VfGH B2070/92

VfGHB2070/9229.11.1993

Keine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung einer Eingabe eines Arztes bezüglich Erbringung von Leistungen aus einem mit einer Gebietskrankenkasse abgeschlossenen Einzelvertrag durch die Paritätische Schiedskommission; keine konkrete Darlegung der behaupteten Streitigkeiten

Normen

B-VG Art83 Abs2
ASVG §344
B-VG Art83 Abs2
ASVG §344

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit einer am 10. November 1991 an die Paritätische Schiedskommission Tirol gerichteten Eingabe brachte der Beschwerdeführer vor, er habe am 1. April 1974 einen Einzelvertrag mit der Tiroler Gebietskrankenkasse abgeschlossen, der im wesentlichen unlimitierte Leistungen im Bereiche der Diagnostik und der physikalischen Therapie vorgesehen habe. Schon bei der ersten Abrechnung habe er feststellen müssen, daß ein Teil der notwendigen Leistungen für die Diagnose bei der Honorarabrechnung keine Berücksichtigung finde. Der Leiter der Verrechnungsstelle habe ihn veranlaßt, solche Leistungen am Krankenschein nicht aufzuzeichnen, dennoch habe er alle erforderlichen Untersuchungen durchgeführt, weil dies nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft geboten gewesen sei. Andere Pflichtkrankenkassen hätten solche Positionen immer schon in der Honorarordnung verankert gehabt. Die Tiroler Gebietskrankenkasse habe dennoch mit der Tiroler Ärztekammer das Labor, das die Hauptgrundlage der modernen medizinischen Versorgung darstelle, "die Laborhonorierung derart herunterlimitiert", daß eine kostendeckende Untersuchung nicht mehr möglich gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe im Vertrauen auf Erklärungen der ärztlichen Leiterin der Verrechnungsstelle seine Praxis in Millionenhöhe eingerichtet, sodaß damit den Patienten alle notwendigen Leistungen hätten erbracht werden können; dies sei ihm aber nur durch Einschießen eigenen Kapitals möglich gewesen. Er habe hiefür mehrere Darlehen aufnehmen und seine Honorare an die Bank abtreten müssen. Die Tiroler Gebietskrankenkasse habe dennoch keine Anstalten gemacht, ordnungsgemäße Voraussetzungen zugunsten der Kranken zu schaffen, die für ihn eine Schadensbehebung bewirkt hätten; sie habe sich demnach durch seine Leistungen unrechtmäßig bereichert. Über das Zustandekommen der sittenwidrigen Honorarabrechnung sei ihm näheres nicht bekannt, da er keinen Einblick in die Verhandlungsprotokolle der Tiroler Ärztekammer mit der Tiroler Gebietskrankenkasse erhalte. Da ihn nun seine Bank auf Rückzahlung der Darlehen dränge, sei er gezwungen, die Paritätische Schiedskommission anzurufen.

Mit dem Begehren auf Erlassung eines Schiedsbescheides wurden insgesamt 108 Punkte "wegen Sittenwidrigkeit von Honorarverträgen, Etablierung kollektiver Übernahmsfahrlässigkeiten, Umgehung von Fürsorgepflichten, Schadenersatz, ungerechtfertigte Bereicherung sowie Schuldlösung" vorgetragen und folgende Anträge gestellt:

"A. Die TGKK ist verpflichtet,vom 1.4.71 bis heute die von mir fuer sie erbrachten Leistungen nach den Tarifen der Arztgruppe zu honorieren,die fuer mich am guenstigsten ist.

B. Die Fallimite sind ab 1.4.74 als ungueltig zu erklaeren und von der TGKK die einbehaltenen Betraege auszuzahlen.

C. Die TGKK ist verpflichtet,ab dem Jahre 1981 sowohl die Limite der Laborleistungen als auch jene der physikalischen Therapie,als auch die Scheinlimite als ungueltig anzusehen, und die Bezahlung anlehnungsweise an die Facharzttarife durchzufuehren.

D. Eine leistungsgerechte Entlohung hat fuer die Vergangenheit ab 1.4.74 mir gegenueber von Seiten der TGKK auf alle Faelle zu erfolgen,mangels irgendwelcher besonderen Regelungen ist der Mindesstandard der Versicherungsanstalt der oesterreichischen Eisenbahnen als Tarifordnung des jeweiligen Abrechnungsjahres heranzuziehen.

E. Die aufgrund ihrer Sittenwidrigkeit beruhenden Vereinbarungen der TGKK mit der Aerztekammer fuer Tirol,als auch die gegen Treu und Glauben abgeschlossenen Vertraege,die den Patienten oder den Einzelarzt im nachhinein benachteiligen,sind gesondert hervorzuheben und fuer unwirksam zu erklaeren.

