VfGH B1120/92

VfGHB1120/926.10.1993

Keine Bedenken der eine Dauer des ordentlichen Zivildienstes von zehn Monaten anordnenden Bestimmung des ZivildienstG im Hinblick auf die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1; Verpflichtung der Kommission zur Zuordnung der Zivildienstplätze zu einer bestimmten Dauer des Zivildienstes nicht nur in Bescheidform sondern wegen der Berührtheit der Rechtssphäre der Zivildienstpflichtigen auch in Verordnungsform; Verletzung im Gleichheitsrecht durch Zuweisung des Beschwerdeführers zur Leistung des ordentlichen Zivildienstes zu einer bestimmten Einrichtung wegen Verkennens der Rechtslage infolge Fehlen einer Verordnung über die Zuordnung der bei dieser Einrichtung bestehenden Zivildienstplätze zu einer bestimmten Dauer des Zivildienstes

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art133 Z4
ZivildienstG §2 Abs1 idF BGBl 675/1991
ZivildienstG §7 Abs2
ZivildienstG §8 Abs1
ZivildienstG §54a
ZivildienstG §54f
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art133 Z4
ZivildienstG §2 Abs1 idF BGBl 675/1991
ZivildienstG §7 Abs2
ZivildienstG §8 Abs1
ZivildienstG §54a
ZivildienstG §54f

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit 15.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Dem (auf Verfassungsstufe stehenden) §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes 1986 - ZDG, BGBl. 679/1986, idF der Novelle BGBl. 675/1991, zufolge kann ein Wehrpflichtiger, der tauglich zum Wehrdienst befunden wurde, unter bestimmten Voraussetzungen erklären, die Wehrpflicht nicht erfüllen zu können. "Er hat nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes Zivildienst zu leisten. Die Dauer des Zivildienstes kann die Dauer des Wehrdienstes übersteigen." (§2 Abs1 vorletzter und letzter Satz ZDG)

Gemäß §4 Abs1 ZDG ist der Zivildienst in Einrichtungen zu leisten, die auf Antrag ihres Rechtsträgers vom Landeshauptmann durch Bescheid als geeignete Träger des Zivildienstes anerkannt sind. Gemäß §4a Abs2 ZDG hat der Landeshauptmann innerhalb von zwei Wochen nach Eintritt der Rechtskraft eine Ausfertigung dieses Anerkennungsbescheides samt den Verwaltungsakten an die Kommission zur Entscheidung nach §54a Abs2 ZDG weiterzuleiten.

§54a ZDG lautet:

"(1) Beim Bundesministerium für Inneres wird eine Kommission mit den in Abs2 angeführten Aufgaben eingerichtet.

(2) Die Kommission hat

1. über die Zuordnung, auf welchen der in §4 a Abs1 Z2 erwähnten Zivildienstplätze auf Grund der in §7 Abs2 und 3 festgelegten Kriterien

  1. a) ein ordentlicher Zivildienst von zehn Monaten oder
  2. b) ein solcher von acht Monaten zu leisten ist

    und

    2. über die Höhe der dem Zivildienstleistenden gemäß §28 Abs3 und 4 zustehenden Abfindung

    zu entscheiden.

(3) Im Verfahren nach Abs2 kommt dem Rechtsträger Parteistellung zu."

Die im §54a Abs2 Z1 ZDG bezogenen Absätze des §7 ZDG haben folgenden Wortlaut:

"(2) Die Dauer des ordentlichen Zivildienstes beträgt, unbeschadet des §5 a Abs5, zehn Monate. Sie beträgt acht Monate, wenn für den Zivildienstpflichtigen auf Grund der Art der von ihm zu erbringenden Dienstleistungen gegenüber den üblicherweise von Zivildienstpflichtigen zu erbringenden Dienstleistungen besondere physische, psychische und arbeitszeitliche Belastungen verbunden sind. Diese werden in der Regel bei der sozialen oder gesundheitlichen Betreuung von Pflegebedürftigen oder kranken Menschen anzunehmen sein.

(3) Eine besondere arbeitszeitliche Belastung ist gegeben, wenn Zivildienstpflichtige bei der Einrichtung regelmäßig zumindest sechsmal innerhalb eines Kalendermonats in der Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr für mindestens sechs Stunden zu Dienstleistungen herangezogen werden."

§54f Abs1 und 2 ZDG bestimmen:

"(1) Die Kommission hat das AVG anzuwenden, soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist.

(2) Die Kommission entscheidet in oberster Instanz. Gegen ihre Bescheide ist die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zulässig."

2. Nachdem der zuständige Landeshauptmann die Einrichtung "Arbeitstrainingszentrum Linz" des Rechtsträgers "Verein Pro mente infirmis" als geeigneten Träger des Zivildienstes mit zwei Zivildienstplätzen anerkannt hatte, entschied die Kommission gemäß §54a ZDG mit Bescheid vom 3. Juni 1992 über die Zuordnung dieser Zivildienstplätze dahin, daß auf ihnen "aufgrund der in §7 Abs2 und 3 ZDG bezeichneten Kriterien ein ordentlicher Zivildienst von zehn Monaten zu leisten" sei. Dieser Bescheid erging ausschließlich an den genannten Rechtsträger.

