VfGH B683/88

VfGHB683/881.10.1991

Keine willkürliche Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen Kontaktaufnahme zu einer Vertrauensperson der gegnerischen Partei unter Umgehung des gegnerischen Rechtsanwaltes; Verletzung des Beschwerdeführers im Gleichheitsrecht durch Unterlassung der Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
DSt 1872 §2
RL-BA 1977 §18
DSt 1872 §50a Abs1
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
DSt 1872 §2
RL-BA 1977 §18
DSt 1872 §50a Abs1

 

Spruch:

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid insoweit, als der Berufung gegen den Schuldspruch zu Punkt 1 des Disziplinarerkenntnisses (AZ D 111/83 des Disziplinarrates) nicht Folge gegeben wurde, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird in diesem Umfang abgewiesen.

II. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid insoweit, als der Berufung gegen den Schuldspruch zu Punkt 2 des Disziplinarerkenntnisses (AZ D 78/84 des Disziplinarrates) sowie gegen den Ausspruch über die Strafe nicht Folge gegeben wurde, und ihm ferner die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt wurden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid wird in diesem Umfang aufgehoben.

III. Die Rechtsanwaltskammer Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit 5.500 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

A. I. Der Disziplinarrat der (vormaligen) Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland sprach den beschwerdeführenden Rechtsanwalt, der seinen Kanzleisitz in Wien hat, mit dem Disziplinarerkenntnis vom 26. September 1986 schuldig, er habe

"1) in der Rechtssache der klagenden Partei H Z wider die beklagte Partei prot. Firma S Import und Export Handelsgesellschaft m.b.H. in Wien, vertreten durch Dr. H W, Rechtsanwalt in Wien, unter Umgehung des Beklagtenvertreters Dr. H W mit Schreiben vom 25. Mai 1983 an M R versucht, in dem noch nicht abgeschlossenen und beim Obersten Gerichtshof anhängigen Räumungsverfahren, AZ 7 C 2047/79 des Bezirksgerichtes Floridsdorf, die Schlüssel für das streitverfangene Geschäftslokal von einer Vertrauensperson der beklagten Partei zu erlangen (AZ D 111/83), und

2) ohne sich vor Einleitung von Exekutionsmaßnahmen über allenfalls eingegangene Zahlungen bei seinem Mandanten zu erkundigen, am 31.10.1983 den neuerlich verbesserten Exekutionsantrag zur Hereinbringung der Kostenforderung von

S 190,52 zu 5 E8731/83 des Exekutionsgerichtes Wien eingebracht, obwohl dieser Betrag bereits am 13. Oktober 1983 vom Verpflichteten an H T, den Mandanten des Beschuldigten, überwiesen worden war (AZ D 78/84); er habe hiedurch im Verfahren AZ D 111/83 das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und im Verfahren AZ D 78/84 die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes begangen."

Unter Bedachtnahme auf ein anderes Disziplinarerkenntnis verhängte der Disziplinarrat über den Beschwerdeführer in analoger Anwendung der §§31 und 40 StGB eine Zusatzstrafe in Form einer Geldbuße von 10.000 S und verpflichtete ihn ferner zum (im Hinblick auf den Freispruch von einem weiteren Vorwurf) anteiligen Kostenersatz.

II. Der Beschwerdeführer erhob gegen dieses Disziplinarerkenntnis (hinsichtlich des schuldigsprechenden Teils) Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK), welche jedoch erfolglos blieb. Gegen deren nach einer mündlichen Verhandlung erlassenen Bescheid vom 30. November 1987 (mit dem der Berufung nicht Folge gegeben und dem Beschwerdeführer die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt wurden), richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die Aufhebung der bekämpften Rechtsmittelentscheidung begehrt.

B. Die Beschwerde ist zulässig, aber nur teilweise gerechtfertigt.

I. 1. Die OBDK begründete die Abweisung der Berufung gegen Punkt 1 des Schuldspruchs durch das Disziplinarerkenntnis im wesentlichen damit, daß der Beschwerdeführer mit seinem Schreiben vom 25. Mai 1983 unter Umgehung des Rechtsfreundes des Prozeßgegners den Versuch unternommen habe, sich in den Besitz des bei einer Vertrauensperson des Prozeßgegners befindlichen Schlüssels zur streitverfangenen Liegenschaft zu setzen. Die Ansicht des Beschwerdeführers, dem inkriminierten Schreiben fehle die Eignung, den Rechtsvertreter der gegnerischen Kapitalgesellschaft zu umgehen, weil die Gesellschaft auf das Verhalten der Schlüsselverwahrerin M R in Ermangelung eines noch bestehenden Rechts- oder Naheverhältnisses keinerlei Einfluß habe nehmen können, stehe mit der Rechtslage in Widerspruch: M R habe den Schlüssel aufgrund eines - nach ihrer Aussage - zur Zeit des Vorfalls zwar schon aufgelösten Beschäftigungsverhältnisses zur Prozeßgegnerin innegehabt und sei deshalb noch immer in einer noch nicht durch Zurückgabe erfüllten Verwahrungsverpflichtung verfangen gewesen; sie sei zu ihrem früheren Vertragspartner in einem nachwirkenden Treuepflichtverhältnis aus dem beendeten Beschäftigungsverhältnis gestanden, sodaß es ihr nicht erlaubt gewesen sei, die mit der Innehabung des Schlüssels gegebene Eröffnung der Zutrittsmöglichkeit zur streitverfangenen Liegenschaft einem Dritten zu übertragen.

