Spruch:
Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Oberösterreich ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Handen ihres Vertreters die mit S 15.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist Eigentümerin des Grundstückes Nr. 250/10, KG Waldegg (Linz). Diese Liegenschaft grenzt im Osten an die Verkehrsfläche Wankmüllerhofstraße. Auf dieser Seite des Grundstückes war von den Rechtsvorgängern der beschwerdeführenden Gesellschaft als Eigentümer auf eigene Kosten bereits ein Gehsteig errichtet worden.
Da das hier maßgebliche Grundstück auch auf einer anderen Seite, und zwar durch die Wienerstraße aufgeschlossen wird, wurde der beschwerdeführenden Gesellschaft mit Bescheid des Magistrates der Landeshauptstadt Linz vom 6. Februar 1992 für die - von der Stadtgemeinde vorgenommene - Errichtung des Gehsteiges der vorgelagerten Verkehrsfläche Wienerstraße die Entrichtung eines Beitrages nach §21 des Gesetzes vom 2. April 1976, mit dem eine Bauordnung für Oberösterreich erlassen wird (OÖ Bauordnung - OÖ BauO), LGBl. 35, idF LGBl. 33/1988 vorgeschrieben.
Der dagegen eingebrachten Berufung wurde mit Bescheid des Stadtsenats der Landeshauptstadt Linz vom 6. Juli 1992 keine Folge gegeben. Ebenso keine Folge gab die Oberösterreichische Landesregierung der Vorstellung der beschwerdeführenden Gesellschaft und zwar mit Bescheid vom 23. November 1992.
2. Gegen den Vorstellungsbescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte begehrt wird, Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen dieses Bescheides geäußert werden und in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
3. Die Oberösterreichische Landesregierung und die Landeshauptstadt Linz haben in Schriftsätzen die Abweisung der Beschwerde begehrt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die hier maßgebliche Rechtslage stellt sich im Zusammenhang wie folgt dar:
Der die Überschrift "Beitrag zu den Kosten der Herstellung des Gehsteiges öffentlicher Verkehrsflächen" aufweisende §21 OÖ BauO lautet:
"(1) Wird im Zuge einer öffentlichen Verkehrsfläche ein Gehsteig errichtet, so hat die Gemeinde einen Beitrag zu den ihr erwachsenen Kosten der Herstellung dieses Gehsteiges vorzuschreiben.
(2) Hinsichtlich dieses Beitrages gelten die Bestimmungen des §20 sinngemäß mit folgenden Abweichungen:
a) Anrechenbare Breite des Gehsteiges ist die im Bebauungsplan festgesetzte Gehsteigbreite, wenn der Gehsteig (die Gehsteigbreite) im Bebauungsplan aber nicht gesondert ausgewiesen ist bzw. ein Bebauungsplan nicht besteht, die Breite, in der der Gehsteig tatsächlich errichtet wird, in allen Fällen höchstens aber eine Breite von drei Metern.
b) Den Einheitssatz hat der Gemeinderat durch Verordnung nach den durchschnittlichen Kosten der Herstellung von Gehsteigen in den jeweils ortsüblichen Ausführungen pro Quadratmeter hinsichtlich jeder dieser Ausführungen festzusetzen; der Bemessung der Höhe des Beitrages ist der jeweils in Betracht kommende Einheitssatz zugrunde zu legen.
..."
Der Abs8 des nach dem Einleitungssatz des Abs2 des §21 sinngemäß anzuwendenden §20 OÖ BauO (mit der Überschrift "Beitrag zu den Kosten der Herstellung der Fahrbahn öffentlicher Verkehrsflächen") lautet:
"Wird ein Bauplatz durch mehrere öffentliche Verkehrsflächen aufgeschlossen und hat die Gemeinde bereits mehr als eine dieser Verkehrsflächen errichtet, so ist ein Beitrag nur zu den Kosten der Herstellung jener Fahrbahn zu leisten, für die sich bei der Berechnung nach Abs3 der höchste Beitrag ergibt. Ergeben sich nach dieser Berechnung für zwei oder mehrere Fahrbahnen gleich hohe Beiträge, so ist der Beitrag nur einmal zu entrichten."