F. Die den Gleichheitsgrundsaetzen und den Menschenrechtsdeklarationen zuwiderlaufenden Honorarvereinbarungen sind gesondert darzustellen und als unwirksam zu erklaeren. Die Deklarationen garantieren hoechstes Mass an sozialer und gesundheitlicher Versorgung und Schutz vor Zwangsarbeit und inadaequater Arbeitsgegenleistung andererseits.

G. Die TGKK hat auch die durch die sittenwidrigen Vertraege entstandenen Zinsen bei der Hypobank Tirol in dem Umfang ihrer Zahlungsverpflichtung zu bezahlen.

H. Sollten entsprechende Unterlagen zur Abrechnung bei der TGKK nicht mehr vorhanden sein,so moege entschieden werden, dass die Nachberechnung in einer angemessenen Frist anhand der Patientenaufzeichnungen in meiner Praxis(Karteien) zu erfolgen hat.

I. Im Hinblick darauf, dass von mir aufgrund der aufgewendeten Sorgfalt bereits im Jahre 1974 bei fast allen Patienten ohne Kostenersatz von der TGKK zB heute als notwendig erachtete allgemein bekannte Untersuchungen wie der Fettstoffwechsel, der Harnsaeurespiegel und aehnliches vorgenommen wurde,was den seinerzeitigen Vertragsschliessern aufgrund ihrer nicht selbst verschuldeten Uninformiertheit nicht moeglich war zu erkennen,ist doch die heute bekannte wissenschaftliche Einsicht als Maßstab fuer die nachtraegliche Verguetung heranzuziehen, weil die Wertschoepfung meines Tuns,zwar viele Jahre frueher aber umso groesser fuer die Patienten,und damit für die TGKK objektiviert und nachweisbar ist."

Schließlich wurde der Antrag "auf Beistellung einer vollständigen Verfahrenshilfe" gestellt.

2.1. Die Paritätische Schiedskommission wies mit Bescheid vom 24. März 1992 den Antrag des Beschwerdeführers auf Erlassung eines Schiedsbescheides als unzulässig zurück und den Antrag auf Bestellung eines Verfahrenshelfers als unbegründet ab.

2.2. Der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung des Beschwerdeführers gab die Landesberufungskommission für Tirol mit Bescheid vom 11. November 1992 keine Folge.

Begründend wurde in rechtlicher Hinsicht im wesentlichen ausgeführt:

"...

Die Paritätische Schiedskommission ist gemäß §344 Abs1 ASVG nur zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten zuständig, die im rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen. Antragsberechtigt sind hiebei die Parteien des Einzelvertrages.

Einzelverträge werden zwischen den einzelnen Vertragsärzten und den Versicherungsträgern abgeschlossen und inhaltlich durch den jeweiligen Gesamtvertrag bestimmt. Vertragsparteien der Gesamtverträge sind für die Träger der Krankenversicherung der Hauptverband und die örtlich zuständige Ärztekammer. Der Inhalt eines Gesamtvertrages bildet gleichzeitig auch den Inhalt des jeweiligen Einzelvertrages. Die Gesamtverträge haben gemäß §342 Abs1 ASVG unter anderem den Abschluß und die Lösung von Einzelverträgen, die Rechte und Pflichten der Vertragsärzte, wozu insbesondere auch ihre Ansprüche auf Vergütung der ärztlichen Leistungen gehören, sowie die Kündigung, Auflösung und Verlautbarung des Gesamtvertrages zu regeln. Abs2 bestimmt sogar ausdrücklich, daß die Vergütung der vertragsärztlichen Tätigkeit grundsätzlich nach Einzelleistungen zu vereinbaren ist. Diese Vereinbarungen sind in Honorarordnungen zusammenzufassen und bilden dann einen Bestandteil der Gesamtverträge.

Natürlich beziehen sich die Einzelverträge auf den Gesamtvertrag, da diese sich an die Grundsätze des Gesamtvertrages zu halten haben, jedoch ist bei der Beurteilung, ob die Anträge auf den Einzel- oder Gesamtvertrag gerichtet sind, darauf Bedacht zu nehmen, welcher in erster Linie betroffen ist.

Wenn alleine die Begründung für den rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhang mit dem Einzelvertrag ausreichen würde, daß jeder Gesamtvertrag auch Inhalt des Einzelvertrages ist, wäre die Bestimmung über die Zuständigkeit der Landesschiedskommission (§345 a Abs2 Z1 ASVG) überflüssig. Es könnten dann alle Streitigkeiten aus dem Gesamtvertrag auch vor der Paritätischen Schiedskommission geregelt werden.

