VfGH G163/91,G164/91

VfGHG163/91,G164/91G163/91,G164/9113.6.1991

Keine sachliche Rechtfertigung für eine paßrechtlich unterschiedliche Behandlung unehelicher Kinder und ihrer Väter einerseits und ehelicher Kinder und ihrer Väter andererseits in bezug auf die Miteintragung im Reisepaß

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
PaßG 1969 §12 Abs1
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
PaßG 1969 §12 Abs1

 

Spruch:

Die im §12 Abs1 Paßgesetz 1969, BGBl. Nr. 422, enthaltenen Wendungen ", wenn sie ehelich oder an Kindesstatt angenommen sind," und ", wenn sie unehelich sind, in den Reisepaß ihrer Mutter" werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Mai 1992 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu B1222/90 und B36/91 Verfahren über Beschwerden nach Art144 B-VG anhängig, denen folgende Sachverhalte zugrundeliegen:

a) Der Beschwerdeführer zu B1222/90 ist Vater eines im Jahre 1988 unehelich geborenen Sohnes. Seinen Angaben zufolge lebt er mit der Kindesmutter und seinem Sohn in dauernder häuslicher Gemeinschaft; die Obsorge für das Kind komme aufgrund eines Gerichtsbeschlusses beiden Elternteilen gemeinsam zu.

b) Der Beschwerdeführer zu B36/91 ist Vater eines im Jahre 1983 unehelich geborenen Sohnes. Er habe - wie in der Beschwerde ausgeführt wird - seinen ständigen Wohnsitz in Österreich. Das Kind lebe bei der Kindesmutter (der auch die Obsorge zukomme) in der Bundesrepublik Deutschland; die Eltern und das Kind besäßen die österreichische Staatsbürgerschaft; der Vater hole im Einvernehmen mit der Mutter das Kind vor allem in der Ferienzeit regelmäßig zu sich nach Österreich.

c) Beide Väter beantragten, ihre Söhne jeweils in ihren österreichischen Reisepaß miteinzutragen.

Der Bundesminister für Inneres wies mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden vom 19. bzw. 12. Oktober 1990 diese Anträge gemäß §12 Abs1 PaßG ab; die soeben zitierte Gesetzesbestimmung schließe ihrem klaren Wortlaut nach die jeweils beantragte Miteintragung eines unehelichen Kindes im Reisepaß des Vaters aus.

Gegen diese Bescheide wenden sich die beiden erwähnten Beschwerden.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlaß dieser beiden Beschwerden am 2. März 1991 beschlossen, gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der im Spruch angeführten Stellen des §12 Abs1 PaßG einzuleiten.

§12 Abs1 PaßG lautet (die in Prüfung gezogenen Stellen sind hervorgehoben):

"Kinder unter 15 Jahren, die keinen eigenen Reisepaß besitzen, werden, wenn sie ehelich oder an Kindesstatt angenommen sind, in den Reisepaß eines Elternteiles (Wahlelternteiles) oder in die Reisepässe beider Elternteile (Wahlelternteile), wenn sie unehelich sind, in den Reisepaß ihrer Mutter miteingetragen."

Der Verfassungsgerichtshof äußerte im Einleitungsbeschluß das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Regelung dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz (Art7 B-VG) widerspreche. Es seien vorerst keine gewichtigen Gründe erkennbar, die eine paßrechtliche Benachteiligung unehelicher Kinder und ihrer Väter gegenüber ehelichen Kindern und ihren Vätern sachlich rechtfertigen würden.

3. Die Bundesregierung hat beschlossen, von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen. Es werde ohnehin bereits die Novellierung des §12 PaßG 1969 vorbereitet, die den vom Verfassungsgerichtshof relevierten Bedenken Rechnung tragen werde.