II. 1. Mit Bescheid vom 6. Juli 1992 wies der Bundesminister für Inneres (BMI) den Beschwerdeführer (dessen Zivildienstpflicht mit Bescheid vom 24. Feber 1992 festgestellt worden war) unter Berufung auf §8 Abs1 iVm §9 Abs1 und 3 ZDG zur Leistung des ordentlichen Zivildienstes dem Arbeitstrainingszentrum Linz (zur Erbringung von Hilfsdiensten bei der Betreuung Behinderter) zu und setzte den Dienstantritt (mit 5. Oktober 1992, 11 Uhr) sowie das Dienstende (mit 31. Juli 1993) fest. In der (formularmäßig vorgegebenen) Begründung ist im wesentlichen angeführt, daß die gemäß §54a ZDG eingerichtete Kommission den betreffenden Zivildienstplatz einem ordentlichen Zivildienst im Ausmaß von zehn Monaten zugeordnet habe sowie daß die vom Beschwerdeführer zu erbringende Dienstleistung seinen Fähigkeiten soweit wie möglich entspreche.

2. Gegen diesen Zuweisungsbescheid des Bundesministers für Inneres richtet sich die vorliegende Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung des Gleichheitsrechtes sowie eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesvorschrift behauptet und die Bescheidaufhebung begehrt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde. Auf die Gegenschrift replizierte sodann der Beschwerdeführer.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das Schwergewicht der Beschwerde liegt auf dem mit eingehender Begründung erhobenen Vorwurf, daß eine die Dauer des (ordentlichen) Wehrdienstes übersteigende Dauer des (ordentlichen) Zivildienstes, nämlich eine solche von zehn Monaten, dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebot widerspreche.

Die gesamte diesbezügliche Beschwerdeargumentation geht aber schon deshalb fehl, weil sie - worauf die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zu Recht hinweist - auf den letzten Satz des als Verfassungsbestimmung erlassenen §2 Abs1 ZDG nicht Bedacht nimmt, der ausdrücklich festlegt, daß die Dauer des Zivildienstes die Dauer des Wehrdienstes übersteigen kann. Dem vom Beschwerdeführer dagegen in seiner Replik erhobenen Einwand, dem Verfassungsgesetzgeber dürfe nicht unterstellt werden, "daß er den einfachen Gesetzgeber durch die Regelung des §2 Abs1 ZDG ermächtigen wollte, eine gleichheitswidrige Regelung in §7 Abs2 ZDG zu normieren", kommt keine Berechtigung zu, weil die Prämisse, daß diese Bestimmung gleichheitswidrig sei, nicht zutrifft. Davon, daß die getroffene Regelung eine exzessiv lange Dauer des Zivildienstes anordnet, kann keine Rede sein.

2.a) Die Bestimmungen des §54a Abs2 Z1, des §54a Abs3 sowie des §54f Abs1 und 2 ZDG schreiben - im Zusammenhang gelesen - vor, daß die nach §54a ZDG eingerichtete Kommission über die Zuordnung der Zivildienstplätze zu einer bestimmten Dauer des ordentlichen Zivildienstes iS des §54a Abs2 Z1 ZDG mit Bescheid zu entscheiden hat (Zuordnungsbescheid). In diesem Verfahren kommt dem §54a Abs3 ZDG zufolge ausschließlich dem Rechtsträger der als geeignetem Träger des Zivildienstes anerkannten Einrichtung (nicht also auch dem Zivildienstpflichtigen) Parteistellung zu. Dem Zivildienstpflichtigen ist es also verwehrt, im Rahmen des Zuordnungsverfahrens sein Interesse daran geltend zu machen, daß die Dauer des von ihm zu leistenden ordentlichen Zivildienstes (acht bzw. zehn Monate) den Kriterien des §7 Abs2 und 3 entsprechend festgesetzt wird. Dieses Ergebnis wird dadurch bekräftigt, daß eine Einschaltung des Zivildienstpflichtigen in das Zuordnungsverfahren wegen des zeitlichen Ablaufes der Vorgänge praktisch kaum möglich wäre.

