VfGH G338/91

VfGHG338/912.10.1992

Aufhebung von die Errichtung von Zweitpraxen durch Fachärzte an Bedarfsprüfungen bindenden Vorschriften des ÄrzteG; Verletzung des Rechts auf Erwerbsausübungsfreiheit

Normen

StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
ÄrzteG §19 Abs3 und Abs4
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
ÄrzteG §19 Abs3 und Abs4

 

Spruch:

Die Worte "bzw. der Facharzt" im ersten Satz des §19 Abs3 des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1984 - ÄrzteG), Anlage zur Kundmachung des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz vom 14. September 1984, BGBl. Nr. 373/1984, mit der das Ärztegesetz wiederverlautbart wird, sowie die Worte "oder ein Facharzt" im ersten Satz und die Worte "oder fachärztliche" im zweiten Satz des §19 Abs4 des Ärztegesetzes 1984 idF BGBl. Nr. 314/1987 werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Aus Anlaß einer bei ihm anhängigen Beschwerde stellt der Verwaltungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG den Antrag, im ersten Satz des §19 Abs3 des Ärztegesetzes 1984 die Worte "bzw. der Facharzt", ferner im ersten Satz des §19 Abs4 leg.cit. die Worte "oder ein Facharzt" sowie im zweiten Satz dieser Gesetzesstelle die Worte "oder fachärztliche" als verfassungswidrig aufzuheben.

2. §19 des Ärztegesetzes 1984 - die angefochtenen Wortfolgen sind hervorgehoben - hat folgenden Wortlaut:

"Berufssitz

§19. (1) Jeder Arzt hat nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes das Recht, seinen Beruf im ganzen Bundesgebiet auszuüben.

(2) Der praktische Arzt oder Facharzt, der seinen Beruf als freien Beruf auszuüben beabsichtigt, hat anläßlich der Anmeldung bei der Österreichischen Ärztekammer (§11) frei seinen Berufssitz zu bestimmen. Berufssitz ist der Ort, an dem sich die Ordinationsstätte befindet, in der und von der aus der praktische Arzt bzw. der Facharzt seine freiberufliche Tätigkeit ausübt.

(3) Der praktische Arzt bzw. der Facharzt darf grundsätzlich nur einen Berufssitz haben. Die freiberufliche Ausübung des ärztlichen Berufes ohne bestimmten Berufssitz (Wanderpraxis) ist verboten.

(4) Ein praktischer Arzt oder ein Facharzt, der seine freiberufliche Tätigkeit regelmäßig wiederkehrend an bestimmten Wochentagen oder für eine kalendermäßig bestimmte Zeitdauer auch an einem zweiten Berufssitz auszuüben beabsichtigt, bedarf hiezu einer Bewilligung der Österreichischen Ärztekammer. Eine solche Bewilligung ist zu erteilen, wenn eine ausreichende allgemeinärztliche oder fachärztliche Betreuung der Bevölkerung in dem für den zweiten Berufssitz in Aussicht genommenen Ort und dessen Einzugsgebiet nicht gewährleistet ist. Die Bewilligung ist zurückzunehmen, wenn der für ihre Erteilung maßgebend gewesene Bedarf nicht mehr besteht. Gegen den Bescheid der Österreichischen Ärztekammer steht die Berufung an den Landeshauptmann offen, in dessen Bereich die Tätigkeit ausgeübt werden soll bzw. ausgeübt worden ist. Die Tätigkeit in einer Einrichtung zur Beratung der Schwangeren und Mütter von Säuglingen und Kleinkindern (Mutterberatungsstelle) im Sinne des §1 des Jugendwohlfahrtsgesetzes, BGBl. Nr. 99/1954, im Rahmen der betriebsärztlichen Betreuung gemäß §§22 ff des Arbeitnehmerschutzgesetzes sowie in einer nach den Bestimmungen des Familienberatungsförderungsgesetzes, BGBl. Nr. 80/1974, geförderten Beratungsstelle bedarf keiner Bewilligung."