Für den Fall der Aufhebung beantragt die Bundesregierung, für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Beide Anlaß-Beschwerden sind zulässig. Der Verfassungsgerichtshof wird daher über sie in der Sache zu entscheiden haben. Hiebei hätte er auch §12 Abs1 PaßG anzuwenden.

Um den geschilderten Bedenken Rechnung zu tragen, genügt es, die im oben wiedergegebenen Gesetzesteil hervorgehobenen Stellen zu prüfen und gegebenenfalls aufzuheben. Sie sind also präjudiziell.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Die geltend gemachten Bedenken haben sich als zutreffend erwiesen:

a) Aus dem in Art7 B-VG verankerten Gleichheitsgrundsatz ergibt sich, daß es dem Gesetzgeber verwehrt ist, sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierungen vorzunehmen. Das Gleichheitsgebot, soweit es sich an die Gesetzgebung wendet, ist nicht auf den Zeitpunkt der Erlassung der generellen Norm abgestellt; Gesetze müssen vielmehr stets dem Gleichheitsgebot entsprechen. Die Maßstäbe für die Sachbezogenheit einer Regelung können sich im Laufe der Zeit ändern; eine Regelung kann somit unter Umständen durch die Nichtanpassung an geänderte Verhältnisse verfassungswidrig werden (vgl. zB VfSlg. 5854/1968, 7974/1977, 9583/1982, 11641/1988).

b) Dem §12 Abs1 und 5 iVm §11 Abs1 PaßG zufolge darf die Miteintragung von Kindern nur mit Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters erfolgen. Die geltende Regelung führt - und zwar nicht bloß in vernachlässigbaren Ausnahmefällen - dazu, daß der Vater eines unehelich geborenen Kindes, auch wenn er gesetzlicher Vertreter dieses Kindes ist, dessen Miteintragung in seinen Reisepaß nicht erreichen kann, obgleich es erforderlich ist, daß er seine Zustimmung zur Ausstellung eines eigenen Reisepasses für das Kind oder zur Miteintragung im Reisepaß der Mutter erteilt; hingegen ist die Miteintragung eines ehelich geborenen Kindes in den Reisepaß des Vaters selbst dann zulässig, wenn dem Vater die elterlichen Rechte entzogen oder eingeschränkt wurden (§§176 ff. ABGB).

c) Unerörtert kann bleiben, ob die paßrechtlich unterschiedliche Behandlung ehelicher und unehelicher Kinder zum Zeitpunkt der Erlassung des Paßgesetzes (1969) vor dem Hintergrund der damaligen familienrechtlichen Situation sachgerecht war.

In der Folge wurde nämlich die Rechtsstellung des unehelichen Kindes weitgehend der des ehelichen Kindes angeglichen (vgl. schon das Bundesgesetz vom 30. Oktober 1970, BGBl. 342, über die Neuordnung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes; siehe insbesondere das Erbrechtsänderungsgesetz 1989, BGBl. 656, das Jugendwohlfahrtsgesetz 1989, BGBl. 161, und das Kindschaftsrecht-Änderungsgesetz, BGBl. 162/1989).

Jedenfalls nunmehr müßten daher sehr gewichtige Gründe vorliegen, damit eine unterschiedliche Behandlung allein aus dem Umstand der ehelichen oder der unehelichen Geburt als mit Art7 B-VG vereinbar angesehen werden könnte (vgl. Urteil des EGMR v. 28.10.1987, ÖJZ 1988, S 177 (Fall Inze zu §7 Z2 Kärntner ErbhöfeG)).

Derartige Gründe für eine paßrechtlich unterschiedliche Behandlung unehelicher Kinder und ihrer Väter einerseits und ehelicher Kinder und ihrer Väter andererseits liegen unter den in vorstehender litb) aufgezeigten Umständen keinesfalls vor.

3. Die in Prüfung gezogenen Stellen des §12 PaßG widersprechen sohin dem Art7 B-VG; sie sind daher als verfassungswidrig aufzuheben.

Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstellen gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz B-VG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

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