2. Im Hinblick auf diese Auffassung der belangten Behörde wirft ihr der Beschwerdeführer vor, in zwei entscheidenden Punkten jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen zu haben, worin zutreffendenfalls im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs (zB VfSlg. 8808/1980) eine Verletzung des Gleichheitsrechtes läge. Die erhobenen Vorwürfe sind jedoch nicht berechtigt.

a) Der Beschwerdeführer macht unter dem Aspekt unterlassener Ermittlungen einerseits geltend, daß M R in keinem Dienstverhältnis zur gegnerischen Gesellschaft gestanden, sondern Bedienerin bei Herrn S (di. der Geschäftsführer der Gesellschaft) gewesen sei. Eine Verletzung des §18 RL-BA ("Der Rechtsanwalt darf den Rechtsanwalt einer anderen Partei nicht umgehen ...") liege nicht vor, weil Gegenpartei seines Mandanten die Gesellschaft gewesen sei.

Dem ist entgegenzuhalten, daß auch eine Auslegung des bezogenen §18 nicht als willkürlich gewertet werden könnte, die bloß darauf abstellt, daß M R in einem spezifischen Vertrauensverhältnis zur Gesellschaft (- im Spruch der von der Berufungsbehörde aufrechterhaltenen erstinstanzlichen Entscheidung wird M R als "Vertrauensperson der beklagten Partei" bezeichnet -) stand; demnach erschiene es als unerheblich, ob sie früher bei der Gesellschaft oder bei deren Geschäftsführer beschäftigt war.

b) Einen Mangel der Ermittlungstätigkeit erblickt der Beschwerdeführer andererseits darin, daß den Tatsachenfeststellungen der OBDK nicht die Information seines Mandanten zugrundegelegt worden sei, der nicht zeugenschaftlich vernommen wurde. (Damit nimmt der Beschwerdeführer offenkundig auf die von ihm im Disziplinarverfahren aufgestellte Behauptung Bezug, daß M R gemäß der Information seines Mandanten sich diesem gegenüber grundsätzlich bereit erklärt habe, den Schlüssel auszufolgen.)

Hiezu ist jedoch anzumerken, daß die von der belangten Behörde angenommene Umgehung des gegnerischen Rechtsanwaltes nicht davon abhängt, welche Absichten im gegebenen Zusammenhang der Mandant des beschuldigten Rechtsanwaltes verfolgt.

3. Der Beschwerdeführer lastet der OBDK im in Rede stehenden Punkt auch an, §2 DSt in gleichheitswidriger Weise ausgelegt zu haben, "weil jede Kontaktaufnahme zu Personen, die mit der Gegenpartei in einer auch nur losen, tatsächlichen Verbindung stehen, zur Tatbestandsmäßigkeit ... führt".

Zu diesem Vorwurf reicht es hin festzuhalten, daß er auf einer nicht zutreffenden Prämisse beruht; es ist nämlich nicht gerechtfertigt, eine Vertrauensperson als eine Person zu beschreiben, zu der eine "nur lose, tatsächliche Verbindung" besteht.

4. Daß die belangte Behörde den Beschwerdeführer bezüglich des Schuldspruchs zu Punkt 1 aus anderen als den geltend gemachten Gründen in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt oder daß die OBDK eine rechtswidrige generelle Norm angewendet hätte, kam nicht hervor; dies gilt insbesondere für die vom Beschwerdeführer behauptete, aber nicht weiter begründete Verletzung des Eigentumsrechtes.

Die Beschwerde war sohin im erörterten Umfang abzuweisen.