3. Zur Zulässigkeit seines Antrages führt der Verwaltungsgerichtshof im wesentlichen aus, daß mit der an ihn gerichteten Beschwerde ein Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 17. Mai 1991 bekämpft werde, mit dem im Instanzenzug ein Ansuchen der Beschwerdeführerin "um Bewilligung eines zweiten Berufssitzes als Facharzt für Innere Medizin (Kardiologie) ... neben ihrem ständigen Berufssitz" gemäß §19 Abs4 des Ärztegesetzes 1984 "mangels Bedarfes abgelehnt" worden sei. Damit habe die den Bescheid erlassende Behörde den ersten und zweiten Satz des §19 Abs4 des Ärztegesetzes 1984 als Grundlage für die Abweisung herangezogen und dabei offensichtlich aus dem im dritten Satz dieser Gesetzesstelle verwendeten Begriff "Bedarf" abgeleitet, daß die Bewilligungsvoraussetzungen nach dem zweiten Satz als "Bedarf" nach dem beantragten zweiten Berufssitz umschrieben werden können. Der erste und zweite Satz des §19 Abs4 leg.cit. seien daher insoweit präjudiziell, als sie die Bewilligung eines zweiten Berufssitzes für einen Facharzt regeln. Darüber hinaus sei auch die Vorschrift des ersten Satzes des §19 Abs3 des Ärztegesetzes 1984, soweit sie sich auf Fachärzte beziehe, im Beschwerdefall präjudiziell, weil das Erfordernis einer Bewilligung für einen zweiten Berufssitz im Sinne des Abs4 dieser Gesetzesstelle ohne die gesetzliche Anordnung, daß der Facharzt grundsätzlich nur einen Berufssitz haben dürfe, entbehrlich wäre. Zwischen den in Rede stehenden Bestimmungen der Abs3 und 4 des §19 des Ärztegesetzes 1984 bestehe daher ein untrennbarer rechtlicher und sachlicher Zusammenhang.

Gegen die angefochtenen Gesetzesstellen macht der Verwaltungsgerichtshof - nach Darstellung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsfreiheit gemäß Art6 StGG - folgende Bedenken geltend:

"Der Verfassungsgerichtshof hat ... am 12. Oktober 1990, zu Zl. B458/90-11, gemäß Art140 Abs1 B-VG beschlossen, u.a. §3a Abs2 lita des Tiroler Krankenanstaltengesetzes, LGBl. Nr. 5/1958, in der Fassung des LGBl. Nr. 31/1988, wonach die Bewilligung für die Errichtung einer Krankenanstalt zu erteilen ist, wenn ein Bedarf nach einer Krankenanstalt der vorgesehenen Art gegeben ist, von Amts wegen zu prüfen.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes gegen die Regelung des präjudiziellen Teiles des §19 Abs3 erster Satz des Ärztegesetzes werden auf dem Boden der wiedergegebenen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes damit begründet, daß dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht entnommen werden kann, daß das für einen Facharzt geltende, als Eingriff in die verfassungsgesetzlich gewährleistete Erwerbsausübungsfreiheit zu qualifizierende Verbot eines zweiten Berufssitzes im Hinblick auf die in diesem Zusammenhang allein beachtlichen öffentlichen Interessen deshalb geschaffen worden ist, weil zu befürchten ist, daß sich der Facharzt im Falle eines zweiten Berufssitzes seinen Patienten nicht in ausreichendem Maße widmen und somit qualitative Mängel in der ärztlichen Betreuung durch einen solchen Facharzt auftreten könnten. Derartige Befürchtungen erscheinen dem Verwaltungsgerichtshof im übrigen nicht nur im allgemeinen, sondern insbesondere gerade im Beschwerdefall weder hinsichtlich des bisherigen noch des beantragten weiteren Berufssitzes für sachlich begründet, zumal die Beschwerdeführerin entsprechend ihrem diesbezüglichen Ansuchen vom 26. Juni 1990 ohnedies nur an einem Tag der Woche für die Dauer von zwei Stunden als Facharzt für Innere Medizin 'mit dem Additivfacharzt für Kardiologie' tätig sein will. Es ist daher auch nicht einzusehen, daß - im Sinne der erwähnten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes - öffentliche Interessen vorliegen, die es gebieten, daß ein Facharzt, welcher seine freiberufliche Tätigkeit regelmäßig wiederkehrend an bestimmten Wochentagen oder für eine kalendermäßig bestimmte Zeitdauer auch an einem zweiten Berufssitz ausüben will, einer Bewilligung bedarf, die nur im Falle eines diesbezüglichen Bedarfes erteilt werden darf. Das Ziel der im Beschwerdefall präjudiziellen Bestimmungen scheint mangels gegenteiliger gesetzlicher Anhaltspunkte vielmehr darin zu liegen, Fachärzte so lange vor Konkurrenz zu schützen, bis die fachärztliche Betreuung der Bevölkerung in dem betreffenden Bereich nicht mehr gewährleistet ist und sohin von der Tätigkeit eines weiteren einschlägigen Facharztes keine wirtschaftlichen Einbußen auf seiten der etablierten Fachärzte zu erwarten sind. Derartige Erwägungen hält der Verwaltungsgerichtshof allerdings unter dem Gesichtspunkt der nach den aufgezeigten Kriterien zu beurteilenden Erwerbsausübungsfreiheit nicht für sachlich gerechtfertigt, zumal dem an einem zweiten Berufssitz Interessierten im Sinne der wiedergegebenen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes keine Alternativen zur Verfügung stehen, das angestrebte Ziel in einer die Erwerbsausübungsfreiheit weniger einschränkenden Weise zu erreichen. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes bestehen daher verfassungsrechtliche Bedenken gegen die im Spruch genannten bundesgesetzlichen Bestimmungen, weshalb der Antrag gestellt wird, diese wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben."

