Mai 1992 abgelehnt worden.

Da die für die Planung bedeutsamen Gegebenheiten sich seit dem Jahre 1981 entscheidend geändert hätten, wäre der Gemeinderat nach §28 TROG zu einer Planänderung verpflichtet gewesen. Da dies nicht geschehen sei, sei die Widmung auch insofern gesetzwidrig.

Die Antragstellerin begehrt daher gemäß Art139 Abs1 B-VG die Aufhebung des am 12. Dezember 1981 in Kraft getretenen Flächenwidmungsplanes der Gemeinde Sölden insoweit, als in dem Plan das Grundstück 2253/2 als Sonderfläche Schipiste ausgewiesen ist.

2. Die Tiroler Landesregierung führt in ihrer Äußerung aus, das Grundstück 2253/2 sei bis heute nicht entsprechend der Widmung als Schipiste verwendet worden. Da die zehnjährige Frist nach §16 Abs5 TROG zudem abgelaufen sei, sehe die Landesregierung von einer weitergehenden Stellungnahme zum Gegenstand ab.

3. In der Äußerung des Gemeinderates von Sölden wird die Behauptung der Antragstellerin, das hier maßgebliche Grundstück werde nicht tatsächlich als Schipiste benützt, als unrichtig bezeichnet. Richtig sei lediglich, daß die über das Grundstück führende Piste im Gegensatz zu zwei anderen Talabfahrten derzeit noch nicht künstlich beschneit werde, auch von der Anlage her (Wegquerungen) nicht so attraktiv sei wie die beiden anderen Talabfahrten und daher in geringerem Ausmaß frequentiert werde. Bei guter Schneelage werde aber auch diese Piste "selbstverständlich benützt".

Seit einigen Jahren - heißt es in der Äußerung des Gemeinderates weiter - sei das Ortszentrum von Sölden in der Wintersaison verkehrsmäßig völlig überlastet. Diese Situation werde duch die in Sölden wohnenden Gäste, welche mit ihrem eigenen Pkw zu den außerhalb des Ortszentrums befindlichen Liften fahren, mitverursacht bzw. verschärft. Nun habe der Gemeinderat insbesondere in den letzten Jahren die Meinung vertreten, daß die hier in Rede stehende, ins Ortszentrum führende Schipiste zur Verbesserung der Situation beitragen könnte, weil die Gäste zur Benützung des Schibusses dann leichter motiviert werden könnten, wenn sie ein Fahrzeug nur in einer Richtung (nämlich aus dem Ort hinaus) benötigten.

Die über das Grundstück der Antragstellerin führende Schipiste sei die einzige ins Ortszentrum führende Talabfahrt. Aus diesem Grund sei auch beabsichtigt, diese Abfahrt in Zukunft durch künstliche Beschneiung und entsprechend komfortable Wegquerungen attraktiver zu gestalten, was aber bisher aus finanziellen Gründen nicht möglich gewesen sei.

Schließlich begehrt der Gemeinderat die Abweisung des Antrages.

4. In weiteren Schriftsätzen haben der Gemeinderat einerseits und die Antragstellerin andererseits die Verwendung des umstrittenen Grundstückes als Schipiste bejaht (Gemeinderat) bzw. verneint (Antragstellerin) und hiefür die Einvernahme von Zeugen "angeboten".

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über den Antrag erwogen:

1. Der Antrag ist zulässig (siehe die mit dem Erkenntnis VfSlg. 9260/1981 begonnene ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur unmittelbaren Anfechtbarkeit von Flächenwidmungsplänen in Tirol durch den Grundeigentümer).

2. Den von den Verfahrensparteien zum Nachweis ihres Vorbringens vorgelegten Unterlagen ist zur Frage der tatsächlichen Benützung des hier in Rede stehenden Grundstückes als Schipiste folgendes zu entnehmen:

a) In einer "ortsplanerischen Stellungnahme" des Architekten Dipl.Ing. Siegfried Zenz vom Februar 1987 an die Gemeinde Sölden heißt es:

"Die GP 2253/2 wurde seinerzeit bei der Erstellung des Flächenwidmungsplanes als Sonderfläche Schipiste ausgewiesen, um eine verbesserte Abfahrt in den Ortsbereich sicherzustellen.

Inzwischen wurde eine beschneite Abfahrt in Richtung Ötztaler Gletscherbahn hergestellt.

Inwieweit die gegenständliche Sonderfläche FSi weiterhin von Bedeutung ist oder nicht, wird in einem gesonderten Gutachten der Sportabteilung im Amt der Tiroler Landesregierung geklärt."

b) Die Abteilung Sport des Amtes der Tiroler Landesregierung gab "nach Besichtigung" am 23. Februar 1987 eine "schitechnische Stellungnahme" ab, in welcher es unter anderem heißt:

"Diese Grundfläche war früher einmal als Skistrecke von der Fraktion Innerwald ins Ortszentrum Sölden und als kleine, ortsnahe Skiübungsfläche bei günstiger Schneelage von einiger Bedeutung. Durch die starke Verbauung entlang der Bundesstraße und die Wegeerschließung, hat diese Skifläche heute ihre Funktion völlig verloren. Die Abfahrtsstrecke von der Bergstation des ESL Innerwald ins Zentrum, kann nur mehr über gefährliche Wegquerungen, oberhalb der westlichen Hauseinfriedungen, entlang des alten 'Kirchsteiges' von sehr geübten und sicheren Skiläufern befahren werden. Die Nutzung der Gp. 2253/2 als Übungsfläche der Skischule ist wegen der geänderten Verhältnisse im Skigebiet Sölden nicht mehr erforderlich."

