VfGH B307/91

VfGHB307/9126.6.1991

Anlaßfallwirkung auch bei Anhängigkeit der Beschwerde zum Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung

Normen

B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 15.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit Bescheid vom 4. März 1991 stellte der Geschäftsführer des Milchwirtschaftsfonds folgendes fest:

"Gemäß §71 Abs5 Z2 Marktordnungsgesetz (MOG 1985, BGBl. Nr. 210/1985 i.d.F. BGBl. Nr. 330/1988) werden die Begünstigungen, die sich aus der Zustimmung des Milchwirtschaftsfonds zur Aufnahme von Almen in die von der Molkereigenossenschaft Obergrafendorf zu führenden Almliste ergeben, für die Dauer vom 1. Juli 1991 bis 30. Juni 1994 für die Jostenalm in Annaberg entzogen.

Hiedurch wird der Bescheid des Milchwirtschaftsfonds Zl. Ia/Dr.A./r. vom 23. März 1983 befristet abgeändert."

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der sich der Beschwerdeführer deswegen in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des §71 Abs5 MOG 1985, BGBl. 210 idF BGBl. 330/1988, in seinen Rechten verletzt erachtet.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 20. Juni 1991, G332-341/90 ua., §71 Abs5 Marktordnungsgesetz 1985, BGBl. 210 idF BGBl. 330/1988, als verfassungswidrig aufgehoben.

3. Wie sich aus Art140 Abs7 B-VG ergibt, wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist darum so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zur Zeit der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem im Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall im engeren Sinn (anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist) sind all jene Fälle gleichzuhalten, die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung mit Beginn der nichtöffentlichen Beratung) bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988).

Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 20. Juni 1991.

Die vorliegende Beschwerde ist am 19. März 1991 zur Post gegeben worden und am 20. März 1991 beim Verfassungsgerichtshof eingelangt.

Nach dem Gesagten ist der Fall daher einem Anlaßfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig befundene Vorschrift an. Nach der Lage des Falles ist es offenkundig, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.

Es ist daher auszusprechen, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid wegen der Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt wurde. Der Bescheid wird aufgehoben (vgl. etwa VfSlg. 10.736/1985).

4. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG abgesehen.

5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500,-- enthalten.

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