4.1. Die Bundesregierung hat im Gesetzesprüfungsverfahren bekanntgegeben, daß sie im Hinblick auf die vom Verwaltungsgerichtshof zitierte jüngere Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu Art6 StGG von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand nimmt.

4.2. Über Einladung des Verfassungsgerichtshofes hat die Österreichische Ärztekammer folgende Stellungnahme abgegeben:

"Den folgenden rechtlichen Erwägungen sei nun die Feststellung vorangestellt, daß kein bzw. nur ein sehr bescheidener Eingriff in das Recht der Erwerbsausübungsfreiheit durch §19 Abs3 und 4 Ärztegesetz bewirkt wird. Dies deshalb, da die Wahl des Hauptberufssitzes völlig frei ist (im Gegensatz z.B. zur als verfassungskonform anerkannten Apothekenregelung). Nur die Wahl des zweiten Berufssitzes - die Bezeichnung zeigt schon die zeitliche und wirtschaftliche Nachrangigkeit gegenüber dem Hauptberufssitz - ist an eine Bedarfsfeststellung gebunden.

Der Verwaltungsgerichtshof unterstellt nun den in Diskussion stehenden Bestimmungen (§19 Abs3 und 4 Ärztegesetz) von vornherein ausschließlich den Sinn eines Konkurrenzschutzes für die, im Bereich der geplanten Zweitordinationen bereits niedergelassenen Fachärzte und sieht für den am zweiten Berufssitz Interessierten keine Alternative, das angestrebte Ziel 'in einer die Erwerbsausübungsfreiheit weniger einschränkenden Weise' zu erreichen.

Die rechtliche Begründung für die angefochtenen Bestimmungen ist hingegen eine andere.

...

Die Bestimmung war und ist eine eindeutige Schutzbestimmung für die Bevölkerung, um eine optimale und flächendeckende gesundheitliche Versorgung zu gewährleisten. (Besonders anschaulich an dem Verbot der Wanderpraxis, das seinerzeit ausdrücklich formuliert war und sich jetzt im §19 Abs3 Ärztegesetz wiederfindet). Diesem Versorgungsziel dienend, mögen auch Konkurrenzschutzüberlegungen eine Rolle gespielt haben und weiter spielen.

...

Es ist unbestrittenes, öffentliches Interesse, die Bevölkerung sowohl in Ballungszentren, als auch außerhalb qualitativ hochstehend ärztlich zu versorgen; das erfordert die Installation eines flächendeckenden Systems niedergelassener Ärzte. Teil dieses im öffentlichen Interesse liegenden Versorgungssystems ist das Kassenarztsystem aufgrund der Sozialgesetze. Dabei werden öffentliche Mittel zur Versorgung mit Krankheits- und Gesundheitsleistungen im Rahmen des Zweckmäßigen und Notwendigen eingesetzt.