c) Der Gemeinderat von Sölden hat sich in den vergangenen Jahren wiederholt mit dem Wunsch der Antragstellerin auf Aufhebung der Sonderwidmung ihres Grundstückes befaßt. Nach dem - vom Gemeinderat vorgelegten - Sitzungsprotokoll vom 27. Februar 1987 äußerte ein Mitglied des Gemeinderates den Wunsch, daß dieser "Bereich zur Auflockerung freigehalten werden sollte". In der Sitzung vom 24. April 1987 wurde überdies der Wunsch vorgebracht, "diesen Bereich als Rodelpiste für die Kinder freizuhalten". In einer weiteren Gemeinderatssitzung vom 23. April 1990 sprachen sich die Gemeinderäte dafür aus, "daß der letzte freie Platz im Zentrum auch weiterhin frei bleiben sollte und bei einer eventuellen mechanischen Beschneiung der Waldabfahrt dieser Grundparzelle wieder erhöhte Bedeutung als einzige Schiverbindung ins Zentrum zukommen würde". Am 25. Jänner 1991 nahm ein Gemeinderat in der Sitzung zum (neuerlichen) Wunsch auf Umwidmung Stellung und meinte, daß "nach wie vor die Möglichkeit zur Errichtung einer dritten Schiabfahrt bis ins Tal gegeben ist. Dies umsomehr, als bei der Verbreiterung der Zufahrt Mitterebauerschaft die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden können". Einer Stellungnahme des Ingenieurkonsulenten für Raumplanung und Raumordnung Dipl.Ing. Falch an die Gemeinde Sölden vom 21. Mai 1992 ist schließlich zu entnehmen, daß die im Flächenwidmungsplan ausgewiesene Schipiste "laut Auskunft der Gemeinde" in den vergangenen Jahren von Schifahrern, "wenn auch in geringem Ausmaß", befahren, aber nicht für den Massenschilauf präpariert wurde, da derzeit die notwendige Überquerung der Gemeindestraße ein erhebliches Hindernis darstelle.

3. Nach §16 Abs5 TROG ist auf Antrag des Grundeigentümers die Widmung eines Grundstückes als Sonderfläche aufzuheben, wenn das Grundstück nicht innerhalb von 10 Jahren nach dem Inkrafttreten des Flächenwidmungsplanes einer dem festgelegten Verwendungszweck entsprechenden Verwendung zugeführt wurde. Voraussetzung für die Aufhebung einer Widmung als Sonderfläche ist also das Vorliegen der Tatsache, daß das Grundstück "innerhalb von 10 Jahren" einer "entsprechenden Verwendung nicht zugeführt" worden ist.

Aus allen oben unter 2. angeführten Unterlagen geht übereinstimmend hervor, daß das umstrittene Grundstück zwar hin und wieder von (einzelnen) Schifahrern befahren wird, aber keine Präparierung als Piste erfolgt. Eine stärkere Benutzung scheitert offenkundig schon daran, daß hiefür erhebliche Maßnahmen erforderlich wären, welche die Gemeinde aber bisher nicht in die Wege geleitet hat. Auf einem von den Bergbahnen Sölden herausgegebenen, dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Prospekt mit Panoramakarte ist eine über das hier maßgebliche Grundstück führende Schipiste überhaupt nicht eingezeichnet.

Dies rundet das sich aus den Akten ergebende, eindeutige Gesamtbild (weitere Beweiserhebungen sind bei diesem Ergebnis entbehrlich) ab, wonach das Grundstück 2253/2 zwar im Einzelfall von Schifahrern befahren wird, aber von einer Schipiste (so lautet die Sonderwidmung), deren typische Kennzeichen eine relativ häufige Benützung sowie eine entsprechende Präparierung sind, keine Rede sein kann. Der Verfassungsgerichtshof schließt sich daher der Auffassung der Aufsichtsbehörde an, daß das genannte Grundstück bis heute nicht entsprechend seiner Widmung verwendet worden ist. Es trifft sicherlich zu, daß sich der Gemeinderat dieses Grundstück als "Reserve" für eine zu errichtende Piste sichern will. Die Gemeinde hat aber den in §16 Abs5 TROG festgelegten Zeitraum von (ohnehin) 10 Jahren ungenützt verstreichen lassen.

4. Da das Grundstück Nr. 2253/2, soweit es als Sonderfläche Schipiste gewidmet ist, nicht innerhalb von 10 Jahren nach Inkrafttreten des Flächenwidmungsplanes vom 14. Juli 1981 einer Verwendung als Schipiste zugeführt wurde und der Gemeinderat trotz eines entsprechenden Antrages der Grundeigentümerin die Sonderwidmung nicht aufgehoben hat, ist diese Sonderwidmung gesetzwidrig (geworden) und wegen Verstoßes gegen §16 Abs5 TROG aufzuheben.

Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung beruht auf Art139 Abs5

B-VG.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §61a VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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