Der Zivildienstpflichtige kann sein Interesse aber auch nicht anläßlich des Zuweisungsverfahrens (in dem der Zivildienstpflichtige vom Bundesminister für Inneres durch Bescheid einer bestimmten Einrichtung zur Leistung des ordentlichen Zivildienstes zugewiesen wird - vgl. §8 Abs1 ZDG) wahren, weil dessen Gegenstand nicht die Zuordnung des Zivildienstplatzes (auf dem der Betreffende seiner Zivildienstpflicht nachkommen soll) zu einer bestimmten Dauer des ordentlichen Zivildienstes ist. Für diese Auffassung spricht auch der Umstand, daß dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden kann, er hätte gewollt, daß die Entscheidung einer eigens eingerichteten, auf Art133 Z4 B-VG beruhenden "Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag" (um eine solche handelt es sich bei der Kommission nach §54a ZDG (vgl. §54f Abs2 erster Satz sowie §54i ZDG und die dort verwiesenen Bestimmungen)) letztlich durch einen Bescheid des Bundesministers geändert werden könnte.

b) Nun gestaltet aber jene Norm, mit der die in Rede stehende Zuordnung der Zivildienstplätze ausgesprochen wird, nicht bloß die Rechtsposition des Rechtsträgers der Einrichtung, sondern sie tangiert auch die Rechtssphäre all jener Zivildienstpflichtigen, die in der Folge der betreffenden Einrichtung zugewiesen werden, ergibt sich doch die Pflicht, entweder acht oder aber zehn Monate ordentlichen Zivildienst zu leisten, kraft gesetzlicher Anordnung aus eben dieser Norm.

Die Zuordnungsentscheidung ist daher nicht (bloß) eine individuelle, ausschließlich an den Rechtsträger der Einrichtung adressierte Norm, sondern eine von einer Verwaltungsbehörde (die nach §54a ZDG eingerichtete Kommission ist eine solche) zu erlassende generelle Norm. Für eine solche Entscheidung ist von Verfassungs wegen nicht (nur) die Rechtssatztype des Bescheides, sondern (außerdem) jene der Verordnung vorzusehen. (Vgl. die hier maßgebende ständige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, etwa:

zum Begriff der Verordnung im Unterschied zum Bescheid: VfSlg. 3110/1956, 11460/1987, 12574/1990; zur Rechtstypenverfehlung:

VfSlg. 313/1924, 1398/1931, 3820/1960, 3859/1960; zur Frage Bescheid oder Verordnung im Bereich des Kultuswesens: VfSlg. 11624/1988, 11931/1988; VfGH 25.6.1992, G282/91).

Das Gesetz gebietet zwar - wie oben (lita) dargetan wurde -, daß die Kommission dem Rechtsträger der Einrichtung gegenüber die Zuordnung der Zivildienstplätze zu einer bestimmten Dauer des ordentlichen Zivildienstes mit Bescheid verfügt; es verbietet aber nicht ausdrücklich, außerdem den Zivildienstpflichtigen - also einem bloß nach generell bestimmten Merkmalen umschriebenen Personenkreis - gegenüber die Zuordnung mit Verordnung auszusprechen. Art18 Abs2 B-VG ermächtigt die Verwaltungsbehörden (und damit auch die nach §54a ZDG eingerichtete Kommission) ganz allgemein - ohne daß es hiezu einer (zusätzlichen) einfachgesetzlichen Ermächtigung bedürfte -, Durchführungsverordnungen zu erlassen (vgl. zB VfSlg. 11653/1988, S 296; 12780/1991, S 937; zum Recht von Kollegialbehörden iS des Art133 Z4 B-VG, Verordnungen zu erlassen, vgl. VfSlg. 5095/1965 und 5096/1965).

Eine verfassungskonforme Auslegung führt also zum Ergebnis, daß die Kommission verpflichtet ist, ihre Entscheidung über die Zuordnung der Zivildienstplätze nicht nur in Bescheidform, sondern auch in Verordnungsform zu treffen.

c) Voraussetzung dafür, daß der BMI einer Einrichtung Zivildienstpflichtige zuweisen darf, ist dem §4 iVm §4a Abs2, §7 Abs2, §8 Abs1 und §54a Abs2 Z1 ZDG zufolge unter anderem, daß eine Zuordnung der bei ihr bestehenden Zivildienstplätze zu einer bestimmten Dauer des ordentlichen Zivildienstes erfolgt ist; dies - wie ausgeführt - in Form einer Verordnung.

3.a) Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde liegt nicht bloß bei absichtlichem Zufügen von Unrecht vor, sondern auch dann, wenn der Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (vgl. zB VfSlg. 8880/1980, 8957/1980; s. auch VfSlg. 10337/1985, 11436/1987), etwa dann, wenn dem Bescheid die Rechtsgrundlage fehlt.

b) Ein derartiges Verkennen der Rechtslage ist der Behörde im vorliegenden Fall vorzuwerfen.

Sie hat nämlich mit dem angefochtenen Bescheid den Beschwerdeführer zur Leistung des ordentlichen Zivildienstes einer Einrichtung zugewiesen, obgleich die Kommission die in Rede stehende Zuordnung der bei dieser Einrichtung bestehenden Zivildienstplätze zu einer bestimmten Dauer des ordentlichen Zivildienstes noch nicht in Verordnungsform vorgenommen hatte.

Dadurch wurde der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

Der angefochtene Zuweisungsbescheid war sohin aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2.500 S enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

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