Da die ambulante ärztliche Versorgung der Bevölkerung überwiegend durch Kassenärzte erfolgt (laut kürzlicher Aussendung des Nachrichtendienstes des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, Nr. 885 vom 30. Juni 1992 sind 96,5 % der österreichischen Wohnbevölkerung in der sozialen Krankenversicherung versichert bzw. anspruchsberechtigt), in diesem Bereich alles andere als ein freier Markt herrscht, die Leistungserbringung vielmehr durch exakte Honorartarifbestimmungen eingeengt, limitiert und determiniert ist, muß es natürlich Steuerungsmechanismen wie eine Bedarfsplanung in Form von Stellenplänen geben.

Diese sollen andererseits nicht - über die Niederlassungsfreiheit als Privatarzt in einer ersten Ordination hinaus - aufgeweicht werden, indem sich jeder Arzt privatärztlich auch noch in beliebigen weiteren Ordinationen niederlassen kann, zumal die wahlärztliche Versorgung ohnedies immer mehr zunimmt, was sich in den gesteigerten Kostenerstattungsaufwendungen der sozialen Krankenversicherung für wahlärztliche Hilfe niederschlägt. Eine Zunahme dieser privatärztlichen - wahlärztlichen Versorgung geht zu Lasten der Kassenärzte.

Die Existenzgrundlage eines niedergelassenen Arztes ist bis auf wenige Ausnahmefälle ident mit der Zuerkennung von Kassenverträgen. Diese Zuerkennung erfolgt mit dem Ziel einer regional ausreichenden Versorgung nach einem fixierten Planstellensystem.

Planstellen werden bei Bedarf im Einvernehmen zwischen Ärztekammer und Krankenkasse geschaffen, d.h. das kassenärztliche Versorgungssystem baut auf dem Prinzip des Hauptberufssitzes des Arztes auf, wie es auch in den angefochtenen Bestimmungen des Ärztegesetzes zum Ausdruck kommt.

Eine danebenstehende ungeregelte Möglichkeit weiterer Berufssitze macht die Vollziehung des Kassenarztsystems unmöglich. (Abgesehen von den Folgekosten, die den Einsatz der öffentlichen Mittel nicht mehr berechenbar machen würden.)

Auch der Verwaltungsgerichtshof bestreitet offensichtlich nicht das öffentliche Interesse an der bestehenden ärztegesetzlichen Regelung.

...

Die Regelung über die Erst- und Zweitordinationen sind geeignet, das öffentlich rechtliche Ziel einer geordneten flächendeckenden Versorgung zu erreichen.

Es ist bekannt, daß die technischen und personellen Anforderungen an eine Arztpraxis steigen, was wiederum sowohl für den eine Erst- oder eine Zweitordination führenden Arzt ein hohes Investitionsvolumen bedingt. Das daraus fließende unternehmerische Risiko ist deshalb besonders groß, weil der Arzt als Kassenarzt keine freie Tarifgestaltung hat, sondern zu Sozialtarifen und eingeschränkt auf das Notwendige und Zweckmäßige agieren muß, d.h. er kann nicht über seine Preisgestaltung die wirtschaftliche Situation verbessern und somit das Risiko verringern.

Die Einschränkung auf einen zweiten Berufssitz bzw. den Bedarf dient also zur Sicherung der ärztlichen Grundversorgung durch mit ersten Berufssitz niedergelassene Ärzte. Andererseits ist auf die Gefahr hinzuweisen, daß der mehrere Ordinationen führende Arzt (z.B. aus wirtschaftlichen Gründen oder wegen langer Fahrtzeiten) seinen Versorgungsauftrag am ersten Berufssitz zugunsten der weiteren Ordinationen vernachläßigt. ... Zweck und Rechtfertigung der Berufssitzeinschränkungen ist also die Sicherung der Qualität der ärztlichen Versorgung.

Es sind die bestehenden Regelungen aber auch deshalb geeignet das geplante Ziel zu erreichen, weil die Wahl des ersten Berufssitzes ohnedies frei ist und nur die Wahl des zweiten Berufssitzes an den Bedarf gebunden ist. Von einer drastischen Einschränkung des Prinzips der Freiheit der Erwerbsausübung kann schon deshalb nicht gesprochen werden.

...

Die Regelungen des §19 Abs3 und 4 Ärztegesetz sind aber auch adäquat ...

... Die Rechtsprechung sieht ... vor, daß es für den Gesetzgeber (und nicht für den am zweiten Berufssitz Interessierten) keine das Grundrecht weniger einschränkende Alternative gibt. Genau dies ist hier der Fall. Die (einzige) Alternative wäre es nämlich, die Zahl der Berufssitze völlig frei zu stellen, eine einschränkende Methode, die nicht auf den Bedarf abstellt, ist nicht denkbar.