2.a) Auf der Basis dieser Rechtslage erfolgte die hier bekämpfte Beitragsvorschreibung, mit der Begründung, es treffe zwar zu, daß dann, wenn ein Bauplatz durch mehrere öffentliche Verkehrsflächen aufgeschlossen sei und die Gemeinde bereits mehr als eine dieser Verkehrsflächen errichtet habe, gemäß §20 Abs8 OÖ BauO ein Beitrag nur zu den Kosten der Herstellung jener Fahrbahn zu leisten sei, für die sich der höchste Beitrag ergebe. §20 Abs8 leg.cit. sei aber im vorliegenden Fall nicht anzuwenden, weil der Gehsteig in der Wankmüllerhofstraße nicht von der Landeshauptstadt Linz (sondern von den Rechtsvorgängern der beschwerdeführenden Gesellschaft) errichtet worden war.
b) In der Beschwerde wird hiezu im wesentlichen vorgebracht, die Auffassung der Behörde habe zur Konsequenz, daß die beschwerdeführende Gesellschaft hinsichtlich der Herstellungskosten des Gehsteiges genauso behandelt werde wie der Eigentümer eines Grundstückes, der keinen der beiden sein Grundstück erschließenden Gehsteige auf eigene Kosten hergestellt hat. Er werde als derjenige, der ohnehin bereits die gesamten Herstellungskosten eines Gehsteiges getragen hat, mit der Vorschreibung eines Beitrages zu den Herstellungskosten eines zweiten Gehsteiges "bestraft".
Mit einem ergänzenden Schriftsatz hat die beschwerdeführende Gesellschaft eine Verpflichtungserklärung vom 23. März 1933 vorgelegt, mit welcher sich die damaligen Grundstückseigentümer für sich und ihre Rechtsnachfolger verpflichten, über (näher bezeichneten, bescheidmäßig ergangenen) Auftrag des Magistrates Linz "den vorgeschriebenen Bürgersteig auf eigene Kosten zu errichten".
3. Das Beschwerdevorbringen ist im Ergebnis gerechtfertigt.
Aus dem - unwidersprochen gebliebenen - Vorbringen dieses Schriftsatzes ergibt sich, daß die von den Rechtsvorgängern der beschwerdeführenden Gesellschaft auf eigene Kosten vorgenommene Errichtung des Gehsteiges im konkreten Fall aufgrund eines Auftrages des Magistrates Linz erfolgt ist. Unter diesen Umständen führt aber die Argumentation der belangten Behörde, §20 Abs8 OÖ BauO sei im vorliegenden Fall nicht anzuwenden, weil die Landeshauptstadt Linz den Gehsteig "Wankmüllerhofstraße" seinerzeit nicht hergestellt habe, zu einem verfassungswidrigen Ergebnis. Dies hätte nämlich zur Konsequenz, daß auch eine über ausdrücklichen behördlichen Auftrag erfolgte Anliegerleistung bei der Beitragsbemessung unberücksichtigt bliebe.
Ein derartiges verfassungswidriges Ergebnis läßt sich durch eine verfassungskonforme Interpretation der Worte "hat die Gemeinde bereits mehr als eine dieser Verkehrsflächen errichtet" in §20 Abs8 OÖ BauO vermeiden. Diese Worte lassen sich nämlich zwangslos dahin interpretieren, daß §20 Abs8 OÖ BauO nicht nur dann zur Anwendung zu kommen hat, wenn die Gemeinde selbst die betreffende Verkehrsfläche errichtet hat, sondern auch dann, wenn dies der Eigentümer über ausdrücklichen, verbindlichen Auftrag der Gemeinde vorgenommen hat.
4. Die belangte Behörde hat, indem sie dies verkannt hat, dem Gesetz fälschlicherweise einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt.
Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde daher durch den angefochtenen, einen Beitrag betreffenden Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt (zur ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu diesem Grundrecht vgl. zB VfSlg. 11501/1987).
Der Bescheid ist somit aufzuheben.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500,-- enthalten.
6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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