II. 1.a) Bezüglich des zweiten Punktes des Schuldspruches brachte der Beschwerdeführer im Rechtsmittelverfahren sowohl in seiner Berufung als auch in der mündlichen Berufungsverhandlung vor, er habe erst nach der Disziplinarverhandlung erster Instanz erfahren, daß seine Kanzlei vor der Exekutionsführung bei einer namentlich angeführten Angestellten seines Mandanten wegen des Eingangs der Kostenforderung rückgefragt, aber eine negative Auskunft erhalten habe. Zu diesem Vorbringen führte die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides wörtlich folgendes aus:

"Mit seiner erstmals in der Berufung vorgetragenen Verantwortung, daß er erst nach der Disziplinarverhandlung entgegen seiner früheren Annahme erfahren habe, seine Kanzlei habe ohnedies vor dem Exekutionsantrag beim Mandanten Rückfrage genommen, ob Zahlung eingegangen ist, aber eine unrichtige negative Auskunft erhalten, muß der Beschuldigte auf seine andere Verantwortungsvariante verwiesen werden, daß eine solche Auskunft 'nichts gebracht' haben könnte, weil beim Klienten derartige Zahlungen auf ein sogenanntes Sammelkonto eingingen, welches nur einmal jährlich auf Irrläufer überprüft werde, somit also der Beschuldigte selbst den Nachweis zu führen unternimmt, daß die ihm angeblich erst jetzt bekannt gewordene erfolglose Rückfrage seiner Kanzlei von vornherein nicht als verläßlich, sondern sogar als aussichtslos anzusehen war. Damit zeigt sich, daß eine telefonische Rückfrage beim Vertreter des Verpflichteten unumgänglich notwendig gewesen wäre und dadurch die zusätzliche, objektiv unberechtigte Exekutionsführung wegen eines so geringfügigen Betrages hätte vermieden werden können. Rechtsanwälte sind zur Vermeidung des Anscheins, es gehe ihnen um jeden Preis um die Hereinbringung ihrer Kostenersatzforderungen, gerade bei geringfügigen Forderungsbeträgen zur besonderen Sorgfalt und Vorsicht in der Vorbereitung von neuen Exekutionsschritten verpflichtet, wenn dadurch den hereinzubringenden Forderungsbetrag übersteigende Verfahrenskosten verursacht werden.

Der Schuldspruch erfolgte aus den dargelegten Gründen auch in Punkt 2) zu Recht, weil die nunmehrige neue Verantwortungsvariante wegen ihrer Widersprüchlichkeit unglaubwürdig ist."

b) Hiezu erhebt der Beschwerdeführer mit Recht den Vorwurf einer Verletzung des Gleichheitsrechtes durch Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt. Es wäre der OBDK nämlich oblegen, die Richtigkeit der vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren aufgestellten Behauptung durch zeugenschaftliche Vernehmung der betreffenden Angestellten seines Mandanten (s. dazu §50a Abs1 DSt) zu überprüfen. Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs geht es nicht an, dem Beschuldigten eines Disziplinarverfahrens einerseits vorzuwerfen, bei seinem Mandanten keine Erkundigung eingeholt zu haben, andererseits aber die Behauptung über eine tatsächlich vorgenommene Erkundigung beim Mandanten im Hinblick auf die sachliche Basis der Auskunftserteilung als ein untaugliches Verteidigungsmittel anzusehen. Es ist nicht gerechtfertigt, vom disziplinären Vorwurf auszugehen, es habe keine Erkundigung beim Mandanten stattgefunden, nach der Verantwortung, es habe eine Erkundigung beim Mandanten tatsächlich stattgefunden, jedoch die weitere Forderung aufzustellen, daß der Beschwerdeführer (überdies) beim gegnerischen Rechtsanwalt hätte rückfragen müssen. Willkürlich ist es schließlich, eine geänderte Verantwortung, die auf einer angeblich später bekanntgewordenen Tatsache beruht, ausschließlich deshalb als unglaubwürdig abzutun, weil sie zu einer früheren, von anderen tatsächlichen Voraussetzungen ausgehenden Verantwortung in Widerspruch steht.

2. Der angefochtene Bescheid verletzt den Beschwerdeführer bezüglich der Berufungsabweisung im Schuldspruch zu Punkt 2 aus den dargelegten Gründen im Gleichheitsrecht. Dieser Bescheidteil ist sohin aufzuheben.

III. Desgleichen ist der angefochtene Bescheid hinsichtlich des aufrechterhaltenen Ausspruchs über die Strafe sowie im Ausspruch über die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuheben, weil diese Aussprüche (auch) durch den unter II. erörterten Bescheidteil bedingt sind.

IV. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG sowie auf den sinngemäß gehandhabten §43 ZPO (§35 Abs1 VerfGG). Da der Beschwerdeführer (im Hinblick auf die Bescheidaufhebung bezüglich des Schuldspruchs in einem Punkt sowie die Aufhebung der Aussprüche über die Strafe und über die Kosten des Berufungsverfahrens) in erheblichem Ausmaß obsiegte, wurde ihm die Hälfte der Prozeßkosten zugesprochen. Im zugesprochenen Betrag sind 500 S an Umsatzsteuer enthalten.

V. Dieses Erkenntnis wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefällt.

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