...

Es geht nicht um ungerechtfertigten Konkurrenzschutz im Verhältnis privater, erwerbswirtschaftlich geführter Ärzteniederlassungen, sondern um eine sachlich gerechtfertigte Einschränkung bei der Gründung von Zweitberufssitzen zur Sicherung der Versorgung mittels der Hauptberufssitze.

Eine unkontrollierte Vermehrung von Zweitordinationen könnte sich bis zur Existenzgefährdung auswirken. Daher müßte auch zur Aufrechterhaltung einer ambulanten ärztlichen Basisversorgung eine Bedarfsprüfung verfassungskonform sein, nicht zuletzt deshalb, da ärztliche Ordinationen bis dato ihre Leistungen nicht zu marktwirtschaftlich kalkulierten Preisen anbieten können, sondern den allergrößten Teil des Umsatzes aus Sozialtarifen schöpfen. Dies ist deshalb besonders wichtig festzuhalten, da der Verfassungsgerichtshof im Ambulatoriumserkenntnis immer auf 'private erwerbswirtschaftlich geführte Krankenanstalten' verweist, denen er keinen Konkurrenzschutz zubilligt.

Das bestehende öffentliche Interesse an der bestmöglichen Versorgung der Bevölkerung mit ärztlichen Leistungen, das Sozialversicherungssystem mit seinem auf Planstellen abgestellten flächendeckenden Versorgungssystem zu Sozialtarifen und letztlich auch ein unbestritten darauf resultierender notwendiger Konkurrenzschutz (der zur Führung der Erstniederlassungen angesichts der Sozialtarife wirtschaftlich notwendig ist), sind unserer Auffassung nach ausreichend Rechtfertigungen für die Bestimmungen des §19 Abs3 und 4 Ärztegesetz."

5. Der Verfassungsgerichtshof hat - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - erwogen:

5.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag im Sinne des Art140 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es ausgeschlossen (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 7999/1977, 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987). Dies trifft im vorliegenden Fall offenkundig nicht zu.

Da auch den sonstigen Erfordernissen des §62 Abs1 zweiter Satz VerfGG 1953 entsprochen ist, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

5.2. Der Antrag ist auch begründet.

Durch §19 Abs3 des Ärztegesetzes 1984 wird aufgrund der angegriffenen Wortfolge für Fachärzte angeordnet, daß sie grundsätzlich nur einen Berufssitz haben dürfen, und weiters bestimmt, daß die freiberufliche Ausübung des ärztlichen Berufes ohne bestimmten Berufssitz (Wanderpraxis) verboten ist. Eine freiberufliche Tätigkeit durch einen Facharzt an einem zweiten Berufssitz bedarf gemäß §19 Abs4 leg.cit. einer Bewilligung der Österreichischen Ärztekammer, die (nur) dann zu erteilen ist, wenn eine ausreichende fachärztliche Betreuung der Bevölkerung in dem für den zweiten Berufssitz in Aussicht genommenen Ort und dessen Einzugsgebiet nicht gewährleistet ist, und die zurückzunehmen ist, wenn der für die Erteilung vorausgesetzte Bedarf nicht mehr besteht.

Die angefochtenen Bestimmungen beschränken sohin Fachärzte hinsichtlich der Zahl der Berufssitze und greifen insofern in das Recht auf freie Berufsausübung ein.

Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10718/1985, 11558/1987, 12094/1989) ist eine gesetzliche Regelung, die die Erwerbsfreiheit beschränkt, nur zulässig, wenn sie durch das öffentliche Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet, dieser adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen ist. Auch gesetzliche Regelungen, die - wie die in Prüfung stehende - bloß die Berufsausübung beschränken, sind auf ihre Übereinstimmung mit der verfassungsgesetzlich verbürgten Erwerbsfreiheit zu überprüfen und müssen dementsprechend durch ein öffentliches Interesse bestimmt und auch sonst sachlich gerechtfertigt sein.