Da sich die Begehren des Antragstellers vor allem auf den Gesamtvertrag beziehen (Sittenwidrigkeit einzelner Bestimmungen des Gesamtvertrages bzw. deren Unwirksamkeit) und der Einzelvertrag nur als notwendige Konsequenz mitbetroffen ist, handelt es sich im gegenständlichen Fall um eine Streitigkeit aus dem Gesamtvertrag. Aus dem Einzelvertrag ergeben sich zwar bestimmte Ansprüche des Antragstellers, jedoch hängen diese vom Bestehen oder Nichtbestehen der jeweiligen Bestimmung des Gesamtvertrages ab, die der Antragsteller für unwirksam erklären will.

Für die Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Parteien des Gesamtvertrages über die Auslegung und Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages ist gemäß §345 a ASVG die Landesschiedskommission zuständig. Die Legitimation zur Antragstellung an die Landesschiedskommission steht allerdings nicht dem einzelnen Vertragsarzt, sondern ausschließlich den Parteien des Gesamtvertrages zu.

Somit wurden die Anträge infolge Unzuständigkeit der Paritätischen Schiedskommission von dieser zu Recht zurückgewiesen, womit auf die einzelnen Anträge nicht näher einzugehen war.

..."

3. Gegen den Bescheid der Landesberufungskommission für Tirol richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

4. Die Landesberufungskommission für Tirol als belangte Behörde hat die Akten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

5. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

5.1. Der Beschwerdeführer behauptet, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden zu sein, weil die belangte Behörde das Ermittlungsverfahren bezüglich der sachlichen Zuständigkeit der Paritätischen Schiedskommission völlig willkürlich unterlassen habe. Die Behörde sei zur Erhebung der der gegenständlichen Rechtssache zugrundeliegenden Streitigkeiten verpflichtet gewesen, um die Frage ihrer Zuständigkeit entscheiden zu können. Hätte die belangte Behörde Ermittlungen geführt, so hätte sich gezeigt, daß alle jene Argumente des Beschwerdeführers, die die "Fallwerte", die "Landesdurchschnittswerte", den "Umfang und die Sorgfalt der ärztlichen Untersuchung" ansprechen, Zwistigkeiten der Gebietskrankenkasse mit dem Beschwerdeführer aus dem Einzelvertrag betreffen, woraus sich die sachliche Zuständigkeit der Paritätischen Schiedskommission ergeben hätte.

5.2. Die Paritätische Schiedskommission hat den Antrag des Beschwerdeführers zurückgewiesen und ihm damit eine Sachentscheidung verweigert. Die belangte Behörde hat der dagegen erhobenen Berufung keine Folge gegeben und ausgesagt, daß die Anträge des Beschwerdeführers von der Paritätischen Schiedskommission zu Recht zurückgewiesen worden seien.

Hätte die Behörde damit eine Sachentscheidung zu Unrecht verweigert, dann wäre der Beschwerdeführer tatsächlich im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Der belangten Behörde kann jedoch nicht entgegengetreten werden.

§344 Abs1 ASVG lautet:

"(1) Zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen, ist im Einzelfall in jedem Land eine Paritätische Schiedskommission zu errichten. Antragsberechtigt im Verfahren vor dieser Behörde sind die Parteien des Einzelvertrages."

Die Paritätische Schiedskommission ist für solche Rechtsstreitigkeiten zuständig, die in einem rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhang mit einem Einzelvertrag stehen. Im Antrag der Partei ist dies darzulegen.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers läßt nicht erkennen, worüber eine Streitigkeit aus dem Einzelvertrag zwischen dem Beschwerdeführer und der Gebietskrankenkasse konkret besteht. Der Beschwerdeführer selbst hat es unterlassen, näheres hiezu aufzuzeigen. Dies wird deutlich aus dem Beschwerdevorwurf, die belangte Behörde sei "zur Ermittlung der der gegenständlichen Rechtssache zugrunde liegenden Streitigkeiten verpflichtet" gewesen. Tatsächlich geht aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers lediglich hervor, daß er das Honorierungssystem der Gebietskrankenkasse in nicht näher bestimmten Punkten für sittenwidrig hält; damit wird aber nur deutlich, daß es dem Beschwerdeführer um eine Änderung des Abrechnungssystems geht. Da das Vorbringen in seiner Gesamtheit unbestimmt war und ein konkretes Begehren fehlte, lag der Behörde erster Instanz kein zur geschäftsordnungsgemäßen Behandlung tauglicher Antrag vor. Die Zurückweisung des Antrages der Behörde erster Instanz und die Bestätigung durch die Berufungsbehörde sind daher zu Recht erfolgt.

Der vom Beschwerdeführer erhobene Vorwurf, der angefochtene Bescheid verletze ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, trifft somit nicht zu. Damit ist es auch nicht möglich, daß der angefochtene Bescheid den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit verletzt.

6. Das Verfahren hat somit nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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