Wenn die die Berufsausübung beschränkende Regelung - im Sinne der oben genannten Entscheidungen - durch ein öffentliches Interesse sachlich gerechtfertigt sein muß, so bedeutet das, daß Ausübungsregelungen bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffes und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe verhältnismäßig sein müssen. Es steht jedoch dem Gesetzgeber bei Regelung der Berufsausübung ein größerer rechtspolitischer Gestaltungsspielraum offen als bei Regelungen, die den Zugang zu einem Beruf (den Erwerbsantritt) beschränken, weil und insoweit durch solche der Eingriff in die verfassungsgesetzlich geschützte Rechtssphäre weniger gravierend ist, als durch Vorschriften, die den Zugang zum Beruf überhaupt behindern.

Der Verfassungsgerichtshof ist mit der Österreichischen Ärztekammer der Auffassung, daß ein öffentliches Interesse an einer flächendeckenden, qualifizierten (fach-)ärztlichen Versorgung der Bevölkerung zu bejahen ist (vgl. bereits VfGH 7.3.1992 G198,200/90 ua.). Die Eignung und die Adäquanz der in Prüfung gezogenen Bestimmungen, dieses Ziel zu erreichen, sind jedoch aus folgenden Gründen zu verneinen:

Ungeachtet der angefochtenen Bestimmungen hat jeder Arzt, also auch der Facharzt, das Recht, seinen Beruf im ganzen Bundesgebiet frei auszuüben. Er ist lediglich verpflichtet, die beabsichtigte Aufnahme einer freiberuflichen Betätigung der Österreichischen Ärztekammer zu melden und dabei seinen Berufssitz zu bestimmen (§19 Abs2 des Ärztegesetzes 1984). Das Ärztegesetz 1984 enthält demgegenüber keine Bestimmung darüber, daß den Arzt an seinem Berufssitz eine Residenzpflicht (Betriebspflicht) trifft. Der Gesetzgeber überläßt es vielmehr dem Arzt, wann und wie oft er am Berufssitz ordiniert; insbesondere findet sich auch keine Bestimmung, die ihn - in zeitlicher Hinsicht - verpflichtet, am Ort seines Berufssitzes und dessen Einzugsgebietes eine ausreichende (fach-)ärztliche Betreuung, ja nicht einmal ein Mindestmaß an (fach-)ärztlicher Versorgung zu gewährleisten. Nach §11 Abs8 Z3 leg.cit. ist selbst eine Einstellung der Berufsausübung der Österreichischen Ärztekammer nur dann zu melden, wenn sie voraussichtlich drei Monate übersteigt. Eine Pflicht zur Berufsausübung besteht nur bei drohender Lebensgefahr; in diesem Falle hat der Arzt - an welchem Ort auch immer - Erste Hilfe zu leisten (§21 des Ärztegesetzes 1984). In diesem Zusammenhang unerörtert zu bleiben hatte, ob und inwieweit der Gesetzgeber an sich legitimiert wäre, Vorschriften zu erlassen, die einen freiberuflich tätigen Arzt zu einem näher bestimmten Ausmaß beruflicher Tätigkeit verpflichten.

Auch den in Prüfung gezogenen Regelungen kann nur entnommen werden, daß eine Zweitordination in Orten, in denen die (fach-)ärztliche Versorgung nicht gesichert ist, errichtet werden darf. Weder aus diesen noch aus einer anderen Bestimmung ergibt sich aber, daß freiberuflich tätige Ärzte ein Versorgungsauftrag, die (fach-)ärztliche Betreuung der Bevölkerung sicherzustellen, trifft. Aus §24 sowie §21 des Ärztegesetzes 1984 ergibt sich, daß für freipraktizierende Ärzte nach dem Ärztegesetz 1984 keine Verpflichtung zur Übernahme einer Krankenbehandlung besteht - es sei denn, es handelt sich um den Fall einer drohenden Lebensgefahr für den Patienten. Auch die Sozialversicherungsgesetze enthalten lediglich Bestimmungen, wonach die Träger der Sozialversicherung durch die mit freiberuflich tätigen Ärzten privatrechtlich abzuschließenden Verträge die ärztliche Versorgung - und zwar nur der Versicherten - sicherstellen sollen (zB §338 Abs2 ASVG). Im Falle einer derartigen vertraglichen Bindung gilt die vorhin erwähnte Freiheit des freiberuflich tätigen Arztes nur vorbehaltlich der aus einem solchen (Kassen-)Vertrag resultierenden Verpflichtungen.

Das Argument der Österreichischen Ärztekammer, daß Ärzte anläßlich der Einrichtung einer Ordination einen erheblichen Aufwand tätigen müssen - diese Regelung also dem Existenzschutz diene -, vermag den Verfassungsgerichtshof nicht zu überzeugen:

Denn mit diesem Aufwand ist auch dann zu rechnen, wenn ein Facharzt eine Zweitordination errichtet hat, um eine Versorgungslücke in dem Einzugsgebiet der Zweitordination zu schließen. Eröffnet nämlich nun ein Facharzt an einem solchen Ort seine (einzige) Ordination, dann muß der Arzt mit der Zweitordination weichen, ungeachtet der Investition die er getätigt hat (§19 Abs4 dritter Satz des Ärztegesetzes 1984). In diesen Fällen geht also der Verlust des Aufwandes zu seinen alleinigen Lasten und trifft ihn nur deshalb, weil er mit der Zweitordination zum zweiten Facharzt an dem betreffenden Ort wurde. In solchen Fällen zeigt sich deutlich, daß die Regelung auf eine Sicherung des Patientenstockes für den später hinzugekommenen Arzt abzielt.

Zusätzlich steht die Tatsache, daß an einem Ort ein Facharzt bereits angesiedelt ist, nicht der Eröffnung einer (Erst-)Ordination durch einen weiteren Arzt gleicher (Fach-)Richtung in dem betreffenden Ort entgegen. Das zeigt - worauf die Österreichischen Ärztekammer in ihrer Stellungnahme mit Recht hinweist - einerseits, daß es nur um einen reduzierten Eingriff in das Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit geht; andererseits aber auch, daß es der Gesetzgeber - ungeachtet des Konkurrenzverhältnisses, in dem Ärzte allenfalls stehen - durchaus für dienlich erachtet hat, daß an einem Ort auch zwei oder mehrere Ärzte gleicher Fachrichtung Ordinationen führen und dadurch der Bevölkerung eine Wahlmöglichkeit eingeräumt wird. In ähnliche Richtung zielen auch die Bestimmungen der Sozialversicherungsgesetze, die ausdrücklich eine Wahlmöglichkeit für Patienten fördern (vgl. zB §135 Abs2 ASVG). Damit kommt aber auch zum Ausdruck, daß der Einrichtungsaufwand für eine Ordination nicht solches Gewicht besitzt, daß er zur Rechtfertigung einer Bedarfsprüfung herangezogen werden könnte.

Da keine Vorschrift ausschließt, daß mehrere Fachärzte derselben Fachrichtung am selben Ort ihren einzigen Berufssitz haben, kann daher eine Regelung, die einen weiteren Berufssitz an einem Ort mit wenigstens einem Facharzt derselben Fachrichtung nur bei entsprechendem Bedarf zuläßt, nicht mit dem Schutz der an diesem Ort niedergelassenen Fachärzte sachlich gerechtfertigt werden. Wenn man der in Prüfung gezogenen Bestimmung zu unterstellen versucht, daß sie nur die Versorgung der Bevölkerung im Auge hätte, dann führt weder eine isolierte Betrachtung noch eine Wertung, die auch die anderen Bestimmungen des Ärztegesetzes in die Betrachtung einbezieht, zum Nachweis, daß der Gesetzgeber einen solchen Zweck verfolgt haben könnte; es ist vielmehr davon auszugehen, daß es sogar im Interesse einer - vom Gesetzgeber gewollten - Wahlmöglichkeit der Patienten und somit im Interesse einer Versorgung der Bevölkerung liegt, wenn an einem Ort mehr als ein (Fach-)Arzt für die Behandlung zur Verfügung steht, auch wenn dieses Anbot nur im Rahmen einer Zweitordination erfolgt.

Der Verfassungsgerichtshof vermag aufgrund der geschilderten Rechtslage die Bedarfsprüfung - auch wenn diese nur die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit in einer Zweitordination betrifft - nicht als zur Erreichung einer flächendeckenden, qualifizierten (fach-)ärztlichen Versorgung geeignet und adäquat zu erachten.

6. Die Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes treffen daher zu (s. auch VfGH 7.3.1992 G198,200/90 ua.).

Die angefochtenen Wortfolgen des §19 Abs3 und 4 des Ärztegesetzes 1984 waren daher als verfassungswidrig aufzuheben.

Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art140 Abs5 und 6 B-VG.

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